Massiver Unmut über Platzeck bei Zeuthener Fluglärm-Demo

Pfiffe und ständige Zwischenrufe haben die Rede von Mathias Platzeck in Zeuthen gestört. Der Ministerpräsident hatte sich als Redner auf der 1. Zeuthener Fluglärmparade angekündigt. Doch der Versuch Platzecks, Vertrauen bei dem von den neuen Flugrouten Betroffenen zu gewinnen lief ins Leere. Ein Teil der 2.500 Demonstranten forderte lautstark den Baustopp des Flughafens. Die Mehrheit, die in diese Rufe nicht einstimmte, versagte Platzeck aber dennoch den Applaus.

Der Sprecher der Zeuthener Initiative gegen Fluglärm, Martin Henkel, konnte gut 2.500 Demonstranten aus Zeuthen und den umliegenden Gemeinden begrüßen. Er betonte, dass seit 2004 allein in Zeuthen mehr als 300 Millionen Euro in Grundstücke und Bauwerke investiert worden seien. Und das im Vertrauen darauf, dass der Ort nicht vom Fluglärm betroffen sein würde.

Dieses Vertrauen ist seit dem 6. September erschüttert. Da verkündete die Deutsche Flugsicherung Flugrouten am neuen Airport Berlin-Brandenburg-International (BBI), die von den für das Planfeststellungsverfahren angenommen massiv abweichen. Angesichts geplanter paralleler Abflüge müssten die startenden Maschinen mindestens in einem Winkel von 15 Grad von der geraden Verlängerung der Startbahn abschenken. Und damit sind plötzlich bis zu 750.000 Bewohner Berlins und Brandenburgs zusätzlich von potenziellem Fluglärm betroffen.

Ministerpräsident Platzeck räumte ein, dass die Landesregierung nicht klar genug formuliert habe, dass der Planfeststellungsbeschluss nichts mit den Flugrouten zu tun habe. Dennoch forderte Platzeck Verständnis. Pfiffe und Buhrufe waren die Antwort. Auch als er die Zeuthener dazu aufrief, gemeinsam an den optimalen Flugrouten zu arbeiten, stieß auf wenig Gegenliebe. Lediglich Platzecks Bekenntnis, dass bei der Festlegung der Flugrouten nach der Sicherheit die Lärmbelastung und nicht die Wirtschaftlichkeit stehen müsse, wurde mit verhaltendem Applaus bedacht.

Platzeck sagte nicht, dass er als Aufsichtsrat von BBI einen entsprechenden Antrag zu Einschränkung der Wirtschaftlichkeit einbringen werde. Genau das wurde von den Demonstranten aber erwartet. Platzecks Verweis, dass man sich genau anschauen müsse, wo die Maschinen auf der Flugbahn abheben und in welchem Winkel sie dann ihren Flug noch in der Startphase aufnehmen müssten, wurde von der Menschenmenge zurückgewiesen. Sie forderte lautstark einen Baustopp. Und die Mehrheit skandierte das Motto der Demo: „Back to the Routes“ – zurück zu den alten Flugrouten.

MOZ-Text…

Warum nicht 
einfach immer 
Sommerzeit?

Seit 30 Jahren stellen die Deutschen Jahr für Jahre ihre Uhren um. Im Frühjahr kommt die Sommerzeit und im Herbst die Winterzeit, die es ja gar nicht gibt. Von den meisten wird dieses Ritual als störend empfunden.

Im Kern handelt es sich bei der Sommerzeit um einen Versuch, das Leben der gesamten Gesellschaft ökonomischer zu gestalten. Nach der Ölkrise 1973 war das Bemühen, Energie zu sparen sehr groß. Wenn es im Sommer länger hell ist, dann wird weniger Strom verbraucht, dachten sich die Verantwortlichen. Im Westeuropa wurde deshalb Ende der 1970er Jahre die Sommerzeit eingeführt. Nur in Deutschland dauerte es etwas länger.

Um tatsächlich wirtschaftlichen Nutzen aus der Zeitumstellung ziehen zu können, mussten hier zu Lande beide Staaten trotz der Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Wirtschaftssystemen synchron funktionieren. Vor allem der Verkehr zwischen Ost- und West erforderte dies. 1980 war es dann so weit. Die DDR forcierte die Umstellung. Die Bundesrepublik beschleunigte die Einführung. Als gesamtdeutsches Projekt konnten die Uhren umgestellt werden. Die Fahrpläne der Bahnen harmonierten weiter. Ganz nebenbei wurde so ein kleines Stück gesamtdeutscher Normalität durch das gleichzeitige Drehen am Zeiger festgeschrieben.

Aber der ökonomische Nutzen stellte sich nicht ein. Energie wird nicht gespart. Das bisschen Strom für kürzer brennendes Licht, das weniger benötigt wird, ist nicht messbar. Auch sonst sind keine Vorteile erkennbar. Das merkte schon die DDR, die deshalb mit der Ankündigung, zum Alten zurückkehren zu wollen, deutsch-deutsche Hektik verursachte. Die Sowjetunion aber war vom Nutzen überzeugt. So blieb der DDR-Alleingang aus.

