Parsua Bashi zeichnet die Nylon Road ins Exil

Ein Comic über Vertreibung und Exil ist nach wie vor selten. Die Iranerin Parsua Bashi (40) hat mit ihrer autobiografischen Novelle „Nylon Road“ ein wunderbares Buch gezeichnet und geschrieben.

Parsua Bashi war 37 Jahre alt, als sie den Iran verließ. Seit 2004 lebt die Grafikerin in Zürich. Diesen Bruch hat sie auf den 127 Seiten von „Nylon Road“ verarbeitet. Und das mit viel Humor und einem gezielten Strich für das Wesentliche. Sie schildert ihr Leben aus der Perspektive der in die Freiheit geflohenen Frau. Das schafft sie ohne jedes Pathos, weil sie sich selbst immer wieder konfrontiert.

Im Buch unterhält sie sich mit der jungen Parsua, die sich dagegen sträubt, dass ihre Brüder und viele Freunde und Verwandte nach der Machtergreifung der Mullahs 1979 den Iran verlassen. Sie will doch in ihrer geliebten Heimatstadt Teheran bleiben. Die junge Parsua macht der Exilantin Vorwürfe. Sie habe das Land – und damit sich selbst – verraten. Noch härter werden die Selbstvorwürfe, als sie von der Scheidung von ihrem Mann – und von ihrem Kindes erzählt. Denn da sie den selbstgefälligen Mann, der ihr sogar den Kontakt zur eigenen Familie verbot, der ihr die geliebte Arbeit untersagte und sie zu Hause einschloss, nicht mehr ertragen konnte, wagte sie die Scheidung.

Im Iran von heute bedeutet das den Verzicht auf die eigenen Kinder. Denn eine Frau, die sich scheiden lässt, ist bei den muslimischen Machos nicht vorgesehen. Parsua Bashi kehrt ihr Innerstes nach außen. Dabei wahrt sie dennoch Distanz. Sie beleuchtet die Gründe, die für ein Leben im Iran sprechen. Und sie macht unmittelbar erlebbar, was sich junge Menschen in Deutschland gar nicht vorstellen können: die Verhaftung der jungen Frau, nur weil sie zusammen mit einem jungen Mann Farben einkauft; das Getuschel nach der Scheidung; die soziale Ausgrenzung, nur weil sie eigenverantwortlich leben will.

„Nylon Road“ moralisiert nicht. Die gezeichnete Novelle macht das Dilemma des Exils, die Schwierigkeiten beim Einleben im Westen und die Sehnsucht nach dem Teheran der Jugend ganz real erlebbar.

PARSUA BASHI: NYLON ROAD – EINE GRAPHISCHE NOVELLE. KEIN & ABER. 19,90 EURO.

Stefan Maiwalds lustiger Blick auf Italien

Stefan Maiwald: Laura, Leo Luca und ich
Stefan Maiwald: Laura, Leo Luca und ich

Klischees sollte man ja tunlichst vermeiden. Stefan Maiwald gelingt das nicht. Doch das macht den Reiz seines Büchleins über seine Beziehung mit seiner italienischen Frau – und damit mit deren Familie – so reizvoll. „Laura, Leo, Luca und ich“ ist ein leicht geschriebenes Tagebuch im Rückblick. Es erzählt, was dem ehemaligen Redakteur  des Playboy so alles passierte, als er die flüchtige Urlaubsbekanntschaft zu lieben lernt und endlich heiratet.

Seine Beobachtungen kann er mit der nötigen Distanz zu schnurrigen Anekdoten verdichten, die nichts von egomanischer Beziehungsliteratur an sich haben. Maiwald liebt nicht nur Laura. Er liebt auch die ganze Familie. Auch wenn sie ihm auf die Nerven geht.
Das ist herrlich!

Stefan Maiwald: LAURA, LEO, LUCA UND ICH. DTV. 8,90 EURO

 

Die Geschichte vom einzigen „Club“

Die Legende vom Club
Die Legende vom Club

Der Club war ewig Rekordmeister. Bis zu seinem Abstieg direkt nach der  gewonnen Meisterschaft 1968. Die Nürnberger gehören wie nur wenige Vereine zu denen, um die sich Legenden und Geschichten aus nun fast 100 Jahren ranken.

