Penderecki über seine Bäume, seine Musik und Deutschland

Krzystof Penderecki
Krzystof Penderecki

Krzysztof Penderecki, Sie erhalten den Viadrina-Preis für deutsch-polnische Verständigung. Welche Bedeutung hat diese Auszeichnung für einen Mann, der schon so viele Ehrungen erhalten hat? Der Mitglied der Akademie der Künste in Berlin, der Mitglied der Akademie der schönen Künste Bayerns ist, der in den USA, in China ausgezeichnet worden ist. Was bedeutet so ein Preis aus Frankfurt (Oder)?

Sehr viel. Ich habe mich das ganze Leben um Verständigung zwischen Polen und Deutschland bemüht. Ich habe vier Jahre in Deutschland gelebt. Ich habe, vielleicht, viele hundert Konzerte dort gehabt. Aber was wichtiger ist: Fast die Hälfte meiner Konzerte ist für deutsche Auftraggeber geschrieben worden.

Es ist sehr interessant, dass ein Mann, der 1933 in Ostpolen geboren wurde, der den zweiten Weltkrieg, der die Schrecken des Krieges auch in der eigenen Familie erlebt hat, ausgerechnet Deutsch lernte.

Mein Großvater war ein Deutscher. Er hat mit mir, aber daran kann ich mich nicht mehr erinnern, vor dem Kriege Deutsch gesprochen. Aber als die Deutschen kamen, wollte er plötzlich kein Wort Deutsch mehr sprechen. Ich habe dann alles verlernt. Aber ich dachte dann, dass man das überwinden muss. Man kann nicht das ganze Leben nur vom Hass leben. Als ich nach Deutschland kam, habe ich dann ganz viele positive Deutsche kennengelernt.

Was wäre wenn die DDR noch existierte? Dann dürfte Simon Urban bestimmt nicht einreisen

Simon Urban: Plan D
Simon Urban: Plan D

Was wäre wenn? Diese Frage muss sich der Historiker verkneifen. Der Schriftsteller aber darf sie nicht nur stellen, er kann sie auch beantworten. Aber nur, wenn der erzählen kann. Simon Urban kann erzählen. Und wie!

Für einen Debüt-Roman ist es fast schon zu gut, was der Marketing-Texter Urban (Jahrgang 1975) da abgeliefert hat. Ich muss gestehen, dass ich mich zunächst nicht so recht an das Buch wagte, weil mir der Klappentext doch etwas zu krude vorkam. Doch kaum hatte ich angefangen, wollte ich nicht mehr aufhören. Die Folge:  Vier eindeutig zu kurze Nächte!

Simon Urban lässt im Oktober 2011 einen Mord geschehen. Das könnte ja in jedem Krimi passieren. Aber eben nicht in der DDR. Die existiert nach der bekannten Krise von 1989/90 bei Urban noch immer. Egon Krenz ist noch immer Staatsratsvorsitzender, Sarah Wagenknecht ist Schauspielerin und Oskar Lafontaine Kanzler der Bundesregierung in Bonn. Dieses Szenario wirkt anfangs etwas seltsam, entfaltet aber dann auf den mehr als 500 Seiten eine immer größere Faszination.

Das Mordopfer ist ein Professor, der vor der „Wiederbelebung“, so nennt Urban die Phase nach der zweiten Mauerschließung 1992, in die DDR ka, um Krenz zu beraten. Gefunden wird das Opfer erhängt an einer Gazprom-Pipeline in Köpenick. Hintergrund des Mordes sind Verhandlungen über neue Erdgaslieferverträge.

Neben dieses wunderbar skurrilen und bis ins Detail ironisch-überzeugenden Rahmens überzeugen vor allem die Figuren. Der ermittelnde Hauptmann Wegener und sein scharf beobachtetes Liebesleid, an seiner Ex, in die er alle Verlustängste und erotischen Phantasien legt, ist ebenso großartig wie die alle anderen Figuren vom Stasi-Major bis hin zum Terroristen in der DDR. All das ist wirklich wunderbar, packend erzählt. Und neben de m eigentlichen Thriller eine feine intellektuelle Herausforderung. Schließlich will ständig überprüft werden, ob das „Was-wäre-wenn“ auch stimmen könnte. Und siehe da: es könnte! Immerzu. Deshalb: Lesen! Unbedingt! (Und danke Mathias für den Tipp und da Buch!)

