Danke für die Ruhe, lieber Kopfhörer

Heute hat sie jeder im Ohr. Heute sind sie eigentlich auch weiß. Wer auf sich hält, hat entweder die Originale von Apple oder die Derivate anderer Hersteller, die einen auf Apple machen. Früher waren sie immer schwarz. Ganz früher waren sie sogar mit Bügel und so Dingern, die nicht ins Ohr gesteckt, sondern ans Ohr gepresst wurden. Ganz coole Zeitgenossen tragen inzwischen auch schon wieder solche Teile. Allerdings sind das dann richtige Kopfhörer, die für die schalldichte Abschottung von der Umwelt garantiert sorgen.

Jetzt ist es ja so, dass diese Stöpsel viele feine Dinge ermöglichen. Man kann Musik hören. Oder ein Feature vom Deutschlandfunk über die Lage in Berg-Karabach und die Spannungen zwischen Armenien und Aserbaidschan. Oder einen BBC-Sprachkurs zur Auffrischung der Englisch-Kenntnisse. Hörbücher etwa über Essad Bey oder eine Lesung der Metamorphosen von Ovid. Alles ist möglich. Die Zeit in der Bahn wird verkürzt. Der Stöpsel im Ohr erzählt von der Welt. Direkt ins Gehirn, ohne Umwege durch Zimmer und Räume.

Das beste, was der Stöpsel aber leistet, ist etwas ganz anderes: Wer ihn im Ohr hat, wird nicht gestört, wird nicht angequatscht. Der kann sich ganz auf sich konzentrieren, selbst wenn er sinnlos, weil geräuschlos im Gehörgang stöpselt! Vor allem auf Zugfahrten kann diese Leistung der unscheinbaren und dennoch so unentbehrlich gewordenen Kopfhörerchen nicht überbewertet werden. Und deshalb lobe ich die Dinger heute hier. (Meine sind übrigens wieder schwarz, weil die weißen nur zur stillen Andacht, dauerhaft aber nicht zum Hören der Feature taugen…)

Nachtrag zum Fotografieren auf Konfirmationen

So also geht es in der Kirche zu, wenn der Gottesdienst zur Fotografierpause unterbrochen wird. Besonders emsige Knipser steigen sogar auf die Kirchenbänke. Und das nur, um aus dieser Perspektive ein ganz sicher schlechtes Foto zu schießen. Bis zu diesem Zeitpunkt war in der Kirche Ruhe und Konzentration. Nach der Unterbrechung, die für viele Konfirmationsgäste offenbar das Ende des Events bedeutete, kehrte keine Ruhe mehr ein. Einsegnung rum, Bild im Kasten, wo ist das Buffet? Darauf reduziert sich so ein Ereignis offenbar. Schade und traurig. Auch, dass ich es dokumentiert habe, indem ich selbst das Handy für ein Foto der Fotografierenden zückte.

Fotografieren auf Festen…

Gedanken zur Konfirmation

Man sagt, dass Ihr mit der Konfirmation bei uns Erwachsenen angekommen seid. In allen Religionen und Kulturen gibt es solche Feste, bei denen die Kindheit abgeschlossen wird. Ethnologen nennen das Initiationsritus. Dabei geht es stets um die Ankunft in der Gemeinschaft der Erwachsenen. Was heißt das? Für Euch sicherlich, dass der Abschnitt Kindheit tatsächlich hinter Euch liegt. Wer von Euch kleinere Geschwister hat, merkt den Unterschied. Ihr beschäftigt Euch mit anderen Dingen. Ihr spielt nicht mehr mit Playmobil oder Barbie. Ihr hört andere Musik, Eure eigene und nicht mehr die von uns Eltern.

