Trikont feiert mit Mestizo Music die Rebellion Lateinamerikas

Mestizo Music
Mestizo Music

Lateinamerika ist einer der Brennpunkte der Anti-Globalisierungsbewegung. Der Weltsozialgipfel in Porto Alegro ist Ausdruck der Auflehnung vieler Menschen gegen
die vollständige Ökonomisierung des Lebens. Trikont hat sich die aktuelle Musik Mittel- und Südamerikas ganz genau vor diesem Hintergrund angehört. Entstanden ist so der Sampler Mestizo Music, der 17 Bands mit sozialkritischen Songs vereinigt.

Musikalisch ist das ein Fest: Raggae, Salsa, Ska und HipHop zeugen von der Vielfalt der Musikszenen. Das hat nichts mit folkloristischer Weltmusik zu tun, sondern mit richtig gutem Rock und Pop, den man bei uns nie im Radio präsentiert bekommt. Natürlich sind trotzdem die musikalischen Traditionen zu hören.

Sie werden von den Künstlern aus Argentinien, Mexiko oder Brasilien nicht verleugnet. Aber sie sind auch nicht bestimmend. Die Fusion dieser Musik ist teilweise auch schon nach Deutschland übergeschwappt. Manches Stück erinnert an die Berliner von Culcha Candela
oder Seeed. Wie immer glänzt Trikont auch bei diesem Sampler mit einem sehr guten und informativen Booklet – inklusive der Übersetzung aller Songs.

Mestizo Music – Rebelión en Amerérica Latina; Trikont.

Funny van Dannen textet uns lustig

Funny van Dannen: Authentic Trip
Funny van Dannen: Authentic Trip

Irgendwie klingt diese Live-CD wie früher die Musik am Lagerfeuer. Da singt ein Mann zu seinem Gitarrenspiel. Aber das, was er da singt, macht viel mehr Spaß als das Zeug damals. Funny van Dannen (47) hat 23 Songs im September live in München aufgenommen.

Er singt von der Zumutung, wenn die Freundin ständig von George Clooney träumt. Er zeigt sich selbst an: Ich habe einen Arbeitsplatz vernichtet. Und er blickt auf die Stringtanga-Queen von Berlin. Es ist ein subtil-böser Kommentar auf den Zustand der Republik und ihrer Insassen. Manchmal erinnert van Dannen dabei an den großen Bob Dylan.

FUNNY VAN DANNEN: AUTHENTIC TRIP, LIVE. TRIKONT

KTU erzeugen mit dem Akkordeon bombastische Sounds

KTU: 8Armed Monkey
KTU: 8Armed Monkey

Die Wucht des Akkordeons von Kimmo Pohjonen ist unglaublich. Sie hat so gar nichts mit den Klängen zu tun, die sonst mit der Ziehharmonika verbunden werden. Der Finne hat zu sammen mit seinem Percussion-Kollegen Samuli  Kosminen ein neues Album vorgelgt. Diesmal nicht mit dem legendären Kronos-Quartet, sondern mit zwei Veteranen von King Crimson.

8Armed Monkey ist eine Mischung aus  Psychedelic, Hard Rock und Techno. Dabei erinnert das Album stark an Klangexperimente von Tangerine Dream oder eben King Crimson. Aber auch große Orchesterwerke neuer Musik schwingen durch. KTU, so nennt sich Kluster der beiden Finnen jetzt, entführt in fünf langen Stücken in eine bombastische Natur. Wer das hören und verstehen will, muss die Augen schließen. Dann erlebt er berauschende Klangwelten. Grandios!

„Ein gigantischer Markt“

Hans-Josef Fell
Hans-Josef Fell

Die internationale Konferenz für erneuerbare Energien in Peking (Birec 2005) hat einen  „wesentlichen Ausbau“ regenerativer Energien gefordert. 20cent sprach mit Teilnehmer Hans-Josef Fell (53, Foto), forschungspolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion.

