Dagmar Manzel nimmt das Publikum mit Kurt Weill gefangen

Dagmar Manzel ist selbst dann präsent, wenn sie hinter dem Vorhang ist. Ganz am Anfang senkt sich der Verfolger-Scheinwerfer ganz langsam von der Decke über den Kronleuchter zum Vorhang. Und da immer weiter nach unten, bis er etwa drei Meter über der Bühne verharrt. Ganz langsam zeigt sich der Kopf von Dagmar Manzel, die dazu „Berlin im Licht“ von Kurt Weill singt. Und als sie sich vollständig vor dem Vorhang zeigt und das Lied beendet ist, brandet KEIN Applaus auf. Zu sehr sind die Besucher der Komischen Oper im Bann dieser Frau, als dass sie es wagten, den Zauber ihres Erscheinens zu zerstören.

Sieben Lieder von Kurt Weill singt sie. Bei der Wiederaufnahme der Produktion „Sieben Songs / Die sieben Todsünden“ ist die Reihenfolge geändert. Anders als im Programmheft ist das „Wie lange noch?“ nach dem Text von Walter Mehring das letzte der sieben. Kein Wunder: Es ist das stärkste, das ergreifendsten. Von ihm erfolgt der Übergang zu den Sieben Todsünden“ von Kurt Weill und Bert Brecht. Der Vorhang öffnet sich jetzt und das Orchester ist in diffusem Licht zu sehen. Aber es erscheint keine Tanzgruppe. Dagmar Manzel bleibt allein. Sie spielt und tanzt und singt das eigentlich als Ballett konzipierte Stück aus sieben Liedern zu den sieben Todsünden allein – abgesehen von dem vier Mann starken Männerchor, der in den Logen rechts und links der Bühne steht.

Dagmar Manzel singt die Lieder mit ihrem Alt, obwohl die Lieder eigentlich für Sopran sind. Und sie tanzt die Rolle. Eigentlich ist das getrennt: einer Sängerin als Anna steht einer Tänzerin als Anna gegenüber, um die gespaltene Persönlichkeit besser ausdrücken zu können. Aber das hat die Manzel nicht nötig. Sie ist die gespaltene Anna so sehr, dass das Publikum auch jetzt noch nicht zum Szenenapplaus neigt. Zu sehr gehen Musik, Gesang, Tanz und Spiel unter die Haut. „Die sieben Todsünden“ sind als Aufnahme immer mitreißend, aber hier in der Komischen Oper in Berlin sind sie eher schockierend. Natürlich treiben Rhythmus und der kleine Chor das Geschehen nach vorne, aber die Präsenz von Dagmar Manzel und ihr teils gebrochener Gesang halten die Zuschauer im Jetzt gefangen. Unglaublich. Und großartig!

Orfeo ed Euridice von Gluck in der Oper Lemberg

Lemberger Oper
Lemberger Oper

Da, wo einst der Fluß Poltawa floss, steht seit mehr als 100 Jahren die Oper von Lemberg. Ein monumentaler Bau, der sich an der wichtigsten Oper des damaligen Habsburger Reiches orientierte: der Wiener Hofoper. Pracht strahlt das Haus aus und Macht und dass Kunst in allen Zeiten ein beliebtes Mittel der Herrschenden war und ist, um den Untertanen zu demonstrieren, wie großartig man selbst ist. Da darf es dann auch ein wilder Mix von Stilen und Epochen sein. Frei nach dem Motto: Das schönste aus allen Zeiten ist gut genug für uns.

Im Vestibül der Lemberger Oper
Im Vestibül der Lemberger Oper

Um 1900 ist die Oper eröffnet worden. „Orfeo ed Euridice“ war damals bestimmt auch schon auf dem Spielplan. Die schöne Barock-Oper über den griechischen Sänger, der seine Liebe verliert und aus dem Hades zurückholen darf, war schon immer erhaben und fröhlich. Und irgendwie auch so ein Stück, in dem sich Stile und Stoffe mischen, um ein ebensolches erhabenes, erbauendes Wohlgefühl zu erzeugen. Insofern passt sie hervorragend in dieses Haus, das noch dazu einen Innenraum hat, der in Form einer Lyra, einer griechischen Leier, geformt ist, wie sie Orpheus zu Begleitung seines Gesanges benutzt.

