Bruno Schulz, der große polnisch-jüdische Schriftsteller schreibt einen Brief an Thomas Mann. 1938, schon nach dem Einmarsch Deutschlands ins Sudetenland, sitzt Schulz an seinem Schreibtisch im heimisch Drohobycz und berichtet in einem Brief an den Autoren-Kollegen von dessen Doppelgänger. Das ist der Rahmen für eine kleine Novelle von Maxim Biller, in der auf nicht einmal 70 Seiten ein visionärer Alptraum entsteht, dem man sich als Leser nicht entziehen kann.
Schlagwort: Novelle
Thomas Weiss zu seinem Buch „Tod eines Trüffelschweins“
Der Fall Grohe machte Schlagzeilen. Die Übernahme des Traditions-Unternehmens durch
eine „Heuschrecke“ und die anschließende Schließung vor zwei Jahren erregte weit über Herzberg hinaus die Gemüter. Der Berliner Autor Thomas Weiss hat sich den Fall als Vorlage für einen irritierenden Text gewählt. Weiss beschreibt darin, wie der Kampf gegen
Ungerechtigkeiten der Globalisierung in Terror münden könnte.
Wie sind Sie auf den Fall Grohe gekommen?
Ich habe im WDR eine Dokumentation darüber gesehen. Als ich das sah, dachte ich mir, dass ich das unbedingt machen will. Das hat mich dann schon gereizt.
Waren Sie mal in Herzberg?
Nein.
Sie sind da noch nicht hingefahren und haben sich das angeschaut?
Nein. Das Buch sollte nicht konkret den Fall Grohe darstellen. Natürlich ist es – daran angelehnt, aber ich wollte einen allgemeineren Text schreiben. Der konkrete Fall Grohe interessierte mich, um einen besonders krassen Fall einer Firmenübernahme durch Finanzinvestoren zu schildern. Darüber habe ich viel recherchiert.
Aber Grothe und Nierenberg im Buch sind doch Grohe und Herzberg?
Das drängt sich auf, sicherlich, trotzdem bilde ich den Fall Grohe nicht eins zu eins ab, sondern überziehe ihn mit einer fiktiven Handlung.
Dieses Thema mit der RAF zu kombinieren, ist schon ein waghalsiges Unterfangen.
Angetrieben hat mich die Bekanntschaft mit einem Mann, der zu dieser Zeit bei der GSG 9 war. Bei einem Gespräch kamen wir auch auf den Fall Grohe. Er fand das auch sehr negativ, zutiefst ungerecht. Da kam mir die Idee, dass man das Leben eines GSG-9ers mit der Globalisierung verknüpfen könnte. Vor allem vor dem Hintergrund, dass die Umstände der Befreiung von Mogadischu auch spannend sind. Mein Bekannter hat mir viel über den Heldenstatus der GSG-9-Mitglieder erzählt. Und davon, dass sich im Laufe der Zeit etliche
umgebracht haben. Das weiß kaum jemand. Und da dachte ich mir, diese Vermischung des
Denkens . . .
. . . des Gerechtigkeitsempfindens und der Sympathie zwischen den RAF-Terroristen und GSG-9-ern ist beim Lesen sehr verwirrend.
Genau darum ging es mir. Ich wollte keine wissenschaftliche Abhandlung über Firmen-Übernahmen schreiben. Die konkreten Auswirkungen an einem tatsächlichen Beispiel waren deshalb wichtig.
Aber das hat ja nichts mit Terrorismus zu tun.
Die Tat Heusers – der Hauptfigur – schon. Sie ist ja im Grunde eine terroristische Tat. Den Zusammenhang mit der RAF herzustellen, war dennoch schwierig. Das ist natürlich sehr gewagt. Aber das Vorgehen solch eines Finanzinvestors wie im Fall Grohe ist ja auch gewagt. Es ist doch das Allerletzte, wenn man aus persönlicher Profitgier Leute rausschmeißt und einen profitablen Betrieb schließt. Ich finde das unfassbar: Der Betrieb
produzierte mit Gewinn. Doch weil anderswo mehr Profit möglich war, werden einfach die Leute rausgeschmissen und der Betrieb geschlossen.
Auch das hat noch nichts mit Terror zu tun.
Wie gesagt, Heuser ist ja eigentlich der Terrorist. Ich konnte mir einfach vorstellen, dass in solch einer Situation – jemand sagt: Jetzt ist mir auch – alles egal! Für ein Buch ist das eine reizvolle Konstellation. Wenn auf der einen Seite ein Investor sagt, ihm ist alles egal und auf der anderen ein Mitarbeiter das gleiche sagt.
Das kann als Rechtfertigung verstanden werden.
