Von der Gewalt im US-Mittelstand

Nur 24 Stunden beobachtet der deutsche Regisseur Holger Ernst (35) den Alltag in einer typischen US-Kleinstadt. Es ist genau der Tag, den der Mike (Joe Petrilla) noch daheim ist. Dann rückt er bei der Army ein – mit dem wahrscheinlichen Ziel, im Irak eingesetzt zu werden.

Die Trennung von Mike ist für Valerie (Nicole Vicius) zu viel. Noch vor seiner Abschiedsfete geht sie mit dem Dealer Phil (Robin Taylor) ins Bett. Der träumt davon, in genau diesen 24 Stunden einen großen Deal abzuschließen. Doch dafür benötigt er noch 2000 Dollar. Dafür ist er am Ende auch bereit zu töten. Nicht der zukünftige Soldat, sondern der daheimbleibende Phil wird also zum Killer.

Ernst entwickelt mit seinem Film The House Is Burning einen unangenehmen Sog. Die Katastrophe ist unausweichlich. Und doch sind alle Charaktere vielschichtig gespielt. Der Film verstört mit seiner Mischung aus Sex, Drogen und Gewalt.

Terror zerstört zwei Brüder

Wie die Revolution ihre Kinderfrisst,  hat Ken Loach (71) in Irland inszeniert. Vor dem Hintergrund des Befreiungskampfes der IRA gegen die britischen Besatzer in den 1920er-Jahren entwickelt er ein packendes Drama um zwei unterschiedliche Brüder.

The Wind that shakes the Barley ist einer dieser Filme, die den Zuschauer nicht loslassen – auch lange nach seinem Ende. Er ist zu Recht mit der Goldenen Palme des Filmfestivals in Cannes 2006 und für die Kamera mit dem Europäischen Filmpreis ausgezeichnet worden.

Damien und Teddy wachsen in Irland auf, als die ganze Insel noch von den Briten besetzt ist. Teddy schließt sich bald der IRA, der irisch-republikanischen Befreiungsarmee, an. Der junge Arzt Damien zögert. Doch als er sieht, wie britische Soldaten streikende Eisenbahner brutal zusammenschlagen, entscheidet er sich für den Widerstand. Ken Loach erzählt mit detailgenauem Blick von der Veränderung der Menschen. Während sich Teddy  nach dem erfolgreichen Kampf und dem zweifelhaften, nur halben Unabhängigkeitsabkommen an die
Macht gewöhnt, erinnert sich Damien stets an die Opfer. Er ist ein Idealist, der weder seine Ideale noch seine Opfer verraten will.

Deshalb kämpft er weiter in der IRA gegen die neue Staatsmacht, der auch Teddy angehört. Cilian Murphy (31), Pádraic Delaney, Liam Cunningham und Orla
Fitzgerald überzeugen mit ihrer Darstellung der jungen Iren, die sich entscheiden, zur Waffe zu greifen. Die erschütternd genaue Szenerie, die perfekten Kostüme und das konsequente Zuschreiben des Films auf die finale Auseinandersetzung der Brüder lässt den
Zuschauern keine Chance, sich entspannt zurückzulehnen.

The Wind that shakes the Barley ist nicht nur ein packender Film über die frühe IRA und deren Kampf. Vor allem ist der Film eine Tragödie, die über den historischen Stoff hinausreicht. Wie verändert der gewaltsame Kampf Menschen? Welchen Einfluss hat
Macht auf Familien? Und: Gibt es eine Grenze, in der Realpolitik Utopie oder Idealismus verrät? Von alldem erzählt Ken Loach.

Funny van Dannen dankt trotzdem

Unglaublich, dieser Funny van Dannen (49). Das letzte Album ist erst ein Jahr her und schon legt er wieder eins vor. Mit 24 neuen Songs! Die Produktivität des melancholischen
Satirikers an der Gitarre ist eine Wucht. Und das gilt für das gesamte Album „Trotzdem Danke“.

