Baru zeichnet ein scharfes Bild vom Rechtsradikalismus

Es hat relativ lange gedauert, bis die Comics des Franzosen Baru (eigentlich Hervé Barulea, 59) in Deutschland angekommen sind. Sein 1995 in Frankreich erschienener Band „Autoroute Du Soleil“ ist ein Beispiel dafür.

Das 430 Seiten dicke Buch ist aber noch immer aktuell. Es erzählt die merkwürdige
Freundschaft eines Lothringers mit einem jungen Araber, die auf der Flucht vor den Schlägern der rechtsradikalen Front National sind. Baru zeichnet das Bild einer
Gesellschaft, in der Migranten nicht willkommen sind, weil die Arbeitslosigkeit sehr hoch ist. Das erinnert auch an manche Ecke im Osten Deutschlands. Aber Baru belässt es nicht bei einfachen Erklärungen. Seine Figuren leben. Und überzeugen deshalb.

Baru: AUTOROUTE DU SOLEIL. CARLSEN VERLAG. 19,50 EURO

Yasmina Khadra Lehrstück über eine Sellbstmordattentäterin

Yasmina Khadra: Die Attentäterin
Yasmina Khadra: Die Attentäterin

Was passiert mit einem Mann, dessen Frau sich als Selbstmordattentäterin in die Luft jagt? Der algerische Ex-Offizier Khadra leuchtet das im Roman „Die Attentäterin“ aus. Frank-Erich Hübner hat daraus ein packendes Hörspiel von nur 68 Minuten gemacht.

Der junge Palästinenser Jaafari macht Karriere in Tel Aviv. Dass seine Frau für den  Untergrund arbeitet, bekommt er nicht mit. Nach dem Attentat macht er sich geladen mit Eifersucht, Wut und Rachegefühlen auf die Suche nach den Hintermännern. Das Hörspiel lässt den Hörer nicht mehr los. Der emotionale Druck, die verfahrene Lage im Nahen Osten und die ständig präsente Gewalt erschüttern. Die Attentäterin ist lehrreiches Stück
über einen irrsinnigen Konflikt.

Yasmina Khadra: DIE ATTENTÄTERIN, HÖRSPIEL. 1 CD. HÖRVERLAG 14,95 EURO

Diese Rezension ist am 2. Januar 2007 in 20cent erschienen.

Oliver Maria Schmitt schreibt einen absurden Punkroman

Lebt er noch, der Punk? Oder ist er tot? Oder zieht er als Zombie durchs Musik- und Modebusiness? Oliver Maria Schmitt hat einen Roman darüber geschrieben, der Antworten gibt. Schmitt ist Jahrgang 1966. Die 40 leuchtet also schon. Für einen
Menschen, der Anfang der 80er-Jahre im rebellischen Punk-Alter war, ist es nun Zeit, Bilanz zu ziehen.

Sein Romanheld Peter Hein – ja er heißt tatsächlich so wie der Sänger der Fehlfarben – wird von seinen Kumpels nur Zombie genannt. Und so wandelt er wie ein Untoter auch durch das Buch. Zombie war einst der Leadsänger der Gruppe Senf, einer Punkband
aus der schwäbischen Provinz, die es zu nicht viel mehr als einigen Gigs in der Umgebung
brachte. Doch jetzt im Jahr 2006 geht es um die Reunion der alten Punks.

Dazu muss Zombie mit seinem Kumpel Holo – der heißt nicht umsonst so – in die feindliche Welt aufbrechen. Ein Horrortrip in die neuen Bundesländer beginnt.
Zombie war da noch nie, was auch schon zeigt, wie geistig aktiv so ein Punk an der Schwelle zum 40. Geburtstag ist. Was Zombie und Holo in einer thüringer Bratwurstbude, im Tagebau Jänschwalde bei Cottbus, in einer Magdeburger Galerie und beim Besuch von Konzerten in Magdeburg und Chemnitz erleben, ist großartige Satire. Für zartbesaitete
Ostdeutsche allerdings könnten die Beschreibungen etwas heftig sein.

