Wenn es das Münchner Label Trikont nicht gäbe, müsste es erfunden werden. Vor allem die immer wieder überraschenden Sampler aus fremden Kulturkreisen sind ein echter Verdienst.
Jetzt lässt sich der aktuelle Sound Kolumbiens entdecken. „Afritanga – The Sound of Afrocolumbia“ heißt die Platte, die sämtliche Klischees über südamerikanische Musik sprengt. Zwar gibt es Salsa auf der CD, doch der klingt hier aggressiv und fordernd.
Steen Thorsson, der die 15 Stücke zusammengestellt hat, konzentrierte sich auf die Gegenwart. Und lässt damit die Musik etwa vom „Karneval der Kulturen“ alt aussehen.
30 Instrumente sind es bestimmt, die das Dutzend Hippies, die sich 17 Hippies nennen, auf der Bühne zum Einsatz bringen. Von der leisen Blockflöte bis zur lauten Posaune, von der zarten Violine bis zur kreischenden Säge, von der zarten Ukulele bis zum wummernden Bass, die Palette der Instrumente ist genaus vielfältig wie die Bandbreite des Stilmixes.
Niemand in dem ausverkauften Konzert der „Phantom Songs-Tour“ kann angesichts der Vitatlität auf der Bühne ruhig bleiben. Alle feiern mit, wippen mit, klatschen mit uns singen mit. Wobei das mit dem Singen etwas schwer fällt. Die aktuelle Platte ist ja erst seit einigen Wochen im Handel. Selbst die besten Fans können die Texte nicht. Aber sie lassen sich alles auf das Neue ein. Das fällt bei den Hippies natürlich recht leicht, weil die neuen Songs ganz in der Tradition der älteren stehen. Das Publikum weiß, was es erwartet. Und die 17 Hippies enttäuschen es nicht.
Erstaunlich viele Songs feiern die reine Musikalität. Sie verzichten auf Gesang. Sie treiben in türkischen, jüdischen, französischen oder amerikanischen Rhythmen die Palette der Instrumente über die Bühne durchs Ohr der Zuhörer dirket in deren Beine. Das ist Unterhaltung, wie sie besser kaum sein kann. Wer die CDs der Hippies schon mag, wird von der Kraft der Live-Darbietung regelrecht weggefegt. Das Bühnenerlebnis ist eine unglaubliche Steigerung der Konserven.
Das liegt auch am perfekt abgemischten Sound. Nicht zu laut und doch laut genug ist kein einziges Instrument übersteuert. Jeder Sänger bekommt den Raum für seine Stimme, um in en kraftvollen Bläsersätzen oder dynamischen Streicherteppichen nicht unterzugehen. Kurz: Ein perfektes Konzert! Wobei perfekt hier nicht aseptischen meint, sondern das emotionale und musikalische Gegenteil.
Wenn alternde Rockmusiker ihre eigenen Alben neu abmischen lassen, stellt sich immer die Frage, ob ihnen langsam die Kraft ausgeht. Bei Philip Boa ist das nicht so. Er füllt mit dem alten Programm gerade die Hallen. Insofern hat er noch genug Saft, um gute Konzerte zu geben.
Aber die letzte echte Platte ist zwei Jahre alt. Seitdem bereitet er nur noch altes Material auf. Selbst in neuem Gewand bleiben die 20 Jahre alten Scheiben „Helios“ und „Boaphenia“ alt. Der ewige Kurz-vor-dem-großen-Durchbruch-stehende Boa dokumentiert mit den Produzenten von Talking Heads und David Bowie, die an den Reglern saßen, dass er in der Szene gut verdrahtet ist.
Aber die beiden Platten sind nur etwas für echte Fans. Außer einem Schuss Größenwahn gibt es nichts zu entdecken.
Philip Boa and the Voodooclub „Helios“ und „Boaphenia“ (Vertigo/Universal)
Zum Essen einen Gewürztraminer. Das war für mich bislang nicht möglich. Zu stark sind die Aromen, zu mächtig der Geschmack, als dass ein feines Essen daneben bestehen könnte. So dachte ich bisher. Doch seit gestern weiß ich es besser. Das liegt zum einen an diesem ausgereiften Wein vor Horst Hummel aus dem ungarischen Villány, das einst Bordeux des Südens genannt wurde.
Der wurde gestern aus fünf schönen Weißweinen zu einem abwechslunsgreichen Abendmahl gewählt. Und zwar von jemandem, der eigentlich nur Rotwein mag. Ein feiner, filigraner Riesling kam da nicht in Frage. Und so begleitete dieser erstaunliche Tropfen das Essen. Er zeichnet sich durch eine frohe Fülle an fruchtigen Geschmacksnoten aus, die sich nicht sofort verflüchtigen. Im Gegenteil: Sie halten auch einem köstlich gebratenem Wammerl und einem kräftig-würzigen Blutwurststrudel stand. Aber ohne deren Noten zu verkleistern.