Die Mädchen – oder besser jungen Frauen – nehmen die Jungen – oder genauer jungen Männer – ganz anders wahr; die jungen Männer Euch junge Frauen. Alles verändert sich. Und Ihr besteht darauf, dass Ihr von uns Erwachsenen ernst genommern werdet. Und für uns heißt das, dass wir Euch auch so ernst nehmen müssen. Das fällt uns Vätern und ich denke auch den Müttern nicht immer ganz leicht. Aber so eine Konfirmation, so ein Initiationsritus ist nur sinnvoll, wenn wir als Eltern Euch in der Welt der Erwachsenen auch willkommen heißen. Wir beobachten und merken die Veränderung ja schon länger.

Der Tag heute erinnert uns daran, dass Ihr keine Kinder mehr seid. Unsere Fürsorge muss sich weiter in Respekt wandeln. Wir müssen Euch mehr zuhören, Euren Argumenten Raum geben und sie nicht zu schnell abtun. Das wird bestimmt knirschen. Aber wir glauben für alle Eltern sprechen zu können, dass wir das ersthaft versuchen werden. Wir müssen das ja auch noch üben, jetzt keine Kinder, sondern Erwachsene an unserem Tisch sitzen zu haben. Und das werden wir. Versprochen. (Mein Teil des heutigen Elterngrußwortes während Tills Kofirmation.)

Bin ich spießig?

Am Morgen danach sieht es fast immer so aus. Wobei sich das „danach“ nicht auf eigene Feiern bezieht, sondern auf Abende, die zu viele Menschen an den Badewiesen in Eichwalde oder Schmöckwitz gefeiert haben. Neulich haben Kinder in Eichwalde 70 Bierflaschen eingesammelt und das Pfand ergattert. 70 Flaschen am nächsten Morgen!

Diese Flaschen waren wenigstens ganz. Aber allzu oft sind sie auch nur noch Scherben. Da kommen dann all die Badefreunde am nächsten Tag und müssen genau darauf achten, dass sie in keine Scherbe treten. Oder die Kinder aus der Eichwalder Waldkita, die einmal in der Woche einen Strandtag haben. An all sie denkt von den Feiernden niemand. Ist es jetzt spießig, sich darüber zu ärgern? So wie es vielleicht spießig ist, dass in Kreuzberg nicht mehr jeder lärmende und besoffene Tourist von allen Anwohnern herzlich begrüßt wird? Ich weiß es nicht, glaube aber nicht, dass das spießig ist. Ich denke eher, es ist Wut über den mangelnden Respekt, den die Dreck-Hinterlasser und Lärm-Verursacher ihrer Umwelt gegenüber haben.

Umwelt meint damit beides: Natur und Menschen, die daneben wohnen oder am nächsten Tag auf dem gleichen Stück Strand liegen wollen. Mit etwas Respekt und weniger Ignoranz dem Anderen gegenüber ginge so vieles so viel einfacher. Und alle wären zufriedener. Aber vielleicht ist diese Hoffnung romantisch? Oder diese Sehnsucht doch spießig?

Lustige Effekte des Abnehmens

Am Wochenende ist ein Anzug Pflicht. Also nicht an jedem, aber an diesem. Um ganz sicher zu sein, dass der gewählte Zweiteiler keinen Fleck hat, probierte ich ihn vorsichtshalber an. Doch siehe: Er hängt an mir wie ein Sack. Sieben bis acht Kilo weniger wirken sich dramatisch auf die Passgenauigkeit vor allem der Hose aus. Nun denn, es gibt ja mehr als einen Anzug im Schrank. Dann kommt eben der nächste dran. Doch das Ergebnis ist immer dasselbe: Säcke statt Hosen und manchmal sogar Jackets, die ohne Form und Halt um Schultern und vor allem Bauch labbern.

