Türen in Vasto

Vasto hat alles, was Italien-Urlaubern das Herz öffnet. Eine wunderbar erhaltende Altstadt, die hoch über dem Meer liegt. Endlos lange Strände an der Adria. Alte Kirchen, ein Schloss mit Museum, nächtliches Leben in den Fußgängerzonen. Pizzerien und Restaurants mit herrlichem Blick über das Meer. Usw. usw.

Man weiß gar nicht, wohin der Blick schweifen und wo er verweilen soll. Und so sind es die Details, die sich in die Erinnerung brennen. Wie zum Beispiel die Türen. Allein deren Anblick zeigt, wie viele Häuser leer stehen, wer in ihnen wohnt oder wie die Räume dahinter genutzt werden. So vielfältig wie die Gestaltung der Türen.

Das Ende der Postkarten

Postkarten

Vorbei. Die Zeit der Postkarten ist vorbei. Gut 150 Jahre nachdem die ersten verschickt wurden und gut 120 Jahre nachdem mit der Ansichtskarte Bilder aus allen Städten und Orten Europas verschickt werden konnten, sterben sie aus. Selbst da, wo viele Menschen Urlaub machen, drängen sie sich nicht mehr auf. Konnte man vor einigen Jahren gar nicht an ihnen vorbeigehen, so sind sie heute kaum noch zu finden. In Ortona und entlang der Küste der Abruzzen etwa führen sie Supermärkte gar nicht mehr. In Souvenier-Läden gibt es sie noch. Und in einigen anderen kleinen Läden. Aber die Auswahl ist sehr eingeschränkt. Die Vielfalt früherer Zeiten ist passé. Je enger das WLAN geknüpft ist, umso weniger dieser bedruckten Rechtecke aus der Vergangenheit gibt es. Die Handykamera und WhatsApp haben sie verdrängt. Und somit werden sie in einigen Jahrzehnten auch kaum noch als historische Dokumente des Alltagslebens existieren. Schade für Sammler. Und traurig für all jene, die mit nostalgischen Gefühlen den geschriebenen Gruß der Verreisten gern aus dem Briefkasten geholt haben. In Instantfotos mit dem Handy können das nicht kompensieren.

Crecchio feiert sich und Byzanz

Historisches Fest in Crecchio

In Crecchio verlangen sie keinen Eintritt. Jeder darf über das historische Stadtfest schlendern. Aber mit dem Essen und dem Trinken wird es dann doch schwer. Denn wer in dem Ort in den Abruzzen richtig mitfeiern will, der muss sich eine Garnitur Geschirr für vier Euro kaufen. Dann bekommt er die Gerichte, die schon die Byzantiner in dem Städtchen zu sich nahmen.

Gegessen werden die Eintopfgerichte mit dem Holzlöffel. Dazu gibt es Brot. Für acht Euro wird der Teller gefüllt. Und das so, dass man satt werden kann. Der Becher Wein – weiß oder rot – kostet einen Euro. Und Wasser kommt aus den Brunnen, die auch zum Abwaschen des Geschirrs gedacht sind. Denn das sollte man unbedingt tun. Nur dann kann man ja einige Meter weiter das nächste Gericht zu sich nehmen. Das ganze Fest ist über die kleinen Plätze entlang der beiden Straßen im historischen Kern Crecchios angelegt. Und zwar nach dem Motto: Vorspeisen, erstes Gericht, zweites Gericht und Nachtisch. Wein gibt es natürlich überall.

Eine erstaunlich simple und doch schöne Idee, um die Besucher zum Essen und Trinken zu animieren. Und damit zur Geselligkeit. Denn natürlich wird überall an Bierbänken gesessen. Selten allein, denn die Straßen und Plätze füllen sich abends immer mehr. Noch um 22.oo Uhr stehen Besuche an, um sich ihre Papiertüte mit Geschirr zu kaufen. Und so sitzt man, trinkt man und freut sich über die Szenen der Darsteller, die das Leben der Spätantike oder des frühen Mittelalters in die die Gassen bringen. Das sind Gaukler, Patrouillen, Schwertkämpfe, Artisten, Stelzenläufer und Gefangenentransporte in Käfigkugeln.

Das alles ist einladend, freundlich und unterm warmen Sternenhimmel Ende Juli auch überhaupt nicht kitschig. Das Reactment wirkt authentisch. Es findet überall statt, ist aber dennoch nicht aufdringlich. Wer nur feiern will, der kann sitzen und den guten Wein der Region trinken. Ein wirklich schönes Fest, das jeder mitfeiern sollte, der Ende Juli in den Abruzzen zwischen Ortona und der Majella ist.

 

Faszinierende Abruzzen-Saga von Dacia Maraini

Dacia Maraini: Gefrorene TräumeAm Anfang steht eine verschwundene junge Frau in den Abruzzen. Und eine Ich-Erzählerin, die als Autorin von diesem Thema so gepackt wird, dass sie sich ihm nicht mehr entziehen kann. Dacia Maraini hatte also keinen Krimi geschrieben, als sie „Gefrorene Träume“ vorlegte. Das Buch ist eine große Familiensaga aus den Abruzzen – und ein Roman übers Schreiben.

