Alles zur RAF auf 1400 Seiten

Wolfgang Kraushaar: Die RAF und der linke Terrorismus
Wolfgang Kraushaar: Die RAF und der linke Terrorismus

47 Autoren hat Wolfgang Kraushaar auf den 1400 Seiten seines zweibändigen Werks „Die RAF und der linke Terrosrismus“ versammelt. Damit wird es sicher zum Standardwerk über die Geschichte der RAF und des linken Terroismus in Deutschland.

Kraushaar und seinen Autoren gelingt es, das Phänomen RAF genau zu ergründen. Es gibt Porträts der wichtigsten Täter. Überblicke über Organisation, Attenatate und Ziele der RAF und lesenswerte Einordnungen des deutschen Terrorismus in den internationalen
in der Vergangenheit und der Gegegwart. Was fehlt, ist der Blick der Opfer auf die Terroristen. Dennoch: Wer fundiert und gut verständlich über dieses Kapitel deutscher Geschichte informiert werden will, muss zu diesem Buch greifen.

WOLFGANG KRAUSHAAR (HG.): DIE RAF UND DER LINKE TERRORISMUS,
2 BÄNDE. HAMBURGER EDITION. 78 EURO.

Diese Rezension ist am 26. März 2007 in 20cent erschienen.

Battle in Heaven – Passion zwischen Sex und Mord

Wie aus einer anderen Welt gefallen, wirkt der ganze Film. Obwohl es um Kindesentführung, Mord und Sex geht, schwebt Battle in Heaven in einer metaphysischen, religiösen Welt. Weil Marcos und seine Frau davon träumen, zur Mittelschicht zu gehören, entführen sie ein Kind. Mit dem Lösegeld wollen sie ein besseres Leben bezahlen. Der Preis dafür ist hoch: Das Kind stirbt.

Marcos sucht Trost bei der Tochter seines Chefs. Daraus entsteht ein merkwürdiges Abhängigkeitsverhältnis, indem Anna versucht, Marcos zu dominieren. Der Film ist eine konsequente filmische Umsetzung einer Pilgerfahrt ins Jenseits. Selbst die sehr
deutlichen Sex-Szenen dienen nicht der Erzeugung von Lust beim Zuschauer, sondern sie führen zu einer Auflösung der Realität. Das verstört extrem. Und ist ein Experiment mit der Gefühlswelt des Zuschauers.

Johnny Cash in Schwarz-Weiß

Johnny Cash (1932 bis 2003) war einer der ganz Großen. Nach Durststrecken schaffte er ein Comeback, das junge Hörer genauso faszinierte wie alte Country-Fans. Der Comic-Zeichner
Reinhard Kleist setzt Cash mit einer Biografie ein Denkmal.

Auf 200 Seiten macht sich der Zeichner auf die Erkundung eines Mythos. Eigentlich müsste so ein Versuch scheitern. Denn der Platz reicht nicht, um ein langes Leben von allen Seiten zu beleuchten. Aber genau das macht Kleist auch nicht. Er konzentriert sich auf die Aspekte im Leben Johnny Cashs, die ihn charakterisieren. Dabei bleibt Kleist nicht auf der Oberfläche anekdotischer Belanglosigkeiten. Er nähert sich dem CountryStar, der von vielen klassischen Country-Fans wegen seiner Lebenseinstellung nicht geachtet wurde, über ein Schlüsselerlebnis.

1968, auf der Höhe seines Erfolgs, spielte Johnny Cash zwei Konzerte in einem Knast.  Johnny Cash Live At Folsom Prison wurde ein Verkaufsschlager. Der Country-Sänger im schwarzen Anzug verkaufte mehr Alben als die Beatlesin den USA. Das besondere an Folsom Prison war ein Song. Den hatte ein Häftling geschrieben. Cash bekam ihn kurz vor seinem Gig. Und interpretierte ihn mit so viel Verständnis für die dunkle Seite des Lebens, die alle
Inhaftierten kannten und alle Hörer in sich ahnten, dass er Gänsehaut erzeugte.