Klaus Modick begleitet Feuchtwangers Abschied von Brecht

Klaus Modick: Sunset
Klaus Modick: Sunset

Es ist nur ein Tag im Leben Lion Feuchtwangers, den Klaus Modick in seinem aktuellsten Roman begleitet. Aber es ist ein Tag, in dem der international so erfolgreiche Feuchtwanger das Telegramm mit der Nachricht vom Tode seines Freundes Bert Brecht erhält. Modick formt aus diesem Plot einen sensiblen Text über Freundschaft, Literatur und Exil. Lion Feuchtwanger war neben Thomas Mann der wohlhabendste deutsche Exilschriftsteller.

Beide lebten in Hollywood/Los Angeles. Im Gegensatz zu den meisten deutschen Schriftstellern, denen die Flucht vor den Nazis in die USA gelang, konnte Feuchtwanger dank der vielen erfolgreichen Übersetzungen seiner historischen Romane und des Verkaufs von Filmrechten sehr gut leben. Bert Brecht dagegen bekam in Hollywood kein Bein auf den Boden. Auch viele andere, wie Walter Mehring, scheiterten. Feuchtwanger unterstützte viele Emigranten. Teils direkt, teils über Stiftungen und den 1944 in New York mitgegründeten Aurora Verlag, in dem etliche Exil-Autoren veröffentlichen konnten.

1956 lebte Feuchtwanger noch immer in den USA. Brecht war wie viele andere, die trotz der Verbrechen Stalins davon träumten, dass die DDR eine freie Heimstatt für Künstler sein könnte, nach Ost-Berlin gegangen. Drei Jahre nach der Niederschlagung des Arbeiteraufstands vom 17. Juni 1953 stirbt Brecht. Modick, der über Feuchtwanger promoviert hat, begleitet den Schriftsteller vom Aufstehen bis in den Abend. Das Telegramm mit der Todesnachricht löst eine Reihe von Erinnerungen aus. In diesen Rückblenden wird die Freundschaft der beiden von Kennenlernen in München um 1920 bis zur letzten Begegnung kurz vor Brechts Auftritt vor der Mc Carthy-Kommission erinnert.

Modick macht dies mit einer Mischung aus Fiktion und der Nutzung verbriefter Quellen. Dabei entsteht ein sehr kompaktes Panorama des Exils mit all den politischen Irrungen, persönlichen Enttäuschungen und privaten Verstrickungen. Modicks Sprache ist sehr prägnant. Die Gedanken sind klar und ohne Schnörkel formuliert. Er nähert sich der Sprache Feuchtwangers an, ohne in dieser aufzugehen. Und so gelingt es ihm, ein überzeugendes Buch vorzulegen – und zwar in Form und Inhalt. Es ist sowohl für jene ein Genuss, die sich mit der Exillitertaur auskennen, als auch für jene, die schlicht neugierig sind. Auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis 2011 ist es völlig zurecht.

Klaus Modick: Sunset, Eichborn

Fundstück im Antiquariat (2): Ludwig Börnes Verhaftung

Augsburgische Ordinari Postzeitung vom 8. April 1820
Augsburgische Ordinari Postzeitung vom 8. April 1820

Dieses Stück Papier ist eine fast 200 Jahre alte Zeitung. Ich habe sie heute gefunden und musste sie kaufen. Die wenigen Euro wären es schon wert gewesen, nur um so eine alte Zeitung zu besitzen. Richtig spannend ist aber, dass in ihr von der Verhaftung und Entlassung Ludwig Börnes berichtet wird. Der war 1820 im ständigen Kampf mit der Zensur. Nach Verabschiedung der Karlsbader Beschlüsse 1819 machte sich auch in Frankfurt/Main die Zensur wieder breit. Seine Zeitung „Die Waage“ fiel dem Zensor zum Opfer. Er selbst arbeitete danach als Redakteur der „Zeitung der Freien Stadt Frankfurt“. Das erregte die Behörden allerdings so sehr, dass der Liberale entlassen werden musste. Im März 1820 war Börne dann in Paris, wo er später bis zu seinem Tod genauso wie Heinrich Heine im Exil bleiben sollte. Ein Student wurde mit verbotenen Flugblättern aufgegriffen. Als Hersteller gab es Börne an. Das tat er, weil er den Schriftsteller und Journalisten noch in Frankreich wähnte. Doch er war schon wieder daheim. Und so sperrten ihn Polizei und Zensor ein. Es dauerte einige Tage, bis er verhört wurde und sich alles aufklärte.

