Ignazio Silone erzählt in Fontamara vom Widerstand gegen den Faschismus

Ignazio Silone: FontamaraIn Fontamara, einem fiktiven Bergdorf der Abruzzen, herrscht Armut. Die Cafoni, die Bergbauern, kämpfen in de späten 1920er-Jahren um ihre Existenz, weil die kleinen Grundstücke nicht genug Ertrag abwerfen. Außerdem hält der Kapitalismus in Person eines römischen Geschäftsmannes Einzug in die noch immer feudal geprägte Region.

Das ist der Hintergrund vor dem Ignazio Silones Debüt-Roman aus dem Jahr 1930 spielt. Silone war zu diesem Zeitpunkt im Exil in der Schweiz. Zuvor hatte er im Untergrund gegen Mussolinis Faschisten gearbeitet. „Fontamara“ spielt in der Heimat Silones, der selbst Sohn von armen Bergbauern war. Aus der Sicht eines Cafone schildert er, wie sich der Faschismus in der Region und im Dorf immer weiter ausbreitet. Erst kommt ein Kaufmann aus Rom, der sich Schritt für Schritt nicht nur die Ernten der Bauern sichert, sondern auch die gesamte Wertschöpfungskette der Agrarprodukte. Mit dem wirtschaftlichen Erfolg wächst auch der politische Einfluss, vor allem, weil er auch Faschist ist. Schließlich wird er dann sogar Bürgermeister.

Für die Bauern aus Fontamara ist das eine Katastrophe. Denn jetzt bemächtigt er sich des Wassers, das schon immer die Felder von Fontamara bewässert hat. Alle Versuche dagegen zu protestieren laufen ins Leere und führen am Ende dazu, dass junge faschistische Schläger das Dorf überfallen, brandschatzen, Frauen vergewaltigen und auch vor Mord nicht zurückschrecken. All das erzählt Silone aus der Sicht des Bauern, dessen Frau und dessen Sohns. Dadurch wird eine erstaunliche Nähe erzeugt. Das inzwischen so ferne Geschehen ist auch heute noch fesselnd. Vor allem auch, weil neben des Konflikts der Bauern mit dem kleinstädtischen, faschistischen Bürgermeister auch die Geschichte des aufkeimenden und tatsächlichen Widerstands vor allem anhand eines jungen Mannes erzählt wird. Das ist alles stimmig und noch immer lesenswert. Nicht nur, wenn man selbst in den Abruzzen ist und stets vor Augen hat, wie hart die Arbeit für die Bergbauern früher gewesen sein muss.

Der Rienzi der Deutschen Oper besticht durch Optik

Rienzi im Führerbunker vor der Kamera und live für seineUntertanen auf der Leinwand
Rienzi im Führerbunker vor der Kamera und live für seine Untertanen auf der Leinwand (S. 33 des Programmhefts).

In der Deutschen Oper ist Rienzi durch und durch ein Faschist. Die gesamte Inszenierung ist in schwarz-weiß gehalten, ganz so, wie wir die Bilder vom italienischen und spanischen Faschismus kennen – und natürlich von den deutschen Nationalsozialisten. Regisseur Philipp Stölzl hat Hitlers Lieblingsoper zur Parabel über dessen Aufstieg und Fall gemacht. Ein gewagtes Unterfangen, das Richard Wagner nicht unbedingt gerecht wird. Und dennoch überzeugt das gesamte Stück in Stölzls Interpretation, wenn man es nur für sich anschaut und sich vollkommen darauf einlässt.

„Nullnummer“ von Umberto Eco ist ein Ärgernis

Umberto Eco: NullnummerBislang habe ich mich auf jeden Roman von Umberto Eco gefreut. Als ich von „Nullnummer“ hörte, war ich neugierig und voller erfreuter Anspannung. Aber jetzt, nachdem ich den Roman gelesen habe, bin ich richtig enttäuscht. Zum einen ist das Buch mit seinem Plot nicht wirklich gut. Vor allem aber ist die Botschaft des Textes ein echtes Ärgernis. Umberto Eco liefert eine Anleitung, mit der alle Pegidisten und sonstigen Demokratiefeinde ihre „Lügenpresse“-Rufe begründen können. Denn im Kern sind Zeitungen ein Mittel, um mit Lügen politische, ökonomische oder kulturelle Akteure erpressen zu können. Wahrheit oder kritischer Dialog in einer pluralistischen Öffentlichkeit spielen dabei keine Rolle.

