Volker Brauns Flick kann das Arbeiten nicht lassen

Volker Braun: Machwerk oder Das Schichtbuch des  Flick von Lauchhammer
Volker Braun: Machwerk oder Das Schichtbuch des Flick von Lauchhammer

Die Idee von Volker Brauns neuem Roman ist pfiffig. Ein Vorruheständler zieht als Schelm der Arbeit durch die Niederlausitz. Doch die Umsetzung ist schwerfällig, die Sprache sperrig und der Humor oftmals zu verschwurbelt.

Sein neues Buch soll ein Volksbuch werden. Das hat Volker Braun vor wenigen Tagen gesagt. Er hofft, dass es von den breiten Massen gelesen wird. Doch dieser Wunsch wird ein unerfüllter bleiben. Denn dazu ist der Text viel zu schwerfällig.

Eigentlich ist Braun ein Lyriker. Das ist auf jeder Seite von „Machwerk oder Das Schichtbuch des Flick von Lauchhammer“ zu spüren. Jeder möglichen schwerwiegenden Bedeutung eines Worts hechtet der Dichter hinterher. Dadurch zerstört er den Lesefluss und landet nur allzu oft auf der Nase. Denn nicht jede von ihm imaginierte Tiefsinnigkeit ist tatsächlich bedenkenswert.

Im Roman geht es um Flick, den Mann im Vorruhestand, der einst die großen Bagger im  Tagebau reparierte. Jetzt steht er auf dem Abstellgleis, will sich damit aber nicht abfinden. Zusammen mit seinem Enkel, einem Nichtsnutz, der weder Lust auf Bildung noch auf  Arbeit hat, zieht er von Kapitel zu Kapitel durch die Lausitz und Berlin.

Flick nimmt jede Arbeit an. Er kann sich nur als arbeitenden Menschen denken. Der Systemwechsel und die Rationalisierung in der Kohle hat ihm seiner Bedeutung beraubt. Jetzt ist er arbeitslos. Doch Flick packt noch immer an. Ob als Ein-Euro-Jobber oder bei
einem Theaterprojekt mit Arbeitslosen. Das macht den Flick teilweise sogar sympathisch. Anderseits ist er aber ein dummer Einfaltspinsel, der bei seinem Kampf gegen die Windräder der Gegenwart nicht in der Lage ist dazuzulernen.

Flicks Enkel wird von Braun zudem als fauler, blöder Jugendlicher dargestellt. Allerdings ist er nach Ansicht des Erzählers dafür nicht verantwortlich, sondern die Gesellschaft. Ein Traum von sozialistischer Arbeitsethik wabert da bei Braun mit. Einer Ethik, die aber  offensichtlich dazu führte, dass Opa Flick wie ein Narr durch die Lausitz stolpert und nicht in der Lage ist, sich selbst als Mensch zu begreifen. Sondern nur als Arbeiter. Da stellt sich doch ernsthaft die Frage, was für eine unsinnige Botschaft Volker Braun verkünden will!

VOLKER BRAUN: MACHWERK ODER DAS SCHICHTBUCH DES FLICK VON LAUCHHAMMER. S. FISCHER, 19,80 EURO.

Diese Rezension ist a 27. Dezember 2008 in 20cent erschienen.  

Peter-Paul Zahl amüsiert auch 30 Jahre später

Peter-Paul Zahl: Die Glücklichen
Peter-Paul Zahl: Die Glücklichen

Dieses Buch ist ein ganz eigener Kosmos. Peter-Paul Zahl, ein studentenbewegter  Linker, der in den frühen 70er Jahren ins terroristische Umfeld abrutschte, schildert den Zerfall der 68er-Bewegung in Deutschland aus der Sicht einer Berliner WG.

Zahl erzählt von den gemeinsamen Demos gegen die Springer-Konzern, er erzählt von  Militanten und  kommunistischen Dogmatikern und er erzählt von der Solidarität, die die Terroristen der  RAF und der Bewegung 2. Juni in den linken WGs genossen. Das Ganze montiert er aus unendlich vielen Zitaten und Handlungssträngen zu einem Schelmenroman gegen die Obrigkeit. Das ist oft lustig, vielfach bedenkenswert und auf jeden Fall literarisch gelungen.

Peter-Paul Zahl: DIE GLÜCKLICHEN – EIN SCHELMENROMAN. DAS NEUE BERLIN
19,90 EURO.