In der Lemberger Oper
In der Lemberger Oper

An diesem Abend ist die Aufführung in Lemberg auch erhaben. Allerdings muss der Dirigent seinen Solotrompeter dazu erst erziehen. Anfangs quietscht sie etwas, aber mit der dem Fortgang des ersten Aktes spielt sich die Trompete warm und ertönt dann den Rest des Abends immer weich und hell, wenn sich das erhabene Gefühl beim Zuschauer einstellen soll. Die Inszenierung erinnert auch an die Bauzeit des Opernhauses. Damals waren Halbkreise des Ensembles üblich, früher lebte die Oper von der Deklamation und selten nur überzeugte sie durch Schauspiel. All das beherzigen auch die Darsteller in Lemberg. Vielleicht hat dieselbe Inszenierung ja auch schon Joseph Roth als Student gesehen. Und sich gewundert, dass Orpheus fast immer mit Leier herumläuft und diese selbst dann nicht senkt, wenn er schmachten, leiden oder erregt sein sollte. Damals war die Assoziation auch noch näher, dass die Unterwelt unter der Oper einen Fluss beherbergt, auf dem einst Schiffe zu den Häfen der Ostsee unterwegs waren. Dazu passen die etwas abgerissen wirkenden Kostüme in der Unterwelt, an denen welke Blätter hängen.

Schlussapplaus von Orpheo ed Euridice in Lemberg
Schlussapplaus von Orpheo ed Euridice in Lemberg

Trotz der Mängel bei Spiel. Kostümen und Inszenierung ist der Abend ein kurzweiliger. Das Orchester und der Chor harmonieren wunderbar. Die weiblichen Solostimmen tragen in der klaren Akustik des großen Saals mit seinen drei Rängen. Musikalisch ist das ein Genuss. Und da die Aufführungen in Lemberg stets um 18.00 Uhr beginnen, ist so eine schöne Barock-Oper mit ihrer knapp zweistündigen Spielzeit ein idealer Start in einen Abend mit neu gewonnen Freunden.

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Les Yeux D’la Tête erfreuen das Lido

Les Yeux D'la Tête im Lido
Les Yeux D’la Tête im Lido

Was genau mich im Lido erwarten würde, wussten ich nicht. Irgendeine Mischung aus Frankreich und Balkan glaubte ich. Und tatsächlich war da viel Frankreich zu hören, auch immer wieder Balkan, aber auch Andalusien und jiddisches Osteuropa. Alles verpackt in einen eigenen Sound, der die vielen Einflüsse nicht demonstrativ vor sich herträgt, sondern zu einer sehr schönen, innigen und abwechslungsreichen Musik verbindet. Eine Musik, die mich genauso wie das restliche Publikum angenehm treiben und tanzen und träumen ließ.

Die sechs Pariser beherrschen ihre Instrumente und sind wunderbar aufeinander eingespielt. Vor allem die beiden Sänger mit ihren Gitarren schaffen es sofort mit dem Publikum zu kommunizieren. Das versteht zum Großteil kein Französisch und so versuchen sie mit einem herzlichen Pariser Englisch zu erklären, was sie da spielen. Aber das ist überflüssig. Denn die Musik, die ihre besondere Note durch das Akkordeon und das Saxophon bekommt, spricht für sich. Ihre Ironie wird genauso verstanden wie ihr Ernst oder ihre Innigkeit.

Les Yeux D’la Tête ist eine schöne Entdeckung, die nun häufiger auch daheim erklingen wird. Es ist halt doch immer wieder richtig, in Konzerte zu gehen, auch wenn man nicht genau weiß, was einen erwarten wird. Hier kann man mal reinhören…

Das gilt auch für die Vorband. Yukazu kommt aus Kreuzberg und stimmt die eigenen Lieder ebenfalls auf Französisch an. Dazu spielt ein Kontrabass, eine Klarinette, Gitarre, Schlagzeug und ein Akkordeon. Ergänzt um die beiden Stimmen der Sängerinnen ergibt das eine Hommage an Frankreich, die Sehnsucht weckt.

Yukazu im Berliner Lido
Yukazu im Berliner Lido

Die Berliner Zauberflöte verzaubert mit bezaubernder Optik

Die Königin der Nacht. Foto: Ilko Frase / drama-belin.de
Die Königin der Nacht. Foto: Ilko Frase / drama-belin.de

Eigentlich haben wir ja schon alles gesehen. Mit großen Effekten im Kino. Mit kleinen im Theater. Und mit der Macht von großem Chor und vollem Orchester in der Oper. Uns Kulturgängern kann man kaum noch etwas vormachen. Und echtes Staunen haben wir schon verlernt, weil der Kopf gleich alles rationalisiert.