Dem Buch tut genau dieser Teil nicht gut. Er lenkt von der großen Geschichte ab. Von den Wurzeln der Colomba Minna, der verschwundenen jungen Frau, die bis ins 19. Jahrhundert nach Sizilien und immer wieder in das Bergdorf in der Nähe von Avezzano reicht. Diese ist an sich wunderbar erzählt. Wobei sie auch immer wieder mythisch aufgeladen wird. So entsteht ein Dickicht aus Bezügen, die auch die historische Dimension der Landschaft aufgreift. Die verbinden in den Wäldern der abruzzischen Berge den Kampf der Marser gegen die Römer mit der Gegenwart genauso wie die zwei Jahrzehnte Faschismus und die deutsche Besatzung.

Das ist schon arg viel, was der Leser da an Ebenen, Zeitbezügen und Erzählperspektiven im Blick haben muss. Insofern ist der Roman überfrachtet. Aber die eigentliche Familiensaga ist spannend, erzählt von der archaischen Gesellschaft in Italien und den Umbrüchen in den vergangenen 120 Jahren. Maraini weiß um die Armut,den Glauben, die Zwänge, denen die Frauen ausgesetzt waren. Sie hat im Blick, wie sich existenzielle Erfahrungen über Generationen vererben. Und sie kann packend davon erzählen, wie in einem Dorf die informellen Kommunikationsformen das Leben dominieren. Die Abruzzen, diese immer wieder von Erdbeben geschüttelte Hochgebirgslandschaft, bringt sie dem Leser so sehr nahe.

Aber dafür muss man sich eben auch durch die unsägliche Geschichte des Schreibens durchkämpfen. Und leider auch immer wieder verwirren lassen. Etwa wenn die Lust an literarischen Bezügen mit Maraini durchgeht. Das hat dann schon etwas von Bildungshuberei. Und dennoch kann einen das Buch auch packen, dann will man wissen, wie sich die Geschichte von Großmutter Zaira und ihrer verschwundenen Enkelin weiter entwickelt. Vor allem aber ist man neugierig auf ihren Vater, der vor den Faschisten nach Australien flüchtete, oder auf die starken Frauen. Ein Buch also, dass man in den Abruzzen sehr gut lesen kann. Ich Eichwalde aber, würde ich es zügig weglegen.

Ignazio Silone erzählt in Fontamara vom Widerstand gegen den Faschismus

Ignazio Silone: FontamaraIn Fontamara, einem fiktiven Bergdorf der Abruzzen, herrscht Armut. Die Cafoni, die Bergbauern, kämpfen in de späten 1920er-Jahren um ihre Existenz, weil die kleinen Grundstücke nicht genug Ertrag abwerfen. Außerdem hält der Kapitalismus in Person eines römischen Geschäftsmannes Einzug in die noch immer feudal geprägte Region.

Das ist der Hintergrund vor dem Ignazio Silones Debüt-Roman aus dem Jahr 1930 spielt. Silone war zu diesem Zeitpunkt im Exil in der Schweiz. Zuvor hatte er im Untergrund gegen Mussolinis Faschisten gearbeitet. „Fontamara“ spielt in der Heimat Silones, der selbst Sohn von armen Bergbauern war. Aus der Sicht eines Cafone schildert er, wie sich der Faschismus in der Region und im Dorf immer weiter ausbreitet. Erst kommt ein Kaufmann aus Rom, der sich Schritt für Schritt nicht nur die Ernten der Bauern sichert, sondern auch die gesamte Wertschöpfungskette der Agrarprodukte. Mit dem wirtschaftlichen Erfolg wächst auch der politische Einfluss, vor allem, weil er auch Faschist ist. Schließlich wird er dann sogar Bürgermeister.

Für die Bauern aus Fontamara ist das eine Katastrophe. Denn jetzt bemächtigt er sich des Wassers, das schon immer die Felder von Fontamara bewässert hat. Alle Versuche dagegen zu protestieren laufen ins Leere und führen am Ende dazu, dass junge faschistische Schläger das Dorf überfallen, brandschatzen, Frauen vergewaltigen und auch vor Mord nicht zurückschrecken. All das erzählt Silone aus der Sicht des Bauern, dessen Frau und dessen Sohns. Dadurch wird eine erstaunliche Nähe erzeugt. Das inzwischen so ferne Geschehen ist auch heute noch fesselnd. Vor allem auch, weil neben des Konflikts der Bauern mit dem kleinstädtischen, faschistischen Bürgermeister auch die Geschichte des aufkeimenden und tatsächlichen Widerstands vor allem anhand eines jungen Mannes erzählt wird. Das ist alles stimmig und noch immer lesenswert. Nicht nur, wenn man selbst in den Abruzzen ist und stets vor Augen hat, wie hart die Arbeit für die Bergbauern früher gewesen sein muss.

Welche Bücher kommen mit in den Urlaub?

UrlaubslektüreJedes Jahr das gleiche Problem. Ungelesene Bücher stapeln sich. Da liegen aktuelle Romane, historische Texte und politische Literatur. Aber sind das die richtigen Bücher für den Urlaub? Sind sie zu schwer? Und haben sie irgendetwas mit dem Reiseziel zu tun?

Auf dem zweiten Stapel liegen Bücher, die in den Abruzzen spielen oder von Autorinnen und Autoren sind, die im Gebirge in der Mitte Italiens geboren wurden. Und Bücher, die Italien als Thema in der Gegenwart und der Geschichte haben. Aber liest sich das besser, wenn man auf die Adria blickt? Oder auf die Fast-3000er der Abruzzen?

Jedes Jahr sind es die gleichen Fragen, die bis zum letzten Moment nicht entschieden werden. Aber in meinem Kopf ist das die entscheidende Frage vor dem Urlaub. Aber entschieden wird sie erst auf den letzten Drücker. Ich bin selbst gespannt, welcher Stapel es wird.