Folsom  Prison wird von Kleist zu einem zentralen Ereignis im Leben Johnny Cashs gemacht. Von hier aus zeichnet er Rückblenden in die Kindheit, seine Zeit als Soldat in Deutschland und den Start der Musiker-Karriere. Von hier aus blickt er aber auch in die Zukunft. Bis hin zum alten Johnny Cash, der mit seinen American Recordings mit Jack Rubin als Produzenten ein bislang einmaliges Alterswerk aufnimmt.

Reinhard Kleist liefert mit seiner Interpretation des Lebens von Johnny Cash einen wichtigen Baustein. Der Comic ist schwarz-weiß gezeichnet. Etwas anderes würde
für den Mann im schwarzen Anzug auch nicht passen. Damit schafft Kleist eine Ästhetik, die Cash angemessen ist – und besser als jede TV-Doku ist.
REINHART KLEIST: CASH – I SEE A DARKNESS. COMIC-BIOGRAFIE. CARLSEN COMIC. 14 EURO.

Das Pop-Requiem des Ex-Punks Rocko Schamoni

Ein Mann wird alt. Und wir dürfen dabei sein! In unsere Gehörgänge rotzt er seinen Zorn über die Jugend, zu der er doch selber einst gehörte. Rocko Schamoni (40) hat ein Alter erreicht, in dem Auf-Jung-Machen nur noch peinlich ist.

Dessen ist sich der einstige Dorfpunk (so der Titel seines Romandebüts vor zwei Jahren) bewusst. Und deshalb blöckt er jetzt: „Ihr seid Jugendliche / Ihr seid fertig drauf / Ihr seid stolz und hässlich“ und weiter „Ihr seid dumm und glatt / Ihr seid reich und sportlich / Ihr
tragt Army-Klamotten“. Dieser Jugend könne man das Schicksal der Welt nicht anvertrauen!

Rockos Blick ist unerbittlich. Natürlich spielt er in diesem Song wie in den anderen mit der Erwartungshaltung und den Klischees vom Alt-Werden und Jung-Sein. Das macht er auf seine einmalige Art. In Deutschland gibt es keinen vergleichbaren Ex-Punk, der mit den Mitteln der Popmusik seine Wahrheiten so unters Volk bringt.

Seine Botschaften dieser letzten CD, die seit gestern in den Regalen steht, erinnern an die Tiger Lillies. Seine Musik und seine Stimme sind allerdings gegenwärtiger. Seine Präsenz schreit danach, sich nicht aufs Altenteil zurückzuziehen. Es wäre zu schade, wenn er verstummt.

Dennis DiClaudio ist ein Genuss für kleine und große Hypochonder

Es sind nur 45 Krankheiten, die uns Dennis DiClaudio vorstellt. Für ein Lexikon ist das eigentlich viel zu wenig. Wer sich schon einmal mit Harald Schmidts Lieblingsbuch, dem Pyschrembel, vergnügt hat, dem mag das kleine und dünne Werk also  zwergenwüchsig vorkommen. Oder schmalbrüstig.

Doch mehr als die 200 Seiten DiClaudios wären tatsächlich gesundheitsgefährdend. Denn die medizinische Aufklärung macht nur einen Teil des Werkes aus. Die Kommentare, hier Prognose genannt, sind der für das Zwerchfell problematische Kern. Sie können zu Verkrampfungen und damit verbundenen Atembeschwerden führen. Ruckzuck wird so aus vermeintlicher Hypochondrie ein ernsthaftes Leiden.

Dennis DiClaudio: DER KLEINE HYPOCHONDER. DVA. 29,95 EURO.

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Kategorisiert in Bücher

Ingke Brodersen und Rüdiger Dammann erzählen die Geschichte der Juden in Deutschland

Die Geschichte der Juden in Deutschland wird sehr stark auf die Vertreibung und Vernichtung durch die Nazis reduziert. Aber Juden leben schon seit 2000 Jahren hier. Ingke Brodersen und Rüdiger Dammann haben auf 220 Seiten eine kurze Geschichte im Überblick geschrieben.