Wie wurde in Peking die Abwahl von Rot-Grün aufgenommen?

Wegen des Ausscheidens der Grünen aus der Regierung fürchtet man, dass es schwerer  wird, den deutschen Markt für erneuerbare Energien auszubauen.

Erneuerbare Energien gelten als zu teuer. Warum der Aufwand?

Die haben hohe Kostenreduktionspotenziale. Heißt: Gerade bei weiter steigenden Ölpreisen rechnen sie sich sehr schnell. Bereits heute sind sie in unterentwickelten Gebieten z.B. Chinas die kostengünstigste Art zum Aufbau der Energieversorgung.

Die Union will den Atomausstieg verzögern. Ist das wegen des Klimawandels nicht doch sinnvoll?

Die Wachstumsraten der erneuerbaren Energien reichen aus, um die fossilen Kraftwerke  und die abgeschalteten Atomkraftwerke zu ersetzen. Dies bedeutet, dass wir sowohl die Probleme des Klimaschutzes und der radioaktiven Abfälle lösen können. Leider behauptet
die Atomwirtschaft aus durchsichtigen Gründen das Gegenteil. Zudem kann die Atomwirtschaft global gesehen wegen der knappen Uranreserven gar nicht nennenswert
zum Klimaschutz beitragen.

Was planen die anderen Nationen bei den erneuerbaren Energien?

Vor allem China hat enorme Ausbauziele angekündigt: So soll bis 2020 der gesamte Anteil  der erneuerbaren Energien auf 15 Prozent steigen. In der Windkraft will China von heute knapp ein Gigawatt Windleistung auf 30 Gigawatt ausbauen. Für Deutschland wird es
wichtig sein, das vorhandene technische Niveau der erneuerbaren Energien zu verbessern. Dieser gigantische Markt könnte über den Export deutsche Arbeitsplätze schaffen.

Dieses Interwiew ist am 9. November 2005 in 20cent erschienen.

Helmut Kohl lässt nur Otto von Bismarck neben sich gelten

Ganz ruhig spricht Helmut Kohl. Ganz gelassen blickt er auf seine ganze Bedeutung als Bundeskanzler zurück. Und ganz sicher ist er sich, dass er weder von seinem Noch-Nachfolger Gerhard Schröder noch von der eventuell künftigen Kanzlerin Angela Merkel etwas zu befürchten hat. Helmut Kohl überstrahlt sie alle – und daran wird sich auf absehbare Zeit auch nichts ändern.

Helmut Kohl: Erinnerungen 1982 - 1990
Helmut Kohl: Erinnerungen 1982 – 1990

Damit das auch ganz sicher so bleibt, orientiert er sich an dem einzigen deutschen Kanzler,
den er neben sich gelten lässt: an Otto von Bismarck. Der hat seine „Gedanken und Erinnerungen“ auch in drei Bänden herausgebracht. Genau so, wie es auch Helmut
Kohl vorschwebt. Im Berliner Hotel Hilton stellte er gestern den zweiten Band seiner Memoiren vor. Die Gedanken schenkt er sich.

Passender hätte der Zeitpunkt nicht sein können. Der Saal ist voll. Die internationale und die nationale Presse will sich dieses Schauspiel nicht entgehen lassen. Alle wollen hören, wie er die Gegenwart sieht. Doch das Buch handelt von der Vergangenheit. Die ersten acht Jahre seiner Kanzlerschaft hat Helmut Kohl auf 1000 Seiten beschrieben. Und doch steckt in diesem zweiten Band mehr Regierungserfahrung, als sie der noch amtierende Kanzler Gerhard Schröder vorweisen kann. Der schaffte es nur auf sieben – Helmut Kohl auf 16 Jahre an der Spitze der Bundesrepublik.