Während er auf „Authentic Trip“ mit den weiblichen Träumen von „George Clooney“ (45) das Album eröffnete, hat er nun mit „Sandra Bullock“ die Träume des Mannes im Visier. Richtig großartig ist „Moderne Liebe“. Der Song erzählt von den Momenten, in denen Männer oder Frauen einen Seitensprung wagen könnten. Doch die in diesem Song lehnen ab. Denn die moderne Liebe in Zeiten der Rückbesinnung auf Werte setzt die Beziehung nicht einmal für Lust aufs Spiel.

Funny van Dannen spielt dabei mit Ironie, aber nicht so stark, dass nur eine Interpretation des Textes möglich bleibt. Die Verse gehen ihm ganz leicht von der Hand. Egal zu welchem Thema, Funny van Dannen fällt zu allem ein Lied ein. Leider geht das etwas zu Lasten
der Musik. Seine Gitarre klingt oft gleich. Und etliche Melodien begleiteten auch schon Songs auf älteren Scheiben. Und dennoch bleibt uns nur zu sagen: Trotzdem Danke.

Urban Priol über Quoten, Merkel und wirre Haare

Urban Priol und Georg Schramm. Foto: ZDF/Thomas Schramm
Urban Priol und Georg Schramm. Foto: ZDF/Thomas Schramm

Urban Priol (46) ist der Leiter der ZDF-Kabarett-Sendung „Neues aus der Anstalt“.   20cent sprach mit dem Unterfranken über die Sendung und aktuelle politische
Verwerfungen.

Herr Priol, wie bekommen Sie das immer mit Ihren Haaren hin?

Sie neigen zum Widerspenstigen, schon immer. Irgendwann war ich es leid, sie glatt zu kämmen. Jetzt gehe ich einfach einmal mit dem  Frotteehandtuch durch und nehme dann ein bisschen Haarspray.

Das wirkt, als würden Sie tatsächlich in der Anstalt leben.

Das kann schon sein. Die Haare sollen durchaus auch das Wirre in der Welt transportieren.

Sind Sie erstaunt, dass Sie mit „Neues aus der Anstalt“ mehr Erfolg haben als der etablierte „Scheibenwischer“?

Anfangs dachte ich, das ist die Neugier auf was Neues. Aber der Erfolg hat sich gehalten. Zwar liegen wir nur knapp vorm Scheibenwischer, aber es freut uns. Wir haben – nach langer Zeit ohne Kabarett im ZDF – die Anfangseuphorie mitgenommen und es weiter
stetig nach oben geschafft.

Was ist der Unterschied zwischen Scheibenwischer und Anstalt?

Wir haben Glück, dass wir dieses Bühnenbild haben. Da können wir mit vielem spielen. Mittlerweile fühlen wir uns tatsächlich wie in der Anstalt. Wir haben die Aufzüge, aus denen wir oben und unten rauskommen können, und die Aufgänge. Die Kulisse ist mehr als ein Fernsehstudio, wo man sich zur Abwatscherei des Monats trifft.

Normal haben Sie einen Tisch und ein Weizen dabei. Sie brauchen doch gar keine Kulisse.

Stimmt. Aber dieser Kontrast ist ja das Reizvolle. Man ist man selbst, aber doch in der Anstalts-Rolle, die mit Kollegen interagieren muss. Gerade mit Gerhard Schramm macht es viel Spaß, richtig gute Sachen zu entwickeln.

Auf Ihrer neuen CD kommt Frau Merkel wieder nicht gut weg, obwohl sie jetzt als Miss World gehandelt wird.

Ich beschäftige mich schon lange mit Politik, aber so ein künstliches Hochhypen habe ich noch nie erlebt. Unglaublich. Wenn die Jubelschwaden verraucht sind, erntet sie den nächsten Titel, zumindest innenpolitisch: Miss-Erfolg.

Ist das Auftreten Polens durch die Zwillinge ein Anlass für Satire oder zur Trauer?

Ich neige dazu zu sagen, das ist eine Riesenlachnummer. Sie stehen für eine Geisteshaltung der Mehrheit der Bevölkerung, die sie in diese Ämter gehievt hat. Das ist erschreckend.

Dieses Interview ist am 17. Juli 2007 in 20cent erschienen.