Augsburgische Ordinari Postzeitung vom 8. April 1820
Augsburgische Ordinari Postzeitung vom 8. April 1820

Für Börne war die Verhaftung ein Einschnitt in sein Leben. Von da an orientierte er sich endgültig weg aus Frankfurt, wo er in der furchtbaren Judengasse geboren und aufgewachsen war und nach seinem Studium, das für den Juden nur dank der Besatzung durch Napoleon möglich war, als Journalist arbeitete. Es ist heute wirklich nicht mehr vorstellbar, was Deutsche einst auf sich nehmen mussten, nur weil sie eine eigene Meinung hatten. Besonders absurd war es, dass sich die DDR auf Börne als liberalen Vorläufer der kommunistischen Denker auch auf ihn bezog. Wie es überhaupt seltsam ist, dass sich eine  auf Exilanten bezieht. Auf Menschen also, die für den aufrechten Gang und ihre Überzeugung lieber die Heimat hinter sich ließen als in Demut vor der Obrigkeit zu buckeln. Insofern ist dieses Stück altes Papier ein kleines Lehrstück für die Wirrnisse des Lebens. Und eine Mahnung, dass wir uns immer gegen die engagieren, die uns den Mund verbieten wollen. Denn Demokratie und Freiheit sind nicht selbstverständlich. Ein Blick in die Bücher und Schriften Börnes lohnt sich auch deshalb immer. Er hat über den Vorfall auch eine herrliche Satire geschrieben. Außerdem sind seine Reportagen und Feuilletons stilistisch ein Genuss.

Weitere Fundstücke im Antiquariat:
Walter Mehrings Autograph
Ludwig Börnes Verhaftung
Kostbarkeiten bei Alfred Polgar
Ein Theaterzettel von 1931
Die Verlustanzeige von Karl Frucht
Andreas Oppermann erinnert 1860 an Palermo

 


Schweskas Roman schildert den Niedergang der DDR anhand der IT-Subkultur

Marc Schweska: Die letzte Instanz
Marc Schweska: Die letzte Instanz

Über die Widerständigen in der DDR ist schon viel geschrieben worden. Meist handelt es sich um Bürgerrechtler, Umweltschützer, Hippies oder auch Skinheads. Musik und Kirche ist immer wichtig. Aber dass die ersten Computerfreaks der Arbeiter- und Bauerndiktatur Teil der Berliner Subkultur von Prenzlauer Berg und Friedrichshain waren, war mir neu. In Marc Schweska Roman „Zur letzten Instanz“ erweckt er die untergehende DDR zum Leben. Der Roman gehört zu den überraschendsten Büchern der „Anderen Bibliothek“ der vergangenen Jahre. Denn die Collage um Lem, den Sohn eines einst wichtigen Kybernetikers, der am Theater arbeitet, in einer Band spielt und vor allem in seiner Freizeit Computer und Elektrogeräte bastelt, zeigt alle Aspekte des absurden Staates zwischen Elbe und Oder.

Dabei entwirft Schweska nicht nur ein Panorama des Untergangs. Er schreibt auch eine Geschichte der Kybernetik, die als gemeinsame Sprache jenseits der Ideologien für einen Moment in Ost und West von einigen Wissenschaftlern als Möglichkeit gesehen wurde, anhand der logischen Informationstechnologie den starren ideologischen Systemen eine Alternative an die Seite zu stellen. Das ist natürlich nicht immer ganz einfach zu lesen. Denn Schweska scheut auch nicht davor zurück, mal eine Seite Programmcode abzudrucken. Aber in Kombination mit Überwachungsprotokollen der Stasi und absonderlichen Nachrufen entsteht ein facettenreiches Bild. Schweska kann sprachlich für unterschiedliche Akteure auch eigene Dukti entwerfen. Das sorgt für mehr Spannung.

