Chinesischer Öldurst treibt den Preis auf bis zu 250 Dollar

Der Erdölpreis beeinflusst die Inflation. Im Dezember belief sich die Inflationsrate auf 0,9 Prozent. Preistreiber waren Ölprodukte: Superbenzin war 16,2 Prozent teurer als 2008, Heizöl 4,4 Prozent. Andreas Oppermann hat mit Otto Wiesmann, Ölmakler an der New Yorker Warenterminbörse, über den zukünftigen Ölpreis gesprochen. Herr Wiesmann, der Ölpreis hat in den wenigen Tagen dieses Jahres Kapriolen geschlagen. Erst war er recht hoch, jetzt sinkt er gerade. Was ist los? Otto Wiesmann: Das ist einfaches Marktverhalten. Der Preis ist in kurzer Zeit um 16 Dollar gestiegen. Einem so starken Preisanstieg folgen immer Gewinnmitnahmen. Zudem sind die Bestände, vor allem in den USA, voll. Öl ist eigentlich genug vorhanden.

Liegt das Öl auf Halde?

Teilweise liegt Erdöl tatsächlich auf Tankern in den Weltmeeren auf Halde. Das ist aber nur vorübergehend der Fall.

Müssen wir mit steigenden Preisen rechnen?

Vor allem langfristig. China ist auf großer Einkaufstour auf den Rohstoffmärkten. Allein in den vergangenen beiden Jahren ist der Autobestand pro 1000 Chinesen von 24 auf 40 Fahrzeuge gestiegen.

Also fast eine Verdoppelung in zwei Jahren.

Aber China liegt mit diesen 40 Fahrzeugen auf 1000 Bürger noch weit unter westlichen Durchschnitt. Bei uns liegt er bei gut 500 Fahrzeugen pro 1000 Bürger. Da wollen die Chinesen hin. Wenn der Fahrzeugbestand nur auf 120 steigt, also auf weniger als nur ein Viertel unseres Bestandes, dann klettert der chinesischen Importbedarf pro Tag auf bis zu 16 Millionen Barrel.

So gesehen spielt der relativ kalte Winter derzeit keine Rolle bei der Preisbildung?

Der Winter hier ist nicht ganz so wichtig, Nach wie vor sind die USA der Hauptabsatzmarkt für Erdöl. Pro Bürger verbraucht das Land 25 Barrel am Tag. Dieser Wert sinkt aber zurzeit dramatisch. Anhand der Zweitwährung der USA wird das deutlich. Neben dem Dollar gibt es in den USA auch noch Essensgutscheine. Mehr als 34 Millionen US-Bürger bekommen diese. Das sind mehr als elf Prozent der Bevölkerung. An dieser enormen Zahl lässt sich ablesen, wie stark die USA in der Rezession stecken. Deshalb sinkt der Ölverbrauch in den USA so stark; im vergangenen Jahr um 60 Millionen Tonnen!

Das müsste den Ölpreis doch stabilisieren?

Auf der einen Seite sinkt der Verbrauch wie in den USA oder auch bei uns in Deutschland. Aber in den Schwellenländern steigt er eben. Und das wird stärker ins Gewicht fallen. Indien hat derzeit einen Pro-Kopf-Verbrauch von 0,76 Barrel und China einen von 1,98 Barrel. Damit stehen Indien und China ganz am Anfang einer Entwicklung, die Erdöl benötigt. In diesen beiden Ländern mit insgesamt 2,5 Milliarden Menschen wird der Ölverbrauch in den nächsten Jahren dramatisch steigen.

Ist diese Entwicklung zwangsläufig oder ließe sie sich verhindern?

Jeder Mensch hat Wünsche und Träume. Auch Inder und Chinesen wollen Kühlschränke, Fernseher und Autos. Schon deshalb wird der Verbrauch dort steigen, wie in den anderen Schwellenländern auch.

Damit erübrigen sich Gedanken über den Klimaschutz doch eigentlich?

Das darf man so nicht sehen. Der CO 2 -Ausstoß kommt vor allem aus Kraftwerken. Wenn die westlichen Industrieländer bis 2050 rund 80 Prozent des Kohlendioxid-Ausstoßes einsparen wollen, dann geht das nur, wenn keine neuen Kohlekraftwerke gebaut und bestehende stillgelegt werden. Das Erdöl ist zwar wichtig, aber im Verhältnis nicht ganz so bedeutend.

Aber dieser neue Durst nach Erdöl in den Schwellenländern führt auf jeden Fall zu einer Verknappung.

Das ist richtig. Schon jetzt erschöpfen sich die großen Erdölfelder. Die Fördermengen der großen Ölfelder schrumpfen um 7,9 Prozent pro Jahr. Es gibt sogar Staaten wie den Jemen, die fast kein Öl mehr haben. Von den Vereinigten Arabischen Emiraten wissen wir, dass die Fördermenge drastisch sinkt. 1990 gab es weltweit noch 15 Ölfelder, die täglich mehr am eine Million Barrel Erdöl abgaben. Heute gibt es nur noch zwei mit einer solch hohen Fördermenge: Burgan in Kuwait und Ghawar in Saudi-Arabien. Das ist wie bei einer Zitrone: Je stärker man presst, umso eher ist sie leer.

Dann können die Milliarden Inder und Chinesen doch gar nicht so viel Öl verbrauchen?

Das hängt vom Preis ab. Sicher ist, dass der Westen in Zukunft wesentlich weniger verbrauchen kann.

Wie wirkt sich Ihre Prognose auf Raffinerien wie in Schwedt aus?

Für sie wird die Zukunft schwer. Der Ölverbrauch wird bei uns sinken. Spätestens in 20 Jahren wird die Hälfte der Autos elektrisch betrieben werden. Dazu kommen die mit Hybridmotoren.

Erdöl spielt nicht nur im Verkehr eine zentrale Rolle, sondern auch in der Chemie.

Die deutsche Chemieindustrie hat bereits angekündigt, sich vom Erdöl entfernen zu wollen. Das ist möglich. Wir könnten uns zudem vollständig von fossilen Energieträgern trennen.

Wie entwickelt sich der Preis, wenn sich die Wirtschaft dieses Jahr tatsächlich erholt?

Der Markt wird 2010 sehr stark schwanken; zwischen 60 und 100 Dollar pro Barrel.

Setzt sich dieser Trend in den nächsten fünf Jahren fort?

Die starken Schwankungen werden bleiben. Aber sie bewegen sich wohl zwischen 60 und bis zu 250 Dollar pro Barrel.

Wann müssen wir wieder mit den Höchstpreisen von 120 bis 140 Dollar wie im Jahr 2008 rechnen?

Das wird schon im Jahr 2011 wieder der Fall sein.

Bei welchem Preis sollte man seinen Erdöltank füllen?

Wenn der Preis sich wieder den 70 Dollar pro Barrel annähert. Dann sind Heizölpreise von 50 Cent netto möglich. Dann lohnt es sich, den Tank zu füllen.

Otto Wiesmann (54) ist seit 20 Jahren Ölhändler an der Warenterminbörse Nymex in New York. Dafür muss er nicht in den USA arbeiten. Sein Schreibtisch steht in Neu Isenburg bei Frankfurt/Main. Der gebürtige Bayer ist Referent und Gastdozent an Hochschulen. 2009 erschien sein Buch „Change Peak Oil“ im Finanzbuchverlag.

MOZ-Interview…