Um dem eigenen Anspruch auf einen gut sitzenden Anzug am Sonntag gerecht zu werden, musste also ein neuer her. Peek & Cloppenburg am Kudamm ist dafür immer eine gute Adresse. Eine Einschätzung, die offensichtlich auch weit bedeutendere Menschen als ich teilen. Denn als ich aus der Ankleidekabine heraustrete und dabei schon den guten Sitz der Hose spüre, deshalb in mich hineingrinse, steht plötzlich Peter Fox neben mir. Auch in einem Anzug, der sehr gut passt. Mein Blick schweift noch weiter – und siehe da: Seeed ist komplett hier. Doch die anderen Jungs tragen Unterhosen statt Anzüge. Aber nur kurz. Dann stehen sie alle in unterschiedlichen Anzügen vor den Spiegeln und diskutieren, welcher am besten sitzt. Und welcher zu sehr nach Big Band aussieht. Und wie er sich wohl anfühlt, wenn Scheinwerfer mit 50.000 Watt auf sie scheinen.

Das Outfit für die neue Tour wird hier gewählt. Und ich bin dabei. Grinse in mich hinein. Und zucke das Handy nicht, um die Herren in Boxershorts abzulichten. Das ginge dann doch zu weit. Aber wenn ich beim Seeed-Konzert sein werde und die Anzüge sehe, denke ich bestimmt auch an das, was sie darunter tragen. Und das nur, weil ich den Speckring unter meinem Outfit nicht mehr mit mir herumschleppe!

Warten aufs Gewitter

Die Luft ist so schwer. Jede Bewegung verursacht Schweißausbrüche. Der Kopf will sich nur noch ablegen, jeder Gedanke, jede Bewegung erhöht den Druck. Die feuchten Luftmassen drücken die Pollen nach unten. Die Augen jucken, die Nase reagiert auf den Pollenansturm. Im Zug herrscht großes Schweigen. Keine lauten Töne, nur in sich gekehrte Gesichter ringsum. Später auf dem Bahnsteig rennt niemand. Alle Menschen gehen langsam. Niemand will noch mehr schwitzen als unbedingt nötig. Alle warteten auf das Gewitter.

Auf dem Weg nach Hause mischt sich Sorge in die frohe Erwartung der Erleichterung. Sind die Fenster geschlossen? Sind die Regenrinnen sauber oder mit Laub und Lärchennadeln verstopft? Doch die Freude auf die heraufziehende Erleichterung überwiegt: Jede Faser des Körpers will vom Druck befreit werden. Dann kommen die Donnerschläge immer näher. Dunkle Wolken ziehen über das Haus, türmen sich in mehreren Schichten von hellgrau bis fast schwarz übereinander. Wind zieht auf, bringt erste Abkühlung, schüttelt die Bäume durch.

Und dann regnet es! In Stürzbächen ergießt sich das Wasser über die Landschaft, stürzt über Regenrinnen, die diese Menge nicht aufnehmen können, staut sich vor Gullis in großen Pfützen. Blitze begleiten die Entladung. Nur die Fenster sind geschlossen! Die Abkühlung muss draußen bleiben. Bis der Regen nachlässt. Dann werden die Fenster aufgerissen, strömt die Abkühlung endlich ins Haus, wird von jeder Zelle dankbar aufgenommen. Und auch der Kopf ist endlich wieder richtig klar.

Und zur Belohnung Walderdbeerbowle

Die Sonne brennt. Die Hitze drückt. Und dennoch muss die Arbeit im Garten gemacht werden. Wann, wenn nicht am Wochenende? Wichtig bei solchen Arbeitseinsätzen ist die Planung für danach. Heute zum Beispiel diese Walderdbeerbowle.

Sie geht ganz einfach: Etwas trockenen Rosé nehmen, im Garten gesammelte Walderdbeeren hinein und ab in den Kühlschrank. Einige Stunden sollten die Beeren schon ziehen, um dem Wein ihren süßen, fruchtigen und irgendwie auch zarten Geschmack abzugeben. Am Ende kann man den Wein mit den Erdbeeren mit Sekt, Prosecco oder Selters auffüllen. Denn Kohlensäure sollte unbedingt hinein.