Aber Schröder hat Kohl offensichtlich schwer getroffen. Nicht nur, dass er es schaffte, ihn
1998 abzulösen. Nein, Schröder kritisierte Kohl noch im letzten Wahlkampf. „Wer die Reden des Bundeskanzlers Schröder im Wahlkampf gehört hat, wird sich schon wundern“, hebt der Altkanzler an. Von wegen 16 Jahre Stillstand, empört er sich über die Aussagen des Sozialdemokraten. Die anwesenden Journalisten bekommen eine kurze  Misserfolgsbilanz von Rot-Grün präsentiert. Ob Arbeitslosenzahlen, Verschuldung  oder Bruttoinlandsprodukt – seine Zahlen klingen besser. Obwohl sie gar nicht Thema des Buches sind, das er vorstellt, kann er es sich nicht verkneifen, mit diesem aktuellen Abschweifer seine Größe zu betonen.

Ansonsten ist Helmut Kohl ganz der souveräne Beobachter. Alles, was nichts mit ihm
und seiner Regierungsbilanz zu tun hat, lässt sich locker kommentieren. Natürlich erst nach ein bisschen Koketterie: „Ich bin hierher gekommen, um über mein Buch zu sprechen
und nicht über mein Verhältnis zu Frau Merkel.“ Grinsend antwortet er auf die Frage nach
seinem Umgang mit der CDUVorsitzenden. Da rutscht sogar die Zunge ganz spitz an die
Oberlippe. Ein echter Genießer, dieser Dr. Helmut Kohl. Vor allem dann, wenn er die
Akteure der Gegenwart noch immer überstrahlt.

Die Frage nach seiner Sicht auf Edmund Stoiber ist ihm ein besonderes Vergnügen. Auf
den 1000 Seiten wird der damalige CSU-Generalsekretär gerade ein einziges Mal erwähnt.
„Edmund Stoiber war immer ein gewaltiger bayerischer Politiker“, sagt Kohl über den Mann, den es statt nach Berlin nun doch wieder in die bayerische Landeshauptstadt zieht. „Aber nicht so gewaltig, dass ich mich in den Memoiren mit ihm beschäftigen müsste.“ Und weil es ihm so viel Spaß macht, legt er noch nach: „Er war immer so eng an Strauß, dass man gar nicht an ihn herankommt.“

Die Probleme bei der derzeitigen Regierungsbildung kann Kohl verstehen. In seinem Buch würden sich Parallelen zu seiner ersten Koalition 1982 finden. Und außerdem seien Politiker doch auch nur Menschen. „Versuchen sie mal die Fusion von zwei Fußballvereinen.
Das ist schon hundertfach gescheitert. Oder die Fusion von zwei Firmen. Da heißt es dann, dass die Unternehmenskultur das Problem ist. Aber das ist nur ein Spruch.“ Egal, ob Fußballvereine, Firmen oder Koalitionen: „In dem einen Fall besiegt die eine Mannschaft
die andere. Im anderen Fall ist es umgekehrt.“

Im Hilton ist klar, wer früher immer der Sieger war. Helmut Kohl hatte die Akteure im
Griff. Sein wichtigstes Mittel dazu: Vertrauen und Freundschaft. Die pflegte er mit dem
Franzosen François Mitterand, dem Spanier Felipe Gonzalez, dem Russen Michail Gorbatschow und dem Amerikaner George Bush. Für die Regierungsbildung heißt das, dass
sich die Akteure erst einmal vertrauen müssen. „Der deutsche Wähler hat so entschieden.
Jetzt muss der deutsche Wähler hinnehmen, dass es schwierig ist.“ Wenn Parteien gegeneinander gekämpft haben, dauert es eben, bis diese „gewaltigen Organisationen“
einen neuen Weg gehen.