Ein zauberhafter Flirt. Foto: Ilko Frase / drama-belin.de
Ein zauberhafter Flirt. Foto: Ilko Frase / drama-belin.de

In der Zauberflöte der Komischen Oper in der Berlin ist das anders. Ein Stück, das jeder kennt, dessen Melodien selbst Klassikverächtern geläufig sind und dessen zauberhafter Stoff schon in allen Varianten interpretiert und gedeutet worden ist, bekommt hier eine ganz neue Strahlkraft. Die lebt von Bildern, von einer Art Gesamtkunstwerk, wie es selbst für die Oper außergewöhnlich ist.

Zorastro prüft Tamino. Foto: Ilko Frase / drama-belin.de
Zorastro prüft Tamino. Foto: Ilko Frase / drama-belin.de

Und das liegt vor allem an den visuellen Effekten. Die erzeugen eine Ästhetik, die an den Stummfilm angelehnt ist, aber gleichzeitig Schattenspiel, Comic und frühen Zeichentrickfilm mitdenkt. Und genau daraus entsteht dieses Staunen. Etwa wenn Pamina auf dem Bild unten kurz davor ist, sich eine Klippe hinabzustürzen, die doch nur ein visueller Effekt ist. Aber die Wirkung schluckt diesen Effekt. Er funktioniert, weil die Musik die Gefühle liefert. Und das dank eines wunderbaren Orchesters kraftvoll und präzise.

Pamina voller Verzweiflung. Foto: Ilko Frase / drama-belin.de
Pamina voller Verzweiflung. Foto: Ilko Frase / drama-belin.de

„1927“ nennt sich das Team, das für die visuellen Effekte zuständig ist. Die Opernsänger müssen sich nur verhalten bewegen. Es gibt einige feste Plätze, auf denen sie wie bei einem Glockenspiel auf unterschiedlichen Höhen der Bühnenwand erscheinen. Die Bewegung erzeugen dann meist die Bilder, die auf die weiße Bühnenwand projiziert werden. Die sind bedrohlich, die sind witzig, die lassen den Zuschauer Staunen. Und zwar so sehr, dass das Publikum im ersten Akt die Einsätze für den wohl verdienten Szenenapplaus ständig verpasst. Umso stärker ist der Applaus dann am Ende, wenn das normale Licht alle Effekte verdrängt. Diese Zauberflöte sollte sich jeder Anschauen – weil sie wunderbar ist. Und weil sie all jenen, die sich nicht in die Oper wagen, die Furcht davor nimmt.

Mnozil Brass bläst Wagner aufs Zwerchfell

Mnozil Brass (Foto: Mnozil Brass)
Mnozil Brass (Foto: Mnozil Brass)

Auf diesem Foto sehen die Musiker von Mnozil Brass ja noch einigermaßen normal aus. Im Berliner Ensemble war der erste Eindruck ein anderer – sowohl optisch als auch akustisch. Drei skurrile Männer mit Trompeten, drei weitere mit Posaunen und einer mit Tuba standen da auf der Bühne und bliesen von Anfang an kräftig in ihre Instrumente. Dabei vollführten sie seltsame Tänzchen, Märsche und Slapstick-Comedy. Aber immer mit dem Mund am Instrument. Immer Sound erzeugend. Immer den Theatersaal mit dröhnenden Blechklängen ausfüllend.

Johannes-Passion im Berliner Dom

Johannes-Passion im Berliner Dom. Foto: Dirk Mathesius
Johannes-Passion im Berliner Dom. Foto: Dirk Mathesius

Da ist dieser Berliner Dom. Er ist riesig. Er ist vor etwas mehr als 100 Jahren schon genauso historisierend erbaut worden, wie es jetzt das neue, alte Stadtschloss auf der Straßenseite gegenüber werden wird. Und er ist gewaltig. Genauso wie die Johannes-Passion von Johann Sebastian Bach. Und wie die Bilder, die Christoph Hagel (Musikalische Leitung und Inszenierung) und Martin Buczko (Choreographie) mit ihren Tänzern vor dem Altar schaffen.

