Liebe in Zeiten des Untergrunds und des Exils ist immer auch ein Hoffen auf eine andere Zukunft. 1944, als Hans Keilson seine Sonette für Hanna schrieb, waren die Niederlande noch immer von den Deutschen besetzt. Hans Keilson lebte im Untergrund und lernte eine junge Frau, die sich als Jüdin vor den deutschen Mördern und ihren Helfern verstecken musste, kennen. Und er begann Hanna zu lieben. Davon zeugen die 46 Sonette, die vom S. Fischer Verlag jetzt erstmals als eigenes Buch veröffentlicht wurden.
Schlagwort: Literatur
Christoph Ransmayr sucht in „Cox“ nach der Zeit
Historische Romane sind sehr oft bunt und überladen. Sie versuchen, dem Leser der Gegenwart angesichts eines Panoptikums der Seltsamkeiten der Vergangenheit einen wohligen Schauer zu bescheren. Wer mit solchen Erwartungen an „Cox oder der Lauf der Zeit“ von Christoph Ransmayr liest, wird enttäuscht. Wer sich aber auf die Geschichte aus dem China des 18. Jahrhundert einlässt, um darin ein Gleichnis über Zeit und Vergänglichkeit zu finden, wird angesichts der Sprache Ransmayrs nicht mehr von diesem Buch lassen können. Nicht Effekt, sondern Sätze von fast wunderbarer Schönheit machen diesen Text aus.
Thea Dorn sucht die faustische Unsterblichkeit
Wissenschaft ist kein großes literarisches Thema. Allenfalls in Science Fiction spielt sie eine bedeutende Rolle. Aber sonst? Wissenschaftler als Figuren gibt es häufiger, aber die Auseinandersetzung mit der Forschung der Gegenwart scheuen die Schriftsteller. Umso erstaunlicher – und erfreulicher – ist der aktuelle Roman von Thea Dorn, „Die Unglückseligen“. Das sind Johanna, eine energische Genforscherin, die auf der Suche nach der Unsterblichkeit ist. Und Johann, ein Physiker aus dem frühen 19. Jahrhundert, der aufgrund eines Gen-Defekts jede Art von Verletzung in kürzester Zeit auskuriert. Außerdem altert er seit Mitte 30 nicht mehr. Johanna lernt den Deutschen bei einem Forschungsaufenthalt in den USA kennen. Von Anfang an fühlt sie sich zu diesem Mann hingezogen. Warum weiß sie nicht. Ab dass er besonders ist, weiß sie.
Die DADA-Texte von Walter Mehring neu aufgelegt
Der Elster Verlag macht weiter! Mit „Stum und Dada – Gedichte, Erinnerungen und Essays das Walter Mehring“ bringt der Zürcher Verleger Bernd Zocher den dritten Band von Walter Mehring in nur vier Jahren heraus. Das ist nicht nur löblich. Es ist vor allem für den Leser ein Fest. Immerhin handelt es sich bei Walter Mehring (1896 – 1981) um einen lesenswertesten deutschen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. In diesem Band sind seine frühsten und etliche späte Texte versammelt.
Günter de Bruyn auf den Spuren des erstaunlichen Dichters Zacharias Werner
Keiner schreibt über Preußen wie Günter de Bruyn. Seine Bücher bilden immer märkische Geschichte ab. Das gilt auch für „Sünder und Heiliger“, in dem de Bruyn „das ungewöhnliche Leben des Dichters Zacharias Werner“ – so der Untertitel – nachzeichnet. Kurz vor seinem 90. Geburtstag ist die literarische Biografie soeben erschienen.
Richard Swartz erzählt die Geschichte seiner kroatischen Familie
Die Bücher von Richard Swartz bewegen sich immer zwischen Journalismus und Literatur. Das Verbindende ist stets die Leidenschaft für die Reportage. Der schwedische Journalist, der seit Jahrzehnten aus Südosteuropa berichtet hat sich für sein neues Buch die Familiengeschichte seiner kroatischen Frau vorgenommen. Und die ist in dieser Region der Multinationalität höchst komplex. Sie reicht vom Partisanen über die Halbitalienerin bis hin zu einer Kroatin, die sich auch in Zeiten der Jugoslawienkriege weigert, Nationalistin zu sein. Ein Buch also, das dem Leser Kroatien sehr nahe bringt.
Wlodzimierz Odojewski im Sog der „Verdrehten Zeit“
Wlodzimierz Odojewski ist einer der Gegenwartsautoren Polens, die nicht so bekannt sind, wie sie es verdient hätten. Zwar sind seine Bücher auch in Deutschland erschienen, aber vor 1989 war das ein Drahtseilakt und anschließend war das Interesse in Deutschland an Polen nicht so groß, wie es eigentlich immer sein müsste. Jetzt ist sein Roman „Verdrehte Zeit“ bei dtv erschienen. Zwei Tage zuvor, am 20. Juli ist er jedoch mit 86 Jahren gestorben. Sein großes Thema war Polen im 2. Weltkrieg.