Umberto Eco erzählt die Geschichte einer Zeitungsredaktion, die ein Jahr Zeit hat, um an Nullnummern zu arbeiten. Diese will der Eigentümer verwenden, um auf Verantwortliche in Politik und Verwaltung Druck aufzubauen. Denen will er mit den Nullnummern zeigen, was er bewirken könnte, wenn er eine Zeitung hätte. Und deshalb ist die Zeitung darauf aus, mehr zu erzählen, als in den Abendnachrichten schon bekannt war. Das lässt sich mit Nullnummern natürlich gut machen. Vor allem, wenn diese nicht aktuell produziert werden, sondern nachträglich. Aber die Methoden dafür sind dennoch nicht redlich. Ziel des Chefredakteurs ist es, Menschen bloß zu stellen und das Vertrauen in sie zu erschüttern. Mit den Mitteln des Boulevards ist das kein Problem. Das alles wäre als Plot ganz nett, wenn nicht der Eindruck erweckt würde, letztendlich arbeiten alle Zeitungen so. Ganz so, wie es sich die rechten Demokratiefeinde mit ihren Rufen von der „Lügenpresse“ zu meinen glauben.

Die zweite Geschichte, die Umberto Eco erzählt, ist die des Fortlebens faschistischer Strukturen in Italien nach dem 2. Weltkrieg. Es geht dabei um die Loge P2 und die Geheimdienstaktionen von Gladio. Eco behandelt die Frage, ob Mussolini doch überlebt hat und mit Hilfe der Kirche nach Argentinien entkommen konnte. Das alles ist nichts Neues. Alles hat er schon in seinen Kolumnen behandelt. Und andere italienische Schriftsteller haben den Stoff der Nachkriegs-Verstrickungen auch schon behandelt. Insofern findet sich in „Nullnummer“ auch nicht Überraschendes.

Vielleicht mag all das für den heimischen, italienischen Lesemarkt von Interesse sein. Da verfangen auch die Analogien zum Presseimperium Silvio Berlusconis. Aber – und das ist wirklich ärgerlich – Umberto Eco entwirft ein ganz und gar miserables Bild von Medien, Gesellschaft und Politik. Nur im privaten Glück zweier am Projekt Nullnummer beteiligten Journalisten scheint etwas Positives auf. Zweisamkeit also als Ausflucht aus einer vollständig korrumpierten Welt, in der es nicht den Hauch einer funktionierenden Presse, eines gesellschaftlich sinnvollen politischen Engagements gibt. Das ist allerdings arg wenig. Die recht logische Konstruktion des Buches, in dem mit Vergangenheiten, Gegenwarten und Zukünften gespielt wird, wiegt das Ärgernis über Second-Hand-Verarbeitung des Nachkriegsstoffes und die grundsätzlich fatalistische Gesamtaussage nicht auf – auch wenn Burkhart Kroeber einen guten deutschen Text erzeugt hat.

 

Blindlings führt Claudio Magris in die Abgründe des 20. Jahrhunderts

Claudio Magris: Blindlings
Claudio Magris: Blindlings

Dieser Monolog über mehr als 400 Seiten ist Buchstabe für Buchstabe Atem raubend. Die Erinnerung von Salvatore Cippico, dem Sohn eigenes italienischen Australienauswanderers und einer tansanischen Mutter, der die großen Kämpfe zwischen Faschismus und Kommunismus als treuer und moskauhöriger Genosse des 20. Jahrhunderts kämpfte, ist ein Selbstfindungs- und Erkenntnisprozess, der die großen politischen Ideen mit dem Leid des einzelnen Menschen konfrontiert und dieses auf jene zurückführt. „Blindlings“ von Claudio Magris macht sprach- und atemlos.

Zentraler Ort des Leids und des Verrats, den Cippico erlebt ist das jugoslawische KZ Titos auf der Todesinsel Goli Otok. Hier wird der Italiener gefoltert und misshandelt, weil sich Titos Kommunisten von Stalins Kommunisten lossagen. Cippico war mit tausenden italienischen Arbeitern aus Monfalcone bei Triest nach dem zweiten Weltkrieg nach Fiume/Rijeka gegangen, um in den Werften den Aufbau eines kommunistischen Staates zu unterstützen. Und das, obwohl Tito Zehntausende Italiener aus Istrien und Dalmatien vertrieben hatte. All diese historischen Umstände stimmen genauso wie der spanische Bürgerkrieg, die Deportation von Partisanen in deutsche KZ während der Besatzung. Was Magris daraus anhand seiner Figur formt ist eine historische Wahrheit, die bestürzt. Auch und vor allem, weil sie mit Aspekten und Leid konfrontiert, die in Deutschland, aber auch im Heimatland des Autors, in Italien, ausgeblendet werden, vergessen sind.

