Frankfurt muss die Hoffnung nicht aufgeben

First Solar streicht die Segel. Damit macht der amerikanische Konzern seine Ankündigung wahr, bei einer weiteren Senkung der Einspeisevergütung für Solarstrom Deutschland zu verlassen. Wirtschaftsminister Rösler und Umweltminister Röttgen kannten diese Gefahr. Dennoch setzen sie weiter auf eine radikale Kürzung der Solarförderung.

Ob tatsächlich die Kürzungspläne oder innerbetriebliche Ursachen für die Schließung verantwortlich sind, ist schwer zu beurteilen. Sicher ist nur, dass diese für Frankfurt (Oder), für Brandenburg, ja für große Teile Ostdeutschlands eine Katastrophe ist. Denn nach den Insolvenzen von Solon in Berlin, Q-Cells in Sachsen-Anhalt und Oder-Sun in Frankfurt (Oder) wird erneut die Zuversicht von ganzen Regionen in eine neue Industrialisierung zerschlagen. Menschen, die Dank einer Stelle in der Solarwirtschaft wieder hoffnungsfroh in die Zukunft blickten, sehen sich nun um diese betrogen. Allein 1200 Arbeitsplätze bei First Solar plus weitere 2000 bei Zulieferern und Dienstleistern werden in Frankfurt wegfallen. Wenn nun auch noch Conergy folgen sollte, gibt es die Solarindustrie in Ostbrandenburg nicht mehr.

Und dennoch steht Frankfurt diesmal nicht so schlecht da wie beim Ende der Chipfabrik vor zehn Jahren. Die Infrastruktur ist jetzt deutlich besser.  Die Stadt hat mit der Solarindustrie bewiesen, dass sie solche Ansiedlungen umsetzen kann. Auf dieses Know How kann die Wirtschaftsförderung nun zurückgreifen. Zusammen mit der jetzt vorhandenen Infrastruktur ist das ein Pfund, mit dem sie bei der Investorensuche ganz anders wuchern kann als vor einem Jahrzehnt. Deshalb hilft es jetzt nur, die Ärmel hochzukrempeln und nach vorne zu schauen. Zusammen mit der Hilfe von Land und Bund sind die Chancen ganz gut, dass neue Investoren gewonnen werden können.

Dieser Kommentar ist am 18. April 2012 auf Inforadio vom rbb und Antenne Brandenburg gesendet worden.

First Solar zieht die Notbremse

First Solar zieht die Notbremse

First Solar in Frankfurt (Oder). Foto: First Solar
First Solar in Frankfurt (Oder). Foto: First Solar

Schön bunt ist die Fabrik von First Solar in Frankfurt (Oder). Für die Mitarbeiter sieht die Zukunft aber eher schwarz-weiß aus. Die Farben werden bleiben, auch wenn die Mitarbeiter in die Arbeitslosigkeit entlassen wurden. First Solar schließt die Fabriken. Der Aktienkurs macht einen Sprung. Und die Politik kann darüber nachdenken, ob die Senkung der Einspeisevergütung für Solarstrom, den die Bundesregierung beschlossen hat, eine gute Idee war.

Es ist tragisch, dass ein Unternehmen, das schwarze Zahlen schreibt, keinerlei soziales Gewissen hat. Es ist schlimm, dass einer Stadt, ja einer ganzen Region wieder einmal die Hoffnung genommen wird. Es ist ärgerlich, dass die Fördersummen zum Großteil nicht zurückgezahlt werden müssen.

Aber wirklich unfassbar ist, dass dies zu einem Zeitpunkt geschieht, an dem Politik, Gesellschaft, Wirtschaft und Kommunen die Energiewende als notwendig akzeptiert haben. Aber eben nur im Prinzip – und nicht im Detail.

Nachwuchs unterm toten Baum

Ein Eichensamen aus Eichwalde
Ein Eichenkeimling aus Eichwalde

Der Apfelbaum ist gefällt. Ein Pilz am Stamm hat ihn ruiniert. Der Kampf mit der Wurzel ist gewonnen. Nach drei Stunden buddeln und hacken ist der Ballen draußen.

Und dann liegt da dieser Keimling. Dort, wo die Reste des toten Baums in der Erde waren, beginnt neues Leben. An einer Stelle, an die eine Eichel eigentlich gar nicht hinkommt.

Was wäre wenn die DDR noch existierte? Dann dürfte Simon Urban bestimmt nicht einreisen

Simon Urban: Plan D
Simon Urban: Plan D

Was wäre wenn? Diese Frage muss sich der Historiker verkneifen. Der Schriftsteller aber darf sie nicht nur stellen, er kann sie auch beantworten. Aber nur, wenn der erzählen kann. Simon Urban kann erzählen. Und wie!

