Michael Ebmeyer sortiert Schwarz-Rot-Gold bei der WM

Michael Ebmeyer: Das Spiel mit Schwarz-Rot-GoldHeute wehen sie wieder überall: die Fahnen in schwarz-rot-gold. Selbst 1990, als Deutschland das letzte mal Weltmeister wurde, gab es das in dieser Form nicht. Trotz „Wir sind ein Volk“ und deutscher Einheit war die deutsche Fahne damals noch nicht selbstverständlich. Der Autor Michael Ebmeyer hat dieses Phänomen in einem Essay beleuchtet. Und wirklich Erhellendes dazu geschrieben.

Für Ebmeyer waren deutsche Fahnen in den 80er-Jahren genauso fremd wie mir. Wer sich damit zeigte, stellte ein seltsam zurückgewandtes Weltbild zur Schau. Noch heute wirkt auf ihn die schwarz-rot-gold-selige Beflaggung nicht unbedingt sympathisch. Aber Ebmeyer verharrt nicht in solchem Denken. In seinem schlauen Büchlein sucht er, was der gerade heute wieder zu erlebende Umgang mit dem Staats-Symbol wohl bedeutet. Natürlich findet er rechte Dumpfbacken. Aber er erinnert auch daran, wann und wo sich die schwarz-rot-goldene Ausgelassenheit beim Fußball eingestellt hat. Das war erstmals bei der WM 2002 in Berlin. Und dann 2006 natürlich in Berlin und dem ganzen Land. Es waren vor allem Migranten, die sich mit der deutschen Fahne als Teil eines Landes präsentierten, das schon viel weiter war, als es viel politisch Verantwortlichen noch wahrhaben wollten.

Es waren diejenigen in der bunten Republik, die in der multikulturellen Nationalelf eine Möglichkeit zur Identifikation mit ihrer eigenen Heimat, mit Deutschland entdeckten. Und die dies genauso auslebten, wie mit ihren türkischen oder anderen Bezügen. Nämlich durch das Zeigen der Flagge. Ebmeyer schafft es, dies alles in einen Kontext zu stellen, der tatsächlich den Fußball und seine Identifikationskraft in den Mittelpunkt stellt. Dabei scheut er auch nicht davor zurück, Adorno in Frage zu stellen und Luhmann als theoretisches Rüstzeug zur Argumentation heranzuziehen. Und ist in diesem schmalen Bändchen ein intelligenter Essay zu lesen, der Spaß macht. Und nachdenklich. Und Hoffnung darauf, dass dieses schwarz-rot-gold vor allem eins nicht mehr ist: rückwärts gewandt und spießig. Sondern links, weltoffen und multikulti.

Michael Ebmeyer: Das Spiel mit schwarz-rot-gold. Kein & Aber, 7,90 Euro.

Der Trafikant ist das beste Buch von Robert Seethaler

Robert Seethaler: Der Trafikant
Robert Seethaler: Der Trafikant

Die Phase, in der aus Buben in der Provinz junge Männer werden, hat es Robert Seethaler angetan. In „Die weiteren Aussichten“ erzählte er von Herbert Szevko, der mit seiner resoluten Mutter eine Tankstelle am Rande der Landstraße führt – und der aus dieser Enge ausbricht. Getragen von der Liebe in eine junge ungestüme Frau. In „Jetzt wird’s ernst“ bricht ein Junge aus der Enge des väterlichen Friseursalons in die faszinierende Welt des Theaters auf; natürlich auch aus Liebe. Und in seinem neuen Roman „Der Trafikant“ geht es um Franz aus dem Salzkammergut, der aus dem Fischerhäuschen am Rande des Sees von seiner Mutter nach Wien geschickt wird, um bei einem Trafikanten zu lernen.

Im Laden dieses Zeitungs- und Tabakhändlers entdeckt er die Welt durch die bedruckten Seiten. Die ist in den Jahren 1937 und 1938 alles andere als ruhig. Wien taumelt dem Ende der Unabhängigkeit entgegen. Der „Anschluss“ kommt, Nazis übernehmen die Macht, beschmieren den Trafik. Die Gestapo verhaftet den Chef und ermordet ihn schließlich.

Franz nimmt das alles wahr, aber ihn treibt die Liebe zu einer Cabaret-Tänzerin, die ihn verführt, verlässt und sich dann auf einen Nazi einlässt. Halt findet der junge Held in diesen verwirrenden und sich so radikal verändernden inneren und äußeren Umständen bei Sigmund Freud. Der kauft in dem Trafik seine Zigarren. Dem Franz gelingt es, mehrfach mit Freud zu sprechen und letztlich zu erleben, wie er sein Wien am Westbahnhof verlässt, um ins Exil zu gehen.

