Burkhard Müller und Thomas Steinfeld entdecken Deutschlands erstaunliche Grenzen

Burkhard Müller kommt aus Unterfranken. Er ist in einer Region aufgewachsen, in der es bis zum Ende des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation mehr Grenzen gab, als wahrscheinlich im gesamten heutigen Deutschland zusammen. Reichsunmittelbare Ritterschaften, freie Reichsstädte, Kloster-Besitz, das Bistum Würzburg, das Bistum Fulda und so weiter. Sein Kollege Thomas Steinfeld ist im Teutoburger Wald groß geworden, in Sennestadt. In dieser Stadt-Neugründung sollte eine ideale moderne Stadt realisiert werden. Deshalb war er schon früh mit der Grenze zwischen neu und alt, Alteingesessenen in den Nachbarkommunen und Vertriebenen in der Neugründung in Kontakt. Jetzt haben beide zusammen ein Buch geschrieben, in dem sie die deutschen Grenzen erkunden.

Michael Kurzwelly lebt und denkt Nachbarschaft ohne Grenze

Michael Kurzwelly mit der Fahne von Nowa Amerika
Michael Kurzwelly mit der Fahne von Nowa Amerika

Michael Kurzwelly hat eine Vision: Der Aktionskünstler aus Frankfurt (Oder) denkt das deutsch-polnische Grenzgebiet ohne Grenze. Für ihn gibt es die Nachbarstädte Frankfurt (Oder) und Slubice nicht mehr. Für ihn gibt es nur Slubfurt -eine Stadt, die rechts u n d links der Oder liegt.

Was auf den ersten Blick etwas verrückt wirkt, ist zu einem dauerhaften Kunstprojekt geworden. Die Idee dahinter: eine Grenze ist absurder als die Stadt Slubfurt – Realität ist das, was man lebt.

In Frankfurt (Oder) ist Michael Kurzwelly nicht nur bekannt. Der Künstler ist auch immer wieder Teil des Stadtbildes. Dann steht er mit seinen dunklen Locken auf einer Mauer oder inmitten einer Gruppe lachender und staunender Menschen. Er hält eine Fahne hoch und spricht bei seiner Stadtführung über Slubfurt oder Nowa Amerika.

Slubfurt ist seine Idee: Eine Stadt, die Slubice und Frankfurt (Oder) ersetzt hat. Und Nowa Amerika ist die logische Weiterentwicklung dieser Vision von der Überwindung der deutsch-polnischen Grenze. Jetzt aber für den gesamten Raum östlich und westlich von Oder und Neiße.

Michael Kurzwelly: „Als ich mit meinen persönlichen Erfahrungen hierherkam – ursprünglich aus Bonn kommende, dann 1999 nach Poznan, wo ich acht Jahre lebte, bevor ich hierher kam – habe ich mich von Anfang an dazwischen gefühlt. Weder in den einem Raum ganz beheimatet, noch in dem anderen. Ich habe mir dann gedacht: wenn ich mich hier zuhause fühlen soll, dann kann mein Raum nicht Frankfurt sein, der kann nicht Slubice sein, der muss Slubfurt sein.“

Slubfurt also ist die zentrale Idee, der Ausgangspunkt für die Vision von Michael Kurzwelly. Der Aktionskünstler lebt diese Idee nicht nur zweisprachig. Er lebt auch von ihr. Etliche Projekte rund um Slubfurt und Nowa Amerika schafften es, gefördert zu werden. Reiseangebote und Stadtführung ernähren ihn genauso wie sein Lehrauftrag bei den Kulturwissenschaftlern der Viadrina. Inzwischen ist aus der verrückten Idee der grenzfreien Raumeroberung eine Vision geworden, die von der Politik auch geehrt wird.

Kurzwelly: „Ich freue mich darüber. Das ist auch ein Stück weit Bestätigung. Ich glaube, jeder Mensch braucht etwas Bestätigung. Von der Stadt Slubice bin ich ja sogar zum Ambassador, zum Botschafter, ernannt worden.“

1963 wurde Kurzwelly in Darmstadt geboren. Aufgewachsen ist er in Bonn, wo er auch Kunst studierte. Nach Jahren in Posen lebt er nun schon mehr als ein Jahrzehnt in Slubfurt – oder Frankfurt (Oder). Hier will er auch bleiben:

Kurzwelly: „Erstens Mal ist Slubfurt und Nowa Amerika so eine Art Lebensaufgabe geworden. Ich könnte mir nicht vorstellen, hier wegzuziehen.“

Das Interview mit Michael Kurzwelly in der rbb-Mediathek…

Über die Grenze von Berlin und Brandenburg

Die Grenze zwischen Berlin und Eichwalde
Die Grenze zwischen Berlin und Eichwalde

So sieht die Grenze zwischen Berlin (links) und Brandenburg (rechts) aus. Links ist die Straße gepflastert. Rechts ist sie märkische Sandwüste mit Schlaglöchern. Links zeugt sie von einst besseren Zeiten. Rechts sagt sie uns, dass Zivilisation ein beschränktes Gut ist. Links stehen große Häuser, Villen gar. Rechts ducken sich kleinere Häuser, eher Datschen als Paläste. Links haben die Häuser Seeblick. Rechts verstecken sie sich auf fast bewaldeten Grundstücken.

Die Straße hat auf Berliner und auf Brandenburger Seite den gleichen Namen. Doch die Grenze ist mit der Fahrbahnmitte und dem Übergang von Kopfsteinpflaster zu Sand klar markiert. Weil die Straße eine Grenzstraße ist – eine „Grenzallee“ gibt es übrigens an anderer Stelle zwischen Schmöckwitz (Bezirk Treptow-Köpenick) und Eichwalde (Landkreis Dahme-Spreewald) auch noch – fühlt sich keine der beiden Seiten so richtig für sie verantwortlich. Diese Straße sieht schon seit Generationen so aus.

Und so wie es aussieht, wird sie ihr Gesicht auch in den nächsten Jahrzehnten nicht verändern. Für das große Berlin liegt sie zu abseitig, um den eigenen Anteil zu sanieren. Für das Brandenburger Eichwalde ist sie nur eine von vielen noch nicht befestigten Straßen. Warum also sollte ausgerechnet diese in Angriff genommen werden? Noch dazu müssten sich dann ja nicht nur die angrenzenden Anwohner einig sein, sondern auch die Landesregierungen. Das sind sie aber eigentlich nie.

Es sei denn, es geht um den Großflughafen. Dann sind sich Berlin und Brandenburg einig, dass Lärm für die Anwohner weniger wichtig ist als vermeintliche Wirtschaftlichkeit von Fluglinien. Hauptsache das Minus des Niemals-ein-Drehkreuz-werdender-Flughafen bleibt möglichst gering. Sowohl Schmöckwitz als auch Eichwalde werden Fluglärm von der Fehlinvestition BBI/BER abbekommen. Da spielt die Grenzstraße keine Rolle. Ob links oder rechts von ihr – alle sind betroffen. Und so steht dies Straße exemplarisch für den Umgang der beiden Länder mit den Flughafengemeinden: Erst vergessen, dann verlärmen.