Brandenburg ist kulturell gespalten

Ein Kommentar

Die Wahlergebnisse in Brandenburg sind einschneidend. Die AfD triumphiert, die Grünen legen kräftig zu – und die drei Parteien, die im Land seit 1990 regiert haben, verlieren massiv. Und das in einer Zeit, in der die Arbeitslosigkeit auf Rekordtief ist, die Haushaltseinkommen steigen, die Kriminalität sinkt und die Renten im Osten überproportional gestiegen sind.  Aber für solche Erfolge werden Regierungsparteien offenbar nicht mehr belohnt.

„Der neuzigste Geburtstag“ von Günter de Bruyn überzeugt

Günter de Bruyn: Der neunzigste GeburtstagGünter de Bruyn ist inzwischen 92 Jahre alt. Noch immer schreibt und veröffentlicht der große Schriftsteller aus Görsdorf bei Beeskow alle ein bis zwei Jahre ein Buch. In den vergangenen Jahrzehnten hat er vor allem Bücher über die preußische Geschichte, Literatur und Schlösser geschrieben. Doch das jüngste ist wieder ein Roman. „Der neunzigste Geburtstag“ ist ein Buch über das Zusammenwachsen Deutschlands, das Altern und über die Auswirkungen der Flüchtlingskrise 2015.

Elfershausen macht gegen die Nord-Süd-Stromtrasse mobil

Elfershausen macht gegen die Nord-Süd-Stromtrasse mobil

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Elfershausen macht gegen die Nord-Süd-Stromtrasse mobil

Die Transparente sind in Elfershausen nicht zu übersehen. Überall im Ort gibt es Hinweise auf die große Nord-Süd-Stromtrasse, die entlang der A 7 das Saaletal nach dem Willen der Bundesregierung queren soll. Der Unmut über die Verschandelung der Landschaft ist groß. Und damit auch der Unmut über die Energiewende.

Wer durch das Dorf geht, sieht auf vielen Haus- und Scheunendächern Photovoltaikanlagen. Erneuerbare Energien sind den Elfernshäuserern also nicht fremd. Hier erzeugen sie regenerativen Strom, nutzen die Chancen, die vor allem unter rot-grün für Häuslebauer und Landwirte geschaffen wurden. Grüner Strom für gutes Geld. Sie sind Teil einer Bewegung, die Deutschland zu dem Land gemacht, in dem der Umstieg von Atom- und Kohlestrom auf Sonne, Wind, Wasser und Biogas den großen Energieversorgern das Leben schwer macht.

Keine 30 Kilometer südlich von Elfershausen ist das Atomkraftwerk Grafenreinfeld. Es soll im Mai 2015 stillgelegt werden. Schweinfurts Industrie benötigt auch dann noch sehr viel Strom. Mengen, die von den tatsächlich sehr vielen Solaranlagen auf den Dächern der Region nicht gedeckt werden können. Und weil Grafenreinfeld kein Einzelfall in Bayern ist, könnte es dort in den kommenden Jahren zu Stromengpässen kommen. Deshalb will der Bund den Windstrom von der Küste, aus Schleswig-Holstein, Brandenburg oder Niedersachsen und von den projektierten Offshore-Windparks mit der großen Nord-Süd-Stromtrasse mach Bayern bringen.

Eine Idee, die angesichts des aktuellen Situation gar nicht so falsch ist. Aber nur, wenn man vergisst, wie in den vergangenen 15 Jahren die Diskussion über die Energiewende lief. Da waren es vor allem CSU, CDU und FDP, die verzögerten, wo es nur ging. Jetzt sind es genau die Vertreter dieser Parteien, die den Widerstand gegen die Stromtrassen anführen. Und die Aktivisten der Energiewende, die stets für eine dezentrale Energieversorgung stritten, stehen auf einmal als die Verteidiger der Stromtrassen da. Denn die Blockade des frühen Umbaus des Energiesystems von zentral auf lokale und dezentrale Versorger führte dazu, dass es jetzt zu wenig Stromversorgung – gerade in Bayern und Baden-Württemberg – vor Ort gibt, um das Wegfallen eines Atomkraftwerkes zu kompensieren.

Wer die Energiewende heute also noch immer will, obwohl in der Vergangenheit die Weichen wegen der Blockierer falsch gestellt wurden, muss für die Stromtrassen sein. Und damit für eine weitere Verschandelung des Saaletals. Das ist absurd. Vor allem, wenn man bedenkt, dass die Trassen auch mit billigem Braunkohlestrom verstopft werden. Aber anders wird es nicht gehen. Ärgerlich ist nur, dass sich heute die gleichen Parteien und Politiker gegen die Stromtrasse stellen, die sich in der Vergangenheit gegen den schnellen Umbau des Stromsystems stellten. Und diejenigen, die solche Stromtrassen eigentlich nie wollten, weil sie keine zentralen Versorgunsgeinheiten mehr wollten, sind heute dafür.