Robert Seethaler formt aus der Mannwerdung einen Roman voller Humor und Tragik, der dennoch nie lächerlich wird. Angesichts der Zeit, in der der Roman spielt und Sigmund Freunds ist das allein schon eine große Leistung. Wie Seethaler Freuds Traumdeutung, den Niedergang Österreichs und den naiven Blick von Franz mit dem weisen Freuds kombiniert, das ist große Literatur. Von Buch zu Buch wird Seethaler ernsthafter, ohne dabei seine Leichtigkeit zu verlieren. „Der Trafikant“ ist sein bestes Buch. Bisher.

Robert Seethaler: Der Trafikant; Kein & Aber

Bei Truman Capote bekommen die Opfer handgeschnitzte Särge

Truman Capote: Handgeschnitzte Särge
Truman Capote: Handgeschnitzte Särge

In einem vergessenen Ort der USA geschehen Morde. Die Opfer werden auf ihr Ende vorbereitet: Der Täter schickt ihnen handgeschnitzte Särge. Die Polizei ermittelt über Jahre. Und Truman Capote ist immer wieder vor Ort. Das ist der Stoff des kleinen Büchleins „Handgeschnitzte Särge – Tatsachenbericht über ein amerikanisches Verbrechen“.

Der Band aus der schönen Truman-Capote-Reihe bei „Kein & Aber“, die wie die berühmten Moleskine-Notizbücher in Größe und Aufmachung aussieht, enthält eine seltsame Geschichte. Nicht nur, dass die Rolle des Beobachters Capote durch etliche Alkohol-Abstürze in einer wirren Art geschildert wird.

Der Polizist verrennt sich in dem Fall. Er hat eine Ahnung, wer der Täter ist. Und er will ihn unbedingt überführen. Doch trotz seiner jahrelanger Anwesenheit wird sogar in seiner direkten Umgebung gemordet. Diese Situation erzeigt einen seltsamen Lesesog. Man muss wissen, was passiert. Noch dazu, weil uramerikanische Motive eine Rolle spielen. Aber am Ende plätschert das Buch aus. Das liegt am tatsächlichen Fall. Aber auch daran, dass Capotes Exzesse ihm offenbar die Kraft nahmen, ein klares Ende zu formulieren. Dennoch sind die ersten 120 der 156 Seiten es allemal wert, sich vom Exzentriker Capote einnehmen zu lassen.

Robert Seethaler erfindet einen bizarr-realen Bildungsroman

Diese Geschichte ist eigentlich ganz banal. Da wächst ein Bub in der Provinz auf, versucht sich und die Welt zu begreifen und scheitert an ihr. Bis er das Theater für sich entdeckt und mit ihm seine Rolle in der Welt.

Was sich wie eine knappe Inhaltsangabe von Goethes „Wilhelm Meister“ liest, fasst das neue Buch von Robert Seethaler zusammen. „Jetzt wirds ernst“ ist sein dritter Roman. Vor allem der Vorgänger „Die weiteren Aussichten“ war ein Erfolg. Genauso wie der darauf basierende Fernsehfilm „Die andere Frau“, für den Seethaler mit Dem Grimme-Preis ausgezeichnet wurde.

Seethaler ist ein Meister lakonischer Sätze, die nicht sofort ihre Wirkung entfalten. Die Summe der simplen Beobachtungen erzeugen eine Stimmung, die jeder in seiner Pubertät erlebt hat. Denn davon handelt der Roman vor allem. Er schildert, wie aus einem Baby, das bei einer Sturzgeburt das Licht der Welt erblickte, ein Junge wird, der die Schule seltsam findet und in der Pubertät langsam zu sich selbst findet. Insofern ist der Vergleich zu Wilhelm Meister ein guter. Nur dass Seethalers Bildungsroman viel humorvoller und direkter ist.

Der Titel „Jetzt wird ernst“ beschreibt eigentlich das Ende des Buches. Bis dahin ist für den Jungen natürlich auch alles ernst. Der Tod der Mutter, die Mitarbeit im väterlichen Friseursalon, die erste unglückliche Liebe oder die Versagensangst vor dem ersten Auftritt auf der Theaterbühne. Doch richtig ernst wird es halt erst, wenn man erwachsen ist und sich der Welt richtig stellen kann.

Robert Seethaler gelingt es, alle seine Figuren mit echter Zuneigung zu schildern. Selbst unangenehme Personen wirken nicht abstoßend. Sie sind ein Teil des Lebens und schon deshalb auch gut. Seinen eigentlichen Helden, aus dessen Ich-Perspektive der Roman geschrieben ist, begleitet er mit Herzlichkeit und Frische. Angesichts der vielen Fettnäpfchen, die das langsame Erwachsenwerden so mit sich bringt, ist das gar nicht so einfach. Genau diese Spannung trägt den Roman und macht ihn zu einem großen Lesegenuss.

