Manette Salomon – ein Künstlerroman der Brüder Goncourt

Edmond & Jules de Goncourt: Manette SalomonDer Preis Goncourt ist den meisten Literatur-Freunden bekannt. Die wichtigste Auszeichnung für französische Literatur ist ein Gradmesser für Trends und Qualität. In Deutschland sind die Namensgeber dieses Preises dagegen kaum noch bekannt. Andere französische Schriftsteller des 19. Jahrhunderts haben sie hierzulande verdrängt. Dass es sich dennoch lohnt, Romane der Brüder Edmond und Jules de Goncourt zu lesen, beweist die Andere Bibliothek mit „Manette Salomon“.

Umberto Ecos „Friedhof in Prag“ verblüfft und verwirrt

Umberto Eco: Der Friedhof in Prag
Umberto Eco: Der Friedhof in PragSimon Simonini

Simon Simonini ist die einzige frei erfundene Figur i n Umberto Eco neuestem Roman. Alle anderen Figuren haben gelebt, haben geschrieben, was Eco zitiert, haben gesagt, was Simonini in seinem Tagebuch aufschreibt. Insofern ist „Der Friedhof in Prag“ vor allem ein Geschichtsbuch und weniger ein Roman.

Auf der einen Seite ist die Gewissheit, dass Eco profund recherchiert, faszinierend. Auf der anderen mindert die Faktenlast immer wieder das Lesevergnügen. Denn Eco hat zwar einen Roman über die wirkungsmächtigste Verschwörungstheorie der Geschichte geschrieben, aber die Spannung, die in dem Stoff liegt, kann er nicht entfalten.

Und das, obwohl dieser Simonini als Fälscher, Geheimagent, Notar und Mörder alle Zutaten enthält, die für einen guten Thriller nötig sind. Nur der Sex fehlt, weil Eco ihm diesen offenbar nicht gegönnt hat. Simonini ist über viele Jahre damit beschäftigt, für unterschiedliche Auftraggeber Dokumente zu produzieren, die die Freimaurer und vor allem die Juden denunzieren sollen. Dazu schreibt der bei Alexandre Dumas, Henri Joly und vielen anderen ab. Er sortiert Versatzstücke neu und überprüft die Plausibilität. Am Ende fertigt er für den russischen Geheimdienst einen Text, der unter dem Titel „Die Weisen von Zion“ das zentrale Dokument des Antisemitismus im frühen 20. Jahrhundert wird.

All das ist wahr. Nur diesen Simonini gab es nicht. Aber all die Texte und ihre Beziehungen stimmen. In der Figur des Fälschers führt Eco unzählige Stränge zusammen. Denn er ist auch derjenige, der die Dokumente fälscht, die die Dreyfus-Affäre auslösen. Eco spielt die Möglichkeiten durch und konstruiert dabei zu sehr. Wobei er es aber dennoch schafft, den Leser ständig zu verblüffen. Denn selbst die absurdesten Figuren und Begebenheiten sind für sich ja historisch belegt. Nur das literarische Scharnier, das alle miteinander verbindet eben nicht.

Dennoch habe ich das Buch gern gelesen. Weil es zu viel enthält, was fasziniert und erschreckt. Weil Eco sich immer in die Karten schauen lässt und den Leser damit dann doch noch mitnimmt.

Umberto Eco: „Der Fredhof in Prag“. Roman. Aus dem Italienischen von Burkhard Kroeber. Hanser Verlag, München 2011. 519 S., geb., 26,- €.

Partnerschaft auf Augenhöhe

Hazel Rosenstrauch: Wahlverwandt und ebenbürtig  - Caroline und Wilhelm von Humboldt
Hazel Rosenstrauch: Wahlverwandt und ebenbürtig - Caroline und Wilhelm von Humboldt

Den Namen Humboldt tragen Schulen und eine Universität. Straßen sind so benannt. Ob damit Alexander oder Wilhelm oder beide geehrt werden, wissen selbst die Lehrer und Professoren nicht. Sicher ist nur, dass Caroline von Humboldt nicht gemeint ist. Hazel Rosenstrauch will das ändern. In ihrem Buch „Wahlverwandt und ebenbürtig – Caroline und Wilhelm von Humboldt“ zeichnet sie das Leben zweier faszinierender Persönlichkeiten nach – und einer außergewöhnlichen Partnerschaft.