 

Milan Kundera schreibt von Liebesglück und politischem Leid

Milan Kundera: Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins
Milan Kundera: Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins

Prag 1968: Der Einmarsch der sowjetischen Truppen wirkt sich auf die Liebe eines ungleichen Paares direkt aus. Tomas und Teresa verlassen die Tschechoslowakei. Sie ziehen nach Zürich, doch Prag lässt vor allem Teresa nicht los. Milan Kundera erzählt in seinem Roman „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“ vom Ineinandergreifen des privaten und des politischen Lebens. Und von der erstaunlichen Kraft der Liebe.

1984 ist Kunderas Roman in Paris erschienen. Der Autor hat 1975 seine Heimat Tschechien verlassen. Sein Buch über den Arzt und Frauenhelden Tomas und seine Lebensgefährtin Teresa ist vor allem ein großartiger Liebesroman. Die Personen werden in all ihren Widersprüchen zum Leben erweckt. Kundera versteht es, die unterschiedlichen Perspektiven, den männlichen und den weiblichen Blick auf die Beziehung, auf die Liebschaften und auf die anderen im Roman auftretenden Paare darzustellen.

Und Kundera gelingt es immer, das politische Handeln seiner Figuren in ihrer gebrochenen
Wirkung zu zeigen. Da ist zum Beispiel Teresa, die als Fotografin Hunderte Filme von der Niederschlagung des Prager Frühlings fotografiert. Damit dokumentiert sie, was in Prag geschieht. Ihre Fotos erscheinen in westlichen Zeitungen und Zeitschriften. Ohne diese Bilder wäre das Entsetzen im Westen viel kleiner. Doch später werden die gleichen Fotos von der tschechischen Stasi benutzt, um Aktivisten des Widerstandes gegen die kommunistische Diktatur aus Moskau zu erkennen und zu verfolgen.

Für Teresa stellt sich in den Jahren nach 1968 die Frage, ob sie sich mit ihren Fotos deshalb schuldig gemacht hat. Sie nimmt die Kamera nicht mehr in die Hand. Ein Leserbrief zur Unmoral der kommunistischen Mitläufer vor 1968 kostet Tomas die geliebte
Arbeit als Chirurg. Kundera beschreibt ganz detailliert, wie die tschechische Stasi  Menschen, Familien und die Gesellschaft in Angst versetzt. Wie sie mit Lügen und Druck, Karrieren zerstört, Beziehungen ruiniert. Und wie der aufrechte Gang um den hohen Preis des gesellschaftlichen Abstiegs doch auch zu innerer Freiheit führen kann.

„Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“ hat nichts an seiner Kraft verloren. Auch wenn sich die politische Situation seit dem Fall der Mauer radikal verändert hat.

MILAN KUNDERA: DIE UNERTRÄGLICHE LEICHTIGKEIT DES SEINS, FISCHER, 9,95 EURO.

Kleiner Mann ganz machtgeil

Budd Schulberg: Was treibt Sammy an?
Budd Schulberg: Was treibt Sammy an?

Was treibt Männer an, die nach immer mehr Macht und Einfluss streben? Das ist eine Frage, die schon in der Antike die Literatur beschäftigte. Einer der intelligentesten Romane des 20. Jahrhunderts dazu ist jetzt bei Kein &
Aber in Zürich erschienen. Budd Schulberg (93) veröffentlichte sein Meisterwerk 1941. Doch das merkt man dem Roman „Was treibt
Sammy an?“ auf keiner einzigen Seite an.

Wer nicht weiß, dass Schulberg als Drehbuchautor in Hollywood in den 50er-Jahren sogar einen Oscar bekam, der liest und liest und liest dieses Buch, ohne richtig Atem holen zu können. Denn Titelheld Sammy Glick gönnt sich das auch nicht. Und Autor Schulberg beschreibt dies so modern, als wäre das Buch erst dieses Jahr erschienen.

Das liegt auch an der hervorragenden Übersetzung von Harry Rowohlt. Der sorgt dafür, dass der Sprachwitz und der Tonfall des Textes auch im Deutschen wunderbar funktionieren. Der Ich-Erzähler Al Mannheim lernt Sammy Glick als Redaktionsboten kennen. Immer wieder fragt Sammy den Kolumnisten aus, bis er mit einer eigenen Kolumne an ihm vorbeizieht. Das Wissen dafür hat Sammy natürlich von Al. Obwohl der es nicht will, beginnt ihn das Phänomen Sammy zu interessieren. Er stellt sich die Frage: Was treibt Sammy an?