D ie meisten Deutschen erleben seitdem die Nachteile. Die liegen im Befinden, teilweise sogar im gesundheitlichen Wohlergehen. Die Zahl derer, die Schwierigkeiten hat, sich an den neuen Schlafrhythmus anzupassen ist groß. Und das alles nur für einen nicht messbaren wirtschaftlichen Vorteil.

Damit steht die Zeitumstellung für ein Phänomen, das die Gesellschaft beherrscht. Wirtschaftliche Argumente dominieren unser Leben – bis in den Schlaf hinein. Ständige Erreichbarkeit mit Handy und Mail gehört sicherlich auch zum Unbehagen. Deshalb wäre es nicht verkehrt, mit der zeitlichen Fremdbestimmung aufzuhören. Für die Sommerzeit hieße dies, dass sie einfach für immer bleibt.

MOZ-Kommentar…

Island klagt Ex-Premier vor dem Reichsgericht an

Die Konzerthalle Reykjaviks vom Wasser aus.
Die Konzerthalle Reykjaviks vom Wasser aus.

Nach heftigen Debatten wird der ehemalige isländische Regierungschef Geir Haarde angeklagt. Er muss sich vor dem Reichsgericht für die große Bankenpleite vor zwei Jahren verantworten. Haarde ist damit der erste Politiker weltweit, der wegen des Finanzcrashs vor Gericht muss. Island geht mit dem Verfahren in die nächste Runde der Aufklärung. In der ersten untersuchte eine parlamentarische Untersuchungskommission die Vorfälle.

Der konservative Haarde stellte sich den Fragen der Parlamentarier ebenso wie die ehemalige sozialdemokratische Außenministerin Ingibjörg Sólrun Gisladóttir. Ihr, Haarde und zwei weiteren Ministern war von der Kommission „grobe Fahrlässigkeit“ bescheinigt worden. Dennoch konnte sich der Althing, Islands Parlament, nur zur Anklage Haardes durchringen. Hintergrund des Verfahrens ist die de facto nicht existente Bankenaufsicht Islands vor der Krise.

Der nordatlantische Inselstaat mit seinen 320.000 Einwohnern etablierte sich als Steuerparadies. Die Rahmenbedingungen dafür hatte die Politik geschaffen. Vor allem die drei Banken Kaupthing, Landsbanki und Glitnir profitierten davon. Sie lockten Kapital aus der ganzen Welt an. Doch als im Herbst 2007 die Finanzkrise begann, kamen die drei Banken ins Trudeln. Grund dafür war vor allem der rege internationale Handel mit riskanten Wertpapieren. Um den Bankrott abzuwenden, wurden die Banken im Oktober 2008 verstaatlicht. Kurz darauf zerbrach die Regierung.

Im Februar 2009 wechselten die Sozialdemokraten zu den Grünen. Seitdem ist die Sozialdemokratin Jóhanna Sigurdardóttir Ministerpräsidentin. Die Verstaatlichung hat dazu geführt, dass Island die Schulden der Banken übernommen hat. Vor allem die Niederlande und Großbritannien bestehen auf dem vollständigen Schuldendienst. Dabei geht es um gut 3 Milliarden Euro, die Privatanleger und institutionelle Investoren den Banken anvertrauten. Diese taten das natürlich wegen der hohen Zinsen, die Kaupthing und Co. versprochen hatten. Doch der Verweis auf die Risikobereitschaft der britischen und niederländischen Anleger verfängt nicht. Und so muss jeder Isländer statistisch etwa 10 000 Euro allein dafür aufbringen.

Viele Isländer werfen Haarde vor, dass der Neoliberale nichts gegen die aggressive Expansion der isländischen Banken unternommen hat. „Fahrlässigkeit“ lautet jetzt die Anklage vor dem Reichsgericht, das zum ersten mal seit seiner Gründung 1905 zusammentreten wird. Es besteht aus Juristen und vom Parlament gewählten Vertretern. Die mangelnde Erfahrung des Gerichtes und die damit verbundenen juristischen Probleme waren für die Gegner der Anklage Haardes das zentrale Argument gegen eine Anklage.

Ragnheidur Arnadottir, die konservative Fraktionschefin, sagt zudem: „Nichts hätte ab 2006 den Crash verhindern können.“ Auch die Sozialdemokratin Anna Margrét Gudjonsdóttir ist sich sicher, dass die Hauptverantwortlichen die Banker waren. Doch ihr Vorwurf an Haarde lautet: „Im Kabinett muss über Probleme diskutiert werden, über die Banken wurde nie geredet.“ Das Verfahren vor dem Reichsgericht soll nun klären, wie fahrlässig der Regierungschef war. Deren Auswirkungen merken die Isländer überall: Ihre Krone ist im Ausland nichts mehr wert. Die Preise für Strom und heißes Wasser mussten in Reykjavik erhöht werden. Die Arbeitslosenquote beläuft sich auf ungewohnte neun Prozent. Prestigeprojekte wie die Konzerthalle in der Hauptstadt verzögern sich. Und der Internationale Währungsfond zwingt Island zu einem harten Sparkurs.