Wilhelm von Humboldt ist als der große Bildungsreformer Preußens in die Geschichte eingegangen. Und das, obwohl er nur einige Monate Minister war. Die meiste Zeit in Diensten Preußens war er Gesandter in Rom, Paris oder London.

Doch in Rosenstrauchs Buch geht es weniger um die Leistungen des Mannes, als um das Sittenbild einer Generation, die von der Aufklärung erfüllt und von Sturm und Drang beseelt war. Und dafür ist Caroline von Humboldt sehr bedeutsam. Denn die Thüringer Landadelige steht für einen Typus Frau, den es im späten 18. Jahrhundert in der sich formierenden literarischen Öffentlichkeit nicht nur vereinzelt gab. Caroline war Teil des Freundeskreises, zu dem Schiller genauso gehörte wie Rahel Levin, die spätere Rahel Varnhagen von Ense. In diesen aufgeklärten Kreisen galt die Stimme der Frau sehr viel. Entgegen der Konventionen wurden sogar Scheidungen toleriert.

Das Paar Caroline und Wilhelm von Humboldt lebte eine Ehe auf Augenhöhe. Beide wahrten ihre Autonomie, beide hatten Beziehungen außerhalb der Ehe. Und doch stand für sie nie in Frage, zueinander zu gehören. Wie Hazel Rosenstrauch diese Beziehung anhand der Briefe nachzeichnet, zeugt von viel Einfühlvermögen und einer umfassenden Kenntnis der Zeit. Dabei blendet sie auch nicht die negativen Aspekte aus. Caroline wandelte sich von der aufgeklärt toleranten Frau zur nationalen Antisemitin, während Wilhelm dieser geistigen Seuche gegenüber resistent blieb. Aber auch in diesem Aspekt steht Caroline von Humboldt beispielhaft für die deutsche Geistesgeschichte – und Wilhelm bleibt auch hier die vorbildhafte Ausnahme.

Hazel Rosenstrauch: „Wahlverwandt und ebenbürtig – Caroline und Wilhelm von Humboldt“, Eichborn Verlag, Frankfurt/Main, 333 S., 24,95 Euro

Ingke Brodersen und Rüdiger Dammann erzählen die Geschichte der Juden in Deutschland

Die Geschichte der Juden in Deutschland wird sehr stark auf die Vertreibung und Vernichtung durch die Nazis reduziert. Aber Juden leben schon seit 2000 Jahren hier. Ingke Brodersen und Rüdiger Dammann haben auf 220 Seiten eine kurze Geschichte im Überblick geschrieben.

Sie gehen natürlich auf die Entwicklung des Antisemitismus ein. Aber sie zeigen auch, wie Juden und Christen friedlich zusammenlebten. Und sie machen deutlich, welche wichtige Rolle viele Juden bei der wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Entwicklung Deutschlands spielten. Ein gut geschriebenes, leicht verständliches und unverzichtbares Buch.

Brodersen/Dammann ZERRISSENE HERZEN – GESCHICHTE DER JUDEN IN DEUTSCHLAND. FISCHER VERLAG. 19,90 EURO.

Gefahr Her Vereinfachung – Der Leiter der Gedenkstätte Sachsenhausen zu Goldhagens Thesen

Selten wurde ein Buch schon vor dem Erscheinen so heftig diskutiert wie Daniel Goldhagens „Hitlers willige Vollstrecker“. Der Harvard-Dozent stellt die These auf, daß beim Holocaust „ganz gewöhnliche Deutsche aufgrund ihres Antisemitismus durchaus Mörder aus Überzeugung“ gewesen seien. Eine überwiegende Mehrheit der Deutschen habe einen tief verwurzelten, seit Jahrhunderten überkommenen „eliminatorischen Antisemitismus “. Zur Auslieferung des Buches sprach die RUNDSCHAU mit dem Leiter der Gedenkstätte Sachsenhausen, Dr. Günter Morsch.