Später in Hollywood arbeiten sie beide als Drehbuchautoren. Auch hier ist es der jüngere Sammy, der sich nach oben durchbeißt. Und das auf Kosten von Menschen, die er gnadenlos ausbeutet. Sammy ist auf Macht fixiert. Um sie zu steigern, ist er bereit, fast alles zu machen. Seine Kreativität nutzt er im Filmbusiness nur, um die Ideen anderer für sich auszubeuten. Und schon beginnt er Geld zu verdienen. Denn das ist das eine augenscheinliche Zeichen für Macht.

Das zweite ist der ungeheuerliche Verschleiß an Frauen. Die interessieren Sammy nicht als Menschen, sondern nur als Ausweis seiner Macht, seiner Potenz. Deshalb müssen immer neue Mädels ran, deshalb aber funktioniert mit Sammy auch keine einzige Beziehung. Schulberg beschreibt die bescheidene Herkunft Sammys. Und der schildert, wie Sammy bereit ist, über andere hinwegzugehen, sie in den Dreck zu stoßen, wenn es seiner Macht nützt.

BUDD SCHULBERG: WAS TREIBT SAMMY AN? ÜBERSETZT VON HARRY ROWOHLT. KEIN & ABER, 19,90 EURO.

Lauscherlounge ist auf dem Treck nach Westen

Lauscherlounge: Der Treck nach Westen
Lauscherlounge: Der Treck nach Westen

Es erklingen die deutschen Stimmen von Richard Gere, Leonardo DiCaprio, Ben Stiller, Jackie Chan, George Clooney und anderen. Sie spielen einen Western um Buffalo Bill. Sie trinken, flirten, schießen, küssen und pokern. Und das alles live. Das Publikum des Mitschnitts von „Der Treck nach Westen“ von der Lauscherlounge hat seinen Spaß.

Kein Wunder. Die Geschichte ist lustig, die Vorstellung, wie sich die Hollywoodstars in der Story bewegen, sorgt für zusätzlichen Humor. Mit der Idee, Hörspiele live zu spielen, hat die Berliner Lauscherlounge eine Nische besetzt. Das Stück um Vatereifersucht, Betrug und Wilden Westen ist ein Musterbeispiel dafür, wie unser Hirn sich hinzudenkt, was es gar nicht sieht. Herrlich!

Lauscherlounge: DER TRECK NACH WESTEN, LÜBBE AUDIO, 3 CD, 15,95 EURO.

Thomas Brussig gibt Schiedsrichter Fertig eine Stimme

Thomas Brussig: Schiedsrichter Fertig - Eine Litanei
Thomas Brussig: Schiedsrichter Fertig – Eine Litanei

Es gibt Bücher über Torhüter. Es gibt Jugendbücher über Stürmer und Trainer. Aber den Schiedsrichter hat noch niemand ausführlich literarisch gewürdigt. Diese Aufgabe hat nun Thomas Brussig (43) übernommen. Und meisterhaft gelöst.

Schiedsrichter Fertig sind gut 90 Seiten fließende Gedanken darüber, wie sich Schiedsrichter fühlen, wie sie gesehen werden und wie ungerecht die Öffentlichkeit mit ihnen umgeht. Brussigs Schiedsrichter vergleicht sich mit einem Chirurgen, der wie der Referee nur dann gut ist, wenn von seinem Eingriff nichts zu spüren ist. Der Text ist stringent und logisch. Er ist unterhaltend und beklemmend. Kurz: Er ist das Beste, was seit Langem über Fußball geschrieben wurde.

Flann O’Brien freut sich über „Das harte Leben“

Mit diesem achten Band ist die Werkausgabe des irischen Autors Flann O’Brienn (1911 bis 1966) in der Übersetzung von Harry Rowohlt (62) vollbracht. Die knapp 150 Seiten von „Das harte Leben“, das 1961 erstmals erschienen ist, ist so etwas wie die komprimierte
Zusammenfassung dessen, was den Iren O’Brien noch heute so lesenswert macht.