Heute war es Selters. Denn die Hitze gepaart mit noch mehr Alkohol hätte im Kopf am Nachmittag dann doch nicht so gut getan. So aber, war das Glas ein Traum. Und eine feine Belohnung für die schweißtreibende Arbeit, die erledigt werden musste. Es sind halt oft diese kleinen Köstlichkeiten, die das Leben abrunden. Man darf nur nicht vergessen, sich rechtzeitig welche einfallen zu lassen.

Mehr zur Walderdbeerbowle:
Der ganz besondere Garten-Genuss…

Göttliche Erkenntnis

Ob es der Punkt zwischen den Fußballen ist oder der in der Falte unterhalb des kleinen Fingers, wenn man eine Faust ballt, weiß ich nicht mehr. Aber ich bin mir sicher, dass einer von beiden „Göttliche Erkenntnis“ heißt. Das zumindest meinte mein Arzt, der vor gut 30 Jahren gegen meinen Heuschnupfen und meine Kniebeschwerden – erfolgreich – mit Akupunkturnadeln vorging.

Beide Punkte sind sehr schmerzempfindlich, wenn eine feine Nadel in die Haut gedreht wird. Seit gestern bin ich mir dennoch sicher, dass es der Punkt am Fuß sein muss. Barfuß habe ich mir in der Küche einen winzigen Glassplitter genau in diese Stelle gerammt. Er war so klein, dass er in der Wunde kaum zu finden war. Dafür war der Schmerz umso größer, genauso wie damals bei der Akupunktur. Erkenntnis konnte ich zwar keine gewinnen. Wahrscheinlich kam der Schmerz dafür zu spontan. Jetzt aber weiß ich, dass er bei jedem Schritt wieder kommt. So wie ich früher beim Nadeln wusste, was mir blüht.

Das Wissen um den bevorstehenden Schmerz aber sorgt tatsächlich für die Bereitschaft, sich Größerem hingeben zu wollen. Und sei es nur den tröstenden Armen wärmender Geborgenheit. So wie früher als Kind, als Gott noch alles beobachtete. Und damit für vertrauensvolle Sicherheit sorgte. Und die Moral von der Geschicht? / Tritt niemals in die Scherbe nicht / nur wenn die Hilfe ist ganz nah / erträgt den Schmerz der Mensch / Ansonsten dreht er durch / denkt nicht mehr klar / wie bei der Liebe Leid / macht sich sonst Verzweiflung breit

Hans Keilsons Jahrhundert ist vorbei

Hans Keilson (1909 - 2011) - Foto: Andreas Oppermann
Hans Keilson (1909 – 2011)

Mit 101 Jahren ist Hans Keilson gestorben. Der Ehrenbürger Bad Freienwaldes erlebte noch das Erscheinen seiner Erinnerungen. Der Jude emigrierte 1936 nach Holland und überlebte die deutsche Besatzung im Untergrund. Seine Bücher stoßen vor allem in den USA auf großes Interesse. Er wird als „Weltschriftsteller“ geehrt. „Da steht mein Haus“ ist der Titel seiner Erinnerungen, die im April bei S. Fischer erschienen sind. Hans Keilson meint damit sein Haus in Bussum bei Amsterdam, in dem er mehr als die Hälfte seines langen Lebens verbrachte. Es ist ein typisch niederländisches Klinkerhaus, das an einer ruhigen Kreuzung knapp zehn Minuten vom Bahnhof entfernt, umgeben von Einfamilien- und kleinen Reihenhäusern, liegt. Der Garten und das Haus selbst strahlen eine bescheidene Zufriedenheit aus. Alles wirkt, als wären die Bewohner mit sich im Reinen.