Grüne diskutieren Energiewende

Auf ihrer ersten Sommerkonferenz haben die Brandenburger Grünen am vor allem über nachhaltige Wirtschaftspolitik diskutiert. Bundeschef Cem Özdemir versprach in Beeskow: „2013, wenn wir im Bund wieder Verantwortung übernehmen, machen wir die Verlängerung der Laufzeiten für Atomkraftwerke wieder rückgängig.“

Dieses Selbstbewusstsein kam bei den Brandenburger Grünen sehr gut an. Auch wenn es für die meisten anwesenden Parteimitglieder noch ungewohnt ist. Nicht einmal 800 Mitglieder hat die Partei im gesamten Land. Die meisten Aktiven kennen sich. In vielen Stadtverordnetenversammlungen und Kreistagen sind sie nicht einmal in Fraktionsstärke vertreten, etwa in Cottbus oder Oder-Spree. Dort sind sie Fraktionsgemeinschaften mit der SPD eingegangen. Eine eigenständige grüne Politik ist so kaum möglich.

Die meisten der 150 Teilnehmer der Sommerkonferenz am Sonnabend in der Beeskower Burg fühlen sich fast wie auf einem Familienfest. Umso ungewohnter sind die Gäste, die mit ihnen über Nachhaltigkeit, Wirtschaft und Konflikte zwischen Naturschutz und dem Ausbau Erneuerbarer Energien diskutieren.

Ralf Christoffers (Linke), Brandenburgs Wirtschaftsminister, hat die Einladung ebenso angenommen wie Doro Zinke, DGB Vorsitzende Berlin-Brandenburg, oder Kurt-Christian Scheel vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). Sie alle suchen den Dialog mit der kleinen Partei, die vor einem Jahr nach langer Pause wieder in den Brandenburger Landtag eingezogen ist. Und natürlich mit der Partei, die bundesweit in den Umfragen derzeit auf bis zu 17 Prozent kommt.

Das derzeitige Hoch der Grünen freut Cem Özdemir auf der einen Seite. Auf der anderen Seite ist er sich bewusst: „Unsere Programme werden jetzt mit dem Taschenrechner gelesen.“ Unrealistische Forderungen sind ihm suspekt. Aber das Beispiel Erneuerbare Energien zeige auch, dass zunächst ungewöhnliche Ideen durchaus realistisch sein können: Heute sei es Konsens, dass die Energiegewinnung vollständig auf Erneuerbare Energien umgestellt werden müsse. Es gehe nur noch um den Zeitpunkt. Als sie das Thema von 20 Jahren erstmals auf die Agenda gesetzt hätten, wären sie nicht ernst genommen worden. Dank grüner Politik wie dem Erneuerbare-Energien-Gesetz arbeiteten heute 300 000 Menschen in der Branche; viele davon in Brandenburg.

Wie diese Rahmenbedingungen weiterentwickelt werden können, bestimmte die Diskussionen des gesamten Tages. Axel Vogel, Fraktionschef der Grünen im Landtag, forderte im Einklang mit Doro Zinke, dass das Vergabegesetz ökologische und soziale Aspekte beinhalten müsse. Der Entwurf der Landesregierung bliebe hinter dem Berlins zurück.

Da der Ausbau von Wind- und Solaranlagen auch Konflikte produziert, haben sich die Grünen in Beeskow auch darauf vorbereitet. Für die Uckermark hatte Vogel dabei einen ungewöhnlichen Vorschlag. Dort gibt es eine Initiative, die den Bau einer überirdischen Hochspannungsleitung unter die Erde verlegt wissen will. In Thüringen wird genau gegensätzlich diskutiert. Deshalb sollten die Projekte einfach getauscht werden. Beide Regionen wären mit dem Netzausbau versöhnt.

Über diesen pragmatischen Ansatz musste Christoffers schmunzeln, will ihn aber aufnehmen. Einen guten Rat hatte er für die Grünen obendrein: „Bei Konflikten hilft nur reden. Nur so können die Menschen überzeugt werden. Aber dann muss auch entschieden werden.“ Für Christoffers heißt das, dass nach Abwägung aller Sicherheitsaspekte Kohlendioxid bei Beeskow gespeichert werden könnte. Auch wenn Initiativen und Grüne strikt dagegen sind.

Raus aus der Nische

Mit dem Erfolg wächst die Verantwortung. Darüber sind sich die Grünen in Brandenburg einig. Zwar erlaubt es die Rolle als Oppositionspartei gegen vieles zu sein, was die rot-rote Landesregierung will.

Doch ist dieses Dagegensein nicht das, was die kleine Partei wirklich will. Auf der Sommerkonferenz in Beeskow hat sie den Anspruch formuliert zu gestalten. Schon jetzt hat sie ernsthaft überlegt, welche Konflikte das mit sich bringen wird. Ob der Gegensatz von Vogelschutz und Windkraft oder der generelle Protest von Initiativen gegen den Ausbau der Erneuerbaren Energien, die Grünen suchen den Dialog, um die reine Öko-Nische zu verlassen.