Doch wie schon geschrieben, die beiden Besucher sind ja nicht die aktivsten. Ihre
verzerrte Wahrnehmung der Welt hängt auch mit den Tabletten und den Unmengen Alkohol zusammen, die von Gruppe Senf so eingeschmissen und -geschüttet werden.
Und dennoch liegt in der Satire auch viel Wahres. Wunderbar ist Schmitts Abarbeitung
der Punk-Geschichte. Sämtliche Bands und wichtige Songs spielen eine Rolle. Was
nervt, sind viele sprachliche Wiederholungen. „Doch das Ey Alter, haste ma ne Mark,“ aus den westdeutschen Fußgängerzonen der 80er war halt auch nicht sehr abwechslungsreich.

Ein Punkroman für die besseren Kreise lautet der Untertitel des Romans. Wobei nicht klar wird, ob die besseren Kreise die sind, die Punk noch immer leben oder die, die inzwischen
erwachsen wurden. Amüsant ist das Buch aber allemal.

Oliver Maria Schmitt: Anarchoschnitzel schieen sie, Rowohlt Berlin. 19,90 EURO.

Ein kurzweilig lesen von Till Eugenspiegel

Seine Streiche sind sprichwörtlich. Viele haben schon Geschichten von Till Eulenspiegel gelesen. Doch die wenigsten kennen die Streiche im Original. Der Eulenspiegel Verlag
aus Berlin hat jetzt Geschichten aus den Volksbüchern des 16. Jahrhunderts gebündelt und
vorsichtig ins Neuhochdeutsche übertragen, ohne den Charme der alten Texte zu zerstören.

Die richtige Lektüre für Kinder sind die Erzählungen vom Eulenspiegel nicht unbedingt. Denn da wird geflucht, bis der Leser fast rot wird. Aber die Konsequenz, mit der Eulenspiegel seiner Umwelt vorführt, wie gedankenlos sie vor sich hinplappert, das ist wiederum eine Lektion, die Jung und Alt nicht oft genug erteilt werden kann.

EIN KURZWEILIG LESEN VON TILL EULENSPIEGEL. EULENSPIEGEL VERLAG. 12,90 EURO.

T.C. Boyle ist in Talk Talk auf Identitätssuche

Datenschutz ist ein großes Thema, das leider kaum jemanden interessiert. T.C. Boyle (57) hat mit seinem neuen Roman ein spannendes Plädoyer für einen sorgsamen Umgang mit den eigenen Daten vorgelegt: einen Thriller um Identitäten.

Dana Halter wird auf dem Weg zum Zahnarzt festgenommen. Die taube Lehrerin versteht die Welt nicht mehr. Denn sie wird übers Wochenende nicht freigelassen. Sie sitzt in einem Bezirksgefängnis mit Nutten und Verbrecherinnen. Ihr Problem: Es gibt eine Reihe von
Haftbefehlen gegen Dana Halter aus den verschiedensten US-amerikanischen Bundesstaaten.

Ihr wird langsam klar, dass sich ein anderer ihrer Identität bedient, um auf ihre Kosten zu leben, in ihrem Namen Geld zu hinterziehen, kurz: in ihren Namen ein süßes Leben zu führen. Dana und ihrem Freund Bridger glaubt zunächst niemand. Zu eindeutig ist die Beweislage auf dem Papier. Doch die beiden machen sich auf die Suche nach dem Menschen, der sich als Dana Halter ausgibt. Und tatsächlich können sie ihn ausfindig machen. Doch der Mann, der den Namen der Frau angenommen hat, begibt sich auf
die Flucht. Dana und Bridger folgen ihm durch die ganze USA.