Das Buch ist böse, es ist eine gelungene Satire auf heuchlerische katholische Priester, absurd wohltätige irische Müßiggänger und eine Hommage an die Nationalgetränke Whiskey und ganz dunkles Bier. Wer Humor, der so schwarz ist wie das Guiness,
mag, der ist bei Flann O’Brien gut aufgehoben. Der entdeckt mit „Das harte Leben“ einen der ganz großen irischen Dichter.

Flann O’Brien: Das harte Leben, Kein & Aber, 16,90 EURO.

Tilman Röhrig haucht Tillman Riemenschneider Leben ein

Historische Romane sind ganz oft oberflächlich und von unserer Sicht der Dinge geprägt. Tilman Röhrig (62) schafft es in Riemenschneider, sowohl die Zeit sehr gewissenhaft aufleben zu lassen, als auch einen schönen Roman zu schreiben. Tilman Riemenschneider
(1460 bis 1531) lebte als Holzschnitzer und Bildhauer in Würzburg, als die Reformation und die Bauernkriege das Land erschütterten.

Seine Werke sind noch heute beeindruckend. Röhrigs Roman schafft es, dass auch das Leben Riemenschneiders fesselt. Röhrig entwirft ein Panorama der Zeit, in der auch Luther, Bauernführer Joss Fritz und Ritter Götz von Berlichingen ihren Platz haben.
Das ist gut gemacht und eine feine Geschichtslektion.

Tilman Röhrig: Riemenschneider. Piper, 19,90 EURO.

Thomas Weiss zu seinem Buch „Tod eines Trüffelschweins“

Der Fall Grohe machte Schlagzeilen. Die Übernahme des Traditions-Unternehmens durch
eine „Heuschrecke“ und die anschließende Schließung vor zwei Jahren erregte weit über Herzberg hinaus die Gemüter. Der Berliner Autor Thomas Weiss hat sich den Fall als Vorlage für einen irritierenden Text gewählt. Weiss beschreibt darin, wie der Kampf gegen
Ungerechtigkeiten der Globalisierung in Terror münden könnte.

Wie sind Sie auf den Fall Grohe gekommen?

Ich habe im WDR eine Dokumentation darüber gesehen. Als ich das sah, dachte ich mir, dass ich das unbedingt machen will. Das hat mich dann schon gereizt.

Waren Sie mal in Herzberg?

Nein.

Sie sind da noch nicht hingefahren und haben sich das angeschaut?

Nein. Das Buch sollte nicht konkret den Fall Grohe darstellen. Natürlich ist es – daran angelehnt, aber ich wollte einen allgemeineren Text schreiben. Der konkrete Fall Grohe interessierte mich, um einen besonders krassen Fall einer Firmenübernahme durch Finanzinvestoren zu schildern. Darüber habe ich viel recherchiert.

Aber Grothe und Nierenberg im Buch sind doch Grohe und Herzberg?

Das drängt sich auf, sicherlich, trotzdem bilde ich den Fall Grohe nicht eins zu eins ab, sondern überziehe ihn mit einer fiktiven Handlung.

Dieses Thema mit der RAF zu kombinieren, ist schon ein waghalsiges Unterfangen.

Angetrieben hat mich die Bekanntschaft mit einem Mann, der zu dieser Zeit bei der GSG 9 war. Bei einem Gespräch kamen wir auch auf den Fall Grohe. Er fand das auch sehr negativ, zutiefst ungerecht. Da kam mir die Idee, dass man das Leben eines GSG-9ers mit der Globalisierung verknüpfen könnte. Vor allem vor dem Hintergrund, dass die Umstände der Befreiung von Mogadischu auch spannend sind. Mein Bekannter hat mir viel über den Heldenstatus der GSG-9-Mitglieder erzählt. Und davon, dass sich im Laufe der Zeit etliche
umgebracht haben. Das weiß kaum jemand. Und da dachte ich mir, diese Vermischung des
Denkens . . .

. . . des Gerechtigkeitsempfindens und der Sympathie zwischen den RAF-Terroristen und GSG-9-ern ist beim Lesen sehr verwirrend.

Genau darum ging es mir. Ich wollte keine wissenschaftliche Abhandlung über Firmen-Übernahmen schreiben. Die konkreten Auswirkungen an einem tatsächlichen Beispiel waren deshalb wichtig.

Aber das hat ja nichts mit Terrorismus zu tun.