Für einen Debüt-Roman ist es fast schon zu gut, was der Marketing-Texter Urban (Jahrgang 1975) da abgeliefert hat. Ich muss gestehen, dass ich mich zunächst nicht so recht an das Buch wagte, weil mir der Klappentext doch etwas zu krude vorkam. Doch kaum hatte ich angefangen, wollte ich nicht mehr aufhören. Die Folge:  Vier eindeutig zu kurze Nächte!

Simon Urban lässt im Oktober 2011 einen Mord geschehen. Das könnte ja in jedem Krimi passieren. Aber eben nicht in der DDR. Die existiert nach der bekannten Krise von 1989/90 bei Urban noch immer. Egon Krenz ist noch immer Staatsratsvorsitzender, Sarah Wagenknecht ist Schauspielerin und Oskar Lafontaine Kanzler der Bundesregierung in Bonn. Dieses Szenario wirkt anfangs etwas seltsam, entfaltet aber dann auf den mehr als 500 Seiten eine immer größere Faszination.

Das Mordopfer ist ein Professor, der vor der „Wiederbelebung“, so nennt Urban die Phase nach der zweiten Mauerschließung 1992, in die DDR ka, um Krenz zu beraten. Gefunden wird das Opfer erhängt an einer Gazprom-Pipeline in Köpenick. Hintergrund des Mordes sind Verhandlungen über neue Erdgaslieferverträge.

Neben dieses wunderbar skurrilen und bis ins Detail ironisch-überzeugenden Rahmens überzeugen vor allem die Figuren. Der ermittelnde Hauptmann Wegener und sein scharf beobachtetes Liebesleid, an seiner Ex, in die er alle Verlustängste und erotischen Phantasien legt, ist ebenso großartig wie die alle anderen Figuren vom Stasi-Major bis hin zum Terroristen in der DDR. All das ist wirklich wunderbar, packend erzählt. Und neben de m eigentlichen Thriller eine feine intellektuelle Herausforderung. Schließlich will ständig überprüft werden, ob das „Was-wäre-wenn“ auch stimmen könnte. Und siehe da: es könnte! Immerzu. Deshalb: Lesen! Unbedingt! (Und danke Mathias für den Tipp und da Buch!)

Ein fremder Frühlingsgruß

Am Zeuthener See am ersten richtig warmen Abend.
Am Zeuthener See am ersten richtig warmen Abend.

Fürs Wochenende war noch Schnee angekündigt, doch der Frühling ließ sich nicht vertreiben. Am Tag nach Ostern klettern die Temperaturen auf 19 Grad. Selbst am Abend ist es noch richtig warm, für den Läufer in seiner Laufjacke sogar zu warm.

Ihm kommen ständig Menschen auf dem Weg am See entgegen. Sie trauten eher der Wettervorhersage als dem eigenen Temperaturempfinden. In dicken Winterjacken trotten sie eher, als dass sie  fröhlich dem Frühling entgegen schreiten. In ihre Gedanken versunken, die Jacken bis oben verschlossen, wirken sie an diesem Abend wie aus einer anderen Welt.

Erst das „Hallo“ des Läufers schreckt sie aus ihrer abgekapselten Welt auf. So ist dann auch ihr Blick. Aber nur im ersten Moment. Dann macht sich ein Lächeln in ihren Augen breit – und sofort danach im ganzen Gesicht. Der fröhliche Gruß des fremden Läufers holt sie aus dem Winter. Ihre Köpfe tragen sie jetzt oben. Ihre Schritte werden fester. Und das alles nur wegen eines Grußes am ersten Frühlingsabend.

Bürgernähe in Eichwalde zwischen Theorie und Praxis

Wenn die Gemeinde Eichwalde die Hortgebühren um bis zu 400 Prozent erhöht, ist das ihr gutes Recht. Die Verwaltung arbeitet eine neue Gebührensatzung aus und die  Gemeindevertreter stimmen zu. Das ist rechtlich einwandfrei. Aber wenn mit den betroffenen Eltern nicht einmal gesprochen wurde, dann ist das zumindest alles andere als bürgerfreundlich.

Wenn ein Bürgermeisterkandidat im September 2009 – vor der Wahl folgendes sagt: „Wichtig ist es, das Gespräch mit den Bürgern zu führen und gemeinsam nach Lösungen zu suchen, die zukunftsfähig und für möglichst alle Betroffenen tragbar sind“ (Wahlflyer vom September 2009), dann ist das sehr begrüßenswert. Wenn es der inzwischen gewählte Kandidat zweieinhalb Jahre später aber völlig normal findet, dass weder mit den betroffenen Eltern noch mit deren Vertretung vor dem Beschluss gesprochen wird, dann ist das auf jeden Fall eine bittere Enttäuschung.