Das ist sinnvoll. Und kann dazu führen, sich im Land stärker zu verankern. Denn sollten aus den guten Umfragewerten auch gute Wahlergebnisse werden, ist ein breites und überzeugendes Personalangebot notwendig. Nicht einmal 800 Mitglieder wie derzeit sind dafür eindeutig zu wenig. MOZ-Kommentar…

Platzeck stellt MOZ-Buch über Brandenburg vor

Die Brücke über die Oder steht an diesem Wochenende im Mittelpunkt des Brandenburg-Tags in der Stadt Schwedt (Uckermark). Auf dem zweitägigen Landesfest wird auch das 20. Jubiläum von Brandenburg gefeiert. Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) betonte gestern auf einer Pressekonferenz, dass er sich kaum eine bessere Stadt für die Feier vorstellen könne. „Schwedt steht stellvertretend für viele märkische Geschichten von Umbruch und Aufbruch“, sagte der Ministerpräsident. Insbesondere die Themen Deindustrialisierung und demografischer Wandel spiegeln sich in der Stadt an der Oder wider. Sie steht aber auch für eine neue Leistungsfähigkeit der Industrie und die Freundschaft zum Nachbarn Polen.

Schwedts Bürgermeister Jürgen Polzehl (SPD) rechnet am Wochenende mit bis zu 100 000 Besuchern. Nach der Eröffnung am Sonnabendvormittag, zu der auch Ministerpräsident Platzeck erwartet wird, stehen viel Musik sowie ein abendliches Spektakel auf der Oder-Brücke auf dem Programm. Am Sonntag ist ein Festumzug geplant. Erwartet werden zu dem diesjährigen Landesfest auch bekannte Künstler wie Ute Freudenberg und Jennifer Rush. Stadt, Land und Sponsoren finanzieren das Fest mit rund 400 000 Euro.

„Die Brücke ist nicht ohne Grund im Signet des Brandenburg-Tags,“ betonte Polzehl. Das Fest richte sich auch an die polnischen Nachbarn. Auf dem Logo treffen sich Adler und Pipeline zum Rendezvous. Für den Bürgermeister ist das auch eine Verbindung zwischen Nationalpark und moderner Industrie.

Die Märkische Oderzeitung gibt zu den Feierlichkeiten zwei neue Bücher der Edition „Einst und Jetzt“ heraus. Chefredakteur Frank Mangelsdorf stellte die Bände über das Land Brandenburg und die Stadt Schwedt gestern auf der Pressekonferenz in Potsdam vor. Die Bücher bietet auf jeweils 220 Seiten einen Überblick über die Entwicklung des Landes in den vergangenen 20 Jahren. Es werden Aufnahmen von Baudenkmälern oder der Infrastruktur gezeigt – und zwar stets ein Foto aus der Zeit um das Jahr 1990 und ein aktuelles Bild. „In kaum einem Landstrich hat sich in so kurzer Zeit so viel verändert“, sagte Mangelsdorf in seiner Rede. Diesen Wandel zu dokumentieren, ist ein Beitrag der Märkischen Oderzeitung zum Jubiläum. Am Brandenburg-Tag gibt es eine Sonderausgabe für 9,95 statt 17,95 Euro.

Wer sich ein Buch von Ministerpräsident Platzeck signieren lassen möchte, hat dazu bereits morgen im Anschluss an „Einer für Schwedt“ an den Uckermärkischen Bühnen Gelegenheit. Mit dabei ist auch das Autorenteam der Märkischen Oderzeitung. Am Sonnabend signiert MOZ-Chefredakteur Frank Mangelsdorf die beiden Bände von 15 bis 15:45 Uhr auf dem Landesfest im MOZ-Café.

Ein Eigentor für die SPD

Der Verlust des Landkreises Spree-Neiße an den CDU-Kandidaten Harald Altekrüger ist das Ergebnis einer dilettantischen Personalpolitik und einer fast schon starrköpfigen Braunkohle-Politik der Lausitzer SPD.

Beides bedingt sich. Dafür steht der abgewählte Dieter Friese. Seine Dominanz nahm der schwachen SPD im Landkreis die Luft zum Atmen. Sein ausgeprägtes Ego erschwerte die Verständigung mit der inmitten des Landkreises liegenden und SPD-geführten Stadt Cottbus. Seine Braunkohle-Gläubigkeit verhinderte, dass sich die SPD für kritische Geister öffnen konnte. All das sorgte für Unmut unter den Genossen.

Aber wie die SPD Friese jetzt behandelte, kann damit nicht entschuldigt werden. Wer ihn als Direktkandidaten aufstellt und erlebt, dass er das beste Ergebnis holt, darf ihn nicht absägen. Das mag zwar parteitaktisch motiviert sein. Doch dieser Opportunismus kostet Vertrauen. Und die SPD nun schon den mittlerweile dritten Landrat in der Lausitz.

Wolfgang Gerke hofft auf einen Gewinn von Klugheit

Staaten machen Schulden (moz) Damit belasten sie kommende Generationen. Denn die müssen nicht nur die Schulden, sondern auch anfallende Zinsen bezahlen. Andreas Oppermann hat mit Wolfgang Gerke, dem Chef des Bayerischen Finanz Zentrums über Staatsschulden, private Banken und Spekulation gesprochen.

Herr Gerke, warum zahlt der Staat Zinsen an private Banken, wenn er sich Geld leiht?

Wolfgang Gerke: Selbstverständlich muss auch der Staat Zinsen bezahlen, wenn er Geld haben möchte. Das war früher schon bei den Fürsten so. Wenn die Fürsten Geld haben wollten, was sie nicht hatten, dann sind sie zu Herrn Fugger gegangen und haben dafür Zins zahlen müssen. Daran hat sich seit dieser Zeit nichts geändert.