Robert Seethaler: Jetzt wird’s ernst. 303 Seiten, Kein & Aber, 19,90 Euro

MOZ-Rezension…

Yishai Sarids Thriller erschüttert israelisches Selbstverständnis

Der Nahostkonflikt zieht sich nun schon seit mehr als 60 Jahre hin. Sowohl bei Palästinensern als auch bei Israelis hat er tiefe Furchen in die Wahrnehmung des Anderen gezogen. Der Israeli Yishai Sarid (45) erforscht in seinem Thriller „Limassol“ genau diese Verwerfungen.

Sarid war Offizier der israelischen Armee. Sein Geschäft dabei war die Nachrichtenbeschaffung und Auswertung. Anschließend hat er Jura studiert und als Staatsanwalt und Anwalt gearbeitet. Seine Kenntnisse und Erfahrungen prägen auch seine Hauptfigur, einen auf Selbstmordattentäter spezialisierten Schabak-Mitarbeiter. Für ihn ist das wichtigste, Anschläge zu verhindern. Dafür schreckt der Ich-Erzähler weder vor Folter bei den Verhören noch Mord zurück.

Er und seine Kollegen beim Geheimdienst fühlen sich im Recht. Das wird auch von der Staatsanwaltschaft normalerweise so gesehen. Vertuschung von Gewalt an palästinensischen Häftlingen ist Alltag. Doch in dieser Atmosphäre der Gewalt und gleichzeitigen Gewaltverhinderung verändert sich der Ich-Erzähler. Seine Ehe geht in die Brüche. Ihm fehlen die Worte, um seiner Frau zu erzählen, was ihn beschäftigt. Und selbst wenn er reden könnte, dürfte er es nicht.

In dieser Verfassung wird er auf Daphna angesetzt. Die Friedensaktivistin hat Kontakt zu einem palästinensischen Schriftsteller, der an Krebs erkrankt ist. Dessen Enkel wiederum ist ein wichtiger Planer von Selbstmordattentaten. Indem er über Daphna dafür sorgt, dass der alte Mann eine vernünftige Behandlung in einem israelischen Krankenhaus bekommen kann, erhofft er sich, an den Sohn zu kommen – und ihn auszuschalten. Oder besser gesagt: zu erschießen.

Der Mann vom Schabak verliebt sich in Daphna. Sie erwidert die Gefühle. Der Dichter ist ein feiner Mann, der keinem Feindbild entspricht. Und so kommen die Grenzen zwischen Gut und Böse ins Rutschen. Gewissheiten lösen sich auf. Selbstverständlichkeiten werden zu Fragen über Leben und Tod.

Yishai Sarid schildert dies alles ohne große Aufregung. Die Ungeheuerlichkeit der plausiblen Geschichte sorgt für die Spannung. Der Stress des Ich-Erzählers bestimmt die Atmung des Lesers. Die Ratlosigkeit angesichts des Konflikts bleibt natürlich. Aber ein ganz kleines bischen besser kann man ihn nun verstehen.

Yishai Sarid: Limassol. Kein & Aber: 16,90 Euro

MOZ-Rezension…

Auf der Flucht vor dem Leben

Ilan Heitner: Liebe und anderer Schlamassel
Ilan Heitner: Liebe und anderer Schlamassel

Eine Mischung aus Tagebuch und Erinnerungen schreibt der Israeli Amir im Roman „Liebe und anderer Schlamassel“ von Ilan Heitner auf. Nach einem Wirtschaftsstudium macht er sich von Tel Aviv auf den Weg, um in New York ein Filmstudium anzuschließen. Dabei lernt er seine große Liebe Philly kennen. Doch die eigenartige Beziehungsunfähigkeit der beiden zerstört das Glück.

Ilan Heitner hat vieles aus seinem Leben in den Roman gepackt. Das Buch gleicht deshalb manchmal einer Therapiesitzung. Und doch liegt darin auch der Reiz. So bietet sich ein authentischer Blick auf die Gefühlslage der Israelis zwischen 30 und 40, die in Hedonismus, Sex und einem guten Trip die Erfahrungen aus der Armeezeit und die Bedrohung durch den Terror betäuben. Im Roman sind solche Momente nur am Rand Thema, aber sie wirken nach.

Das Dilemma zwischen den Ansprüchen an ein freies Leben und den Zwängen Israels lässt sich nur durch Flucht bewältigen. Für Amir ist auch die Beziehung zu Philly eine solche, die keine dauerhafte Perspektive bieten kann.

Heitners Roman ist sprachlich teilweise derb und so kompromisslos, wie die Sucht nach Sex, die Amir umtreibt. Kein Buch für nebenbei, aber lesenswert.