Der Monolog von Salvatore Cippico bewegt sich an der Grenzlinie von Wahnsinn und klarer Erinnerung. Angelesene Geschichten aus der Zeit der Besiedlung Tasmaniens verschwimmen mit eigenen Erinnerungen. Konstanten sind die Kerker und Gefängnisse und Arbeitslager und KZ. Aber auch der Glaube, egal ob im 19. Jahrhundert an Gott oder im 20. an die Partei. Und natürlich ist dieser Glaube blindlings, nicht nachdenkend, sondern antreibend – und immer gehorsam. So wird aus dem Gedankenstrom von Erinnerung, Erlebtem und Erdachtem ein literarisches Mahnmal gegen genau dieses Glauben an alles erklärende Ideologien.

Claudio Magris kommt aus, lehrt und schreibt in Triest. das Schicksal der Vertriebenen aus Istrien uns Dalmatien ist ihm sehr vertraut. Seine Frau Marissa Madieri ist als Kind Opfer dieser Umsiedlung Titos geworden. Dass Kommunisten, die sich als Vertreter einer Internationalen verstanden, diesen unmenschlichen Wahnsinn nicht nur mitmachten, sondern initiierten, arbeitet er mit den Mitteln der Literatur eindringlich heraus, ohne die Motive des einzelnen, einfachen Genossen zu diskreditieren. Ein unfassbarer Roman, der sich der Form des Schelmenromans bedient, sie aber in ihr Gegenteil verkehrt. Denn der Schelm lädt den Leser hier nie zum Lachen ein, sondern immer nur zum Verzweifeln und zum Frieren ob der Brutalität zu der Menschenfähig sind.

Boris Pahor schreibt über die Unterdrückung der Slowenen in Italien

Boris Pahor: Piazza Oberdan
Boris Pahor: Piazza Oberdan

Boris Pahor ist einer von den Schriftstellern, von denen ich bis vor kurzem nichts wusste. Ein Mann aus der Mitte Europas, der ein wichtiges literarisches Werk geschrieben hat. Aber ein Slowene und damit ein Angehöriger eines Volkes, das in Deutschland kaum zur Kenntnis genommen wird. Noch immer orientieren wir uns ja viel stärker in Richtung Westen als nach Osten.

Karl-Markus Gauß ist da anders. Der Österreicher hat schon immer einen offenen Blick in die slawische Welt, nach Zentraleuropa, wo einst die Österreichische Doppelmonarchie vom Vorarlberg bis in die heutige Ukraine herrschte. Das heute italienische Triest war 1913 auch Teil dieses Vielvölkerstaates. Damals wurde Boris Pahor dort geboren. Damals gab es auch ein slowenisches Kulturhaus in der Stadt. Denn die slowenische Minderheit wurde von den Österreichern zumindest respektiert.

Nach dem 1. Weltkrieg hat sich das geändert. Unter italienischer Herrschaft hatten es die Minderheiten sehr viel schwerer. Und spätestens als Mussolini mit seinen Faschisten die Macht in Italien übernahm, war es erklärtes Ziel des Staates, die Minderheiten zu italienisieren. Und damit auch die Familie Pahor. In seinem Buch „Piazza Oberdan“ beschreibt er das alles sehr intensiv. Denn in der Nähe des Platzes ist er aufgewachsen. An diesem Platz stand der „Narodny Dom“, das Kulturhaus der Slowenien in Triest, in dem der kleine Boris seine ersten Kulturveranstaltungen erlebte. Und an diesem Platz war später die Zentralen der Gestapo, in deren Keller Boris Pahor inhaftiert war.

Pahor wählt für dieses Buch, das er erst in sehr hohem Alter schrieb, eine Mischung aus Essai, Autobiografie, Erzählungen und historischen Beschreibungen. Das erzeugt eine ungeheure Dichte, die manche Zeilen beklemmend macht. Etwa wenn von dem slowenischen Mädchen berichtet wird, das von seinem italienischen Lehrer an seinen Zöpfen aufgehängt wurde, weil es seine Muttersprache benutzte. Oder wenn er von seinem Gewissensbissen berichtet, weil er sich nicht für den bewaffneten Widerstand gegen Faschisten und deutsche Nazis berufen fühlte. Und sprachlos macht auch, wenn Pahor erzählt, dass die Opfer der Minderheiten in Italien bis heute nicht gewürdigt oder ihrer Opfer gedacht wird.

Ich bin froh, dass ich „Ruhm am Nachmittag“ von Karl-Markus Gauß gelesen habe. Nicht nur weil es ein gutes Buch ist, sondern weil ich dort auf seine Empfehlung von Boris Pahor gestoßen bin. „Piazza Oberdan“ wird nicht das einzige Buch von ihm bleiben.