Die Musik und der Text allein würden schon lange nachhallen. Auch wenn der große Dom viel Akustik schluckt. Selbst die richtig lauten Passagen wirken etwas verhalten, obwohl die Solisten, die Berliner Symphoniker und der Berliner Symphoniechor ihr bestes geben – und wirklich gut sind. Aber der Tanz, die Bilder, die sich im Altarraum aufbauen, verändern und bei der Kreuzigung auch erstarren, kompensieren das. Die gut eineinhalb Stunden verdichten sich in Bildern und Klängen, die nachwirken.

Und das liegt auch an der Kulisse. Denn der Gedanke, dass dieser Dom von jenem Kaiser Wilhelm II. gebaut und als Kirche genutzt wurde, der neun Jahre nach der Einweihung den 1. Weltkrieg mitverschuldete und somit mehreren Millionen Menschen den Tod brachte, gibt den Bildern vom Leiden und Tod Jesu Christi eine ganz besondere Bedeutung.

Heimat (16) – Italienische Klänge

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Es gibt auch eine akustische Heimat. Bei Landschaften, Geschmäckern, Gerüchen ist es mir immer klar gewesen, dass Sinneswahrnehmungen Heimatgefühle auslösen können. Das Ohr aber habe ich bislang vernachlässigt.

Gestern bei einem wunderbaren Konzert von Werner Schmidbauer, Pippo Pollina und Martin Kälberer ist in mir immer wieder eine wohlige Zufriedenheit aufgeschwappt. Das lag natürlich an der Musik, den Liedern, die diese drei begnadet ehrlichen Musiker darboten. Und die Verheißung, in den Süden entführt zu werden, tat bei -9 Grad und permanentem Schneegestöber ein Übriges. Aber da war noch mehr: Ein Konzertsaal in einer ehemaligen Zehntscheuer, wie es ihn in Berlin nicht gibt. Schwere Mauern aus dem Mittelalter, außen mit einem Treppengiebel gekrönt, innen in einen funktionalen, aber dennoch atmosphärisch dichten und Geschichte atmenden Saal verwandelt. Und italienische Musik.

Bayern 3 war wahrscheinlich schon vor über 30 Jahren der einzige Sender in Deutschland, der regelmäßig italienische Pop- und Rockmusik spielte. Vieles davon war grauenhaft, so wie Albano und Romina Power oder Eros Ramazotti, manches war großartig, wie Paolo Conte oder Lucio Dalla, aber unabhängig davon war diese Musik einfach italienisch. Und später anderswo – in Brandenburg, Hessen oder Berlin, war sie nie so zu hören wie damals im heimischen Radio.

Und so hat mich Pippo Polina gestern in eine akustische Heimat versetzt, von der ich bis dahin gar nichts wusste. Werner Schmidbauers oberbayrisch hat das noch verstärkt. Seltsam, diese Heimat. Überraschend und schön – wie der Süden von Schmidbauer, Pollina und Kälberer. Und das, obwohl ich von der italienischen Musik auf Bayer 3 nur sehr selten angetan war.

Mehr Heimat:
(1) Mein Sprungturm
(2) Stänglich vom Schwab
(3) Leberkäsweck
(4) Bilder aus Hammelburg
(5) Schlesisch Blau in Kreuzberg
(6) Danke Biermösl Blosn!
(7) Weinlaub und Weintrauben
(8) Laufwege in Buchenwäldern
(9) Fränkische Wirtschaft
(10) Bamberger Bratwörscht am Maibachufer
(11) Weißer Glühwein
(12) Berlin
(13) Geburtstage bei Freunden aus dem Heimatort
(14) Gemüse aus dem eigenen Garten
(15) Glockenläuten in der Kleinstadt
(16) Italienische Klänge
(17) Erstaunliches Wiedersehen nach 20 Jahren
(18) Federweißen aus Hammelburg
(19) Wo die Polizei einem vertraut
(20) Erinnerungen in Aschaffenburg
(21) Nürnberg gegen Union Berlin
(22) Der DDR-Polizeiruf 110 „Draußen am See“

Rotfront feiert in der Geburtstags-Sauna

Rotfront im Café Burger
Rotfront im Café Burger

Das Café Burger dampft. Es bebt. Es dröhnt. Und das alles rhythmisch voller Energie. Zehn Jahre feiert Rotfront im Stammlokal. Drei Nächte, drei Konzerte und jedesmal nur 200 bis 300 Fans, weil mehr beim besten Willen nicht in die Kneipe passen. Die sind aber mehr als genug. Nach dem Konzert ist jeder verschwitzt, egal ob er sich bewegt hat oder nicht. Wie in der Sauna rinnt der eigene und der Fremdschweiß. Denn Yuriy Gurzhy und seine sieben bis zehn Helfer an den Instrumentebn und Mikrophonen heizen in dieser Winternacht richtig ein. Das abgegriffene Sprachbild trifft es in diesen kalten Winternächten ganz genau.