Die Tat Heusers – der Hauptfigur – schon. Sie ist ja im Grunde eine terroristische Tat. Den Zusammenhang mit der RAF herzustellen, war dennoch schwierig. Das ist natürlich sehr gewagt. Aber das Vorgehen solch eines Finanzinvestors wie im Fall Grohe ist ja auch gewagt. Es ist doch das Allerletzte, wenn man aus persönlicher Profitgier Leute rausschmeißt und einen profitablen Betrieb schließt. Ich finde das unfassbar: Der Betrieb
produzierte mit Gewinn. Doch weil anderswo mehr Profit möglich war, werden einfach die Leute rausgeschmissen und der Betrieb geschlossen.

Auch das hat noch nichts mit Terror zu tun.

Wie gesagt, Heuser ist ja eigentlich der Terrorist. Ich konnte mir einfach vorstellen, dass in solch einer Situation – jemand sagt: Jetzt ist mir auch – alles egal! Für ein Buch ist das eine reizvolle Konstellation. Wenn auf der einen Seite ein Investor sagt, ihm ist alles egal  und auf der anderen ein Mitarbeiter das gleiche sagt.

Das kann als Rechtfertigung verstanden werden.

Mit dieser Verknüpfung rechtfertige ich keine terroristischen Anschläge. Aber bei der  Diskussion über die Begnadigung von Christian Klar ging es auch um Reue, um die Frage, wie steht ein Mensch zu seinen Taten. Eine ähnliche Frage stelle ich auch.

Vor 20 Jahren wäre ein Text wie Ihrer kaum denkbar gewesen.

Ich stelle nur einen Standpunkt dar, ich sympathisiere aber nicht mit der RAF. Das würde ich nie machen. Natürlich habe ich auch über sie recherchiert. Ihre Vorstellungen waren völlig absurd. Erstaunlicherweise gibt es Parallelen zwischen der GSG 9 und der RAF auch in der Sicht auf die Welt. Bei beiden ist sie eher schwarz-weiß. Das hat radikale Konsequenzen. Dieser Radikalität wollte ich mit meinem Buch entsprechen. Das Denken der GSG 9 und der RAF war knallhart, so wie das Buch. Diese Gemeinsamkeiten zwischen den total gegensätzlichen Polen sind vorhanden. Und genau die stelle ich dar.

Globalisierungskritik ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Und Sie schreiben einen Text, der sagt: Globalisierung ist so brutal und menschenverachtend, dass selbst die Ermordung von Menschen im Namen einer Gerechtigkeit nachvollziehbar ist.

Der Täter Heuser behauptet das. Ich kann mir lediglich vorstellen, dass der Täter Heuser das behauptet.

Sie spielen aber damit, dass der Leser in diesen Sog mit reingezogen wird.

In meinem Buch steht auch, dass die RAF furchtbare Morde mit schrecklicher Brutalität
verübte. Dennoch können diese Taten nicht aus reiner Mordlust erklärt werden. Es steckte eine politische Idee dahinter, die völlig fatal umgesetzt wurde. Betrachtet man den Vietnam-Krieg, wird nachvollziehbar, woraus die RAF entstanden ist. Dass sie dann mit ihren Bomben dieselben Mittel anwandte – übrigens genauso die Genickschussmentalität
der Nazis – zeigt auch, wie irrsinnig dieser Weg war.

Es geht also um die Schwelle, die Gewalt legitimiert?

Genau. Irgendwann gibt es dieses Maß, das übertroffen wird. Meine Figur Klaus Heuser, der ehemalige GSG-9-Beamte, begründet mit dem Namen „Kommando Georg Elser“, dass er tötet. Heuser sagt, dass es einen Moment gibt, in dem man töten darf. Georg Elser durfte
ja auch, aus unserer Sicht, 1939 versuchen, Hitler zu töten. Das ist natürlich ein Extremfall. Aber wenn man diese Hierarchie nach unten geht, dann kommt man ein ganzes Stück weit. Irgendwann gelangt man dann an den Punkt, an dem das Töten nicht mehr zu  rechtfertigen ist. Aber wo ist dieser Punkt? Das ist sehr schwer zu fassen.

Damit wird der mörderische Widerstand gegen die Globalisierung mit dem Widerstand gegen Hitler auf eine Stufe gestellt.