Tja. Es war wohl ein kleines Fest des Genusses, den das “Schlesisch Blau” in Kreuzberg da bereitete. Ich bin gespannt, mit welchem Wein ich überrascht werde, wenn sich ein solcher Abend wie gestern wiederholt. Sicher bin ich mir jetzt auf jeden Fall, dass diese Begleitung wieder wählen darf!
Diese Frontfrau hat eine fantastische Stimme: Adisa Zvekic aus Bosnien singt bei La Cherga. Die Band, die kein Herkunftsland kennt, sondern nur Musiker aus Kroatien, Bosnien, Mazedonien und Jamaika, wird durch sie im positiven Sinne umgewälzt. Die Mischung aus Funk und Balkan Brass, aus Jazz und Elektro, aus Ska und Reggae erzeugt einen unverwechselbaren Sound.
Das ist ja eines der größten Komplimente, die einer Band gemacht werden können. Im großen Brei des Allerleis der Musik sticht La Cherga mit tanzbarer, schweißtreibender Unverwechselbarkeit hervor. Die Band bedient sich zwar verschiedener Traditionen, doch das Ergebnis ist auch dank Adisa Zvekic ein neuer Sound. Insofern sprengt die Band auch das, was sich einst Weltmusik nannte.
Der Bezug zur (musikalischen) Heimat ist zwar immer zu erkennen. Aber es geht La Cherga nicht darum, nostalgische Gefühle zu wecken. Vielmehr sind die Musiker auf der Suche nach einer unverwechselbaren Klang-Heimat, in der sie sich wohl fühlen. Da das beim Hörer auch klappt, sind sie auf dem richtigen Weg. MOZ-Rezension…
Weil kein Zitronensaft im Kühlschrank war, kam dieses Geschenk hier zum ersten Mal zum Einsatz. Mit solchen Geschenken ist es ja oft so, dass man sich mehr darüber wundert als freut. Auch wenn eine Hauptstadtkorrespondentin die freudige Schenkerin war.
Doch wenn beim Abschmecken der Spargelsoße eindeutig die Säure fehlt, bekommt das Ganze doch noch einen Sinn. Und mit Gebrauchsspuren wird aus dem vermeintlich seltsamen Geschenk ruckzuck eines, das für große Heiterkeit im ganzen Haus sorgt.
Und die Soße wurde natürlich dadurch auch erst das, was der geneigte Gaumen zu feinem Spargel und guten Kartoffeln erwartet.
Es gibt sie noch, diese Glücksmomente in Antiquariaten. Nicht nur das Strahlen eines Menschen, wenn er ein Buch entdeckt, das er sucht. Oder jenes, wenn wir viel mehr zu einem Thema finden, als wir erhofft hatten. Diese Momente gehören zu den wesentlichen Gründen, weshalb der Besuch von Antiquariaten immer schön ist. Und immer gefährlich für den Geldbeutel.
Doch manchmal gibt es diese ganz besonderen Augenblicke, in denen das Herz vor Glück zu rasen beginnt und das Hirn erst einmal nicht glauben will, was das Auge sieht. So einen Moment bescherte der letzte Besuch eines Antiquariats in Kreuzberg. Zusammen mit einer lieben Freundin stand die Suche nach spezieller Reiseliteratur an. Doch dann greift sie bei der deutschen Literatur unter “M” in ein Regal, zieht einen blauen, unspektakulären Band hervor. Und öffnet ihn. Sofort habe ich die Handschrift auf dem Aufdeckblatt erkannt. Und das Herz hüpfte und raste. Ja, meine Hand musste das Buch sofort fühlen – und es ihr deshalb fast schon aus den Händen reißen. Tatsächlich. Es ist seine Schrift. Es ist seine Unterschrift. Es passt die Zeit, in der er viel in München im Hotel lebte und viel in Zürich. Es ist eine Widmung von Walter Mehring! In der Herbig-Ausgabe des “Großen Ketzerbreviers” von 1974. Also von einer eher unbedeutenden Ausgabe.
Wahrscheinlich kann das kaum jemand verstehen. Aber sie hat es verstanden. Und sich genauso mitgefreut. Sie war mir nicht böse, dass ich ihr das Buch nicht lassen konnte. Im Gegenteil. Sie schenkte es mir! Und ich bin jetzt im Besitz des zweiten Buches dieser Ausgabe – aber nun mit dem Autograph des damals, 1975, sehr unglücklichen Walter Mehring.