Das ist schon seltsam. Und für die Elfershäusener, die keine Stromtrasse im Saaletal wollen, ist das auch kein Trost. Egal, ob sie eine Solaranlage auf dem Dach haben oder nicht.

 

Online-Nutzer, Opposition und FDP stoppen Internetsperren

Fast unbeachtet hat der Bundestag mit überwältigender Mehrheit eines der großen Streitthemen der vergangenen beiden Jahre beerdigt. Statt Internetsperren gegen Kinderpornografie zu errichten, werden jetzt entsprechende Seiten, Fotos und Videos gelöscht. Und damit dauerhaft vernichtet.

Mehr als 130 000 Bürger beteiligten sich an einer Online-Petition gegen das Gesetz der schwarz-roten Koalition aus dem Jahr 2009. Zeitweise war der Hashtag #zensursula der am häufigsten verwendete auf Twitter. „Zensursula“ wurde in der Netzgemeinde Ursula von der Leyen (CDU) genannt, auf deren Initiative das sogenannte Zugangserschwerungsgesetz zurückging. Das Kunstwort aus dem Begriff Zensur und dem Vornamen der damaligen Familienministerin brachte das Angriffsziel und den Grund der Aufregung auf den Punkt.

Ziel der Kritik war nie die Bekämpfung der Kinderpornografie an sich, sondern deren Mittel. Wer aufwendige technische Internetsperren aufbaut, kann in Versuchung geraten, diese auch in anderen Bereichen anzuwenden. Ob die Technik gegen Kinderpornos oder politisch unliebsame Webseiten verwendet wird, ist der Technik egal. Angesichts der Erfahrungen mit den Antiterrorgesetzen war diese prinzipielle Furcht berechtigt.

Dass in Zukunft nur noch auf das Löschen von strafrechtlich relevanten Inhalten gesetzt wird, ist ein Erfolg des Online-Protestes, der auch zum Straßenprotest wurde, der Opposition und der FDP. Deren Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger arbeitete beharrlich am Ende der Internetsperren. Erst mit einer Aussetzung des Gesetzes und jetzt mit der endgültigen Beerdigung.

Zum Umdenken von CDU und CSU haben neben den praktischen Erfolgen beim Löschen von Webseiten auch die Erfolge der Piratenpartei beigetragen. Internetthemen werden inzwischen nicht nur als Angst-Themen diskutiert, sondern sachlich. In den Köpfen der Bundestagspolitiker ist angekommen, dass mit falschem oder oberflächlichem Gerede über das Netz Mehrheiten verspielt werden können. Das will seit dem Berliner Triumph keiner mehr riskieren.

Insofern steht die sachlich richtige Entscheidung des Bundestags vom Donnerstagabend hoffentlich auch für eine generell neue Kultur im Umgang mit dem Netz. Es lauern Gefahren in ihm. Aber auch enorme Chancen. Diese zu erkennen und zu fördern ist die vornehme Aufgabe der Politik. Dazu ist technisches Wissen nötig. Vor allem aber auch reflektierte Erfahrung in der täglichen Nutzung.

Dieser Kommentar ist am 3. Dezember 2011 in der Märkischen Oderzeitung erschienen…

SPD in der Zwickmühle

Für die SPD ist das Wahlergebnis in Sachsen-Anhalt ein schwerer Schlag. Auf der einen Seite könnte sie mit den Linken die CDU in die Opposition drücken. Auf der anderen würde sie dafür sorgen, dass erstmals ein Linker zum Ministerpräsidenten gewählt wird.

Zwar hat der sachsen-anhaltinische Spitzenkandidat Bullerjahn versprochen, nicht Juniorpartner der Linken werden zu wollen. Doch angesichts der starken strukturellen Mehrheit mit Linken, SPD und den Wahlsiegern von den Grünen wäre es schon ein Treppenwitz, wenn die Union weiter fest im Sattel sitzt. Da die FDP mit Wucht vom Wähler aus den Landtag gejagt wurde, ist das bürgerliche Lager auf ein gutes Drittel der Mandate geschrumpft.

In Baden-Württemberg blüht der SPD am Sonntag das gleiche Dilemma. Da könnten die Sozialdemokraten zum Mehrheitsbeschaffer eines grünen Ministerpräsidenten werden. Für Parteichef Gabriel stellt sich also die strategische Frage, ob die SPD für neue Mehrheitsverhältnisse sorgen oder der CDU Ministerpräsidenten sichern will. Egal wie sich die SPD entscheidet, fest steht, dass sie ihre Rolle neu definieren 
muss.