Die Problematik war und ist mir bewusst. Wenn man sich mehr mit dem Fall Grohe beschäftigt, entsteht ein Wutempfinden. Genau das stelle ich überspitzt dar und frage, was noch passieren könnte. Aber der Mord nützte ja nichts.Hinterher ist alles so, dass die Tat
sinnlos war. So wie die Morde der RAF sinnlos waren. Aber damit zu spielen, dass jemand sagt, er sei immer noch für Gerechtigkeit im radikalen Sinn, war für mich reizvoll. Dabei schwingt auch die Mogadischu-Geschichte mit. In diesem Fall sagt auch jeder: „Völlig klar, dass die GSG 9 die Maschine stürmen und die Terroristen erschießen musste.“ Für die Passagiere war die Entführung eine unglaubliche Quälerei. Das ist ganz furchtbar, was  diesen Leuten angetan wurde. Trotzdem hatten – auch die palästinensischen Entführer irgendwo politische Motive, die sich aus ihrer ganz persönlichen Geschichte ergaben.

Würden Sie selbst als Privatmensch politische Forderungen ableiten aus der Beschäftigung im Fall Grohe?

Ich finde, dass Praktiken wie im Fall Grohe nicht legal bleiben dürfen, vor allem, was die Überschuldung des übernommenen Unternehmens durch den eigenen Kaufpreis betrifft. Das kann man bestimmt irgendwie lösen, ohne dass dadurch Deutschland gleich wirtschaftlich untergeht.

Hätten Sie Lust, aus Ihrem Buch in Herzberg oder der Region zu lesen?

Ja, auf jeden Fall. Ich rechne eigentlich damit, dass das so kommt.

Thomas Weiss: „Tod eines Trüffelschweins“, Steidl Verlag, gebunden, 130 Seiten, 14 Euro.

Thomas Brussig sucht die käufliche Liebe

Bordelle, Swinger-Clubs und Peep-Shows sind die Räume, die sich Thomas Brussig (41, Sonnenallee) für sein neues Buch genau anschaute. Auf 200 Seiten beleuchtet er das horizontale Gewerbe Berlins aus fast allen Perspektiven.

Bislang hat der Ostberliner vor allem mit Romanen auf sich aufmerksam gemacht, die mit viel Ironie und Witz auf die DDR und die Wende zurückblickten. Zwar spielte schon in Helden wie wir das männliche Geschlechtsteil eine ganz zentrale Figur. Dennoch schrieb Brussig damals einen rein fiktionalen Text. „Berliner Orgie“ ist dagegen eine Sammlung von Reportagen.

Anlass für Brussigs Streifzüge durch die Welt der käuflichen Erotik und Liebe Berlins war die Anfrage einer Boulevardzeitung. Sie wollte von dem Autor Texte über Puffs, Straßenstrich und Escort-Service. Ziel war ein persönlicher Zugang zu einer Welt, die mit
Mythen und Gerüchten für viele Menschen verhüllt ist. Diesen Schleier kann Thomas
Brussig tatsächlich beiseite schieben. Und das ganz ohne billiges Spannen zu ermöglichen-

Brussig  nähert sich den Huren, spricht mit ihnen, schafft es, Vertrauen zu gewinnen und erfährt so sehr viel von den nüchternen Lebensbedingungen in den Bordellen und auf
der Straße. Brussig begegnet Ausländerinnen vor allem aus Osteuropa. Doch viele von ihnen sind keine Zwangsprostituierten, sondern sie wählten den Strich nach gescheiterten Ehen. Das ist natürlich auch nicht wirklich freiwillig, aber es ändert den Blick auf die
Frauen.

Brussig begegnet oft auch der Tristess und der Trostlosigkeit, die alles andere als Lust erzeugt. Er fragt sich, was Männer dazu treibt, hier Frauen viertelstundenweise einzukaufen. Aber er schildert auch ganz offen, dass es für ihn als Mann eine ganz neue Erfahrung war, umworben zu sein. Während sonst Frauen von Männern umworben
werden, funktioniert die käufliche Liebe gerade andersrum. Brussig ist so offen, über seine
Komplexe und mulmigen Gefühle zu schreiben. Und über die Faszination, wenn Frauen offen um ihn werben – auch wenn es eigentlich nur ums Geschäft geht.

Fazit: Ein offenes Buch über ein delikates Thema, das Thomas Brussig ohne feuchte Träume, falsche Scham oder Spannerlust schildert.

THOMAS BRUSSIG: BERLINER ORGIE. PIPER. 16,90 EURO.