Die Ohrbooten kommen nach Babylon bei Boot

Ohrbooten: Babylon bei Boot
Ohrbooten: Babylon bei Boot

Dieses Album kommt zwei Wochen zu spät. Der G8-Gipfel ist vorbei. Die Ohrbooten hätten den optimalen Soundtrack bieten können. Songs wie Keine Panik, der vom kranken Planeten Erde mit dem Parasit Mensch erzählt, oder Bild Dir eine Meinung, der eine wunderbare konsumkritische Anklage ist, hätten bei den Kritikern der Politiker bestimmt Gehör gefunden.

Das spätere Erscheinen des feinen Raggae-Albums Babylon bei Boot schadet nicht. Dafür sind die Gesangspartien mit mehrstimmigen Wechseln zwischen Bass und Falsett, die groovigen Beats und die intelligenten Texte zu gut. Die Ohrbooten finden ihr Publikum: Der Titelsong ruft dazu auf, sich bei den vier Musikern zu melden. Sie wollen sich zum Gig auf Augenhöhe mit Fans treffen – auf der Straße.

Thomas Brussig sucht die käufliche Liebe

Bordelle, Swinger-Clubs und Peep-Shows sind die Räume, die sich Thomas Brussig (41, Sonnenallee) für sein neues Buch genau anschaute. Auf 200 Seiten beleuchtet er das horizontale Gewerbe Berlins aus fast allen Perspektiven.

Bislang hat der Ostberliner vor allem mit Romanen auf sich aufmerksam gemacht, die mit viel Ironie und Witz auf die DDR und die Wende zurückblickten. Zwar spielte schon in Helden wie wir das männliche Geschlechtsteil eine ganz zentrale Figur. Dennoch schrieb Brussig damals einen rein fiktionalen Text. „Berliner Orgie“ ist dagegen eine Sammlung von Reportagen.

Anlass für Brussigs Streifzüge durch die Welt der käuflichen Erotik und Liebe Berlins war die Anfrage einer Boulevardzeitung. Sie wollte von dem Autor Texte über Puffs, Straßenstrich und Escort-Service. Ziel war ein persönlicher Zugang zu einer Welt, die mit
Mythen und Gerüchten für viele Menschen verhüllt ist. Diesen Schleier kann Thomas
Brussig tatsächlich beiseite schieben. Und das ganz ohne billiges Spannen zu ermöglichen-

Brussig  nähert sich den Huren, spricht mit ihnen, schafft es, Vertrauen zu gewinnen und erfährt so sehr viel von den nüchternen Lebensbedingungen in den Bordellen und auf
der Straße. Brussig begegnet Ausländerinnen vor allem aus Osteuropa. Doch viele von ihnen sind keine Zwangsprostituierten, sondern sie wählten den Strich nach gescheiterten Ehen. Das ist natürlich auch nicht wirklich freiwillig, aber es ändert den Blick auf die
Frauen.

Brussig begegnet oft auch der Tristess und der Trostlosigkeit, die alles andere als Lust erzeugt. Er fragt sich, was Männer dazu treibt, hier Frauen viertelstundenweise einzukaufen. Aber er schildert auch ganz offen, dass es für ihn als Mann eine ganz neue Erfahrung war, umworben zu sein. Während sonst Frauen von Männern umworben
werden, funktioniert die käufliche Liebe gerade andersrum. Brussig ist so offen, über seine
Komplexe und mulmigen Gefühle zu schreiben. Und über die Faszination, wenn Frauen offen um ihn werben – auch wenn es eigentlich nur ums Geschäft geht.

Fazit: Ein offenes Buch über ein delikates Thema, das Thomas Brussig ohne feuchte Träume, falsche Scham oder Spannerlust schildert.

THOMAS BRUSSIG: BERLINER ORGIE. PIPER. 16,90 EURO.

Baru zeichnet ein scharfes Bild vom Rechtsradikalismus

Es hat relativ lange gedauert, bis die Comics des Franzosen Baru (eigentlich Hervé Barulea, 59) in Deutschland angekommen sind. Sein 1995 in Frankreich erschienener Band „Autoroute Du Soleil“ ist ein Beispiel dafür.