Sie gehen natürlich auf die Entwicklung des Antisemitismus ein. Aber sie zeigen auch, wie Juden und Christen friedlich zusammenlebten. Und sie machen deutlich, welche wichtige Rolle viele Juden bei der wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Entwicklung Deutschlands spielten. Ein gut geschriebenes, leicht verständliches und unverzichtbares Buch.

Brodersen/Dammann ZERRISSENE HERZEN – GESCHICHTE DER JUDEN IN DEUTSCHLAND. FISCHER VERLAG. 19,90 EURO.

Orhan Pamuk langweilt mit seinen Erinnerungen an Istanbul

Es gibt Bücher, die soll man lesen. Viele Kritiker behaupten das von Orhan Pamuks „Istanbul“. Es ist ja das erste Buch, das auf Deutsch erschienen ist, seit der Mann aus Istanbul Literaturnobelpreis-Träger ist. Aber wie im richtigen Leben, so ist es auch hier: Nicht alles, was man soll, ist auch sinnvoll.

Die knapp 400 Seiten hätten ohne Probleme auch auf 250 bis 300 gepasst. Die strenge Chronologie entlang Pamuks autobiografischen Verlaufs sorgt für stete Wiederholungen. Und mit Verlaub: Das langweilige Leben des wohlhabenden Orhan Pamuk ist auch kein Stoff für dicke Bücher. Insgesamt ist das schade. Denn Pamuk kann schreiben – und Istanbul ist eigentlich eine spannende Stadt.

Orhan Pamuk: ISTANBUL – ERINNERUNGEN AN EINE STADT. HANSER VERLAG. 25,90 EURO.

Parsua Bashi zeichnet die Nylon Road ins Exil

Ein Comic über Vertreibung und Exil ist nach wie vor selten. Die Iranerin Parsua Bashi (40) hat mit ihrer autobiografischen Novelle „Nylon Road“ ein wunderbares Buch gezeichnet und geschrieben.

Parsua Bashi war 37 Jahre alt, als sie den Iran verließ. Seit 2004 lebt die Grafikerin in Zürich. Diesen Bruch hat sie auf den 127 Seiten von „Nylon Road“ verarbeitet. Und das mit viel Humor und einem gezielten Strich für das Wesentliche. Sie schildert ihr Leben aus der Perspektive der in die Freiheit geflohenen Frau. Das schafft sie ohne jedes Pathos, weil sie sich selbst immer wieder konfrontiert.

Im Buch unterhält sie sich mit der jungen Parsua, die sich dagegen sträubt, dass ihre Brüder und viele Freunde und Verwandte nach der Machtergreifung der Mullahs 1979 den Iran verlassen. Sie will doch in ihrer geliebten Heimatstadt Teheran bleiben. Die junge Parsua macht der Exilantin Vorwürfe. Sie habe das Land – und damit sich selbst – verraten. Noch härter werden die Selbstvorwürfe, als sie von der Scheidung von ihrem Mann – und von ihrem Kindes erzählt. Denn da sie den selbstgefälligen Mann, der ihr sogar den Kontakt zur eigenen Familie verbot, der ihr die geliebte Arbeit untersagte und sie zu Hause einschloss, nicht mehr ertragen konnte, wagte sie die Scheidung.

Im Iran von heute bedeutet das den Verzicht auf die eigenen Kinder. Denn eine Frau, die sich scheiden lässt, ist bei den muslimischen Machos nicht vorgesehen. Parsua Bashi kehrt ihr Innerstes nach außen. Dabei wahrt sie dennoch Distanz. Sie beleuchtet die Gründe, die für ein Leben im Iran sprechen. Und sie macht unmittelbar erlebbar, was sich junge Menschen in Deutschland gar nicht vorstellen können: die Verhaftung der jungen Frau, nur weil sie zusammen mit einem jungen Mann Farben einkauft; das Getuschel nach der Scheidung; die soziale Ausgrenzung, nur weil sie eigenverantwortlich leben will.