Einst stellten die Clubberer zusammen mit Fürth alleine die  Nationalmannschaft. Davon und von der Gegenwart erzählt Christoph Bausenwein in seinem fantastischen Buch, das nicht nur für Club-Fans ein Lesefest ist. Bausenwein nimmt auch die Zeit des  Nationalsozialismus kritisch unter die Lupe und schafft es, ein umfassendes Porträt eines Vereins zu schreiben, das sich sehr gut liest und dennoch sehr faktenreich ist. Die  Neuauflage kann jetzt auch aktuelle Erfolge melden.

Bernd Siegler, Christoph Bausenwein, Harald Kaiser: DIE LEGENDE VOM CLUB –
GESCHICHTE DES 1. FC NÜRNBERG. WERKSTATT. 26,90 EURO

Diese Rezension ist am 2. Januar 2007 in 20cent erschienen.

Yasmina Khadra Lehrstück über eine Sellbstmordattentäterin

Yasmina Khadra: Die Attentäterin
Yasmina Khadra: Die Attentäterin

Was passiert mit einem Mann, dessen Frau sich als Selbstmordattentäterin in die Luft jagt? Der algerische Ex-Offizier Khadra leuchtet das im Roman „Die Attentäterin“ aus. Frank-Erich Hübner hat daraus ein packendes Hörspiel von nur 68 Minuten gemacht.

Der junge Palästinenser Jaafari macht Karriere in Tel Aviv. Dass seine Frau für den  Untergrund arbeitet, bekommt er nicht mit. Nach dem Attentat macht er sich geladen mit Eifersucht, Wut und Rachegefühlen auf die Suche nach den Hintermännern. Das Hörspiel lässt den Hörer nicht mehr los. Der emotionale Druck, die verfahrene Lage im Nahen Osten und die ständig präsente Gewalt erschüttern. Die Attentäterin ist lehrreiches Stück
über einen irrsinnigen Konflikt.

Yasmina Khadra: DIE ATTENTÄTERIN, HÖRSPIEL. 1 CD. HÖRVERLAG 14,95 EURO

Diese Rezension ist am 2. Januar 2007 in 20cent erschienen.

Eric T. Hansens deutsche Länderkunde voller Witz

Eric T. Hansen: Planet Germany
Eric T. Hansen: Planet Germany

Was unterscheidet uns Deutsche vom Rest der Welt? Diese Frage beschäftigt die  Deutschen schon immer. Nicht erst seitdem Matthias Matussek vom Spiegel sein Hurra auf einen neuen Patriotismus schrieb. Der Amerikaner Eric T. Hansen hat jetzt ein köstliches Buch über uns geschrieben: „Planet Germany“.

Mit dem Blick des Ausländers, der schon mehr als 20 Jahre in Deutschland lebt, deckt Eric T. Hansen alle die kleinen und großen Fehleinschätzungen der Deutschen auf. Da er diese Diagnose mit ganz viel liebevoller Ironie würzt, wird aus dem Text nie eine Anklage. Im Gegenteil. Das Buch ist ein regelrechtes Plädoyer für alle die liebevollen Macken, die wir uns so angewöhnt haben.

Da ist zum Beispiel der deutsche Hang, an den USA alles gut oder aber alles schlecht zu  finden. Eine abgeklärt abwägende Haltung zum wichtigsten Verbündeten der Deutschen kann der Amerikaner Hansen nicht ausmachen. Und dabei stört uns auch nicht, dass viele der so typischen amerikanischen Dinge, die irgendwie schlecht sind, eigentlich aus  Deutschland kommen.

So zum Beispiel das Fließband. Diesen Inbegriff von amerikanischem Kapitalismus hat die
Keksfabrik Bahlsen in Hannover schon Jahre vor Henry Ford in seinen Autofabriken  eingeführt. Mit einem typischen Unterschied: Die Amis reden darüber, die Deutschen
aber merken gar nicht, wie wichtig Marketing in eigener Sache ist.