Das 430 Seiten dicke Buch ist aber noch immer aktuell. Es erzählt die merkwürdige
Freundschaft eines Lothringers mit einem jungen Araber, die auf der Flucht vor den Schlägern der rechtsradikalen Front National sind. Baru zeichnet das Bild einer
Gesellschaft, in der Migranten nicht willkommen sind, weil die Arbeitslosigkeit sehr hoch ist. Das erinnert auch an manche Ecke im Osten Deutschlands. Aber Baru belässt es nicht bei einfachen Erklärungen. Seine Figuren leben. Und überzeugen deshalb.

Baru: AUTOROUTE DU SOLEIL. CARLSEN VERLAG. 19,50 EURO

Christian Rickens schreibt gegen neokonservative Plappermäuler

Dieses Buch ist ein Segen. ChristianRickens argumentiert geistvoll gegen die Armada der neokonservativen Plappermäuler dieser Republik an. Ob Eva Herrmann (48, Das Eva-Prinzip), Matthias Matussek (56, Wir Deutschen) oder Björn Lomborg (42, Apocalypse No), sie alle werden inhaltlich sachlich, aber im Ton auch etwas böse widerlegt.

Rickens schafft es, der schwülstigen Sehnsucht nach Gebärfreudigkeit im Namen der Nation, Patriotismus ohne historische Verwurzelung und Freude am deutschen, aber reaktionären Papst Klarheit und Aufklärung entgegenzusetzen. Rickens Buch ist ein Muss für alle, die sich als mündige Bürger verstehen.

Christian Rickens: DIE NEUEN SPIESSER – VON DER FATALEN SEHNSUCHT NACH EINER ÜBERHOLTEN GESELLSCHAFT. ULLSTEIN. 14 EURO

Je jünger um so besser das Debüt: Sonya Kitchell

Sonya Kitchell
Sonya Kitchell

Sie war 16 Jahre alt, als sie ihr Debüt veröffentlichte: Sonya Kitchell. Inzwischen ist sie schon 18 – und bringt ihr Album „Words Came Back To Me“ endlich auch in Deutschland auf den Markt. Jetzt steht dieses erstaunliche Werk auch in Deutschland in den Plattenläden. Zwar haben auch Joss Stone (30), Norah Jones (28) und vor allem Katie Melua (22) schon sehr jung Platten aufgenommen und dennoch mit wunderbaren Stimmen überzeugt.

Doch Sonya Kitchell singt nicht nur grandios, sie hat ihre Texte und Lieder auch alle selbst geschrieben. „Words Came Back To Me“ besticht durch einen feinen akustischen Sound, der mit Elementen aus Jazz, Rhythm’n’Blues, Pop, Folk und Roots-Musik spielt. Die einfühlsame, zwischen Melancholie und Wärme schwankende Stimme von Sonya Kitchell ist das optimale Medium, um ihre in den Texten verarbeiteten Gedanken, Sorgen und Gefühle zu transportieren.

Was sie da singt, hat nichts mit Teenie-Gedöns zu tun. Sonya Kitchell setzt sich in ihren Texten genauso erstaunlich reif mit der Welt auseinander, wie sie ihre Musik schreibt und interpretiert. Von der jungen Amerikanerin werden wir hoffentlich noch viel hören.

Diese Rezension ist am 5. Mai 2007 in 20cent erschienen.

Ein Comic mit Uma Thurman

Ganz verschüchtert sitzt sie in der U-Bahn. Und ebenso verschüchtert traut sich Architekt Matt Saunders (Luke Wilson, 35) erst nicht, Jenny Johnson (Uma Thurman, 37) anzusprechen. Nachdem er allen Mut zusammengenommen hat, beginnt eine heftige Liebesgeschichte.

Denn Jenny ist G-Girl, quasi Superman als Frau. Wenn sie helfen kann, nimmt sie ihre überirdischen Kräfte zusammen, fliegt durch die Luft und rettet sogar New York vor einem Terroranschlag. Aber auch wenn sie eifersüchtig wird, kann sie ihre Kräfte nicht zügeln und wird so zur Plage für Matt.

Der Plott von Die Super-Ex ist wie aus einem Comic: schrill, einfach und mit einer Brise Holzhammer-Humor. Wer darauf steht, genießt Uma Thurman in ihrem Rollenspiel. Wem solcher Humor zu platt ist, dem können die 90 Minuten des Films zur Qual werden.