Obwohl das Buch kein spannendes, sondern eher ein verwunderliches ist. Es hat etwas von einem Bildungsroman. Nur dass der sich bildende nicht ein einzelner Mensch ist, sondern eine Idee, die sich in den Menschen zweier Generationen ausbreitet. Wobei der Sohn die Errungenschaften des Vaters nur als Pervertierung kennenlernt. Wo der Vater anhand der IT den Fortschritt beflügeln wollte, spürt der Sohn die negativen Auswirkungen: Denn die Stasi nutzt die IT, um besser und effizienter überwachen zu können. Dieser Aspekt ist auch heute noch aktuell, wenn man an die aktuellen politischen Debatten denkt. Im Roman steht das Beispiel Computertechnologie für den gesamten Niedergang der Ideen, die der DDR anfangs Legitimität gaben und am Ende nur noch hohles Pathos verwirrter Greise war, die über die Mittel verfügten, das Leben von Menschen zu vernichten.

Marc Schweska: Zur letzten Instanz. Eichborn – Die Andere Bibliothek. 32 Euro.

Mehr über Bücher der Anderen Bibliothek

Wie ich mit der goldenen Ehrennadel der Lausitzer Rundschau geehrt wurde

Die silberne Ehrennadel der Lausitzer Rundschau mit Etui
Die silberne Ehrennadel der Lausitzer Rundschau mit Etui

In Brandenburg streiten sich die Opposition (CDU, Grüne, FDP) und die Regierung (SPD, PDS) über den Umgang mit dem SED-Erbe nach der Friedlichen Revolution. Ins Visier einer Kommission sind dabei die ehemaligen SED-Bezirkszeitungen geraten, die Märkische Allgemeine, die Lausitzer Rundschau und die Märkische Oderzeitung. Ihnen wirft ein Bericht vor, zu sehr Kontinuität bewahrt zu haben.

1998 erlebte ich diese Kontinuität auf eine sehr amüsante Art und Weise: Ich bekam die Goldene Ehrennadel der Lausitzer Rundschau verliehen. Zum Abschied nach drei Jahren und drei Monaten bei dem Blatt. Einige Redakteure hatten das Ehrenzeichen für 25 Jahre Durchhalten nach der Privatisierung gesichert. Und sich den Scherz gemacht, es verdienten Kadern wie mir, dem Wessi auf dem Weg zurück in den Westen, zu verleihen. Natürlich waren das ostdeutsche Kolleginnen und Kollegen. Sie hatten so viel Distanz zu ihrer Vergangenheit, dass sie sich ironisch mit dieser Ehrenzeichenverleihung darüber lustig machen konnten.

Sie wussten aber auch, dass die Privatisierung der Treuhand dafür gesorgt hat, dass die Zeitungsmonopole erhalten blieben. Der daraus resultierenden Verantwortung haben sie sich gestellt. So wie es die intelligenten Neuzugänge auch taten. Sie wussten, dass schon vor 1989 nicht gold war, was auf Ehrenzeichen glänzte. Und sie hatten begriffen, dass man den Widrigkeiten des Arbeitslebens nur mit Humor und dem steten Suchen nach den eigenen Freiräumen, nach der eigenen Freiheit die Lust am täglichen kritischen Zeitungsmachen abgewinnen kann. In diesem Sinne halte ich die Ehrennadel der SED-Bezirkszeitung noch heute in Ehren. An die gleichgültigen, gelangweilten und schlechten Journalisten denke ich dabei nicht. Die gibt es überall, im Westen und im Osten.

Warum nicht 
einfach immer 
Sommerzeit?

Seit 30 Jahren stellen die Deutschen Jahr für Jahre ihre Uhren um. Im Frühjahr kommt die Sommerzeit und im Herbst die Winterzeit, die es ja gar nicht gibt. Von den meisten wird dieses Ritual als störend empfunden.

Im Kern handelt es sich bei der Sommerzeit um einen Versuch, das Leben der gesamten Gesellschaft ökonomischer zu gestalten. Nach der Ölkrise 1973 war das Bemühen, Energie zu sparen sehr groß. Wenn es im Sommer länger hell ist, dann wird weniger Strom verbraucht, dachten sich die Verantwortlichen. Im Westeuropa wurde deshalb Ende der 1970er Jahre die Sommerzeit eingeführt. Nur in Deutschland dauerte es etwas länger.

Um tatsächlich wirtschaftlichen Nutzen aus der Zeitumstellung ziehen zu können, mussten hier zu Lande beide Staaten trotz der Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Wirtschaftssystemen synchron funktionieren. Vor allem der Verkehr zwischen Ost- und West erforderte dies. 1980 war es dann so weit. Die DDR forcierte die Umstellung. Die Bundesrepublik beschleunigte die Einführung. Als gesamtdeutsches Projekt konnten die Uhren umgestellt werden. Die Fahrpläne der Bahnen harmonierten weiter. Ganz nebenbei wurde so ein kleines Stück gesamtdeutscher Normalität durch das gleichzeitige Drehen am Zeiger festgeschrieben.