Rotfront mit der Mischung aus Raggae, Klezmer, HipHop, Ska und Balkan Brass macht die schönste und kraftvollste Berliner Heimatmusik. Weil sie so international ist, weil sie die Stadt feiert und weil sie das mit einer Leidenschaft und Spielfreude macht, die ohne jede Aggression auskommt. Danke Rotfront für dieses Konzert. Danke das feine, das ich schon vor einigen Jahren im Café Burger erleben durfte. Und danke für alle weiteren!

 

Hans Söllner geht’s so so so ziemlich gut

Hans Söllner: So so so
Hans Söllner: So so so

So so so, der Söllner hat ein neues Album aufgenommen. Weiter geht er auf seinem musikalischen Weg. Wie schon bei seinem letzten rückt der bayerische Raggae noch ein Stück weiter in den Hintergrund. Singersongwriter war der Hans Söllner schon immer. Aber eben mit dieser Musik, die zum Tanzen einlud. Jetzt steht der Text noch stärker im Vordergrund.

Die Süddeutsche Zeitung hat ihn mal auf eine Stufe mit Bob Dylan gestellt. Und genau daran muss man beim Hören ganz oft denken. Nicht nur die Texte erzählen Geschichten wie die Dylans. Auch die Musik ähnelt oft dem schrammligen Dylan-Sound –  von Söllners Stimme ganz zu schweigen.

„Sososo“ verzichtet nicht auf den rebellischen Söllner. Aber die Liebe, der Gedanke an die Ex, die Sehnsucht nach den Kindern und der Wunsch nach tiefer Freundschaft bestimmt vor allem die erste Hälfte des Albums. Söllner findet dafür wahrhaftige, schöne und schauerliche Sätze.

Gianandrea Noseda turnt auf dem DSO

In der Berliner Philharmonie
In der Berliner Philharmonie

Die Berliner Philharmonie ermöglicht so schöne Blicke auf das Orchester. Wer seitlich zur Bühne sitzt, kann die Arbeit des Dirigenten ganz anders beobachten als in vielen anderen Konzertsälen, in denen nur der Blick auf den Rücken bleibt. Gianandrea Noseda heißt der Dirigent, der am 29. November 2012 das Deutsche Symphonie-Orchester zum Wohlklang führen will.

Noseda steht nicht nur am Pult. Manchmal tänzelt er, trippelt auf seinen knapp zwei Quadratmetern von rechts, wo er die Bratschen und die Kontrabässe zu lautem und schnellen Spiel mit harten Bewegungen auffordert,  und dann nach links, wo er mit zupfender Handbewegung die Harfen ins Spiel bringt. Das ist bei der symphonischen Fantasie „Aus Italien“ von Richard Strauss. Bei diesem gewaltigen Stück führt Noseda nicht nur den Taktstock. Er kämpft mit der Musik, indem er dem Orchester nicht nur sanft die Einsätze andeutet, sondern es geradezu anspringt.

Der extreme Körpereinsatz des Dirigenten, die ausufernden Bewegungen sind sichtliche Anstrengung. Nosedas Mimik spiegelt die Dramatik der Strausschen Klänge ebenso. Und manchmal übertönt das „Ba-Ba-Ba“, mit dem der Gastdirigent den Rhythmus (fast) tonlos mitsingt, die zarten, leisen Partien der Flöten und Fagotte. Das sind Momente der Komik. Da wirkt der Einsatz Gianandrea Nosedas trotz des strengen, hoch geschlossenen Rocks, wie eine Atemübung des Turners, mit der er sich auf die Übung am Reck konzentriert. Und wenn Noseda dann auch noch in die Knie geht, um sich sofort wieder Durchzustrecken, dann rettet ihn nur noch das Geländer am Pult vor dem Sprung auf die Streicher in der zweiten Reihe.

Dann ist es besser, die eigenen Augen zu schließen und sich nur noch auf die Ohren zu verlassen. Auch dann haben die pathetischen Passagen von Strauss etwas Komisches, schrammen sie doch an der Kitschgrenze entlang. Aber ohne den Anblick des auf dem Orchester turnenden Noseda muss ich nur fröhlich schmunzeln – und nicht laut lachen.