Volker Kriegel fasst den Rausch der Tiere in Reime

„Zuweilen hat der Vogelbär / den Eindruck, er verträgt nichts mehr.“ Tja. Bestimmt nicht nur der Vogelbär. An und nach den Feiertagen soll sich dieses Gefühl auch bei anderen Arten eingeschlichen haben.

Bei zunehmender Kälte greift der Wunsch nach etwas Warmem um sich: „Besonders schätzt das Affenreh / die Überdosis Rum im Tee“. Robert Gernhardt (68) hat auf
44 Seiten die besten Bildgedichte Volker Kriegels (†, 59) zum Thema Rausch und dem Gefühl danach gesammelt. Der kleine Band ist wunderbar.

Die Textmenge läßt sich auch mit dickem Kopf erfassen. Aber Achtung: Das Lachen kann den Kopfschmerz verstärken. Aber auch das scherzfreie Schmunzeln über den selbst zugefügten Kater.

Volker Kriegel: Wie sich das nackte Schaf mal schwer gehenliess. Kein & Aber. 7,90 EURO

Jan Philipp Reemtsma gegen Folter im Rechtsstaat

„Wir sind, was wir tun. Und wir sind, was wir versprechen, niemals zu tun.“ Jan Philipp Reemtsma (53) fast in diesen beiden Sätzen seinen Essai „Folter im Rechtsstaat?“
zusammen. Ausgehend vom Franfurter Fall Jakob Metzler, als die Polizei dem vermeintlichen Täter mit Folter drohte, entwickelt der Soziologe eine Verteidigung
des Folterverbotes. Wer das Buch jetzt vor dem Hintergrund der Diskussion um CIA-Foltergefängnisse und Guantanamo liest, dem wird bewusst, wie radikal sich die
westliche Welt seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 veränderte.

Die Angst vor der Bedrohung löst das Werte-Fundament auf. Reemtsma schreibt dagegen
an. Das macht er kenntnisreich und stringent. Aber manchmal etwas zu verkopft.

Jan Philipp Reemtsma,  Folter im Rechtsstaat?, Hamburger Edition

Sobo Swobodnik findet eine schöne Bescherung

Plotek ist eine Mischung aus Mankells Wallander und Anis Süden. Mit dem Ersten teilt er die Lust auf zu viele Biere. Mit dem Zweiten die Freude am Schweigen. Beides zusammen
zeugt nicht von allzu viel Geselligkeit. Dennoch hat dieser verkrachte Schauspieler von der
schwäbischen Alb auch seinen Charme.

Sobo Swobodnik hat Plotnik diesmal über Weihnachten auf Busreise nach Karlsbad geschickt. Doch statt sich gesund zu baden, sterben die Reisenden nach und nach weg. Das hat allerlei Unterhaltsames. Vor allem, weil Swobodnik so herrlich lakonisch von diesem Bus voll emotionalem Treibgut schreibt. Humor ist ihm wichtiger als Spannung. Und das
ist auch gut so. Denn das ist viel unterhaltsamer, als sich ständig zu gruseln.

Sobo Swobodnik: Schöne Bescherung. dtv, 14,00 EURO

Deutschlands beste TV-Satire kribbelt wie ein Kir Royal

Mensch, waren das Zeiten: In den 80ern war der Westen noch richtig reich, konzentrierte sich auf seine Nabelschau und aufs Vergnügen. Kir Royal war die sechsteilige TV-Serie, die dieses Lebensgefühl am schärfsten porträtierte. Zum 20. Jubiläum der Erstausstrahlung ist sie jetzt auf DVD erschienen.

Das Leben und Treiben des Baby Schimmerlos – des Münchner Klatschreporters – bildet den Mittelpunkt dieser wunderbaren Satire. Franz Xaver Kroetz spielt den Sunnyboy, der von den Schönen und Reichen, den Promis und all denen, die auch gerne auf der Sonnenseite des Lebens sein wollen, instrumentalisiert wird. Dieter Hildebrand ist sein Fotograf. Sein beliebtestes Motiv lässt sich nur durchs Schlüsselloch ablichten.

Zusammen mit Senta Berger als Schimmerlos’ Lebensgefährtin sind sie der Kern, um den
die sechs Folgen angelegt sind. Es ist schon erstaunlich, dass selbst 20 Jahre später alles noch richtig sehenswert ist. Der Genuss am Schauen wird nicht durch den Abstand gemindert. Im Gegenteil. Die Begegnung mit dem Staraufgebot, das die Figuren von Helmut Dietl und Patrick Süßkind (Das Parfüm) spielt, ist außerdem ein Knüller: Mario Adorf, Diether Krebs, Konstantin Wecker, Dirk Bach, Edgar Selge, Eckart Witzigmann,
Horst Tomayer, Marianne Hoppe und viele, viele andere sindauf der DVD-Sammlung.

Hans Söllner bringt Jamaika-Flair mit Bayern-Touch nach Cottbus

Der Rastaman aus Bad Reichenhall kommt nach Cottbus. Hans Söllner und sein  Bayaman’Sissdem lassen das Glad-House am Dienstag ab 21 Uhr vibrieren.

