Hans Joachim Schädlich folgt Felix und Felka Nussbaum durchs Exil

In den Nachrichten berichten sie von Schiffen voller Flüchtlingen, denen die Einfahrt in italienische Häfen verweigert wird. In der Hand liegt ein Buch, das davon erzählt, was Menschen passiert, die trotz Flucht und Exil statt in einem sicheren Hafen in einem Zug nach Auschwitz landen. „Felix und Felka“ von Hans Joachim Schädlich komprimiert die Fluchtgeschichte von Felix Nussbaum und seiner Frau Felka Platek. Die 192 Seiten machen traurig. Und nach dem Lesen bin ich fassungslos, weil in den Nachrichten gesagt wird, dass im vergangenen Monat 600 Menschen im Mittelmeer ertrunken sind.

Burkhard Müller und Thomas Steinfeld entdecken Deutschlands erstaunliche Grenzen

Burkhard Müller kommt aus Unterfranken. Er ist in einer Region aufgewachsen, in der es bis zum Ende des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation mehr Grenzen gab, als wahrscheinlich im gesamten heutigen Deutschland zusammen. Reichsunmittelbare Ritterschaften, freie Reichsstädte, Kloster-Besitz, das Bistum Würzburg, das Bistum Fulda und so weiter. Sein Kollege Thomas Steinfeld ist im Teutoburger Wald groß geworden, in Sennestadt. In dieser Stadt-Neugründung sollte eine ideale moderne Stadt realisiert werden. Deshalb war er schon früh mit der Grenze zwischen neu und alt, Alteingesessenen in den Nachbarkommunen und Vertriebenen in der Neugründung in Kontakt. Jetzt haben beide zusammen ein Buch geschrieben, in dem sie die deutschen Grenzen erkunden.

„Das Blaue Buch“ von Erich Kästner dokumentiert das Dasein im Dritten Reich

Im Mai 1933 hat Erich Kästner verfolgt, wie Nationalsozialisten seine Bücher verbrannten. Die meisten anderen verbrannten Autoren waren da schon geflohen. Auch ihm wurde geraten Deutschland zu verlassen. Aber Erich Kästner blieb. Trotz Veröffentlichungsverbot, trotz der steten Gefahr verhaftet zu werden, ist er in Berlin geblieben. Er fasste den Vorsatz, den Roman über das Dritte Reich aus eigener Anschauung im Land Hitlers zu schreiben. Als Vorbereitung dafür führte er sein Tagebuch, das jetzt in Teilen als „Das Blaue Buch“ veröffentlicht wurde.

Manja Präkels Wenderoman setzt die Angst vor Neonazis in Szene

Die Generation der heute um die 40-jährigen scheint ihre Wende-Erfahrungen literarisch zu verarbeiten. So wie Christian Bangel in „Florida Oder“ seine Erfahrungen in den späten 1990er-Jahren in Frankfurt (Oder) zu einem Roman verdichtet hat, so versucht Manja Präkels in ihrem Wenderoman „Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß“ die schrecklichen Seiten der neuen Freiheit nach 1990 zu fassen. Bei ihr geht es um die Haltlosigkeit der Jugend in den 1990ern, die zur  Ausbreitung von Neonazis in Brandenburg und dem gesamten Osten beitrug.

Der erschütternde Euthanasie-Roman von Barbara Zoecke

Dieses Buch ist die vielleicht erstaunlichste Neuerscheinung des Jahres: „Die Stunde der Spezialisten“ von Barbara Zoeke. Da ist zum einen die unglaublich klare Sprache. Da ist das kunstvolle Weben des Erzählungsgeflechts. Und da ist eine Geschichte, die den Leser emotional so mitnimmt, dass selbst Tränen fließen. Barbara Zoeke hat einen Roman geschrieben, der es schafft, ohne Kitsch, ohne Oberflächlichkeit, ohne jede Übertreibung auskommt. Vielmehr ist es die gekonnte Zurückhaltung, die dem Leser in manchem Moment fast den Atem raubt. 

Herbert Lackner ruft die Flucht vor den Nazis ins Gedächtnis

Herbert Lackner: Die Flucht der Dichter und DenkerWer es wissen will, weiß es. Die Vertreibung der deutschen, der österreichischen, der tschechischen, französischen, belgischen, polnischen usw. Intelligenz aus Europa ist bekannt. Aber dennoch ist es gut, das der langjährige Chefredakteur des österreichischen Politik-Magazins „Profil“ ein neues Buch über „Die Flucht der Dichter und Denker“ geschrieben hat. Denn diese Geschichte enthält alles, was auch heute wieder im Zusammenhang mit Asyl und Flucht diskutiert wird.

In Zeithain setzt Michael Roes Hans Hermann Katte ein Denkmal

Michael Roes: Zeithain Die geplante Fahnenflucht von Kronprinz Friedrich und Leutnant Katte ist ein Stoff, der alles enthält, was einen guten Roman ausmacht. Wenn Michael Roes sich damit auseinandersetzt, wird ein facettenreiches, faszinierendes und phantasievolles Buch daraus. Und je weiter man in den 800 Seiten kommt, umso erschütternder wird „Zeithain“.

Viktor Schklowskij schildert die Grauen der Oktoberrevolution

Viktor Schklowskij: Sentimentale Reise Die Oktoberrevolution und ihre Folgen haben die Welt verändert wie nur ganz wenige Ereignisse der Weltgeschichte. Was in Moskau zunächst eher ein seltsamer Staatsstreich war, wuchs sich zu einem unglaublich brutalen Bürgerkrieg aus. Der Literaturwissenschaftler Viktor Schklowskij erlebte die Revolution in Petersburg als Panzerfahrer. Später war er als Kommissar an unterschiedlichen Fronten. Sein Bericht mit dem zynischen Titel „Sentimentale Reise“ ist eine lakonische Beschreibung ungeheuren Leids und unvorstellbaren Chaos‘.

Mit Andreas Oppermann 1860 durch Palermo (3) – Märkte

„Palermo – Erinnerungen von Andreas Oppermann“ heißt ein 1860 in Breslau erschienenes Buch. Auf den Spuren dieses Namensvetters aus der Vergangenheit sieht Palermo manchmal noch genauso aus wie heute:

Straßen-Antiquariat in Palermo.

Der Antiquar legt ernsthaft den Schatz literarischer Reichthümer auf dem Straßenpflaster aus, unbekümmert, ob darüber auch einmal ein Eselchen mit seiner Ladung von Oel stolpert. Ein wissensdurstiger Käufer kniet sich gemüthlich vor den Büchern hin und hält Auslese seines Bedarfs.

Mit Andreas Oppermann 1860 durch Palermo (2) – Balkone

„Palermo – Erinnerungen von Andreas Oppermann“ heißt ein 1860 in Breslau erschienenes Buch. Auf den Spuren dieses Namensvetters aus der Vergangenheit sieht Palermo manchmal noch genauso aus wie heute:

Auch kennt der Palermitaner keine abgeschlossene Häuslichkeit. Es werden Toilettengeschäfte, welche man bei uns mit der größten Heimlichkeit abmacht, dort sehr öffentlich auf dem Balkon des Hauses oder der Straße verrichtet.