Hans Joachim Schädlich folgt Felix und Felka Nussbaum durchs Exil

In den Nachrichten berichten sie von Schiffen voller Flüchtlingen, denen die Einfahrt in italienische Häfen verweigert wird. In der Hand liegt ein Buch, das davon erzählt, was Menschen passiert, die trotz Flucht und Exil statt in einem sicheren Hafen in einem Zug nach Auschwitz landen. „Felix und Felka“ von Hans Joachim Schädlich komprimiert die Fluchtgeschichte von Felix Nussbaum und seiner Frau Felka Platek. Die 192 Seiten machen traurig. Und nach dem Lesen bin ich fassungslos, weil in den Nachrichten gesagt wird, dass im vergangenen Monat 600 Menschen im Mittelmeer ertrunken sind.

Ringsgwandls Geschichten sind nichts für leise Leser

Georg Ringsgwandl: Das Leben und Schlimmeres
Georg Ringsgwandl: Das Leben und Schlimmeres

Jetzt sind es bald schon 25 Jahre, dass Georg Ringsgwandl den Salzburger Stier verliehen bekam. Solange gehört er zumindest in Bayern zu den Stimmen, die mit ihrem schrägen Blick die Wirklichkeit graderücken. Bei ihm gilt zudem das Wort von der „Stimme“ nicht im übertragenen Sinn. Aber als Autor ist er bislang nicht in Erscheinung getreten.

Leider. Denn sein erstes Buch „Das Leben und Schlimmeres – Hilfreiche Geschichten“ verursacht eine Art Phantomschmerz, weil man diese wunderbaren Texte erst jetzt lesen darf. Warum hat uns der Ringsgwandl so lange warten lassen? Weil die CDs nicht die Verkaufszahlen erreichen, die sie verdient hätten? Oder weil ihm das Leben – früher auch als Arzt – als Familienvater und Rampensau keine Zeit ließ?  Zumindest auf die Frage nach den CD-Verkäufen gibt es in dem Buch eine Antwort.

Ganz nah an den Menschen sind seine Beobachtungen. Ganz lakonisch ist sein Ton. Und ganz großartig ist der Witz, der in diesem Spannungsfeld entsteht. „Das Leben und Schlimmeres“ ist eines dieser Bücher, die in der Bahn die Mitreisenden belästigen können, weil man lauthals lachen muss. Ringsgwandl ist ein Meister in der Offenlegung des Absurden im Alltag. Etwa wenn er den ehemaligen Schulfreund beschreibt, der fest davon überzeigt ist, dass seine Songs besser in großen Stadien funktionieren würden als die der großen Bands. Aber da er sich lieber in Gram vergräbt, bleibt er unentdeckt und leidet als kleines Licht an seinem Größenwahn.

Wunderbar sind auch die Beobachtungen über Liebe im Niedrigenergiehaus, „das Knie“ als biomechanischem Drama in drei Akten oder den „Tiroler Rundfunk“. Jeder Text für sich ist ein feines Meisterstück. Da in dem rororo-Band 32 Texte sind, wächst dieser zu einem großen Buch.

Ringsgwandl: Das Leben und Schlimmeres – Hilfreiche Geschichten. rororo, 9,99 Euro.

 

Fundstück im Antiquariat (3): Kostbarkeit bei Alfred Polgar

Alfred Polgar: Schwarz auf Weiss
Alfred Polgar: Schwarz auf Weiss

„Polgars neuer Auswahlband ›Schwarz auf Weiß‹ (bei unserm gemeinsamen Verleger Ernst Rowohlt erschienen) enthält Kostbarkeiten über Kostbarkeiten. Und ist gut geschrieben.“ Das hat Kurt Tucholsky über meinen heutigen Fund im Antiquariat geschrieben: Alfred Polgars „Schwarz auf Weiß“. Dass ein kleiner Artikel in diesem Buch für mich eine weitere Kostbarkeit sein würde, konnte Tucholsky nicht wissen. Aber mich hat es sehr gefreut, beim Durchblättern der tadellosen Erstausgabe auf diesen Artikel zu stoßen. Zwar hat es der einstige Besitzer des Bandes nicht für nötig erachtet, uns mitzuteilen, in welchem Blatt der Text erschien.

Dafür hat das Blatt im Buch selbst seine Spuren hinterlassen: Akkurat wie der Artikel gefaltet ist, hat es sich auf die Seiten eingeprägt. Das leicht farbige Zeitungspapier hat sich auf das Buchpapier übertragen – und das auf insgesamt sechs Seiten. Das wirkt wie Buchkunst. Und ist deshalb eine ganz besondere Kostbarkeit im Band mit „Kostbarkeiten über Kostbarkeiten“.

Weitere Fundstücke im Antiquariat:
Walter Mehrings Autograph
Ludwig Börnes Verhaftung
Kostbarkeiten bei Alfred Polgar
Ein Theaterzettel von 1931
Die Verlustanzeige von Karl Frucht
Andreas Oppermann erinnert 1860 an Palermo

Benjamin von Stuckrad-Barre googelt sich durch Netz

Er galt einmal als Popliterat, was immer das auch sein mag. Auf jeden Fall hat Benjamin von Stuckrad-Barre (30, Soloalbum) ein feines Gespür für gesellschaftliche  Veränderungen. Sein neues Buch belegt das. Auch wenn es eigentlich kaum zu lesen ist. Denn es ist eine einzige Ansammlung von Stichwörtern, Halbsätzen und Sätzen.

Es besteht aus dem, was das Internet so bereithält, wenn man googelt. Stuckrad-Barre sammelt dies. Herauskommt eine teils spannende, manchmal aber auch grotten-
langweilige Aneinanderreihung von Phrasen zu einem Stichwort. Das Triviale neben dem Wissenschaftlichen, die Veräppelung neben dem Ernsthaften. Das erzeugt einen Eindruck von der Vielfalt menschlicher Kommunikation. Ein Hypertext auf Papier, der einen
sprachlos macht.

Benjamin von Stuckrad-Barre: Was.Wir.Wissen., Rowohlt, 14,90 EURO