20 Jahre nach seiner Beteiligung im Widerstand gegen die Deutschen wird Waclaw Konradius in die Vergangenheit zurückgeworfen. Damals war er in einer Gruppe, die einen ranghohen SS-Mann liquidieren sollte. Doch die Gruppe wurde verraten, nur er selbst überlebte. Jetzt – im Roman das Jahr 1964 – wird er wieder an das prägende Ereignis seines Lebens erinnert.
Das ägyptische Konzil von Leonardo Sciascia spielt mit Macht, Gier und Lüge
Ob Umberto Eco oder Luigi Malerba, in Italien ist der historische Roman auch in der Nachkriegszeit immer ein Genre der Gegenwartsliteratur gewesen. Anders als in Deutschland galt er nie als angestaubt. Und so haben ihn die besten Schriftsteller immer wieder mit alten Stoffen, neuen Ideen neu belebt. So wie der Sizilianer Leonardo Sciascia (1921 – 1989) mit seinem 1963 erschienen Roman „Das ägyptische Konzil“, der in den 1790er-Jahren in Palermo spielt.
Italo Calvino liebt den „Rasenden Roland“ von Ariost
Eigentlich ist es schade, dass so großartige Bücher wie der „Rasende Roland“ auch bei mir zwölf Jahre im Regal stehen, bevor sie gelesen werden. Was für ein Fest an Gedanken, Farben, Leben, Wahnsinn und Freude! Was für ein irrer Ritt durch ganz Europa! Was für eine Lust am Fabulieren und Sprache zu formen. Kaum ist das Buch zu Ende gelesen, kommt schon Wehmut auf, weil das nächste mit Sicherheit nicht so viel Kraft haben kann. Und die Erkenntnis, dass es sich eben doch lohnt, alte Texte zu lesen. Dass es ein Vergnügen ist, sich in die Gedanken- und Fabelwelten anderer Zeiten hineinzuversetzen und den Wahnsinn der Gegenwart in einem 500 Jahre alten Text zu spiegeln.
Stefano Benni erzählt packend vom Billard
Der schmale Band hat gerade 90 Seiten. „Die Pantherin“ von Stefano Benni enthält zwei Erzählungen. Wobei die zweite, die nicht die Namensgeberin des Buches ist, die ergreifendere ist. „Aixi“ spielt an der Küste Siziliens. „Die Pantherin“ im Keller eines riesigen Billardsalons.
Beide Erzählungen verbindet der sehr genaue Blick Bennis auf die Umgebung und die Personen, die er beschreibt. Bei der Pantherin handelt es sich um eine legendäre Billardspielerin, die sich in der Männerdomäne durchsetzt. Ein Jugendlicher erzählt davon, wie sie im Billardsalon unter der Erde die besten und größten Spieler demontiert. Er erliegt der Faszination dieser Frau – und so ist es kein Wunder, dass eine enorme Portion Sexualität den Raum mit den vielen Billardtischen mit einer enormen Spannung auflädt. Und das vor allem, weil sie mit ihren Lederklamotten, ihrem Schweigen und ihrem phantastischen Spiel die Projektionsfläche für den jungen Kerl ist. Stefano Benni erzählt das alles ganz ruhig. Und dennoch ist der Schweiß beim Lesen fast schon zu riechen. Der Angstschweiß der Helden der Billardszene, die von der Pantherin in die Enge getrieben werden.
Ganz andere Assoziationen löst „Aixi“ aus. Auch sie ist eine weibliche Heldin. Aber keine Frau, sondern ein Mädchen, das ihren Vater retten will. Der ist Fischer, kann aber wegen eines Krebsleidens nicht mehr aufs Meer fahren. Und so verarmen Aixi und ihr Vater. Das Mädchen entscheidet sich, ein Boot auszuleihen und zu fischen. Das geht zunächst auch gut, aber ein Motorschaden bringt sie in Lebensgefahr. Stefano Benni schafft es, dass der Leser von Anfang an mit dem Kind fühlt. Die Ablehnung des städtischen Lebens seiner Tante prägt sie. Aixi will am Meer leben. Sie will die Natur spüren, ins Meer eintauchen, auf Booten fahren und spüren, dass dsa Leben auch anstrengend sein kann. Denn der Preis für ein Leben in einer städtischen Wohnung ist der Verlust der Freiheit. Und des Vaters.
Es zeichnet Stefano Benni aus, dass er beide Erzählungen so kompakt gehalten hat. Kein Satz ist überflüssig. Jedes Wort zahlt auf die Geschichte ein. Nichts lenkt ab. Andere hätten aus den Stoffen vielleicht versucht einen kurzen Roman zu schreiben. Aber er konzentriert sich auf den Kern der Geschichten. Zum Glück.