T.C. Boyle hat schon wieder einen Roman geschrieben, den man nicht aus der Hand legen will. Talk Talk ist das englische Wort für Gebärdensprache. Mit ihr verständigen sich Dana und Bridger. Auf einer anderen Ebene erschließen sie den Talk Talk des Identitätsdiebes
mit den Kreditkartenanstalten, die ihm sein luxuriöses Leben auf Kosten ganz anderer Menschen ermöglichen. Immer abwechselnd lässt Boyle Dana und Bridger und den Dieb
auftreten. Auf einer übergeordneten Ebene kommunizieren sie über den Leser miteinander. Der Leser selbst rutscht in die Rolle eines Mittlers, der immer tiefer ins Geschehen verstrickt wird, weil er sowohl die Sicht der Dinge aus der Perspektive der einen und des anderen kennt.

T.C. Boyle hat ein packendes Buch über ein aktuelles Thema geschrieben. Er hat ein Gespür für Themen – und vor allem die Gabe fürs Erzählen. Auch ohne Mord und
Totschlag erzeugt er mit einfachen, aber effektiven erzählerischen Mitteln Spannung, die angesichts des Umgangs mit Daten im Internet-Zeitalter echte Beklemmung auslöst.

Daniel Odija zersägt im Sägewerk die Globalisierung

Das Buch hat nur 173 Seiten. Doch auf ihnen beschreibt der junge polnische Schriftsteller Daniel Odija (Jahrgang 1974) die Verhältnisse auf dem Land im heutigen Polen so drastisch und direkt, dass es einem fast zu viel werden könnte.

Doch „Das Sägewerk“ legt man nicht aus der Hand. Dazu schildert Odija den Aufstieg und Abstieg des Sägewerkbesitzers zu eindringlich. Mysliwski nutzt den Zusammenbruch
des Kommunismus eiskalt aus. Doch dem Druck der neuen Mächtigen kann er letztendlich
nicht standhalten. Trotz seiner Brutalität. „Das Sägewerk“ ist ein eindringlicher Roman über die Auswirkungen der Globalisierung bei unserem östlichen Nachbarn. Vor allem aber ist es ein richtig gutes Buch.

Daniel Odija: Das Sägewerk; Zsolnay, 17,90 EURO.

Die Tränen von Simplizissimus Günter Grass

Dass Günter Grass (78) bei der Waffen-SS war, weiß inzwischen jeder. Jetzt streitet sich die Öffentlichkeit darüber, ob sich Grass richtig erinnert hat. Doch diese Diskussion hat nichts mit dem autobiografischen Roman „Beim Häuten der Zwiebel“ zu tun. Der Literaturnobelpreisträger Günter Grass hat keine Autobiografie geschrieben. Auf den gesamten 480 Seiten spielen Zitate oder historische Quellen keine Rolle. Grass hat einen Lebensroman über sich selbst geschrieben.

So wie er das in der „Blechtrommel“ und dem Rest der „Danziger Trilogie“ auch schon getan hat. Nur diesmal hat die literarische Figur den Namen Günter Grass. Gerade am Beispiel des vierten Kapitels „Wie ich das Fürchten lernte“ zeigt sich sehr deutlich, in
welchem Maße der gesamte Text Literatur ist. Der Günter dieses Kapitels ist ein Wiedergänger der barocken Romanfigur Simplicius Simplizissimus. Genau wie dieser
bewegt sich Günter eher traumwandlerisch durch die Welt des Militärs und des Krieges.

Simplizissimus übersteht dank seiner Einfalt den 30-jährigen Krieg. Der junge Soldat der Waffen-SS, Günter Grass, stolpert durch die Abwehrschlacht von Spremberg 1945. Erst in der Gefangenschaft beginnt er zu denken. Ähnlich wie Simplizissimus treibt Günter dann auch durch das Nachkriegsdeutschland. Er übernimmt verschiedene Jobs in unterschiedlichen Regionen. Und so wie Simplizissimus nie mehr in den Spessart zurückkehrt, weil das der Krieg unmöglich machte, kann klein Günterchen nicht zurück
nach Danzig.