Söllner ist einer der Musiker, für die das Live-Spielen die Antriebskraft für das künstlerische Schaffen ist. Obwohl er schon auf die 50 zugeht, sind seine Konzerte vor allem mit 20 bis 30jährigen bevölkert. Denen ist der Söllners Hans ein seltenes Beispiel für ein ganz  konsequentes Leben. Da spielt es auch keine Rolle, dass der Söllners Hans nur bayrisch sprechen und singen kann. Seine Botschaft verstehen auch die Cottbuser.

Denn die ist mit einem wunderbaren Raggae-Sound gepaart. Die Bayaman’Sissdem sind eine hervorragend eingespielte Band, die sich nicht in den Vordergrund spielt. Hauptperson ist der Mann mit den blonden Rastazöpfen. Seine Texte erzählen von Liebe, von Geradlinigkeit, von Konsequenz und von Politik. Söllner ist ein Anarchist, der von einer gerechten Welt träumt, dem die Liebe zu seinen Söhnen über alles geht – und der nicht einsehen kann, dass er sich mit Alkohol zuschütten, aber an einem Spliff nicht einmal
ziehen darf.

Etliche Lieder erzählen von all diesen Widersprüchen, die das Leben so schwer machen. Söllner hat sich für die einfache Geradlinigkeit entschieden. Mit allen Konsequenzen.
Musikalisch ist so ein Söllner Konzert ein Fest. Denn bei all der Politik steht das gemeinsame Feiern und die gemeinsamen good vibriations im Mittelpunkt. Bestimmt
auch morgen im Gladhouse. Das Konzert von Hans Söllner beginnt morgen um 21 Uhr im
Glad-House (Str. der Jugend 16). Einlass: 20 Uhr. Karten kosten 20 Euro.

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Hans Söllner feiert im Regen

Hans Söllner: Im Regen
Hans Söllner: Im Regen

Nur vier Monate nach seinem Gig im heimischen Bad Reichenhall wartet Hans Söllner  schon mit dem Live-Album auf. Im Regen heißt das gute Stück mit zwei CDs. Doch beim Hören breitet sich eher wohlige Wärme als kalte Nässe aus. Die karibischen Rhythmen von Hans Söllner + Bayaman’Sissdem sind viel zu schön, als dass sich irgendwelche unangenehmen Eindrücke einstellen könnten. Der Raggae schwingt stets mit. Aber ohne die dicken Bässe, die sonst oft selbst den schönsten Sound mit Aggressivität
aufladen.

Das ist um so wichtiger, als die Texte durchaus aggressiv sind. Sie erzählen von der Freiheit, vom inneren Kampf, trotz äußeren Drucks ganz sich selbst zu bleiben. Söllner ist so einer, der seinen eigenen Weg geht – und nicht einen Deut davon abweicht. Und für genau diese Konsequenz lieben ihn seine Fans. Inzwischen achten ihn selbst die bayerischen Trachtler, weil er mit seinem Dickkopf eine bayerische Tugend ganz unkonventionell weiterentwickelt hat.

Auf dem Album ist ein wunderbarer Querschnitt von aktuellen und älteren Songs. Sie sind hervorragend abgemischt und machen Lust darauf, ihn live zu erleben. In Cottbus geht das am Dienstag im Glad-House.

Mädchen-Abenteuer im Traumland

Elea Eluanda
Elea Eluanda

Die Helden der Computerspiele kommen oft aus  anderen Welten. Elea Eluanda ist eigentlich eine Figur aus Kinder-Hörspielen. Jetzt breitet sie sich auf den PCs in den Kinderzimmern aus.

Mission Eulenstaub handelt von der Suche nach verschwundenen Eulen. Elea ist in einer Traumwelt unterwegs, begleitet von den Freunden Ravi und Ezechiel. Das wird vor allem die sieben- bis zwölfjährigen Mädchen freuen. Das alles ist in guter Grafik und  ansprechendem Ton gemacht. Spannung baut sich auf, weil die Identifikation mit den  Figuren gut möglich ist. Die jungen Spielerinnen schlüpfen in die Rollen und helfen in zehn Spielen, die nötigen Hürden zum Auffinden der Eulen zu überwinden.

Um diese Hürden zu überwinden, werden sie aufgefordert, freundschaftlich und hilfsbereit zu handeln und dabei geheimen Hinweisen zu folgen. Geschicklichkeit und Kreativität sind z. B. im Kristallpalast gefragt, wo wunderschöne Mosaikfenster zusammengesetzt werden können. Beim Spiel Minenflügelei führt ein Geheimgang in eine dunkle Diamantenmine,
in der Spinnen und Fledermäuse hausen. Da heißt es dann für alle Spieler: Genau  aufpassen! Mit diesem Spiel installieren Eltern auf jeden Fall nichts Falsches auf dem
Rechner.

Das Game (Anbieter: KIDDINX) läuft auf PC und Mac und kostet um die 20 Euro. Die aktuelle Hörspielfolge Das magische Puzzle kostet als CD 8 Euro.