Aber der ökonomische Nutzen stellte sich nicht ein. Energie wird nicht gespart. Das bisschen Strom für kürzer brennendes Licht, das weniger benötigt wird, ist nicht messbar. Auch sonst sind keine Vorteile erkennbar. Das merkte schon die DDR, die deshalb mit der Ankündigung, zum Alten zurückkehren zu wollen, deutsch-deutsche Hektik verursachte. Die Sowjetunion aber war vom Nutzen überzeugt. So blieb der DDR-Alleingang aus.

D ie meisten Deutschen erleben seitdem die Nachteile. Die liegen im Befinden, teilweise sogar im gesundheitlichen Wohlergehen. Die Zahl derer, die Schwierigkeiten hat, sich an den neuen Schlafrhythmus anzupassen ist groß. Und das alles nur für einen nicht messbaren wirtschaftlichen Vorteil.

Damit steht die Zeitumstellung für ein Phänomen, das die Gesellschaft beherrscht. Wirtschaftliche Argumente dominieren unser Leben – bis in den Schlaf hinein. Ständige Erreichbarkeit mit Handy und Mail gehört sicherlich auch zum Unbehagen. Deshalb wäre es nicht verkehrt, mit der zeitlichen Fremdbestimmung aufzuhören. Für die Sommerzeit hieße dies, dass sie einfach für immer bleibt.

MOZ-Kommentar…

Paul ist ein Ost-Exportschlager

Die Suche nach dem richtigen Vornamen beschäftigt angehende Eltern sehr. In Leipzig berät Gabriele Rodriguez nicht nur Eltern, sondern auch Standesämter sowie Gerichte. Andreas Oppermann informierte sich bei der Sprachwissenschaftlerin über Trends und regionale Besonderheiten.

Frau Rodriguez, mit welchen Anliegen kommen angehende Eltern zu Ihnen?

Gabriele Rodriguez: In den meisten Fällen werden Eltern von Standesämtern an uns verwiesen, um eine Bescheinigung für die Verwendung eines bestimmten Namens zu bekommen. Wir haben in Deutschland eine freie Vornamenwahl, mit einigen Einschränkungen: Der Name muss einen Vornamen-Charakter haben. Er muss das Geschlecht eindeutig benennen oder mit einem Zweitnamen versehen werden. Und das Wohl des Kindes muss gewährleistet sein.

Das klingt nicht sehr kompliziert.

Aus Sicht der Standesämter ist das gar nicht so einfach, weil in Deutschland immer mehr neue Namen eingetragen werden, die es in den Verzeichnissen der Standesämter gar nicht gibt. Außerdem gibt es wegen internationaler Einflüsse Probleme mit der Eindeutigkeit des Geschlechts. Ich heiße Gabriele. In Italien ist das ein Männername, in Deutschland ganz klar ein Frauenname. Und immer wieder geht es auch um die Frage des Wohles des Kindes. Wir erstellen dann Gutachten für Gerichte, um zu bewerten, ob Namen eintragungsfähig sind oder nicht.

Ist der internationale Einfluss so stark?

In den letzten zehn Jahren betrifft die Hälfte der Anfragen ausländische Namen. Jedes vierte Kind, das in Deutschland geboren wird, hat einen Migrationshintergrund.

Was sind denn die skurrilsten Namen, die Sie ablehnen mussten?

Das sind nicht so viele. Aber Crazy Horse, Borrusia, Whisky, Kirsche, Schröder oder Pfefferminze mussten wir ablehnen.

Pfefferminze als Vorname?

Ja, genauso wie Rumpelstilzchen, Joghurt oder Porsche.

Wollte da ein Porschefreund mit Mercedes gleichziehen?

Genau. Aber man muss natürlich wissen, wie diese Firmennamen entstanden sind. Mercedes ist tatsächlich ein Vorname, während Porsche ein Familienname ist. Familiennamen sind in Deutschland als Vorname nicht zulässig.

Welche Trends bei Vornamen beobachten Sie?

