Er heißt nur der Krutzler. Niemand spricht anders von dem Mann, der die Wiener Unterwelt zusammen mit seinen Freunden in den Jahren nach dem 2. Weltkrieg beherrscht. Der Krutzler ist der, um den sich alles dreht. Er selbst hat so schwere Knochen, dass Leichtigkeit gar nicht zu ihm passt. Deshalb ist er auch im Zentrum – und seine Freunde, seine Geschäfte, seine Opfer drehen sich alle um ihn. Der Krutzler hat zwar Menschen auf dem Gewissen, aber vom Mordvorwurf wird er immer frei gesprochen. Denn er handelt nur aus Notwehr – selbst wenn die Notwehr gar keine ist.
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Sven Regener lässt Herrn Lehmann keine Ruh
Dieser Humor läuft sich nicht tot. Wer schon nach „Herr Lehmann“ dachte, so etwas amüsantes lässt sich nicht fortsetzen, wurde schon mit „Neue Vahr Süd“ eines besseren gelehrt. „Der kleine Bruder“ war auch köstlich. Und jetzt das: „Wiener Straße“. Ein Roman über die Zeit, die zwischen Herrn Lehmanns Zeit in Bremen und Ende der 1980er-Jahre liegt.
Sven Regener hat sich seine Helden noch einmal angeschaut und überlegt, was sie so in der Zeit dazwischen getrieben haben könnten. Wir erleben sie in der Wiener Straße, natürlich in Kreuzberg, wo Herr Lehmann und Chrissie eine WG mit Karl Schmidt und H.R.Ledigt begründen wollen. Und auf der Suche nach Geld sind. Herr Lehmann putzt dafür. Chrissie will unbedingt bei Onkel Erwin Kächele in der Kneipe bedienen. Karl Schmidt tut das schon und will das verhindern. H.R.Ledigt widmet sich seiner Kunst. Im November 1980 rücken sie in die Wohnung über dem Café ein – und sehen nichts. Denn die Wohnung ist vollkommen schwarz gestrichen. Der Vormieter war wohl lichtscheu. Die Nachmieter aber sind eher arbeitsscheu.
Ignazio Silone erzählt in Fontamara vom Widerstand gegen den Faschismus
In Fontamara, einem fiktiven Bergdorf der Abruzzen, herrscht Armut. Die Cafoni, die Bergbauern, kämpfen in de späten 1920er-Jahren um ihre Existenz, weil die kleinen Grundstücke nicht genug Ertrag abwerfen. Außerdem hält der Kapitalismus in Person eines römischen Geschäftsmannes Einzug in die noch immer feudal geprägte Region.
Das ist der Hintergrund vor dem Ignazio Silones Debüt-Roman aus dem Jahr 1930 spielt. Silone war zu diesem Zeitpunkt im Exil in der Schweiz. Zuvor hatte er im Untergrund gegen Mussolinis Faschisten gearbeitet. „Fontamara“ spielt in der Heimat Silones, der selbst Sohn von armen Bergbauern war. Aus der Sicht eines Cafone schildert er, wie sich der Faschismus in der Region und im Dorf immer weiter ausbreitet. Erst kommt ein Kaufmann aus Rom, der sich Schritt für Schritt nicht nur die Ernten der Bauern sichert, sondern auch die gesamte Wertschöpfungskette der Agrarprodukte. Mit dem wirtschaftlichen Erfolg wächst auch der politische Einfluss, vor allem, weil er auch Faschist ist. Schließlich wird er dann sogar Bürgermeister.
Für die Bauern aus Fontamara ist das eine Katastrophe. Denn jetzt bemächtigt er sich des Wassers, das schon immer die Felder von Fontamara bewässert hat. Alle Versuche dagegen zu protestieren laufen ins Leere und führen am Ende dazu, dass junge faschistische Schläger das Dorf überfallen, brandschatzen, Frauen vergewaltigen und auch vor Mord nicht zurückschrecken. All das erzählt Silone aus der Sicht des Bauern, dessen Frau und dessen Sohns. Dadurch wird eine erstaunliche Nähe erzeugt. Das inzwischen so ferne Geschehen ist auch heute noch fesselnd. Vor allem auch, weil neben des Konflikts der Bauern mit dem kleinstädtischen, faschistischen Bürgermeister auch die Geschichte des aufkeimenden und tatsächlichen Widerstands vor allem anhand eines jungen Mannes erzählt wird. Das ist alles stimmig und noch immer lesenswert. Nicht nur, wenn man selbst in den Abruzzen ist und stets vor Augen hat, wie hart die Arbeit für die Bergbauern früher gewesen sein muss.
Angelika Klüssendorf begleitet April in den Westen
„Das Mädchen“ hat jetzt einen Namen. April nennt sie sich. Und genauso heißt der Roman von Angelika Klüssendorf, mit dem sie es auf die Shortlist für den Deutschen Buchpreis geschafft hat. April, diese Wort klingt nach Frühling und nach Extremen, nach Schnee und Badewetter in einem, nach Frieren und Schwitzen, nach Unzuverlässigkeit und Überraschungen. Insofern passt dieser Name sehr gut zur Hauptperson des aktuellen Romans von Angelika Klüssendorf, in dem sie „Das Mädchen“ fortsetzt.
„Das Mädchen“ von Angelika Klüssendorf ist ein Meisterwerk der Reduktion
Das Mädchen hat keinen Namen. Nur ein „Ich“ der Erzählerin. Die Geschwister und die Freunde des Mädchens dagegen haben Namen. und damit etwas ganz entscheidendes für die Definition von Individualität. Angelika Klüssendorf arbeitet sich in ihrem Roman „Das Mädchen“ am Schicksal dieses Mädchens ab. Kein Wunder, ist das Leben des Mädchens doch die autobiografische Vorlage für das Buch.