Echtes Mitgefühl entwickelt Kohl mit Franz Müntefering. Auch wenn er sich erst einmal bremst: „Ich bin kein Freund des SPD-Vorsitzenden. Wie käme ich dazu.“ Aber das, was die SPD mit ihm gemacht habe, rechtfertige seinen Rücktritt. „Er macht die ganz Arbeit, geht dann in seinen Vorstand und der säbelt ihm die Beine ab.“ Das erinnert den einstigen CDU-Vorsitzenden an einen Parteitag im Bremen der späten 80er-Jahre. Da wollten ihn einige auch absäbeln. Natürlich ist es den Geißlers, Blüms und Co. nicht gelungen. Aber für Müntefering hat er Verständnis: „Versetzen sie sich mal in ihn hinein. Es ist richtig, dass er geht. Wer danach behauptet, er habe das nicht gewollt, der lügt.“

In seinem grauen Anzug mit der nett leuchtenden gelben Krawatte sieht Helmut Kohl blendend aus. Er strahlt über das ganze Gesicht. Ganz besonders, als er sich mit seiner
Nach-Nachfolgerin vergleichen kann. Wenn es stimme, dass die CDU sich von Frankreich
und Großbritannien abwenden und viel stärker zu den Osteuropäern hinwenden wolle,
dann verwundere ihn das. Sollte dieser Gedanke aus dem Umfeld Merkels kommen, „dann ist es ein törichtes Umfeld, das nicht erfolgreich sein wird“. Wovon er natürlich ausgeht.
Denn eigentlich ist er noch immer irgendwie der Bundeskanzler. Auch wenn ihn bei seiner Buchpräsentation ausnahmsweise niemand so angesprochen hat.

Helmut Kohl: Erinnerungen – 1982 – 1990. 1000 Seiten, Droemer, 29,90 Euro

(Lausitzer Rundschau)

Kitschfreie Liebeslieder von Rio Reiser für die Ewigkeit

Rio Reiser (1950 bis 1996) war die kräftigste und poetischste Stimme der deutschen Rockmusik. Auch neun Jahre nach seinem Tod überzeugen seine Songs. Das beweist
jetzt das Familienalbum, Band 2.

Von Klee bis zu den Söhnen Mannheims, von Christina Stürmer (23) bis Dorfdisko, von Clueso bis Keimzeit reicht das Spektrum der Interpreten. Das Phantastische: Rios
Lieder funktionieren noch immer. Egal ob Klee mit „Lass mich ein Wunder sein“ ganz nah am Original bleibt oder ob die Söhne Mannheims aus „Mein Name ist Mensch“ ein Stück machen, das so klingt, als sei es nur für sie geschrieben.

Schon zu seinen Lebzeiten zeigte sich die Wandlungsfähigkeit von Rios Musik. Marianne Rosenberg (50) startete mit ihr ein Comeback, das vor allem in der Schwulen-Szene für Begeisterung sorgte. Das funktionierte auch damals nur, weil Rio die extrem seltene
Gabe hatte, kitschfreie Liebeslieder schreiben zu können. Selbst bei Marianne Rosenberg gingen die im Kitsch nicht vollständig unter.

Auf dem Familienalbum, Band 2 ist dann auch nicht umsonst „B-Seite“ von Annett Louisan (28) eines der schönsten Lieder. Es klingt tatsächlich so, als wäre es für ihr neues Album erst ganz neu geschrieben worden. Und das gilt für das rockige „Bis ans Ende der Welt“ von Christina Stürmer genauso. Nur Reinhard Mey (52) stört auf dem Album. Das hätte nicht sein müssen. Ganz anders übrigens als Claudia Roth (50). Ihr Intro ist ein starkes Bekenntnis der Grünen-Vorsitzenden, die so gern für ihre Emotionen und ihr Outfit belächelt wird. Im Intro erzählt sie kurz und klar, dass sie dieses Selbstbewusstsein
zum „Nur-Ich-Selber-Sein“ von Rio Reiser hat – aus der Zeit, als sie Managerin von Ton Steine Scherben war.

