Christoph Ransmayr sucht in „Cox“ nach der Zeit

Christoph Ransmayr: CoxHistorische Romane sind sehr oft bunt und überladen. Sie versuchen, dem Leser der Gegenwart angesichts eines Panoptikums der Seltsamkeiten der Vergangenheit einen wohligen Schauer zu bescheren. Wer mit solchen Erwartungen an „Cox oder der Lauf der Zeit“ von Christoph Ransmayr liest, wird enttäuscht. Wer sich aber auf die Geschichte aus dem China des 18. Jahrhundert einlässt, um darin ein Gleichnis über Zeit und Vergänglichkeit zu finden, wird angesichts der Sprache Ransmayrs nicht mehr von diesem Buch lassen können. Nicht Effekt, sondern Sätze von fast wunderbarer Schönheit machen diesen Text aus.

Die Reportagen von Albert Londres verblüffen durch Aktualität

Albert Londres: Ein Reporter und nichts als das
Albert Londres: Ein Reporter und nichts als das

Albert Londres kannte ich bislang nicht. Dass er ein großer französischer Journalist in den Zwischenkriegsjahren war, wusste ich nicht. Aber jetzt habe ich „Ein Reporter und nichts als das“ gelesen. „Die Andere Bibliothek“ hat wieder einmal Texte zugänglich gemacht, die in Deutschland bislang nicht verfügbar waren. Drei Bücher haben Christian Döring als Herausgeber und Linda Vogt als Lektorin in einem Band zusammengefasst. Und alle drei sind Reportagen von großer Klarheit.

„China aus den Fugen“ ist im Mai 1922 erschienen und schildert die Situation zehn Jahre nach der Abdankung des letzten Kaisers. „Ahashver ist angekommen“ ist eine Reise durch das jüdische Leben in Westeuropa, den Ghettos Osteuropas und im Palästina der Zionisten in den Jahren 1929 und 1930. Und „Perlenfischer“ ist das Ergebnis einer Recherche zwischen dem Golf von Oman und dem Golf von Aden im Jahr 1931. Jedes dieser Bücher ist ein erstaunlicher Reportageband. In ihrer Fülle sind sie ein fulminantes Zeugnis davon, was dieses Genre kann.

Das wird vor allem bei „Ahashver ist angekommen“ deutlich. Londres beginnt in London, sich auf die Suche nach dem Leben und dem Denken der Juden zu machen. Er lernt die reichen und die armen Juden kennen. Er besucht Talmud-Schulen und spricht mit Zionisten, die eine jüdische Zukunft nur in Palästina sehen. Von dort macht sich Londres auf den Weg über Westeuropa ins östliche Mitteleuropa, in die Tschechoslowakei, nach Polen und Russland. Er erlebt die kaum vorstellbare Armut der Juden in den Karpaten oder dem Lemberger Ghetto. Er reist zusammen mit Menschen, die sieben Sprachen fließend sprechen, aber es nicht schaffen sich aus den furchtbaren Zuständen ihrer Heimatorte zu befreien. Er lernt Wunderrabbis kennen und überall sieht er Fotografien von Theodor Herzl, dem Begründer des Zionismus. Londres erfährt, was die Juden Europas bewegt, wie unterschiedlich sie denken – und wie antisemitisch die Gesetzgebung Polens war, wie diskriminierend Tschechen, Slowaken, Rumänen, Ukrainer oder Russen mit der Minderheit in ihrer Mitte umgingen. Londres hört überlebenden der Pogrome in Russland zu. Und so versteht er immer besser, warum sich ein Teil der Juden in den tiefen Glauben flüchtete und ein anderer sein Heil in der Auswanderung ins Land der Vorväter in Palästina suchte.

Wer diese Reportage heute, nach der Shoa, liest, erschrickt zwangsläufig. Nicht nur, weil hier eine Welt auflebt, die durch die Mordmaschinerie der Nazis vernichtet wurde. Nein, man erschrickt auch, weil der Hass auf die Juden als ein europäisches Phänomen geschildert wird. Denn das diskriminiert werden, ja das ermordet werden, gehörte für die Juden auch in den 21 Jahren zwischen 1. und 2. Weltkrieg zum Alltag.

Sein Besuch im englischen Mandatsgebiet, in dem sich die Zionisten niederlassen durften, ist ebenfalls von einer ungeheuren Hellsichtigkeit. Londres beschreibt die Konflikte mit den Arabern, er schildert auch dort einen Pogrom gegen die Juden – und er beobachtet verblüfft, wie sie die jüdischen Einwanderer in den Dienst des Aufbaus eines jüdischen Staats stellten, ohne auf die einstige Stellung in Europa zurückzublicken. Wer etwas über das Entstehen des Nahost-Konflikts erfahren will, ist hier richtig. Denn Londres zeichnet bei seiner Reportage aus den Jahren 1929 und 1930 genau die Konfliktlinien nach, die noch heute entscheidend sind. Und er erfasst die Mentalität eines Volkes, das sich aus der Diskriminierung und Verfolgung befreit, um den eigenen Staat zu schaffen. Londres schafft es dabei, immer Distanz zu wahren. Ihn begeistern der Wille und die Zielstrebigkeit. Aber er versteht auch die Araber. Er nimmt keine Partei, sondern schafft es nur Kraft seiner Beobachtung und seiner klaren und prägnanten Stils, aufzuklären. Ein Meisterwerk eben.