In der zweiten Hälfte dieses sprachlich-formalen Barock-Romans beginnt sich Günter zu bilden. Mit der Bildung wachsen die Zweifel am bisherigen Leben – auch diese Haltung nimmt Simplizissimus als Ich-Erzähler von Grimmelshausens Roman ein. Ob diese Form des Erinnerns und Offenbarens dunkler Stellen in der eigenen Biografie die moralisch
richtige ist, kann bezweifelt werden. Sicher aber ist, dass es Grass so schafft, eine für ihn angemessene Form zu finden. Da sich die Kritiker an Grass‘ spätem Bekenntnis nur mit Fakten auseinandersetzen, gehen sie dem Schelm Simplizissimus Günter auf den literarischen Leim. Denn durch die Kunst entzieht sich der Mensch Grass den Fakten, über die er dennoch Tränen vergießt.

GÜNTER GRASS: BEIM HÄUTEN DER ZWIEBEL. STEIDL. 24 EURO.

Hans Korte liest Bernhard Schlinks Heimkehr

Bernhard Schlink: Die Heimkehr
Bernhard Schlink: Die Heimkehr

Peter Debauer ist ohne Vater aufgewachsen. Obwohl der Schweizer war, ist er am Ende des Zweiten Weltkriegs in Schlesien verschollen. Debauer begibt sich auf die Suche nach dem Mann, den er nie kennen lernen konnte. Ausgelöst wird sie durch einen Heftchenroman, in dem ganz reale Dinge mit der Odysee verknüpft werden. Berhard Schlink (62) hat wieder einen großen Roman über das Nachwirken von Geschichte geschrieben. Hans Korte (77) liest ihn komplett auf acht CDs. Seine ruhige Stimme, der das Alter anzumerken ist, gibt Schlinks Text eine besondere Glaubwürdigkeit. Sie zieht den Hörer bei den Fragen um Moral, Verantwortung und Liebe so in den Bann, dass das Wechseln der CDs zur Qual wird.

Bernhard Schlink: Die Heimkehr, gelesen von Hans Korte. Diogenes, 8 CDs, 34,90 Euro.

Josef Haslinger erzählt wunderbar von Zugvögeln

Eigentlich ist der Untertitel Erzählungen für Josef Haslingers Buch „Zugvögel“ die falsche Ergänzung. Beobachtungen würde den Kern der Geschichten besser treffen. Denn beobachtet hat Haslinger ganz genau. Beobachtet, wie misstrauisch der amerikanische Polizist dem Autofahrer begegnet, beobachtet, wie es dem Fremden in der Ostdeutschen Pampa ergeht, beobachtet, wie die Landbevölkerung mit einem „Fehlgeleiteten“
umgeht …

Im Zentrum dieser Reiseberichte stehen keine historischen Sehenswürdigkeiten oder Landschaften, sondern immer die Menschen. Und diesen gibt Haslinger mit wenigen
Worten eine charakterliche Tiefe und Abgründigkeit. Sie ist allerdings nicht immer frei von Klischees.

Josef Haslinger: Zugvögel, S. Fischer; 18,90 Euro

Mark van Huisseling: How to be a star

Niemand kann sich dem Glanz der großen Stars entziehen. Selbst wenn die eigene Intelligenz einem sagt, dass es mit Figuren wie Kylie Minogue (37) oder 50Cent (30) nichts zu besprechen gibt, sehen will man solche Typen schon. Und wissen, was sie tun, mit wem sie sich aneinanderreiben und wen sie beleidigen.

Mark van Huisseling hat schon mit hunderten Stars gesprochen – als Interviewer. Jetzt kategorisiert er sie. How to be a Star ist kurzweilig, witzig und mit einem Schuß Promi-Voyeurismus gewürzt. Kurz, es macht Spaß das Buch zu lesen. Noch dazu, weil es eine kleine Anleitung zum StarSein in sieben Punkten bietet. Aber nur zum Sein. Zum Werden ist der Ratgeber keine Garantie. Wie auch? Dann wären wir ja jetzt – nach dem Lesen – alle Stars!

Mark van Huisseling:  HOW TO BE A STAR. NAGEL & KIMCHE. 12,50 EURO