Private Banken leihen sich ihr Geld bei den Zentralbanken, bei uns der Bundesbank, einer staatlichen Bank?

Nein, die privaten Banken holen sich ihr Geld erst einmal bei den Einlegern und sie können sich kurzfristig Geld bei der Bundesbank leihen oder bei der Europäischen Zentralbank, der EZB. Dafür müssen sie auch Zinsen bezahlen..

Aber diese Zinssätze sind niedriger als die Zinsen, die sie von Staaten verlangen.

Das ist richtig. Dafür sind auch hohe Anforderungen an die Sicherheiten gegeben, die man dann stellen muss. Dafür kommen spezielle Papiere in Frage. Also ist dieser Kredit vom Risiko her ein anderer Kredit als ein Kredit an ein mittelständisches Unternehmen oder einen Privatmann.

Aber warum leihen sich die Staaten das Geld dann nicht von ihren Zentralbanken? Das wäre doch günstiger.

Die Staaten bekommen auch Geld von der Bundesbank, wenn diese beispielsweise ihre Gewinne in den Staatshaushalt abführt. Zur Geldbeschaffung gehen die Staaten einen noch geschickteren Weg. Sie leihen sich ihr Geld auch direkt bei den Bürgern, indem sie Anleihen emittieren. Diese Anleihen werden gezeichnet von jedem, der es will. Man kann sich sogar in Bad Homburg ein Konto ohne Kontoführungsgebühren beim Staat für diese Anleihen einrichten.

Sind die Zinssätze, die da bezahlt werden, höher als die, die Banken bezahlen müssten, wenn sie Geld bei der Bundesbank oder der EZB leihen?

Diese Zinsen sind für Deutschland noch relativ günstig, weil Deutschland ein sehr guter Schuldner ist. Als solcher ist Deutschland mit Tripel-A geratet. Das ist die beste Ratingstufe, mit der Schuldner bewertet werden können. Dennoch ist der Zinssatz bei privaten Banken höher, als das Geld, das man von der Bundesbank bekommt.

Und warum wird das dann nicht gemacht?

Das Geld der Bundesbank würde dem Staat nicht helfen, weil es nur kurzfristige Gelder sind. Bundesanleihen dagegen laufen über einige Jahre. Wenn der Finanzminister Geld nur für wenige Wochen bekommt, dann hilft das nicht, um einen Staatshaushalt zu finanzieren.

Haben die Spekulationen mit dem Euro wegen der Griechenland-Krise Auswirkungen auf Deutschland?

Leider ja. Der Euro ist dadurch schwächer geworden, glücklicherweise haben sich die Zinsen für die Bundesrepublik Deutschland als Emittent von Anleihen dadurch nicht verschlechtert. Aber wir sitzen in einem Boot und das wirkt sich auf alle Staaten aus, die eine stabilere Haushaltspolitik betrieben haben.

Greifen jetzt wieder die gleichen Mechanismen, die zur großen Finanzkrise 2008 geführt haben?

Da ist im Bezug auf Währungsspekulationen falsch, was die Ursachen der letzten Finanzkrise angeht aber leider richtig. Die vergangene Finanzkrise ist nicht durch gierige Banker ausgelöst worden, sondern durch die amerikanische Notenbank, die die Märkte mit sehr viel mehr billigem Geld geflutet hat, als nötig gewesen wäre. Und darauf haben dann die Banker spekuliert. Im Moment besteht die Gefahr, dass wir mit einem riesigen Haushaltsdefizit und mit billigem Geld die nächste Blase und damit den nächsten Finanzcrash produzieren.

Muss das sein?

Ich habe aber die Hoffnung, dass man jetzt klüger geworden ist. Die US-Notenbank hat mit ihrer leichten Zinserhöhung das richtige Signal gegeben.

Bislang hat die Politik nur angekündigt, Banken stärker zu regulieren. Passiert ist nichts.

Es hat Veränderungen gegeben, aber die wichtigsten Schritte sind noch nicht vollzogen. Die Debatte über eine Finanztransaktionssteuer oder gar eine spezielle Bankensteuer geht sogar in die falsche Richtung. Damit bedienen sich nur die Finanzminister. Es wäre viel sinnvoller, Banken bei riskanten Geschäften zu zwingen ein dickeres Risikopolster als Eigenkapital vorzuhalten. Wichtig wäre auch ein stärkerer Einlagesicherungsfonds für Krisenzeiten. Aber Transaktionssteuern oder Sonderabgaben bezahlen letztlich die Sparer und Kreditnehmer.

Aber es ist doch berechtigt, dass der Steuerzahler das Geld wieder zurückbekommt, das Banken gegeben wurde.

Das ist richtig. Die Banken müssen das Geld ja zurückzahlen. Sie haben es nicht geschenkt bekommen. In der Debatte ist ein falscher Zungenschlag drin. Es darf tatsächlich nicht wieder passieren, dass der Steuerzahler in die Bresche springen muss. Nur das erreicht man nicht, indem man jetzt Sonderbesteuerungen für Banken einführt oder eine Finanztransaktionssteuer einführt. Da trifft man auch diejenigen, die ihr Geld in einen Fonds für Altersvorsorge angelegt haben. Nein, das muss am richtigen Ort tun, nämlich in den Banken selber und in den Sicherungssystemen der Banken.