Benjamin von Stuckrad-Barre googelt sich durch Netz

Er galt einmal als Popliterat, was immer das auch sein mag. Auf jeden Fall hat Benjamin von Stuckrad-Barre (30, Soloalbum) ein feines Gespür für gesellschaftliche  Veränderungen. Sein neues Buch belegt das. Auch wenn es eigentlich kaum zu lesen ist. Denn es ist eine einzige Ansammlung von Stichwörtern, Halbsätzen und Sätzen.

Es besteht aus dem, was das Internet so bereithält, wenn man googelt. Stuckrad-Barre sammelt dies. Herauskommt eine teils spannende, manchmal aber auch grotten-
langweilige Aneinanderreihung von Phrasen zu einem Stichwort. Das Triviale neben dem Wissenschaftlichen, die Veräppelung neben dem Ernsthaften. Das erzeugt einen Eindruck von der Vielfalt menschlicher Kommunikation. Ein Hypertext auf Papier, der einen
sprachlos macht.

Benjamin von Stuckrad-Barre: Was.Wir.Wissen., Rowohlt, 14,90 EURO

Eleonora Hummel erzählt aus dem Leben der Aussiedler

Sie leben zu Hunderttausenden unter uns, doch kaum einer kennt die Sorgen und Nöte der deutschen Aussiedler aus Russland. Wenn überhaupt, wird über Kriminalität jugendlicher Aussiedlerbanden berichtet. Doch wie das Leben vor der Übersiedlung in die  Bundesrepublik aussah, interessiert die Öffentlichkeit nicht weiter.

Eleonora Hummel ist eine von ihnen. 1970 kam sie in Kasachstan zur Welt. 1980 erfüllte sich der Traum, nach Deutschland ziehen zu können. In ihrem Roman „Die Fische von Berlin“ erzählt sie autobiografisch geprägt von einer Familie, die zwischen der russischen
und der deutschen Welt lebt. Hier gelten sie als Russen, dort galten sie als Deutsche. Die Zerrissenheit und Sehnsucht nach einer klaren und festen Heimat ist das Thema
dieses guten Debüts.

Eleonora Hummel: Die Fische von Berlin, Steidl, 18 EURO

Will Eisner zeichnet ein Comic gegen den Judenhass

Wenige Hetzschriften wirken so lange und so verheerend wie „Die Protokolle der Weisen von Zion“. Will Eisner, der große – im Januar verstorbene – Meister des Comics, erzählt die Entstehungs- und Wirkungsgeschichte in Bildern.

Will Eisner kam 1917 in Brooklyn zur Welt. Seine Eltern waren Juden aus Österreich, die ihr Glück in New York suchten. Hätten sie diesen Schritt nicht gewagt, wären er und seine Eltern sehr wahrscheinlich genauso wie sechs Millionen andere europäische Juden von den
Nazis ermordet worden. Eines der wichtigsten Bücher, auf die sich Hitler und die Nazis
immer wieder in ihrem Judenhass beriefen, waren die „Protokolle der Weisen von Zion“.

Für Hitler waren sie echt. Davon, dass es sich dabei um eine üble Fälschung handelt,
wollte er nichts wissen. In den Protokollen wird eine angebliche Sitzung der einflussreichsten Juden wiedergegeben. Auf ihr sollen sie beschlossen haben, die Weltherrschaft zu übernehmen. Alle Vorurteile über die jüdisch-kapitalistische Weltverschwörung sind in diesem Band versammelt.

Doch das verheerende Buch stammt aus der Feder eines Fälschers des Geheimdienstes des russischen Zaren. Gedacht war es, um die Juden für Unruhen verantwortlich zu machen. Es fiel auf furchtbar fruchtbaren Boden. Schon im Zarenreich kam es zu
Progromen an Juden. In den folgenden mehr als hundert Jahren wurde es in alle wichtigen
Sprachen mehrfach übersetzt.