Ilan Heitner: „Liebe und anderer Schlamassel“, Kein & Aber, Zürich 2009, 288 S., 18,90 Euro

Harry Rowohlts wahrhaftige Kolumnen

Handlich ist das Buch und griffig sind die Texte. Harry Rowohlts neuer Kolumnen-Band sammelt Texte aus der „Zeit“, die zwischen 1997 und 2009 erschienen waren. Prägnant sind sie noch immer. Das ist der beste Beweis dafür, dass Rowohlt, der in Irland lebende Übersetzer, Satiriker und Gelegenheitsdarsteller in der Lindenstraße nicht nur genau hinschauen kann.

Vor allem kann er das Erlebte so auf den Punkt bringen, dass es mehr als nur einen Augenblick wahrhaftig bleibt. Und was den Band noch besser macht: Die Texte sind auch noch witzig.

Harry Rowohlt: „Pooh’s Corner“, Kein & Aber, Zürich 2010, 288 S., 19,90 Euro

Gehobener Klatsch

Truman Capote: Marilyn & Co.
Truman Capote: Marilyn & Co.

Der Zürcher Verlag Kein & Aber hat ein schönes Format entwickelt: Echte Taschenbücher, die an die Art der Moleskin-Notizbücher angelehnt sind. „Nach Frühstück bei Tiffany’s“ von Truman Capote ist jetzt ein Band mit gehobenem Klatsch von ihm erschienen. Die Mischung aus Reportagen und persönlichen Erinnerungen an Begegnungen mit Elisabeth Taylor, Marilyn Monroe, Marlon Brando und vielen anderen ist eine Fundgrube an geistreichen Porträts echter Stars.

Diese Momentaufnahmen zeigen die Leinwandgrößen als normale Menschen, die zwischen Ruhm und der Sehnsucht nach echten Freunden einfache Freuden suchen. Große Texte im kleinen Format.

Truman Capote: „Marilyn & Co – Begegnungen mit Marilyn Monroe, Marlon Brando, Elizabeth Taylor und vielen anderen“, Kein & Aber, Zürich 2009, 170 Seiten, 14 Euro

Ein Logistiker im Liebesrausch

Michael Ebmeyer: „Der Neuling“
Michael Ebmeyer: „Der Neuling“

Das Leben von Matthias Bleuel ist nicht gerade aufregend. Als sich ihm die Chance zum wenigstens kurzfristigen Ausbrechen aus dem Alltagstrott bietet, fürchtet er zunächst die Veränderung. Vielleicht ist das eine notwendige Eigenschaft, um als Logistiker bei einem Versandhaus in Baden-Württermberg zu arbeiten. Bleuels Bewegungsunfähigkeit wird erst erschüttert, als seine Ex sich wieder einmal über ihn beschwert.

Um vor ihr wegzulaufen, nimmt er das Angebot seines Chefs an, nach Sibirien zu reisen, um eine Auszeichnung für die aktivste Bestellagentur des Versandhauses im Ausland zu überreichen. Die Reise nach und in Sibirien verändert ihn vollständig. Aus dem biederen 40-Jähigen mit Bauchansatz wird ein verzauberter Liebender, der einer singenden, schorischen Schamanin verfällt und sich nicht mehr von Sibirien lösen kann.

Diese Handlung ist natürlich absurd. Michael Ebmeyer hält die Geschichte in einem Schwebezustand, der zwischen Ironie und romantischem Traum flirrt. So wird die Verwandlung des trockenen Logistikers in einen heißen, im Liebesrausch über sich hinauswachsenden Romantikers zu einem schönen Buch über die alles sprengende Kraft der Liebe. Wer beim Lesen träumen und lachen will, der ist bei Michael Ebmeyer richtig.

Michael Ebmeyer: „Der Neuling“, Verlag Kein & Aber, Zürich 2009, 19,90 Euro.

Welcome to your brain – Ein Hörbuch übers Gehirn faszniert

Okay, ganz ohne lateinische Fachbegriffe kommen Sandra Aamodt und Samuel Wang nicht aus. Aber die beiden Neuro-Wissenschaftler benutzen sie nur, wenn es gar nicht anders geht. Und für diesen Fall steht im Booklet des Hörbuchs sogar ein kleines Lexikon. Ansonsten konzentrieren sie sich ganz auf das Erklären.

Sie schaffen es, uns unser Gehirn so verständlich zu machen, dass wir ständig staunen: Wie wir unsere Umwelt wahrnehmen, wie aus elektrischen Impulsen Bilder im Kopf entstehen, wie Kleinkinder Sprache erlernen. All das erklären die beiden Autoren mit viel Humor. So gelingt es ihnen, dass wir etwas von der Einzigartigkeit unserer Wahrnehmung begreifen.

Sandra Aamodt / Samuel Wang: WELCOME TO YOUR BRAIN. 4 CD GELESEN VON OLIVER ROHRBECK. KEIN & ABER, 19,90 EURO