Sorgen Sie sich vor der nächsten Finanzkrise?

Ja, aber als Optimist glaube ich auch, dass sie zu verhindern ist.

Wie viel Zeit bleibt?

Ich glaube nicht, dass viel mehr als zweieinhalb Jahre bleiben.

Wolfgang Gerke (66) ist seit 2006 Präsident des Bayerischen Finanz Zentrums. Seine Aufgabe ist es dabei, Wissenschaft und Finanzwirtschaft zu vernetzen. Die Voraussetzung dafür erwarb er sich seit seiner Habilitation 1978 an der Universität Frankfurt/Main. Anschließend war er Professor für Banken- und Finanzwesen an den Universitäten Passau, Mannheim und Nürnberg-Erlangen. Der gebürtige Cuxhavener versteht es, komplexe Sachverhalte anschaulich zu erklären. Gerke war auch Mitherausgeber der Fachzeitschrift „Die Betriebswirtschaft“.

MOZ-Interview…

Westerwelles Wissen stammt aus Sandalenfilmen

Guido Westerwelle hat mit einem einzigen Begriff Aufregung in die Sozialstaatsdebatte gebracht. Im Zusammenhang mit der Hartz-IV-Problematik sprach der Vizekanzler von „spätrömischer Dekadenz“. Andreas Oppermann hat sich über den Begriff und die Tradition der Untergangsbeschwörung mit dem Schriftsteller Gerhard Henschel unterhalten.

Herr Henschel, Sie haben ein Buch über Dekadenz geschrieben, warum?

Gerhard Henschel: Ich habe mich oft über Widersprüche zwischen Biografie und Thesen von Apokalyptikern amüsiert.

Es ist schon spannend, dass zu allen Zeiten der Niedergang gepredigt wurde.

Die gute alte Zeit wurde immer als Zeit beschworen, in der alles schicklich und sittlich zugegangen sei. Wir kennen alle die Rede von der Jugend von heute, die angeblich viel schlechter sei als die von damals. Aber dieses Damals lässt sich historisch nie ermitteln, weil jede Generation eine solche schriftliche Überlieferung hinterlassen hat. Es wurde immer gleich angeklagt.

Das heißt, es gibt gar keinen Niedergang?

Es gab sicher Zeiten, in denen das gestimmt haben mag, zumindest teilweise. Es hängt aber davon ab, was man unter Niedergang versteht. Wenn Leute einen Niedergang darin zu erkennen glauben, dass wir jetzt einen homosexuellen Außenminister haben, sieht das ganz anders aus, als wenn Menschen den Niedergang der Tischmanieren beklagen oder das Ausmaß der Umweltzerstörung als Symptom des Verfalls meinen.

Spüren Sie persönlich Niedergang?

Ich selbst bin nicht ganz frei von kulturpessimistischen Anwandlungen. Vor etwa 30, 40 Jahren lag in vornehmen Hotels die „Bild“-Zeitung nicht aus. Und zwar einfach aus Anstand. Das hat sich gründlich geändert.

Ist die Rede vom Niedergang mit dem Verweis auf Dekadenz immer politisch?

Der Verweis kann politisch sein, aber auch gesellschaftskritisch oder theologisch. Und es gibt sicherlich viele Apokalyptiker, die sich gegenseitig überhaupt nicht ausstehen können, weil sie genau in entgegengesetzten Entwicklungen den Niedergang erkennen.

Es ist aber neu, dass Liberale wie Guido Westerwelle zu Apokalyptikern werden.

Ja, er klagt ja die spätrömische Dekadenz an. Ich weiß nicht, was Guido Westerwelle über die spätrömische Dekadenz weiß. Ich vermute allerdings, er kennt sie hauptsächlich aus Sandalenfilmen, vielleicht aus Quo vadis, in dem Peter Ustinov den Nero verkörperte. Ich fand die Replik Heiner Geißlers sehr hübsch, der darauf hinwies, dass im dekadenten Rom tatsächlich ein Esel zum Konsul ernannt worden sei und wir jetzt einen Esel als Außenminister hätten.

Der Verweis auf angebliche Dekadenz ist doch immer ein Akt der Restauration. Wie passt das zu Liberalen?

Erstaunlicherweise hat gerade Guido Westerwelle von der sexuellen Liberalisierung und der Entkriminalisierung der Homosexualität profitiert. Es ist tatsächlich erstaunlich zu erleben, in wessen Horn er jetzt tutet.

War ihm das bewusst?

Dafür kenne ich Herrn Westerwelle nicht gut genug. Was ihm auf alle Fälle gelungen ist, ist das Anzetteln einer breiten und munteren Debatte. Vielleicht wollte er sich einfach auch nur ins Gespräch bringen. Wenn es darum gegangen ist, war sein PR-Gag erfolgreich.

Gab es Zeiten, wo der Hinweis auf Verfall nicht greifen konnte, weil eine Aufbruchstimmung alles überdeckte?

Der beklagte Verfall ist immer präsent. Die Frage ist natürlich: Wie hat er gewirkt? Es gab weder im Mittelalter noch in der frühen Neuzeit oder gar in der Antike Meinungsforschungsinstitute, mit deren Ergebnissen sich das beurteilen ließe. Aber wenn die Kirchenväter predigten, dass die Sitten im grauenhaften Verfall befindlich seien, wird es die Gemeinde vermutlich schon geglaubt haben.