Diese Rezension ist am 2. Dezember 2005 in 20cent erschienen.

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Fatih Akin hört auf den verstörenden Klang Istanbuls

Auch Dokumentationen können mehr als 100.000 Zuschauer ins Kino locken. Buena Vista Social Club von Wim Wenders (60) war ein gigantischer Erfolg. Fatih Akins (32) Crossing the Bridge faszinierte ebenfalls. Jetzt gibt es den Film auf DVD.

Die Reise auf der Suche nach dem Sound of Istanbul – so der Untertitel – ist der beste  Kommentar zu solch politischen Fragen wie der Mitgliedschaft der Türkei zur Europäischen Union. Wer sich diesen Film anschaut, begreift sofort, dass Istanbul in vielem sehr europäisch ist.

Aber natürlich nicht nur. Ein DJ, mit dem sich Alex Hacke von den Einstürzenden Neubauten unterhält, geht darauf ein. Sie müssten die Musik des Westens, des Ostens und des Südens hören, um den Partygängern den richtigen Mix aufzulegen. Dieser Mix ist es, der die musikalische Erkundung von Crossing the Bridge so spannend macht. Der Zuschauer lernt einen türkischen Michael Holm genauso kennen, wie Punks, Technojünger oder Psychedelic-Rocker. Und alle Töne haben miteinander zu tun. Sie bilden akustische Brücken zwischen Kontinenten, aber auch zwischen Kulturen und Gefühlen.

Die DVD hat – wie es sich inzwischen gehört – auch noch einige Extras. Fatih Akin hat ihr eine 40-minütige Dokumentation beigepackt. Unter the Bridge – The B-Side of Istanbul ist eine Doku über die Stadt. Schön daran ist, dass sie eine eigene Geschichte erzählt und nicht nur Schnipsel des Hauptfilms aneinanderreiht. Videos der in der Doku vorgestellten Musiker sind außerdem auf ihr. Das größte Schmanckerl ist aber der Frisörbesuch von Alex Hacke in Neukölln. Da erzählt er dem Türken von einem Konzert der Einstürzenden
Neubauten in Istanbul.

Knutson steht auf Hasch gegen Hass

Schon gehört? Es gibt da einen feinen, neuen Krümel in der süßlich duftenden deutschen Musikszene. Knutson ist sein Name. Wenn man sich seine Songs reinzieht, dann ist das sagenhaft entspannend. Eine gewisse Lässigkeit macht sich breit. Und ein Lächeln, das sich gar nicht mehr unterdrücken läßt.

„Hasch gegen Hass“ nennt sich der Erstling von Knutson. Der Titel der CD ist in der Szene offensichtlich gut angekommen. Herwig Mitteregger (Spliff), Sebastian Krumbiegel (Prinzen), Rod Gonzales (Ärzte), Cappuccino (Jazzkantine) und P.R.Kantate sind mit dem
Newcomer ins Studio gegangen, um das hohe Lied des Kiffens in allerlei Variationen mitzusingen.

„Marie Johanna“ ist eine witzige Coverversion von „Carbonara“, dem großen Hit von Spliff. Und natürlich wird der Mädchen-Doppelname zu Marihuana, wenn er gesungen wird. Das Album mit seinen zwölf Songs ist eine Hommage an die entspannenden Gefühle beim Einatmen eines Spliffs. Natürlich läßt sich trefflich streiten, ob das gut ist. Worüber sich aber nicht streiten läßt, ist die Qualität des Albums. Knutson hat sehr gute Chancen, sich zu etablieren. Ob er dann auch noch ständig an der Tüte zieht, wird richtig spannend.

Element Of Crime auf dem Weg zum Mittelpunkt der Welt

Draußen wird es immer früher dunkel. Die Nächte werden länger. November-Depression stellt sich bei manchen ein. Das ist genau der richtige Moment für das neue Element of Crime-Album. „Mittelpunkt der Welt“ heißt die CD, die konsequent den melancholischen Sound der Band fortführt.

Wer also eine Neuerfindung von Sven Regeners Combo erwartet, wird enttäuscht. Aber genau das ist ja das Schöne. Alle zehn Lieder klingen so vertraut: die vielen Moll-Akkorde und die Bläsersätze zur Verstärkung der nachdenklichen Texte. Sven Regener (44) ist der einzig würdige Erbe Rio Reisers (1950 bis 1996). Zwar erlebt der deutsche Text einen Boom, doch diese lyrische Kraft, diese Poesie in der Schilderung des Alltags beherrscht
keiner so wie er. Das gilt für den Nachklang der großen Liebe, für die Desillusionierung des
älter Werdenden, die Regeners Texte bestimmen.

Textlich und musikalisch ist „Finger weg von meiner Paranoia“ der Höhepunkt der Platte. Da bündelt sich das Spiel mit musikalischen Stilen mit einem Becken dominierten
Rhythmus und einem wunderbar lakonischen Text zu einer Hymne an die Eigenständigkeit – auch in der Verarbeitung aller Narben, die einem das Leben so
zufügt.