Danke für die Ruhe, lieber Kopfhörer

Heute hat sie jeder im Ohr. Heute sind sie eigentlich auch weiß. Wer auf sich hält, hat entweder die Originale von Apple oder die Derivate anderer Hersteller, die einen auf Apple machen. Früher waren sie immer schwarz. Ganz früher waren sie sogar mit Bügel und so Dingern, die nicht ins Ohr gesteckt, sondern ans Ohr gepresst wurden. Ganz coole Zeitgenossen tragen inzwischen auch schon wieder solche Teile. Allerdings sind das dann richtige Kopfhörer, die für die schalldichte Abschottung von der Umwelt garantiert sorgen.

Jetzt ist es ja so, dass diese Stöpsel viele feine Dinge ermöglichen. Man kann Musik hören. Oder ein Feature vom Deutschlandfunk über die Lage in Berg-Karabach und die Spannungen zwischen Armenien und Aserbaidschan. Oder einen BBC-Sprachkurs zur Auffrischung der Englisch-Kenntnisse. Hörbücher etwa über Essad Bey oder eine Lesung der Metamorphosen von Ovid. Alles ist möglich. Die Zeit in der Bahn wird verkürzt. Der Stöpsel im Ohr erzählt von der Welt. Direkt ins Gehirn, ohne Umwege durch Zimmer und Räume.

Das beste, was der Stöpsel aber leistet, ist etwas ganz anderes: Wer ihn im Ohr hat, wird nicht gestört, wird nicht angequatscht. Der kann sich ganz auf sich konzentrieren, selbst wenn er sinnlos, weil geräuschlos im Gehörgang stöpselt! Vor allem auf Zugfahrten kann diese Leistung der unscheinbaren und dennoch so unentbehrlich gewordenen Kopfhörerchen nicht überbewertet werden. Und deshalb lobe ich die Dinger heute hier. (Meine sind übrigens wieder schwarz, weil die weißen nur zur stillen Andacht, dauerhaft aber nicht zum Hören der Feature taugen…)

John Peels kuriose Schellack-Legenden

John Peels Sampler
John Peels Sampler

Für viele Radiohörer war er der Mann, der den eigenen Musikgeschmack prägte. John Peel († 65). Bei der BBC legte er auf und hatte es in der Hand, ob aus Newcomern Stars (Sex Pistols, White Stripes, Laibach, The Cure) oder enttäuschte Hoffnungen wurden.

In seinen Sendungen legte er auch stets ein Stück aus seiner Schellack-Sammlung auf. Die kuriosesten davon sind jetzt als Sampler bei „Trikont“ erschienen. „The Pig’s Big 78s“ enthält Aufnahmen von 1908 bis 1955. Da erklingt frühe Musik-Comedy, da werden Hits der frühen Radiozeit vor dem Vergessen gerettet, da macht ein Geräusch-Imitator ein anfahrendes Auto nach. Kurz: Hier hat der Klang, der Ton in all seinen Farben seine Chance.

Das ist faszinierend und oft auch sehr amüsant. Vor allem ist es aber sehr lehrreich. Denn vieles von dem, was heute neu klingt, haben kreative Musiker schon vor 60 oder gar 80 Jahren aufgenommen! Das schöne Booklet von Sheila Ravenscroft, John Peels Frau, die
auch fürs Radio die Schellacks mitausgewählt hatte, rundet diese feine CD ab. Damit es auch jeder versteht, gibt es das informative Booklet gleich zweimal – in Deutsch und in Englisch!

Diese Rezension ist am 6. Mai 2006 in 20cent erschienen.