Mit dieser Verknüpfung rechtfertige ich keine terroristischen Anschläge. Aber bei der Diskussion über die Begnadigung von Christian Klar ging es auch um Reue, um die Frage, wie steht ein Mensch zu seinen Taten. Eine ähnliche Frage stelle ich auch.
Vor 20 Jahren wäre ein Text wie Ihrer kaum denkbar gewesen.
Ich stelle nur einen Standpunkt dar, ich sympathisiere aber nicht mit der RAF. Das würde ich nie machen. Natürlich habe ich auch über sie recherchiert. Ihre Vorstellungen waren völlig absurd. Erstaunlicherweise gibt es Parallelen zwischen der GSG 9 und der RAF auch in der Sicht auf die Welt. Bei beiden ist sie eher schwarz-weiß. Das hat radikale Konsequenzen. Dieser Radikalität wollte ich mit meinem Buch entsprechen. Das Denken der GSG 9 und der RAF war knallhart, so wie das Buch. Diese Gemeinsamkeiten zwischen den total gegensätzlichen Polen sind vorhanden. Und genau die stelle ich dar.
Globalisierungskritik ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Und Sie schreiben einen Text, der sagt: Globalisierung ist so brutal und menschenverachtend, dass selbst die Ermordung von Menschen im Namen einer Gerechtigkeit nachvollziehbar ist.
Der Täter Heuser behauptet das. Ich kann mir lediglich vorstellen, dass der Täter Heuser das behauptet.
Sie spielen aber damit, dass der Leser in diesen Sog mit reingezogen wird.
In meinem Buch steht auch, dass die RAF furchtbare Morde mit schrecklicher Brutalität
verübte. Dennoch können diese Taten nicht aus reiner Mordlust erklärt werden. Es steckte eine politische Idee dahinter, die völlig fatal umgesetzt wurde. Betrachtet man den Vietnam-Krieg, wird nachvollziehbar, woraus die RAF entstanden ist. Dass sie dann mit ihren Bomben dieselben Mittel anwandte – übrigens genauso die Genickschussmentalität
der Nazis – zeigt auch, wie irrsinnig dieser Weg war.
Es geht also um die Schwelle, die Gewalt legitimiert?
Genau. Irgendwann gibt es dieses Maß, das übertroffen wird. Meine Figur Klaus Heuser, der ehemalige GSG-9-Beamte, begründet mit dem Namen „Kommando Georg Elser“, dass er tötet. Heuser sagt, dass es einen Moment gibt, in dem man töten darf. Georg Elser durfte
ja auch, aus unserer Sicht, 1939 versuchen, Hitler zu töten. Das ist natürlich ein Extremfall. Aber wenn man diese Hierarchie nach unten geht, dann kommt man ein ganzes Stück weit. Irgendwann gelangt man dann an den Punkt, an dem das Töten nicht mehr zu rechtfertigen ist. Aber wo ist dieser Punkt? Das ist sehr schwer zu fassen.
Damit wird der mörderische Widerstand gegen die Globalisierung mit dem Widerstand gegen Hitler auf eine Stufe gestellt.
Die Problematik war und ist mir bewusst. Wenn man sich mehr mit dem Fall Grohe beschäftigt, entsteht ein Wutempfinden. Genau das stelle ich überspitzt dar und frage, was noch passieren könnte. Aber der Mord nützte ja nichts.Hinterher ist alles so, dass die Tat
sinnlos war. So wie die Morde der RAF sinnlos waren. Aber damit zu spielen, dass jemand sagt, er sei immer noch für Gerechtigkeit im radikalen Sinn, war für mich reizvoll. Dabei schwingt auch die Mogadischu-Geschichte mit. In diesem Fall sagt auch jeder: „Völlig klar, dass die GSG 9 die Maschine stürmen und die Terroristen erschießen musste.“ Für die Passagiere war die Entführung eine unglaubliche Quälerei. Das ist ganz furchtbar, was diesen Leuten angetan wurde. Trotzdem hatten – auch die palästinensischen Entführer irgendwo politische Motive, die sich aus ihrer ganz persönlichen Geschichte ergaben.
Würden Sie selbst als Privatmensch politische Forderungen ableiten aus der Beschäftigung im Fall Grohe?
Ich finde, dass Praktiken wie im Fall Grohe nicht legal bleiben dürfen, vor allem, was die Überschuldung des übernommenen Unternehmens durch den eigenen Kaufpreis betrifft. Das kann man bestimmt irgendwie lösen, ohne dass dadurch Deutschland gleich wirtschaftlich untergeht.
Hätten Sie Lust, aus Ihrem Buch in Herzberg oder der Region zu lesen?
Ja, auf jeden Fall. Ich rechne eigentlich damit, dass das so kommt.
Thomas Weiss: „Tod eines Trüffelschweins“, Steidl Verlag, gebunden, 130 Seiten, 14 Euro.