Das MOZ-Interview zum 100. Geburtstag

Obwohl er vor den Nazis fliehen musste und seine Eltern, die er in die Niederlande nachholte, nicht vor der Ermordung in Birkenau retten konnte, bestimmte nicht die Verbitterung sein Leben. „Das Gefühl der Schuld, dass ich meine Eltern nicht gerettet habe, das ist immer da,“ sagte er einmal. Doch Keilson begann deshalb nicht zu hassen. Im Gegenteil: Er bekämpfte mit den Mitteln der Psychoanalyse und der Literatur den Hass: „Weil der Hass eine selbstvernichtende Doktrin ist.“ Wer hasst, mache sich die Definition des Feindes zu eigen. Davon war er überzeugt. Deshalb setzte er Zeit seines Lebens seinen Verstand ein, um sich nicht vom Denken derer, die ihm Böses wollten und seinen Eltern taten, leiten zu lassen.

1909 kam Hans Keilson in Bad Freienwalde auf die Welt. Sein Vater hatte zwei Geschäfte im Ort. Seine Mutter kümmerte sich um diese, als der Vater im 1. Weltkrieg an der Westfront in den Schützengräben kämpfen musste. Die Welt war beengt für die wenigen Juden in Bad Freienwalde. Dennoch erinnerte sich Keilson auch im persönlichen Gespräch gern an sie zurück. Über den letzten Besuch seiner Heimat im September 2010 sagte er: „Als ich zu Besuch war, waren alle Kindheitserinnerungen wieder da, an jeder Ecke.“ Diese Erinnerungen schilderte er in seinem letzten Buch. Er beschreibt die bescheidenen Verhältnisse, in denen er aufwuchs. Er schildert die sich ändernde Stimmung den drei Juden in seiner Klasse gegenüber. Während im und kurz nach dem 1. Weltkrieg kaum Antisemitismus zu spüren war, nahmen die Zurücksetzungen, das Ausgegrenztwerden bis zum Abitur 1928 stetig zu. Hans Keilson war ein warmherziger, auch im hohen Alter noch sehr auf das Leben neugieriger Mann. Bei einem fast dreistündigen Interview kurz vor dem 100. Geburtstag schaffte es der Autor, Sportlehrer und Analytiker, mehr Fragen an mich zu richten als umgekehrt. Er wollte wissen, wie sich die Heimat verändert. Ihn interessierte, was der 60 Jahre jüngere über die Vergangenheit weiß. Ihn faszinierte, wie Internet und Technik das Leben erleichtern und Entfernung und Nichtwissen schrumpfen lassen.

Dazu passt auch, dass er mit über 80 anfing, am Computer zu arbeiten. Kein Wunder: Die Praxis betrieb der Psychiater bis weit über 90. Den bescheidenen Mann trieb eine ungeheure Energie an. Erst 1979 – mit fast 70 Jahren – promovierte er: „Sequentielle Traumatisierung bei Kindern“ ist das Ergebnis seiner jahrzehntelangen Arbeit mit jüdischen Kindern, die aus den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten in die Niederlande zurückkehrten. Die meisten von ihnen hatten ihre Eltern und die ganze Familie verloren. An die wissenschaftliche Arbeit machte er sich so spät noch, weil ihn seine Frau und andere ihm nahestehende Menschen darum baten, seine Erfahrungen aufzuschreiben. Das Ergebnis hat sich bis auf die Rechtsprechung ausgewirkt. Dieses Buch schätzte er selbst als sein wichtigstes ein.

1933 erschien bei S. Fischer sein erster Roman, der letzte eines Juden für lange Zeit. Die Übersetzungen seiner Bücher stoßen derzeit vor allem in den USA auf großes Interesse. Ein Interview mit ihm erschien sogar auf der Titelseite der „New York Times“. Seine Romane und Erzählungen zeichnet ein klare Sprache und ein feiner Humor aus. Auch in ihnen gibt er dem Leser nicht vor, was er zu denken hat. Er eröffnet – wie seinen Patienten – Wege, die Welt zu verstehen, weil man über seine Fragen nachdenkt. Wer sich darauf einlässt, begreift, dass Hass 
kein Weg ist, um leben zu können.