MOZ-Kommentar…

Grüne diskutieren Energiewende

Auf ihrer ersten Sommerkonferenz haben die Brandenburger Grünen am vor allem über nachhaltige Wirtschaftspolitik diskutiert. Bundeschef Cem Özdemir versprach in Beeskow: „2013, wenn wir im Bund wieder Verantwortung übernehmen, machen wir die Verlängerung der Laufzeiten für Atomkraftwerke wieder rückgängig.“

Dieses Selbstbewusstsein kam bei den Brandenburger Grünen sehr gut an. Auch wenn es für die meisten anwesenden Parteimitglieder noch ungewohnt ist. Nicht einmal 800 Mitglieder hat die Partei im gesamten Land. Die meisten Aktiven kennen sich. In vielen Stadtverordnetenversammlungen und Kreistagen sind sie nicht einmal in Fraktionsstärke vertreten, etwa in Cottbus oder Oder-Spree. Dort sind sie Fraktionsgemeinschaften mit der SPD eingegangen. Eine eigenständige grüne Politik ist so kaum möglich.

Die meisten der 150 Teilnehmer der Sommerkonferenz am Sonnabend in der Beeskower Burg fühlen sich fast wie auf einem Familienfest. Umso ungewohnter sind die Gäste, die mit ihnen über Nachhaltigkeit, Wirtschaft und Konflikte zwischen Naturschutz und dem Ausbau Erneuerbarer Energien diskutieren.

Ralf Christoffers (Linke), Brandenburgs Wirtschaftsminister, hat die Einladung ebenso angenommen wie Doro Zinke, DGB Vorsitzende Berlin-Brandenburg, oder Kurt-Christian Scheel vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). Sie alle suchen den Dialog mit der kleinen Partei, die vor einem Jahr nach langer Pause wieder in den Brandenburger Landtag eingezogen ist. Und natürlich mit der Partei, die bundesweit in den Umfragen derzeit auf bis zu 17 Prozent kommt.

Das derzeitige Hoch der Grünen freut Cem Özdemir auf der einen Seite. Auf der anderen Seite ist er sich bewusst: „Unsere Programme werden jetzt mit dem Taschenrechner gelesen.“ Unrealistische Forderungen sind ihm suspekt. Aber das Beispiel Erneuerbare Energien zeige auch, dass zunächst ungewöhnliche Ideen durchaus realistisch sein können: Heute sei es Konsens, dass die Energiegewinnung vollständig auf Erneuerbare Energien umgestellt werden müsse. Es gehe nur noch um den Zeitpunkt. Als sie das Thema von 20 Jahren erstmals auf die Agenda gesetzt hätten, wären sie nicht ernst genommen worden. Dank grüner Politik wie dem Erneuerbare-Energien-Gesetz arbeiteten heute 300 000 Menschen in der Branche; viele davon in Brandenburg.

Wie diese Rahmenbedingungen weiterentwickelt werden können, bestimmte die Diskussionen des gesamten Tages. Axel Vogel, Fraktionschef der Grünen im Landtag, forderte im Einklang mit Doro Zinke, dass das Vergabegesetz ökologische und soziale Aspekte beinhalten müsse. Der Entwurf der Landesregierung bliebe hinter dem Berlins zurück.

Da der Ausbau von Wind- und Solaranlagen auch Konflikte produziert, haben sich die Grünen in Beeskow auch darauf vorbereitet. Für die Uckermark hatte Vogel dabei einen ungewöhnlichen Vorschlag. Dort gibt es eine Initiative, die den Bau einer überirdischen Hochspannungsleitung unter die Erde verlegt wissen will. In Thüringen wird genau gegensätzlich diskutiert. Deshalb sollten die Projekte einfach getauscht werden. Beide Regionen wären mit dem Netzausbau versöhnt.

Über diesen pragmatischen Ansatz musste Christoffers schmunzeln, will ihn aber aufnehmen. Einen guten Rat hatte er für die Grünen obendrein: „Bei Konflikten hilft nur reden. Nur so können die Menschen überzeugt werden. Aber dann muss auch entschieden werden.“ Für Christoffers heißt das, dass nach Abwägung aller Sicherheitsaspekte Kohlendioxid bei Beeskow gespeichert werden könnte. Auch wenn Initiativen und Grüne strikt dagegen sind.

Raus aus der Nische

Mit dem Erfolg wächst die Verantwortung. Darüber sind sich die Grünen in Brandenburg einig. Zwar erlaubt es die Rolle als Oppositionspartei gegen vieles zu sein, was die rot-rote Landesregierung will.