Historiker wissen, dass Dinge, die besonders oft verboten wurden, offensichtlich be- sonders gern praktiziert wurden.

Ja, allerdings. Es ist ja so: Das, was verboten ist, macht uns gerade scharf. Die stetige Erneuerung des Verbots der Heirat und des Beischlafs zwischen Juden und Christen durch die frühen Kirchenkonzile deutet natürlich darauf hin, dass diese Gesetzgebung verhältnismäßig erfolglos gewesen ist. Sonst wäre sie nicht ständig erneuert worden.

Der Verweis auf Dekadenz ist ein Kampfbegriff, um sich abzugrenzen. Ist er deshalb auch gleich gefährlich?

Man sollte sich hüten, zu einfältig mit kulturpessimistischem Gedankengut zu hantieren. Allzu oft sind die Kulturpessimisten vom Gang der Dinge widerlegt worden. Aber es gibt auch Ausnahmen: Wer beispielsweise 1938 einen Weltuntergang aus politischen Gründen vorhergesagt hätte, der hätte wahrlich mehr als Recht behalten.

In der Auseinandersetzung um Zuwanderung und Migration sind viele kulturpessimistische Argumente zu hören. Dort geht es um Christen und Muslime.

Man erkennt in den apokalyptischen Reden mancher muslimischer Fundamentalisten genau das gleiche Muster wider, wie jene, die von den Kirchenvätern bemüht wurden. Im Prinzip deckt es sich alles durchaus. Jedenfalls so weit es sich auf die Vermutung bezieht, dass der Weltuntergang wegen sexueller Libertinage bevorstehe.

Erringt die Warnung vor dem Untergang leichter die Meinungshoheit als eine realistische Sicht der Dinge?

Die Erfahrung zeigt, dass diejenigen, die propagandistisch auf die Tube drücken, in der Regel größeren Anklang bei den Massen finden als die nüchternen Zeitdiagnostiker. Da hat sich manches sicherlich zum Besseren verändert. Ein Schreihals, wie Adolf Hitler beispielsweise, hätte heutzutage in Deutschland vermutlich nur wenige Anhänger, die er um sich scharen könnte. Da hat sich durchaus etwas verändert.

Gerhard Henschel (48) ist Schriftsteller und Übersetzer. Er war Redakteur des Satiremagazins „Titanic“ und machte sich als Autor der Bücher „Kindheitsroman“ und „Jugendroman“ einen Namen. Bekannt wurde er auch durch eine Satire über das Geschlechtsteil des „Bild“-Chefredakteurs Kai Diekmann in der „Tageszeitung“. Diekmann verklagte ihn erfolglos auf 30 000 Euro Schmerzensgeld. Henschels aktuelles Buch heißt „Menetekel – 3000 Jahre Untergang des Abendlandes“.

MOZ-Interview…

Mehr über Bücher der Anderen Bibliothek

Chinesischer Öldurst treibt den Preis auf bis zu 250 Dollar

Der Erdölpreis beeinflusst die Inflation. Im Dezember belief sich die Inflationsrate auf 0,9 Prozent. Preistreiber waren Ölprodukte: Superbenzin war 16,2 Prozent teurer als 2008, Heizöl 4,4 Prozent. Andreas Oppermann hat mit Otto Wiesmann, Ölmakler an der New Yorker Warenterminbörse, über den zukünftigen Ölpreis gesprochen. Herr Wiesmann, der Ölpreis hat in den wenigen Tagen dieses Jahres Kapriolen geschlagen. Erst war er recht hoch, jetzt sinkt er gerade. Was ist los? Otto Wiesmann: Das ist einfaches Marktverhalten. Der Preis ist in kurzer Zeit um 16 Dollar gestiegen. Einem so starken Preisanstieg folgen immer Gewinnmitnahmen. Zudem sind die Bestände, vor allem in den USA, voll. Öl ist eigentlich genug vorhanden.

Liegt das Öl auf Halde?

Teilweise liegt Erdöl tatsächlich auf Tankern in den Weltmeeren auf Halde. Das ist aber nur vorübergehend der Fall.

Müssen wir mit steigenden Preisen rechnen?

Vor allem langfristig. China ist auf großer Einkaufstour auf den Rohstoffmärkten. Allein in den vergangenen beiden Jahren ist der Autobestand pro 1000 Chinesen von 24 auf 40 Fahrzeuge gestiegen.

Also fast eine Verdoppelung in zwei Jahren.

Aber China liegt mit diesen 40 Fahrzeugen auf 1000 Bürger noch weit unter westlichen Durchschnitt. Bei uns liegt er bei gut 500 Fahrzeugen pro 1000 Bürger. Da wollen die Chinesen hin. Wenn der Fahrzeugbestand nur auf 120 steigt, also auf weniger als nur ein Viertel unseres Bestandes, dann klettert der chinesischen Importbedarf pro Tag auf bis zu 16 Millionen Barrel.

So gesehen spielt der relativ kalte Winter derzeit keine Rolle bei der Preisbildung?