Wenn Hans Keilson von seinen Berliner Jahren erzählte, dann strahlten die fast erblindeten Augen. Wie er als Trompeter einer Jazz-Band das Studium finanzierte erfreute ihn auch mit 100 noch. Und wie ihm die Großstadt die Chance gab, durch das Studium das Rüstzeug zum Überleben im Untergrund zu geben, machte ihn dankbar. Mit Hans Keilson ist ein Mensch gestorben, der Ungeheuerliches erlebte, der gute Bücher schrieb, der als Arzt und Psychiater vielen Kindern den Weg zurück ins Leben erleichterte, der als Chef des deutschen Exil-P.E.N. politisch seine Stimme erhob und der vor allem als Mensch eine große Wärme, tiefe Neugier und sanften Humor ausstrahlte. Beerdigt wird Hans Keilson auf dem jüdischen Friedhof in Amsterdam neben seiner ersten Frau. Das war schon lange sein Wunsch. Seine Heimatstadt hat die Bibliothek nach ihm benannt. Und einen Findling haben sie dort für ihn aufgestellt. „Das Schöne ist, dieser Findlingsblock ist so groß, dass er bleiben wird – er ist einfach zu schwer, 
um ihn zu stehlen,“ freute sich Keilson noch kurz vor seinem Tod.

MOZ-Nachruf…

Mehr von Hans Keilson:
„Ich lebe als Sieger und Besiegter“ – Interview zum 100. Geburtstag
Schönes Ende eines Interviews – Erinnerungen an das Interview
Hans Keilson ist tot – Kurzer Nachruf
Hans Keilsons Jahrhundert ist vorbei – MOZ-Nachruf
„Da steht mein Haus“ – Die Erinnerungen Hans Keilsons – Eine kurze Autobiografie
Hans Keilsons Sonette einer verbotenen Liebe – Sonette für Hanna

Fahrräder am Herrentag

Warum, frage ich mich als Autofahrer, sind so viele Fahrradfahrer so dick-bräsig? Gerade am Herrentag (so im Osten) oder Vatertag (in der westlichen Heimat) drängt sich diese Frage radikal in den Blick. Ich meine jetzt nicht die alkoholisierten Radler, die meinen auch mit fünf Bier und drei Korn noch geradeaus fahren zu können. Nein ich meine all jene, die nur dreimal im Jahr aufs Rad klettern und dann meinen, alle müssten sich nach ihnen richten.

Diese beiden da auf dem Foto zum Beispiel: An dieser Stelle in Erkner gibt es einen Radweg. Der holpert auch gar nicht, weil der Asphalt noch ganz neu ist. 50 Meter weiter wird der Radweg in der Banhunterführung sogar überlebenswichtig. Doch das ficht Mutti und Vati mit Rucksack nicht an. Sie fahren mal schön da, wo sie nicht nur die Autofahrer ausbremsen (das wäre noch zu verkraften), nein, sie fahren vor allem da, wo sie sich selbst gefährden.

Und das mit ungefähr geschätzten 7,5 Stundenkilometern in geschlängelten Linien! Hilfe! Ich bin doch selbst viel lieber Rad- als Autofahrer! Aber so geht das doch nicht. Das macht mich aggressiv – und mit Sicherheit noch viele andere Autofahrer. Solche wahnsinnigen und vor allem selbstgefälligen Radler sind eine Zumutung! Zum Glück ist morgen wieder ein normaler Arbeitstag. Da fahren die wieder alle Auto. Aber ob das wirklich besser ist, weiß ich auch nicht. Vor allem dann, wenn ich dann Radfahrer bin und nur erwarte, dass Mutti und Vati bei der rechtsabbiegenden Straße auch hoffentlich nach hinten schauen…