Der größte Trend ist eine ganz starke Individualisierung. Eltern wollen ihrem Kind oft einen seltenen, individuellen Namen geben. Das hängt mit unserer Gesellschaft zusammen, die stark individualistisch geprägt ist. Außerdem aber viele Eltern nur noch ein Kind, das soll dann etwas ganz Besonderes sein. Die freie Vornamenwahl erlaubt es den Eltern zudem, Kindern auch Namen aus anderen Kulturkreisen zu geben. Wir haben inzwischen deutsche Kinder mit japanischen oder indischen Namen.

Können Sie anhand der Namen erkennen, welche soziale Stellung die Eltern haben?

In diesem Zusammenhang gibt es zwei Trends, die auf das Milieu und den Bildungsstand der Eltern schließen lassen. Alte Namen sind bei Akademikern im Trend. Alle 100 Jahre gibt es eine Rückbesinnung auf alte deutsche Namen. Friedrich, Konrad, Karl sind dafür Beispiele. Oder Leopold, Arthur, Richard oder Edgar. Bei den Mädchen Ida, Irmgard, Irmhild. Ergänzt wird das um die traditionellen Namen wie Maximilian, Paul, Alexander oder Emma, Julia und Maria.

Und bei bildungsferneren Schichten?

Dort orientieren sich viele Eltern eher an TV, Musik und Sport. Deshalb gibt es dort einen Trend zu englischen und amerikanischen Namen.

Aber Kevin ist auf dem Rückzug?

Dafür kommen andere wie Quentin, Jason, Maddox, Lennox, Lenny und so weiter. Interessant ist, dass viele dieser Namen biblischen Ursprungs sind: Jeremy ist ein Jeremias, Simon ein Simon, Jason ein Jason. Das deutet aber nicht auf eine religiösere Gesellschaft. Im englischen Sprachraum haben biblische Namen eine größere Bedeutung. Den Hintergrund kennen viele deutsche Eltern gar nicht.

Erforschen Sie auch, was aus den Trägern bestimmter Namen wird?

Wenn wir das Beispiel Kevin nehmen, stellen wir fest, dass dieser Name vor 20 bis 30 Jahren vor allen von Akademikern vergeben wurde. Kevinismus als Synonym für Unterschicht hat mit diesen Kevins nichts zu tun. Der Name ist durch eine Reihe von Einflüssen vor gut zehn Jahren in bildungsfernen Kreisen populär geworden. Dort wurde er inflationär vergeben. Lehrer, die sagen, dass sie mit Kevins fast immer Probleme haben, identifizieren mit diesem Namen eine Herkunft, die in der Schule eher Probleme hat.

Heute ist er aber schon wieder aus der Mode?

Kevin ja, aber englische Namen nicht. Diese werden sehr oft mit Unterschicht assoziiert. Umgedreht werden alte Namen als intelligent eingestuft, weil der familiäre Hintergrund dafür spricht.

In unserem Verbreitungsgebiet ist der Paul am häufigsten, gefolgt von Jonas, Ben, Maximilian, Tim, Finn.

Das sind in der Tat sehr häufige Namen. Aber wenn früher die häufigsten Namen bei zehn Prozent der Kinder vergeben wurden, so sind es heute nur noch ein bis zwei eines Jahrgangs, die einen so häufigen Namen tragen. Im Gegenzug wächst der Bestand an Vornamen. Dies spiegelt den Trend zur Individualisierung. Jede Woche wird in Deutschland ein neuer Name in die Listen aufgenommen, den es so noch nicht gegeben hat.

Es gibt auch Namen, die mit der DDR verbunden werden.

In der ehemaligen DDR waren Sindy, Ronny, Peggy und so weiter sehr verbreitet. Man spricht sogar direkt von DDR-Namen. In Kimberly, Amy, Chelsea, Lenny oder Lily finden sie ihre Fortsetzung. Wenn sie ausgesprochen werden, enden sie auf „i“. Im Süden der ehemaligen DDR werden solche Namen gern verwendet, weil sie mit dem Dialekt harmonieren. Im Sächsischen wird sehr viel verkleinert, da passen solche Namen sehr gut. Je weiter wir in den Norden kommen, erhöht sich die Verwendung nordischer Namen.

Gibt es heute noch DDR-Namen, die bundesweit von Bedeutung sind?