Hansen hat in seinem köstlichen Buch ganz viele solcher Beispiele versammelt. Wer „Planet Germany“ liest, dem könnte glatt die Brust vor Stolz schwellen. Doch da Hansen
all seine Beobachtungen über die deutschen Eigenarten mit einer Mischung aus Satire und Ironie schildert, sorgt er stets auch für die richtige Distanz.

Eine Eigenschaft, die Hansen an den Deutschen schätzt. Im Kapitel Die Deutschen lassen sich unheimlich viel einfallen, um nicht aufzufallen bringt er diese Haltung auf den Punkt. Überhaupt sind sämtliche Kapitel vermeintliche Gegensätze, die Hansen immer amüsant
auflöst. Sein Blick von außen öffnet dem Leser die Augen, dass er ein Teil einer recht sympathischen, gut organisierten und zutiefst demokratischen Nation ist, die ihren Scheffel gern unters Licht stellt.

ERIC T. HANSEN: PLANET GERMANY – EINE EXPEDITION IN DIE HEIMAT DES HAWAII-TOSTS. FISCHER. 12,95 EURO.

Diese Rezension ist am 2. Januar 2007 in 20cent erschienen.

Borgolte findet die Europas Wurzeln in der Religion

Die Geschichte Europas will der Siedler Verlag abbilden. Im aktuellsten Band des Projekts sprengt Michael Borgolte, Leiter des Instituts für vergleichende Geschichte Europas im Mittelalter an der Berliner Humboldt-Universität, den engen geografischen Rahmen. In „Christen, Juden, Muselmanen – Die Erben der Antike” stellt er zunächst die Entwicklung der großen monotheistischen Religionen dar.

In ihnen sieht er das zentrale Element der Spätantike und des frühen Mittelalters. Es gelingt ihm, Unterschiede, vor allem aber Gemeinsamkeiten im Denken und Glauben darzustellen. Im zweiten Teil des Buchs  gewinnen die Unterschiede Gewicht, denn in ihm geht es um das weltliche und religiöse Herrschaftsverständnis. Während die katholische Welt die Trennung der religiösen und  politischen Sphären lernte, erhielt sich bei orthodoxen Christen und im Islam der allumfassende Anspruch des Herrschers. Borgolte räumt dem Interesse am Austausch der  Kulturen im dritten Teil Raum ein – und öffnet den Blick für die Chancen des Dialogs mit dem Islam.

Michael Borgolte: Christen, Juden, Muselmanen – Die Erben der Antike. Siedler Verlag. 608 Seiten. 74,00 Euro.

Joschka Fischer doziert von der Rückkehr der Geschichte

Inzwischen ist Joschka Fischer Professor in Princeton. Quasi seine Bewerbungsschrift war sein Buch „Die Rückkehr der Geschichte“, dessen erste Auflage große Beachtung fand. In der Taschenbuchausgabe hat der ehemalige grüne Außenminister noch aktuelle Entwicklungen der Weltpolitik eingearbeitet.

Fischer fragt sich, wie eine Welt mit nur einer Supermacht organisiert werden muss, um Frieden, Freiheit und wirtschaftlich und soziale Gerechtigkeit auf dem gesamten Globus
durchgesetzen zu können. Dabei spart er nicht mit Kritik auch an eigenen früheren Positionen. Wer Außenpolitik verstehen will, findet in Joschka Fischer einen streitbaren
Lehrmeister.

Joschka Fischer: Die Rückkehr der Geschichte, Knaur. 9,95 EURO

Mauri Antero Numminen singt Heinrich Heine

Das skurrilste Hörbuch des Jahres ist von Mauri Antero Numminen. Der verschrobene Held des finnischen Underground hat sich nach Wittgenstein diesmal Heinrich Heine
vorgenommen. Als Jazzmusiker hat er seinen Zugang über den Rhythmus von Heines Texten.

Numminen begnügt sich aber nicht damit, Heine zu singen – oder doch eher zu jazzigen Tönen zu rezitieren. Numminen hat auch keine Hemmungen, Heine mit eigenen Texten zu ergänzen. Sein Akzent sorgt neben seiner Stimme zu einer verschrobenen Verfremdung,
die einen ganz neuen, im Wortsinne modernen Zugang zu den 150 Jahre alten Texten ermöglicht.