Der Winter hier ist nicht ganz so wichtig, Nach wie vor sind die USA der Hauptabsatzmarkt für Erdöl. Pro Bürger verbraucht das Land 25 Barrel am Tag. Dieser Wert sinkt aber zurzeit dramatisch. Anhand der Zweitwährung der USA wird das deutlich. Neben dem Dollar gibt es in den USA auch noch Essensgutscheine. Mehr als 34 Millionen US-Bürger bekommen diese. Das sind mehr als elf Prozent der Bevölkerung. An dieser enormen Zahl lässt sich ablesen, wie stark die USA in der Rezession stecken. Deshalb sinkt der Ölverbrauch in den USA so stark; im vergangenen Jahr um 60 Millionen Tonnen!

Das müsste den Ölpreis doch stabilisieren?

Auf der einen Seite sinkt der Verbrauch wie in den USA oder auch bei uns in Deutschland. Aber in den Schwellenländern steigt er eben. Und das wird stärker ins Gewicht fallen. Indien hat derzeit einen Pro-Kopf-Verbrauch von 0,76 Barrel und China einen von 1,98 Barrel. Damit stehen Indien und China ganz am Anfang einer Entwicklung, die Erdöl benötigt. In diesen beiden Ländern mit insgesamt 2,5 Milliarden Menschen wird der Ölverbrauch in den nächsten Jahren dramatisch steigen.

Ist diese Entwicklung zwangsläufig oder ließe sie sich verhindern?

Jeder Mensch hat Wünsche und Träume. Auch Inder und Chinesen wollen Kühlschränke, Fernseher und Autos. Schon deshalb wird der Verbrauch dort steigen, wie in den anderen Schwellenländern auch.

Damit erübrigen sich Gedanken über den Klimaschutz doch eigentlich?

Das darf man so nicht sehen. Der CO 2 -Ausstoß kommt vor allem aus Kraftwerken. Wenn die westlichen Industrieländer bis 2050 rund 80 Prozent des Kohlendioxid-Ausstoßes einsparen wollen, dann geht das nur, wenn keine neuen Kohlekraftwerke gebaut und bestehende stillgelegt werden. Das Erdöl ist zwar wichtig, aber im Verhältnis nicht ganz so bedeutend.

Aber dieser neue Durst nach Erdöl in den Schwellenländern führt auf jeden Fall zu einer Verknappung.

Das ist richtig. Schon jetzt erschöpfen sich die großen Erdölfelder. Die Fördermengen der großen Ölfelder schrumpfen um 7,9 Prozent pro Jahr. Es gibt sogar Staaten wie den Jemen, die fast kein Öl mehr haben. Von den Vereinigten Arabischen Emiraten wissen wir, dass die Fördermenge drastisch sinkt. 1990 gab es weltweit noch 15 Ölfelder, die täglich mehr am eine Million Barrel Erdöl abgaben. Heute gibt es nur noch zwei mit einer solch hohen Fördermenge: Burgan in Kuwait und Ghawar in Saudi-Arabien. Das ist wie bei einer Zitrone: Je stärker man presst, umso eher ist sie leer.

Dann können die Milliarden Inder und Chinesen doch gar nicht so viel Öl verbrauchen?

Das hängt vom Preis ab. Sicher ist, dass der Westen in Zukunft wesentlich weniger verbrauchen kann.

Wie wirkt sich Ihre Prognose auf Raffinerien wie in Schwedt aus?

Für sie wird die Zukunft schwer. Der Ölverbrauch wird bei uns sinken. Spätestens in 20 Jahren wird die Hälfte der Autos elektrisch betrieben werden. Dazu kommen die mit Hybridmotoren.

Erdöl spielt nicht nur im Verkehr eine zentrale Rolle, sondern auch in der Chemie.

Die deutsche Chemieindustrie hat bereits angekündigt, sich vom Erdöl entfernen zu wollen. Das ist möglich. Wir könnten uns zudem vollständig von fossilen Energieträgern trennen.

Wie entwickelt sich der Preis, wenn sich die Wirtschaft dieses Jahr tatsächlich erholt?

Der Markt wird 2010 sehr stark schwanken; zwischen 60 und 100 Dollar pro Barrel.

Setzt sich dieser Trend in den nächsten fünf Jahren fort?

Die starken Schwankungen werden bleiben. Aber sie bewegen sich wohl zwischen 60 und bis zu 250 Dollar pro Barrel.

Wann müssen wir wieder mit den Höchstpreisen von 120 bis 140 Dollar wie im Jahr 2008 rechnen?

Das wird schon im Jahr 2011 wieder der Fall sein.

Bei welchem Preis sollte man seinen Erdöltank füllen?

Wenn der Preis sich wieder den 70 Dollar pro Barrel annähert. Dann sind Heizölpreise von 50 Cent netto möglich. Dann lohnt es sich, den Tank zu füllen.

Otto Wiesmann (54) ist seit 20 Jahren Ölhändler an der Warenterminbörse Nymex in New York. Dafür muss er nicht in den USA arbeiten. Sein Schreibtisch steht in Neu Isenburg bei Frankfurt/Main. Der gebürtige Bayer ist Referent und Gastdozent an Hochschulen. 2009 erschien sein Buch „Change Peak Oil“ im Finanzbuchverlag.

MOZ-Interview…