Wie bewerten Sie die Diskussion über Goldhagens Thesen?
Ich muß das Buch zunächst einmal lesen. Ich kenne Aufsätze von Goldhagen und die Diskussion über ihn. Aber so wie ich die Thesen Goldhagens bis jetzt kenne, scheinen sie mir etwas vereinfachend. Wäre es so gewesen, dann ließe sich Geschichte viel einfacher erklären. Das Problem ist doch eher, daß man den Genozid nicht nur aus einem massiv verbreiteten rassistischen Antisemitismus  in der Bevölkerung erklären kann.

Was war dann die Ursache?
Der rassistische Nationalsozialismus ist nur ein Punkt von vielen – und meiner Meinung nach, was die Tragfähigkeit innerhalb der Bevölkerung anlangt, nicht einmal der wichtigste. Im Gegenteil: Wenn man die Quellen studiert, kann man nachweisen, daß der rassistische Antisemitismus der Nationalsozialisten zumindest bis 1939 außerhalb der NS-Bewegung kaum Widerhall fand. Er stieß sogar auf Ablehnung. Die war aber nicht so groß, daß man aktiv dagegen vorgegangen ist. Und genau das ist das Problem.

Greift Goldhagen zu kurz?
Die Frage, wie sich ein Genozid in einer modernen Gesellschaft, die sich auf einem hohen kulturellen Niveau befindet, durchsetzt, sehe ich in der Tendenz durch die Goldhagen-These eher verkürzt.

Sehen Sie Parallelen zu Konflikten – etwa auf dem Balkan?
Es gibt bis jetzt keinen mit dem Holocaust vergleichbaren Vorgang. Da sehe ich eine Einmaligkeit. Auf der anderen Seite ist es trivial zu sagen, daß die Lager und eine Politik der Ausrottung eine Begleiterscheinung der Moderne sind, die nicht nur für den Holocaust gilt.

Ausrottung und davor Ausgrenzung?
Ja, aber mit dem Ziel der Vernichtung. Sie sprechen genau das Problem der Vergleichbarkeit an. Das gilt auch für den Erkenntnisgewinn im Hinblick auf die Erziehung: Wie können wir so etwas abwehren? Wenn man da die These Goldhagens vertritt und sagt, der Holocaust sei ein Produkt des übersteigerten Rassismus einer ganzen Bevölkerung, dann macht man es sich zu einfach.

Man bleibt dann also zu oberflächlich und kann das Volk nicht richtig verstehen?
So ist es. Gerade das Verhalten der deutschen Bevölkerung –  von der Arbeiterschaft bis zum Bürgertum – war viel komplizierter. Das muß man wissen, um auch Widerstand verstehen zu können. Historische Prozesse lassen sich nicht auf die einfache Mechanik „Zustimmung ist gleich Handlung“ reduzieren.

Warum gibt es ausgerechnet jetzt eine so heftige Debatte?
Es ist ganz bezeichnend, daß im gleichen Maß, wie ganz bestimmten gesellschaftlichen Trägerschichten die Mitverantwortung genommen worden ist, sie den kleinen Leuten summarisch auferlegt wurde. Und in diesen Dreh kommt die These Goldhagens hinein. Entstehen von Widerstand, Ablehnung und Zustimmung, das ist nicht diese einfache Mechanik. Das versimplifiziert die Strukturen totalitärer Herrschaft enorm und nimmt uns damit die Chance, etwas darüber zu lernen, wie man totalitärer Versuchung widerstehen kann.
(Das Gespräch führte Andreas Oppermann)