Doch ist dieses Dagegensein nicht das, was die kleine Partei wirklich will. Auf der Sommerkonferenz in Beeskow hat sie den Anspruch formuliert zu gestalten. Schon jetzt hat sie ernsthaft überlegt, welche Konflikte das mit sich bringen wird. Ob der Gegensatz von Vogelschutz und Windkraft oder der generelle Protest von Initiativen gegen den Ausbau der Erneuerbaren Energien, die Grünen suchen den Dialog, um die reine Öko-Nische zu verlassen.

Das ist sinnvoll. Und kann dazu führen, sich im Land stärker zu verankern. Denn sollten aus den guten Umfragewerten auch gute Wahlergebnisse werden, ist ein breites und überzeugendes Personalangebot notwendig. Nicht einmal 800 Mitglieder wie derzeit sind dafür eindeutig zu wenig. MOZ-Kommentar…

Joschka Fischer doziert von der Rückkehr der Geschichte

Inzwischen ist Joschka Fischer Professor in Princeton. Quasi seine Bewerbungsschrift war sein Buch „Die Rückkehr der Geschichte“, dessen erste Auflage große Beachtung fand. In der Taschenbuchausgabe hat der ehemalige grüne Außenminister noch aktuelle Entwicklungen der Weltpolitik eingearbeitet.

Fischer fragt sich, wie eine Welt mit nur einer Supermacht organisiert werden muss, um Frieden, Freiheit und wirtschaftlich und soziale Gerechtigkeit auf dem gesamten Globus
durchgesetzen zu können. Dabei spart er nicht mit Kritik auch an eigenen früheren Positionen. Wer Außenpolitik verstehen will, findet in Joschka Fischer einen streitbaren
Lehrmeister.

Joschka Fischer: Die Rückkehr der Geschichte, Knaur. 9,95 EURO

Grüne juckt Vattenfall-Drohung nicht

Die Grünen im Bundestag begrüßen die Ankündigung von Vattenfall-Vorstandschef Klaus Rauscher, sämtliche Investitionen ruhen zu lassen. Für den Klimaschutz wäre dies das Beste, sagte der energiepolitische Sprecher Hans-Josef Fell (54).

Rauscher hatte mit dem Investitionsstopp gedroht, falls die Entscheidung der Bundesnetzagentur Bestand habe. Diese hatte verfügt, dass Vattenfall die Preise für die Durchleitung von fremdem Strom senken muss (20cent berichtete).

lm Gespräch mit 20cent nimmt Hans-Josef Fell Rauscher beim Wort – und findet nichts schlechtes an der Aussage, die den Braunkohle-Standort Lausitz gefährdet. Fell: „Es wäre eine gute Nachricht für den Klimaschutz, wenn Vattenfall tatsächlich die Drohung wahr machte, keine neuen Kohlekraftwerke zu bauen.“

Derzeit investiert Vattenfall in den Bau eines sogenannten kohlendioxidfreien Kraftwerks in Schwarze Pumpe (KM). Fell bezweifelt, dass dies ein sinnvoller Beitrag zum Klimaschutz ist: „Die bisherigen Braunkohlepläne Vattenfalls sind angesichts der neuesten Erkenntnisse der Klimaforscher nicht mehr verantwortbar.“ Angesichts der 200 Milliarden Euro, die die Branche der Erneuerbaren Energien bis 2020 investierten wollte, sei es kein Problem, den Wegfall alter Kohle- und Atomkraftwerke zu kompensieren. Damit widerspricht Fell der Auffassung der Brandenburgischen Landesregierung, dass die Braunkohle ein unverzichtbarer Bestandteil der Energieversorgung in Deutschland bleibe müsse.

Paul Berman analysiert die Generation Joschka Fischer

Joschka Fischer (57) ist der Inbegriff eines 68ers, der den Marsch durch die Institutionen vollendete. Paul Berman, ein amerikanischer Intellektueller, hat die Karriere Fischers vom Straßenkämpfer bis zum Außenminister analysiert.

Sein Blick von außen lässt die Debatte über Fischers Vergangenheit kleinkariert erscheinen. Zu Recht. Denn Bermann zeigt in seinem Buch auf, wie sich eine Generation
nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa aufmachte, um das Leben freier, friedlicher und fröhlicher zu machen. Und welchen Erfolg die Generation gesellschaftlich
hatte. Problematisch bleibt aber sein Vorwurf, dass Fischer und Co. den Irakkrieg
ablehnten.

Paul Berman: IDEALISTEN AN DER MACHT – DIE PASSION DES JOSCHKA
FISCHER. SIEDLER. 19,95 EURO