Wer Spaß am Experiment hat, hat dabei viel Vergnügen.

Mauri Antero Numminen singt Heinrich Heine, CD von Trikont, 15 EURO

Oliver Maria Schmitt schreibt einen absurden Punkroman

Lebt er noch, der Punk? Oder ist er tot? Oder zieht er als Zombie durchs Musik- und Modebusiness? Oliver Maria Schmitt hat einen Roman darüber geschrieben, der Antworten gibt. Schmitt ist Jahrgang 1966. Die 40 leuchtet also schon. Für einen
Menschen, der Anfang der 80er-Jahre im rebellischen Punk-Alter war, ist es nun Zeit, Bilanz zu ziehen.

Sein Romanheld Peter Hein – ja er heißt tatsächlich so wie der Sänger der Fehlfarben – wird von seinen Kumpels nur Zombie genannt. Und so wandelt er wie ein Untoter auch durch das Buch. Zombie war einst der Leadsänger der Gruppe Senf, einer Punkband
aus der schwäbischen Provinz, die es zu nicht viel mehr als einigen Gigs in der Umgebung
brachte. Doch jetzt im Jahr 2006 geht es um die Reunion der alten Punks.

Dazu muss Zombie mit seinem Kumpel Holo – der heißt nicht umsonst so – in die feindliche Welt aufbrechen. Ein Horrortrip in die neuen Bundesländer beginnt.
Zombie war da noch nie, was auch schon zeigt, wie geistig aktiv so ein Punk an der Schwelle zum 40. Geburtstag ist. Was Zombie und Holo in einer thüringer Bratwurstbude, im Tagebau Jänschwalde bei Cottbus, in einer Magdeburger Galerie und beim Besuch von Konzerten in Magdeburg und Chemnitz erleben, ist großartige Satire. Für zartbesaitete
Ostdeutsche allerdings könnten die Beschreibungen etwas heftig sein.

Doch wie schon geschrieben, die beiden Besucher sind ja nicht die aktivsten. Ihre
verzerrte Wahrnehmung der Welt hängt auch mit den Tabletten und den Unmengen Alkohol zusammen, die von Gruppe Senf so eingeschmissen und -geschüttet werden.
Und dennoch liegt in der Satire auch viel Wahres. Wunderbar ist Schmitts Abarbeitung
der Punk-Geschichte. Sämtliche Bands und wichtige Songs spielen eine Rolle. Was
nervt, sind viele sprachliche Wiederholungen. „Doch das Ey Alter, haste ma ne Mark,“ aus den westdeutschen Fußgängerzonen der 80er war halt auch nicht sehr abwechslungsreich.

Ein Punkroman für die besseren Kreise lautet der Untertitel des Romans. Wobei nicht klar wird, ob die besseren Kreise die sind, die Punk noch immer leben oder die, die inzwischen
erwachsen wurden. Amüsant ist das Buch aber allemal.

Oliver Maria Schmitt: Anarchoschnitzel schieen sie, Rowohlt Berlin. 19,90 EURO.

Ein kurzweilig lesen von Till Eugenspiegel

Seine Streiche sind sprichwörtlich. Viele haben schon Geschichten von Till Eulenspiegel gelesen. Doch die wenigsten kennen die Streiche im Original. Der Eulenspiegel Verlag
aus Berlin hat jetzt Geschichten aus den Volksbüchern des 16. Jahrhunderts gebündelt und
vorsichtig ins Neuhochdeutsche übertragen, ohne den Charme der alten Texte zu zerstören.

Die richtige Lektüre für Kinder sind die Erzählungen vom Eulenspiegel nicht unbedingt. Denn da wird geflucht, bis der Leser fast rot wird. Aber die Konsequenz, mit der Eulenspiegel seiner Umwelt vorführt, wie gedankenlos sie vor sich hinplappert, das ist wiederum eine Lektion, die Jung und Alt nicht oft genug erteilt werden kann.

EIN KURZWEILIG LESEN VON TILL EULENSPIEGEL. EULENSPIEGEL VERLAG. 12,90 EURO.