Qiu Shihua irritiert mit seinen weißen Landschaften

Der Ausstellungsraum im Hamburger Bahnhof mit den Bilder Qiu Shihuas
Der Ausstellungsraum im Hamburger Bahnhof mit den Bilder Qiu Shihuas

Beim Betreten des Saales blendet das Weiß. Nicht nur die Wände sind weiß, auch die Bilder sind alle weiß. Qiu Shihua bemalt große Flächen mit dieser klaren Farbe – und mit ganz wenigen Abstufungen.

Man muss ganz nah an die Bilder rangehen, dann stellen sich die Augen auf die Qiu Shihuas Leinwand ein, dann werden sanfte Strukturen sichtbar.

Wer ganz genau hinsieht, erkennt das Durchschimmern einer Sonne durch dichten Nebel. Und er nimmt Strukturen von Landschaften wahr.

Qiu Shihua: Ohne Titel
Qiu Shihua: Ohne Titel

Vor den Bildern können die Augen beginnen zu schmerzen. Eine Erfahrung, die ich beim Betrachten von Bildern noch nicht machte. Sie zwingt zur vollen Konzentration – und zu einer Innerlichkeit, die weh tut, weil das Äußere kaum noch Halt gibt.

Qiu Shihuas Ausstellungsraum
Qiu Shihuas Ausstellungsraum

Nur der Raum gibt Halt. Eine irre Erfahrung, wie sich die eigene Wahrnehmung verändert. Eine Irritation, die nachwirkt, weil sie zeigt, dass der genaue Blick manchmal schmerzhaft, aber dann auch sehr erkenntnisreich und dadurch anregend und belebend sein kann.

Chinesischer Öldurst treibt den Preis auf bis zu 250 Dollar

Der Erdölpreis beeinflusst die Inflation. Im Dezember belief sich die Inflationsrate auf 0,9 Prozent. Preistreiber waren Ölprodukte: Superbenzin war 16,2 Prozent teurer als 2008, Heizöl 4,4 Prozent. Andreas Oppermann hat mit Otto Wiesmann, Ölmakler an der New Yorker Warenterminbörse, über den zukünftigen Ölpreis gesprochen. Herr Wiesmann, der Ölpreis hat in den wenigen Tagen dieses Jahres Kapriolen geschlagen. Erst war er recht hoch, jetzt sinkt er gerade. Was ist los? Otto Wiesmann: Das ist einfaches Marktverhalten. Der Preis ist in kurzer Zeit um 16 Dollar gestiegen. Einem so starken Preisanstieg folgen immer Gewinnmitnahmen. Zudem sind die Bestände, vor allem in den USA, voll. Öl ist eigentlich genug vorhanden.

Liegt das Öl auf Halde?

Teilweise liegt Erdöl tatsächlich auf Tankern in den Weltmeeren auf Halde. Das ist aber nur vorübergehend der Fall.

Müssen wir mit steigenden Preisen rechnen?

Vor allem langfristig. China ist auf großer Einkaufstour auf den Rohstoffmärkten. Allein in den vergangenen beiden Jahren ist der Autobestand pro 1000 Chinesen von 24 auf 40 Fahrzeuge gestiegen.

Also fast eine Verdoppelung in zwei Jahren.

Aber China liegt mit diesen 40 Fahrzeugen auf 1000 Bürger noch weit unter westlichen Durchschnitt. Bei uns liegt er bei gut 500 Fahrzeugen pro 1000 Bürger. Da wollen die Chinesen hin. Wenn der Fahrzeugbestand nur auf 120 steigt, also auf weniger als nur ein Viertel unseres Bestandes, dann klettert der chinesischen Importbedarf pro Tag auf bis zu 16 Millionen Barrel.

So gesehen spielt der relativ kalte Winter derzeit keine Rolle bei der Preisbildung?

Der Winter hier ist nicht ganz so wichtig, Nach wie vor sind die USA der Hauptabsatzmarkt für Erdöl. Pro Bürger verbraucht das Land 25 Barrel am Tag. Dieser Wert sinkt aber zurzeit dramatisch. Anhand der Zweitwährung der USA wird das deutlich. Neben dem Dollar gibt es in den USA auch noch Essensgutscheine. Mehr als 34 Millionen US-Bürger bekommen diese. Das sind mehr als elf Prozent der Bevölkerung. An dieser enormen Zahl lässt sich ablesen, wie stark die USA in der Rezession stecken. Deshalb sinkt der Ölverbrauch in den USA so stark; im vergangenen Jahr um 60 Millionen Tonnen!