Bevor Paul bundesweit unter die zehn häufigsten Vornamen gekommen ist, war er schon immer in der DDR Spitzenreiter. Insofern ist er ein Ostexport. Im Westen war er nicht so bekannt, hat dort aber Karriere gemacht. Heute gehört er regelmäßig zu den fünf beliebtesten Jungen-Namen. Auch andere alte Namen wir Friedrich oder Karl sind im Osten verbreiteter als im Westen.

Kann man anhand der Häufigkeit der Vornamen heute noch erkennen, ob man in einer katholisch, evangelisch oder atheistisch geprägten Gegend ist?

Wenn Sie in den Süden kommen, spielt das Benennen nach Taufpaten eine größere Rolle, auch nach mehreren Taufpaten. Im Süden finden Sie zudem eher die Vollformen der Namen: Maximilian, im Norden eher die Kurzform wie Max. Im Osten gibt es viel seltener Zweit- oder gar Drittnamen. Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges gibt es zudem eine immer freiere Vornamenwahl. Davor war sie oft noch gebunden. Viele Kinder bekamen den Vornamen des Paten. Umso besser dessen soziale Stellung war, umso mehr Kinder wurden nach ihm benannt. Ein weiteres Kriterium war die Unterschutzstellung der Kinder unter Heilige. Entsprechend waren solche Namen in katholischen Gegenden verbreiterter. Das gibt es heute kaum noch.

Welchen Rat geben Sie werdenden Eltern? Was sollten sie unbedingt vermeiden?

Wenn das Kind einen ungewöhnlichen Namen bekommt, sollte er mit einem gewöhnlichen Namen kombiniert werden. Dann hat das Kind später die Wahlmöglichkeit. Der Rufname wird im Ausweis ja nicht mehr unterstrichen. Jeder Name darf als Rufname verwendet werden. Zudem sollte der Vorname immer zum Familiennamen passen; sie sollten eine stilistische und klangliche Einheit bilden. Und bevor die Eltern den Namen vergeben, sollten sie sich überlegen, wie es für sie wäre, wenn sie so hießen. Könnten sie damit leben? Auf Rechtschreibung zu achten ist auch hilfreich.

Spielt die Bedeutung der Namen noch eine Rolle?

Ich empfehle immer, darauf zu achten. Der englische Name Malory geht zum Beispiel aufs französische Malheur zurück. Vielleicht kommt das Kind mal ins Ausland. Wollen Sie dann so heißen? Oder Fea. Im Spanischen heißt das die Hässliche. Das kann für das Kind später mal peinlich werden.

ZUR PERSON

Gabriele Rodriguez ist Sprachwissenschaftlerin. Sie arbeitet in der Namenberatungsstelle der Universität Leipzig, die eng mit der Abteilung für Deutsch-Slavische Namenforschung des Instituts für Slavistik und der Gesellschaft für Namenkunde e. V. kooperiert.

MOZ-Interview…

Stasi-Akten verunsichern ganz Osteuropa

Sieben ost- und mitteleuropäische Staaten haben sich zum „Europäischen Netzwerk der für die Geheimpolizei zuständigen Behörden“ zusammengeschlossen. In den ehemaligen Ostblock-Staaten wird sehr unterschiedlich mit den Akten der kommunistischen Diktaturen umgegangen.

Es hat fast 20 Jahre gedauert, bis sich die staatlichen Stellen zur Aufarbeitung der Stasiakten in einem Netzwerk organisierten. Erst im Dezember 2008 schlossen sie sich zusammen. Die ehemaligen Staatsparteien, in deren Auftrag die Geheimpolizeien die Bevölkerung bespitzelten, waren schneller. In vielen Ländern bestimmten ihre Nachfolger die Debatte um den Umgang mit den Akten. Am nachhaltigsten verhinderten sie in Bulgarien und der Ukraine die Archiv-Öffnung. Kein Wunder, wie der bulgarische Journalist Hristo Hristov findet: „Selbst unser aktueller Präsident war Mitarbeiter des Geheimdienstes.“ Sein ukrainischer Kollege Juri Durkot kommt zu einem ähnlichen Ergebnis: „Erst nach der Orangenen Revolution 2004 hat man angefangen, Akten zugänglich zu machen.“ Wobei sich das „Institut für das nationale Gedenken“ vor allem mit Themen befasst, die lange zurückliegen, etwa der großen Hungersnot 1932/33. Einem Thema, das der Abgrenzung zu Moskau dient. Der Unterdrückung von Dissidenten nähert sich das Institut dagegen erst langsam – mit fraglichem Ausgang. Juri Durkot: „Bis zur Trennung 1991 sind viele Akten nach Russland gegangen.“

Solche Probleme kennen alle Behörden. Vor allem der Versuch, die Akten politisch zu instrumentalisieren ärgert sie und auch die Bürger. Die polnische Journalistin Patrycja Bukalska zeigt die Auswirkungen: „In Polen hat sich der Anteil der Gegner der Aktenöffnung von 2007 bis 2009 auf 40 Prozent verdoppelt.“ Die Akten gälten nur noch als Mittel im politischen Kampf, nicht als Teil der Aufarbeitung.