Zurzeit ist es bei islamistischen Terroristen eine gern gelesene Lektüre zur Anzettelung des Hasses gegen Israel. Will Eisner zeichnet die erschütternde Geschichte des Machwerks
in düsteren, eingängigen Bildern. Da es sich dabei leider um keine abgeschlossene Geschichte handelt, ist Eisner darauf angewiesen, erklärende Zwischentexte und Fußnoten zu verwenden. Das wirkt bei einem Comic zwar etwas seltsam, ist aber dennoch zulässig.
Denn Eisner will aufklären. Er wählt den Comic, um sein Thema an Menschen zu bringen,
die niemals ein Geschichtsbuch in die Hand nehmen. Sein Comic kann sie erreichen. Das ist hervorragend. Besser als Geschichtsstunden in der Schule – und einprägsamer.

Gilad Atzmons Satire bricht israelische Tabus

Wer seinen Lebensunterhalt als Jazzmusiker verdient, weiß ganz genau, wie man mit unkonventionellen Einfällen schockieren kann. Allerdings ist die Gemeinde der Jazzfans so klein und eingeweiht, dass sie diese Provokationen gern mit Applaus honoriert. Das große Publikum, das sich tatsächlich auch provozieren lassen könnte, straft die Jazzer mit konsequenter Ignoranz.

Ein provokanter Schelmenroman
Gilad Atzmon verdient sein Geld als Schlagzeuger in der Londoner Jazz-Szene. Die Lust an der Provokation lebt er in seinem ersten Roman so richtig aus. Sein
Schelmenroman „Anleitung für Zweifelnde“ ist ein Generalangriff auf die israelische Gesellschaft der Gegenwart. Sämtliche Tabus Israels verletzt Atzmon mit einer Wucht, die den Leser manchmal erschauern lässt. Doch das Ergebnis ist nicht nur erheiternd, es ist so richtig erhellend.

Distanzierter Blick auf Israel
Gunther Wanker ist der obskure Schelm von Gilad Atzmon. Er ist ein Israeli deutscher Abstammung, der recht bald erkennt, dass die Politik der Besatzung und Unterdrückung der Palästinenser den inneren Verfall der israelischen Gesellschaft befördert. Wo Freiheit und Selbstbestimmung einst die zionistischen Einwanderer beflügelte, herrscht jetzt nur Angst und der Wille zur Unterdrückung der Palästinenser. Wanker blickt aus dem Jahr 2032 auf die Geschichte seines Lebens und seines Volkes zurück. Beides mit großer Distanz.

Erkenntnisse aus der Peepshow
Denn Wanker ist der Begründer der Peepologie. Einer Wissenschaft, die ihre Erkenntnis in der Peepshow gewann. Wanker nimmt das Guckloch des Voyeurs als Erkenntnisquelle. So wie der Voyeur immer nur das Ziel seines Verlangens außer Griffweite sehen kann, so kann das israelische Volk seinen Wunsch nach Frieden auch immer nur in der Vorstellung sehen.  In der Wirklichkeit verhindert der Blick auf einen möglichen Frieden den echten, weil der Blick durch den Sehschlitz vor allem die eigene Vorstellung transportiert, nicht aber die des Partners, mit dem dieser Frieden geschlossen werden müsste.

Satirische Attacke bringt Erleuchtung
Atzmon attackiert mit der Handlung und dem Stoff seines Romans also das Selbstverständnis der israelischen Gesellschaft. Doch wie bei jeder guten Satire, ist das nicht zersetzend. Dieser Vorwurf kommt immer von denen, die aus den gerade aktuellen Zuständen Gewinne ziehen. Diese Satire ist eine prickelnde Erleuchtung – nicht nur über Israel. Auch über die kulturellen Verwerfungen der eigenen Gesellschaft.

„Anleitung für Zweifelnde“ von Gilad Atzmon ist bei dtv erschienen. Das Buch hat 180 Seiten und kostet 12,50 Euro.