Wenn er auch noch solche Sätze wie diesen sagte: „Dies gehört heute zum Einmaleins von Stadtplanern. Auch die Verwaltung kann noch bürgerfreundlicher werden – Stichwort Öffentlichkeitsarbeit, Öffnungszeiten, Transparenz, Beratung“, (Wahlflyer vom September 2009), dann zeugte das von zumindest von guten Vorsätzen. Aber wenn die Verwaltung weder mit den Betroffenen spricht, noch die Gemeindevertreter richtig informiert, dann wird der ehemalige Kandidat seinen eigenen Ansprüchen nicht gerecht („Die Zahlen sind von der ersten Minute an so diskutiert worden“, widerspricht Speer. „Das hätte nachgerechnet werden können.“ (MAZ vom 29. März 2012) .)

Von den Eltern konnte es nicht nachgerechnet werden, weil sie nichts wussten. Und die Gemeindevertreter müssen sich eigentlich darauf verlassen können, dass sie von der Verwaltung richtig informiert werden. Und das schließt Beispielsrechnungen ein, die die gesamte Tragweite der Entscheidungen aufzeigen. Wenn der Chef der Verwaltung, also der Bürgermeister, noch immer sagt, dass die Verwaltung alles richtig gemacht hat („Eichwaldes Bürgermeister Bernd Speer (parteilos) weist abermals den Vorwurf zurück, die Gemeindevertreter nicht ausreichend informiert zu haben. „Die Zahlen waren zugänglich.“ Die Kitasatzung hätte gleich bei der ersten Abstimmung abgelehnt werden können, sagte er.  (MAZ vom 7. April 2012) ), dann ist das eigentlich nur noch ärgerlich.

Aber vielleicht erinnert sich Bernd Speer ja noch an seine Versprechen und arbeitet im Sinne derer, die ihn gewählt haben: „Wir müssen mit unseren Einrichtungen wie Schule, Kindertagesstätten aber auch Spielplätzen ein attraktives Wohnumfeld für Familien bieten. Dies sehe ich als sehr wichtige Aufgabe an.“ (Wahlflyer vom September 2009) Denn dann würde er die Eltern endlich ernst nehmen und mit den Gemeindevertretern nach einer guten Lösung suchen. Und nicht weiter all seine Wahlversprechen ad absurdum führen – und viele seiner Wähler bitter enttäuschen.

Weitere Links zum Thema:
Beitrag auf diesem Blog vom 19. März 2012 
MAZ vom 29. März 2012
Brandenburg Aktuell vom 2. April 2012
Brandenburg Aktuell vom 4. April 2012
MAZ vom 7. April 2012 

Anzeigen-Fundstücke (2) – Steinkohle

Anzeige für die Deutsche Steinkohle in der "Bild" vom 20. April 1967
Anzeige für die Deutsche Steinkohle in der „Bild“ vom 20. April 1967

1967 war es die Steinkohle, ohne die sich niemand vorstellen konnte, dass es genügend Energie für den Wohlstand geben könnte. 2012 glaubt Brandenburgs Landesregierung plus CDU- und FDP-Opposition noch immer, dass die Braunkohle Basis für den Wohlstand in der Lausitz sei. Damals wie heute hat das für die Vergangenheit gestimmt. Den deutschen Steinkohle-Bergbau gibt es nicht mehr. Er ist genauso Geschichte wie diese Anzeige. Die Braunkohle wird folgen. Und zwar schneller, als viele glauben. Nur Energie, die keine Brennstoffkosten verursacht, hat Zukunft. Und das sind Sonne, Wind und Co.

Mal schauen, wann Braunkohle-Anzeigen nur noch Geschichte sind?

Mehr Anzeigen-Fundstücke:
(1) – Mitfahren anno 1820
(3) – Lebensmittelpreise 1933
(4) – Ventilator für Dicke

Die Lust am Rutschen

In der Rutsche geht es schnell nach unten. Wie beim Springen vom Turm. Einmal gestartet, gibt es kein Halt mehr. Erst unten ist Schluss.

Wo kommt diese Faszination her? Diese Lust am Sog nach unten? Dieser Drang die Mühsal des Aufstiegs auf sich zu nehmen, nur um dann dieses Kribbeln zu spüren? Sehr seltsam das Alles.

Aber immer wieder so unglaublich schön. Und erfüllend. Ohne Sinn sich selbst zu spüren. Wunderbar!