P.S.: Gesteigert werden diese Glücksmomente in Antiquariaten noch, wenn es eine Entdeckung ist, die sich im Preis nicht niederschlägt. In diesem Fall war es so. Wenige Euro für eine Besonderheit, die noch dazu Seite für Seite immer wieder lesenswert ist.
Ganz ruhig geht es auf dem neuen Album der 17 Hippies zu. „Phantom Songs“ steht im Zeichen der Ballade. Faszinierend ist, was die vielköpfige Berliner Band daraus macht. Sie erhält ihren unverwechselbaren Sound, der sich aus Elementen klassischer Rockmusik genauso zusammensetzt wie aus denen von jüdischer, französischer und osteuropäischer Musik. Vor allem wenn die Bläser wie bei „Biese Bouwe“ den Ton angeben, wird der Sound kräftiger. Dann wird aus einem albanischen Volkslied eine hessische Ballade über Böse Buben auf einem wunderbaren Sound-Teppich aus Reggae und treibendem Balkan-Beat. Spannend ich auch “Across Waters”. Es klingt zunächst wie “Mr. E” von Barclay James Harvest. Die Harmonien ähneln sich sehr. Und so locken die Hippies den Hörer in Erinnerungen aus den 80er Jahren, um dann aber ein trauriges Lied über Kriegserlebnisse zu singen. Das ist musikalisch und textlich sehr gut gemacht und sorgt für Gänsehaut. Auch dieses zehnte Album ist mit seinen 13 Songs vollständig gelungen. Am 14. und 15. Mai stellt es die Band im Berliner Kesselhaus live vor. MOZ-Rezension…
Gleich zwei Datenskandale in nur einer Woche erschüttern das Vertrauen der Verbraucher in die Industrie. Apple sammelt auf iPhone und iPad Bewegungsprofile und bei Sony wurde die Nutzerdatenbank gehackt. Beide Vorfälle zeigen, wie unsensibel mit sensiblen Daten umgegangen wird.
Aber es wäre zu leicht, jetzt nur auf die Industrie zu zeigen. Die selben Politiker von Union und Teilen der SPD, die sich über diese Verletzungen des Datenschutzes erregen, fordern den Zugriff des Staates auf möglichst viele gesammelte Daten. Bei der Vorratsdatenspeicherung sollen Nutzerdaten von privaten Telefon- und Internetprovidern gesammelt werden, um sie auf Wunsch zur Verfügung zu stellen. Diese Datenbanken sind potenzielle Hackerziele.
Zwar ist es richtig, alle Verbraucher darüber aufzuklären, dass sie möglichst wenig persönliche Daten preisgeben. Doch bei den Bewegungsprofilen über die Handynutzung genügt das nicht. Echte Hilfe zur informationellen Selbstbestimmung kann die Politik nur garantieren, wenn sie sich selbst – und die Datensammelwut der Firmen – beschränkt.
Dieses Cover ist eigentlich abschreckend. Es sieht aus, wie ein furchtbarer Kitsch-Roman. Und doch ist dieser Roman von Kurban Said alias Essad Bey alias Lew Noussimbaum einer der schönsten und anrührendsten Romane der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Und er ist ein wunderbarer Einblick in eine untergegangene Welt, an der Nahtstellen von Orient und Okzident.
Wirklich verblüffend an diesem Buch aus der 30er-Jahren ist aber, dass in ihm alle Konfliktlinien des Kaukasus der Gegenwart zu finden, obwohl er vor und während des 1.Weltkrieges spielt. Kurban Said erzählt von der Liebe eines Orientalen und einer Europäerin in Baku, als die Stadt eine internationale war. Seine Sätze sind klar und präzise und transportieren dennoch eine kaum fassbare Sympathie für das unterschiedliche Heimatgefühl aller Personen. Niemand wird verurteilt. Alle werden einfach als Menschen beschrieben, die Sehnsüchte haben und Liebe suchen.
Bei Ali und Nino ist es eine Liebe, die alle Grenzen und Fesseln sprengen kann – und am Ende doch scheitern muss. Auch wenn sie viele wunderbare Momente erlebt. Kurban Said hat einen Roman geschrieben, der sich ganz auf das Erzählen konzentriert. Obwohl es gerade die gesellschaftlichen Zustände sind, die das Leben und Lieben von Ali und Nino so stark beeinflussen, ideologisiert der Autor nicht. Und dadurch wird das Ungeheure der Geschichte noch viel klarer. Diese Gabe, so erzählen zu können, hatten und haben in Deutschland nicht viele Autoren. Deshalb die Empfehlung: Auch seine anderen Bücher lohnen sich. Demnächst dazu hier mehr. Und das kann das Buch auslösen…