Das müsste den Ölpreis doch stabilisieren?

Auf der einen Seite sinkt der Verbrauch wie in den USA oder auch bei uns in Deutschland. Aber in den Schwellenländern steigt er eben. Und das wird stärker ins Gewicht fallen. Indien hat derzeit einen Pro-Kopf-Verbrauch von 0,76 Barrel und China einen von 1,98 Barrel. Damit stehen Indien und China ganz am Anfang einer Entwicklung, die Erdöl benötigt. In diesen beiden Ländern mit insgesamt 2,5 Milliarden Menschen wird der Ölverbrauch in den nächsten Jahren dramatisch steigen.

Ist diese Entwicklung zwangsläufig oder ließe sie sich verhindern?

Jeder Mensch hat Wünsche und Träume. Auch Inder und Chinesen wollen Kühlschränke, Fernseher und Autos. Schon deshalb wird der Verbrauch dort steigen, wie in den anderen Schwellenländern auch.

Damit erübrigen sich Gedanken über den Klimaschutz doch eigentlich?

Das darf man so nicht sehen. Der CO 2 -Ausstoß kommt vor allem aus Kraftwerken. Wenn die westlichen Industrieländer bis 2050 rund 80 Prozent des Kohlendioxid-Ausstoßes einsparen wollen, dann geht das nur, wenn keine neuen Kohlekraftwerke gebaut und bestehende stillgelegt werden. Das Erdöl ist zwar wichtig, aber im Verhältnis nicht ganz so bedeutend.

Aber dieser neue Durst nach Erdöl in den Schwellenländern führt auf jeden Fall zu einer Verknappung.

Das ist richtig. Schon jetzt erschöpfen sich die großen Erdölfelder. Die Fördermengen der großen Ölfelder schrumpfen um 7,9 Prozent pro Jahr. Es gibt sogar Staaten wie den Jemen, die fast kein Öl mehr haben. Von den Vereinigten Arabischen Emiraten wissen wir, dass die Fördermenge drastisch sinkt. 1990 gab es weltweit noch 15 Ölfelder, die täglich mehr am eine Million Barrel Erdöl abgaben. Heute gibt es nur noch zwei mit einer solch hohen Fördermenge: Burgan in Kuwait und Ghawar in Saudi-Arabien. Das ist wie bei einer Zitrone: Je stärker man presst, umso eher ist sie leer.

Dann können die Milliarden Inder und Chinesen doch gar nicht so viel Öl verbrauchen?

Das hängt vom Preis ab. Sicher ist, dass der Westen in Zukunft wesentlich weniger verbrauchen kann.

Wie wirkt sich Ihre Prognose auf Raffinerien wie in Schwedt aus?

Für sie wird die Zukunft schwer. Der Ölverbrauch wird bei uns sinken. Spätestens in 20 Jahren wird die Hälfte der Autos elektrisch betrieben werden. Dazu kommen die mit Hybridmotoren.

Erdöl spielt nicht nur im Verkehr eine zentrale Rolle, sondern auch in der Chemie.

Die deutsche Chemieindustrie hat bereits angekündigt, sich vom Erdöl entfernen zu wollen. Das ist möglich. Wir könnten uns zudem vollständig von fossilen Energieträgern trennen.

Wie entwickelt sich der Preis, wenn sich die Wirtschaft dieses Jahr tatsächlich erholt?

Der Markt wird 2010 sehr stark schwanken; zwischen 60 und 100 Dollar pro Barrel.

Setzt sich dieser Trend in den nächsten fünf Jahren fort?

Die starken Schwankungen werden bleiben. Aber sie bewegen sich wohl zwischen 60 und bis zu 250 Dollar pro Barrel.

Wann müssen wir wieder mit den Höchstpreisen von 120 bis 140 Dollar wie im Jahr 2008 rechnen?

Das wird schon im Jahr 2011 wieder der Fall sein.

Bei welchem Preis sollte man seinen Erdöltank füllen?

Wenn der Preis sich wieder den 70 Dollar pro Barrel annähert. Dann sind Heizölpreise von 50 Cent netto möglich. Dann lohnt es sich, den Tank zu füllen.

Otto Wiesmann (54) ist seit 20 Jahren Ölhändler an der Warenterminbörse Nymex in New York. Dafür muss er nicht in den USA arbeiten. Sein Schreibtisch steht in Neu Isenburg bei Frankfurt/Main. Der gebürtige Bayer ist Referent und Gastdozent an Hochschulen. 2009 erschien sein Buch „Change Peak Oil“ im Finanzbuchverlag.

MOZ-Interview…