 

Gabriele Riedle blickt in einem Tunnel auf eine depressive Generation

„In ihrer Nutzlosigkeit sind schließlich alle
Menschen wieder gleich. So wie sie es ganz
früher in ihrer Nacktheit waren, am
sechsten Tag der Schöpfung.“

Gabriele Riedle: Überflüssige Menschen
Gabriele Riedle: Überflüssige Menschen

Von „Überflüssigen Menschen“ erzählt Gabriele Riedle in ihrem neuen Roman. Vor allem von Natalie, einer Übersetzerin aus dem Russischen, die sich einst von der schwäbischen Kleinstadt in die Großstadt Berlin aufmachte und jetzt ein Theaterstück von Tschechow für das Ulmer Theater neu in Deutsche bringen soll. Doch statt des neuen Textes entsteht ein innerer Monolog, der sich vor allem an die drei Schwestern des Stückes richtet. Und damit mehr als ein ganzes Jahrhundert Geschichte auf eine ganz spezielle Art in den Blick nimmt.

Dieser Blick ist ein Tunnelblick, den Natalie leidet an einer Erbkrankheit, die ihr das Augenlicht nimmt. Und sie leidet an einer Depression. Denn alles, was sie da aufschreibt ist eine hoffnungslose Gesamtschau auf die Menschheit, auf die eigene (Nachkriegs-) Generation und auf sie selbst. Unfähig zu arbeiten, unfähig zu genießen, unfähig Beziehungen einzugehen und zu leben, unfähig Freude aus dem Leben zu ziehen, igelt sich Natalie ein, denkt nur über den Mann, eine frühere Jugendliebe, der ihr den Übersetzungsauftrag erteilt hat, nach – ohne sich aufzuraffen ihr auch zu treffen. Und somit auch echt zu leben – und nicht nur in ihrem gedanklichen Tunnelblick.

Gabriele Riedle schildert eine Frau, die es geschafft hat, aus der Enge der schwäbischen Provinz, aus der Familie mit SA- und SS-Angehörigen auszubrechen. Natalie ist eines dieser Nachkriegskinder, denen es die Bildungsoffensive der SPD in den 70er-Jahren ermöglicht hat zu studieren und so die Welt für sich selbst zu erobern. Natalie studiert Russisch, sie sympathisiert mit der RAF, sie erliegt auf ihre Art der Faszination der Gewalt, die ihr Großvater in der SA und später auf seinem Marsch nach Moskau auslebte.

All das bündelt Riedle in knappe 34 Kapitel, die in einem Strudel aus Widerholungen von Gedanken, die allerdings immer wieder in neue Zusammenhänge gestellt werden, einen ganz eigenen Sprachrhythmus erzeugen. So werden ganz kleine, persönliche Erlebnisse in den großen Gesamtkontext der Geschichte des 20. Jahrhunderts gestellt. Und auch in den unseres ersten Jahrzehnts. In dem in der Finanzkrise Banker aus Fenstern springen, weil sie überflüssig sind. So wie sich Natalie fühlt, die aber nicht springt, sondern sich in ihren Gedanken vergräbt.  Und den Leser so verwirrt, und dennoch fesselt.

Gabriele Riedle: Überflüssige Menschen. Die Andere Bibliothek, Eichborn Verlag, 32 Euro.

Gurgeln bei Erwin Schrott

Auf der einen Seite treibt einen diese Musik an, auf der anderen bremst sie einen aus. Immer dann, wenn es immer schneller vorwärts geht, krätscht eine einsame Violine mit ihrer Melancholie in den Schwung. Und dann wird man auf sich selbst zurückgeworfen.

Erstaunlich, wie der Tango auch mit dem Opern-Bassbariton von Erwin Schrott funktioniert. So gut, dass es mir nicht möglich ist, die CD als Begleitung beim Lesen des aktuellen Romans zu hören. Immer wieder wandern die Augen sinnlos entlang der Zeilen weiter, ohne auch nur ein Wort aufzunehmen, geschweige denn den Sinn der Sätze zu erfassen. Der Tango Erwin Schrotts füllt mich aus.

Und immer dann, wenn mich die Musik so ablenkt, dass ich das Lesen einstelle, irritiert mich ein seltsames Nebengeräusch. Es ist kein Kratzen wie bei einer Schallplatte. Es ist eher ein tiefes Gurgeln, ein ständig unterbrochenes Wasserrauschen. Auf der CD ist es nicht. Nach langem Nachhorchen entdecke ich, dass es das Fallrohr der Dachrinne ist. Es regnet offensichtlich sehr stark.

Leise Musik überlagert Text. Tiefes Gurgeln dominiert den Bass Erwin Schrotts. Gedanken springen von Reiz zu Reiz. Alles verschwimmt zu einem seltsamen Grundgefühl. Da ist diese Melancholie des Tangos, dieses nach unten stürmende Wasser. Da sind die Erinnerungsfetzen bei der Suche nach Heimat in dem Roman. Alles wird eins. Nicht mehr Gedanke, nur noch Gefühl. Wie in den treibenden Passagen des Stückes oben. Ein gurgelndes Insichhören voller Wehmut und Trauer.