„Nylon Road“ moralisiert nicht. Die gezeichnete Novelle macht das Dilemma des Exils, die Schwierigkeiten beim Einleben im Westen und die Sehnsucht nach dem Teheran der Jugend ganz real erlebbar.

PARSUA BASHI: NYLON ROAD – EINE GRAPHISCHE NOVELLE. KEIN & ABER. 19,90 EURO.

Der Ölpreis steigt dieses Jahr kontinuierlich an

Otto Wiesmann (52) ist seit 1989 Brooker für Öl-, Benzin und Heizölfutures über die New Yorker Rohstoffbörse. Er glaubt, dass der Ölpreis derzeit nur ein Zwischentief einlegt und bald wieder steigt. 20cent sprach mit ihm.

Herr Wiesmann, vor einem Jahr sagten Sie für Herbst 2006 einen Preis von 89 Dollar pro Barrel Öl voraus. Jetzt liegt er unter 50.
Wir hatten glückliche Fügungen. Zum ersten Mal seit Jahren gab es keinen gewaltigen Hurrikan in den USA. Und am Tag, an dem der Libanon-Krieg begann, wurde eine Pipeline durch Georgien eröffnet.
Aber das erklärt doch nicht, dass der Preis jetzt relativ niedrig ist. Doch, weil weitere Pipelines fertig wurden. Dadurch gibt es mehr
Sicherheit beim Absatz. Ein weiterer Sondereffekt hängt mit der Spekulation in Öl ab. Im Moment laufen viele Termingeschäfte aus. Wer Longpositions hat, muss sie jetzt verkaufen. Das drückt den Preis und ist ausnahmsweise ein positiver Effekt für den Kunden.
Der Ölpreis bleibt 2007 moderat? Das glaube ich nicht. Alles deutet auf einen kontinuierlichen Preisanstieg hin. Der Öldurst Chinas, Indiens und vieler anderer Staaten treibt die Preise sicher hoch.
Müssen wir Angst vor der Achse Chavez – Achmadineschad haben? Die beiden produzieren gewaltige Ölmengen. Wenn diese Länder die Förderung drosseln, steigt der Preis automatisch.
Ist uns Russland da eine Hilfe? Wir kaufen schon den Großteil
unseres Öls in Russland. Deshalb sitzt Russland bei allen möglichen Konflikten am längeren Hebel.
Gibt es kein Mittel gegen diese Ölabhängigkeit? Doch: Rein in die erneuerbaren Energien. Da hat die Bundesregierung bisher ganz klar versagt.
Und was raten Sie dem Hausbesitzer zum Heizen? Mittel- und langfristig hilft nur weg von fossilen Brennstoffen. Die Preise für Holzpellets sind stark gestiegen, aber Hackschnitzel-Heizungen sind günstiger und fürs Klima gut. Erdwärme und Biogas-Anlagen sind weitere Alternativen.
Wo steht der Ölpreis Ende 2007? Ich sage nur, dass er sicher deutlich höher liegen wird als zu Anfang 2007.
Es fragte Andreas Oppermann

Hader muss weg

Hader muss weg
Hader muss weg

Da verschlägt es einem glatt das Lachen: Als sieben verschiedene Figuren kommt Josef Hader in seinem aktuellen Programm „Hader muss weg“ auf die Bühne. Jetzt ist es endlich als DVD erschienen.

Zu sehen sind ein unsympathischer Kabarettist, ein selbstgefälliger Zuschauer, ein faschistoider Tankstellenbesitzer, eine osteuropäische Pseude-Nutte und ihr Zuhälter, ein abgehalfterter Barmusiker und die Ex des dämlichen Zuschauers. Es geht um Mord, um Kabarett, die Nazi-Vergangenheit, um steuerhinterzogene Euros und immer wieder um die Frage nach der Moral.

Hader muss weg ist ein furioser Schnitt ins Leben des neuen Jahrtausends. Hader selbst ist imposant und ungeheuer aktiv. Sein Spiel verschlägt dem Zuschauer die Sprache. Und in vielen guten Momenten auch das Lachen!