Doch genau dazu wurden sie Wissenschaftlern, Journalisten und Opfern zugänglich gemacht. Ungarn war 1991 der erste Staat des ehemaligen Warschauer Paktes, der ein Lustrationsgesetz erlassen hatte. Lustration war im alten Rom die feierliche Befreiung von Sünden. Die postkommunistischen Staaten nannten jene Gesetze so, die es ermöglichten, sich von Geheimpolizei-Mitarbeitern dank der Akten zu befreien – also von den Sündern der Vergangenheit. Ludek Navara von der tscheschichen Zeitung „Mladá Fronta DNES“ findet das nach wie vor richtig. 20 Jahre nach dem Ende der Diktatur interessiert ihn: „Wer wurde gezwungen und wer arbeitete aus Überzeugung mit der Staatssicherheit zusammen?“

Die Frage nach der Motivation und der Wirkungsweise der Unterdrückung bewegt alle nationalen Institute. Axel Janowitz, Referent für Bildungsarbeit der Birthler-Behörde mahnt: „Wir verlieren 2,3 Millionen SED-Mitglieder aus dem Blick. Und damit die Verantwortung der SED.“ Die Konzentration auf die Stasi, den „Schäferhund der SED“, gefährde die Aufarbeitung. Das sieht auch Dragos Petrescu vom „Nationalrat für das Studium der Securitate-Archive“ in Rumänien so. Dabei hat er die Jugend im Blick, für die die Diktatur Geschichte ist. Petrescu: „Wir müssen der Jugend sagen, dass auch der verantwortlich ist, der mitgemacht hat, ohne für die Securitate gearbeitet zu haben.“

Dieser Ansatz bei der Aufarbeitung wird oft als politische Instrumentalisierung verstanden, da sie zwangsläufig heute aktive Politiker und andere öffentliche Personen mit der Vergangenheit konfrontiert.

Eigentlich wollen die Behörden die europäische Dimension der Diktaturen beleuchten. Und wie kulturelle Fragen der einzelnen Nationen das Funktionieren der Diktatur bestimmt haben. Etwa, weshalb die Stasi in ihren Berichten von „häufig wechselndem Geschlechtsverkehr“ schreibt, der ungarische Geheimdienst aber von einem „aktiven Liebhaber“. Doch noch sind die Behörden nicht so weit. Das gilt auch für die Frage, nach dem Zusammenspiel von KGB und den einzelnen Geheimpolizeien.

Marianne Birthler, Chefin der deutschen Stasi-Behörde, will zudem, dass ein weiterer Aspekt nicht vergessen wird: „Wir finden in den Akten auch viele Menschen, die sich dem System widersetzt haben. Menschen, die einfach anständig geblieben sind.“

Texte von Erich Loest aus dem Exil uns zurück

Erich Loest: Einmal Exil uns zurück
Erich Loest: Einmal Exil uns zurück

Reden, Aufsätze und Interviews sind in Erich Loests Buch „Einmal Exil und zurück“  versammelt. In ihnen rechnet der Heimkehrer nach Leipzig mit der Ostalgie ab.

Loest, der als politischer Häftling in Bautzen einsaß und von der Bundesrepublik freigekauft wurde, stellt die Freiheit in seiner Werteskala nach ganz oben. Um so
verbitterter äußert er sich über ehemalige SED-Bonzen, willfährige Schriftsteller und jammernde Sachsen oder Brandenburger. Dabei lässt Loest reale Probleme nicht außer Acht.

Er kritisiert die Leipziger Kommunalpolitik genauso wie bundespolitische Verfehlungen.
Seine Texte sind frisch, seine Metaphern treffend und seine Haltung.

Erich Loest: EINMAL EXIL UND ZURÜCK. STEIDL, 30 EURO