Wasser von oben, Wasser auf der Bühne – Die Waldbühne feiert Dido und Aeneas von Sasha Waltz

Dido und Aeneas auf der Waldbühne !
Dido und Aeneas auf der Waldbühne !

Es regnet und alle warten auf Sashas Waltz‘ Dido und Aeneas. Doch was passiert? Nicht die Oper beginnt, sondern ein Geburtstag soll begangen werden. Aber im Regen will niemand fünf Jahre Radialsystem feiern. Dafür ist das Publikum nicht gekommen. Auch nicht um mitzusingen oder gemeinsam in einem Vorprogramm, von dem keiner wusste, dass es dieses gibt, zu klatschen. Heute ist ein besonderer Opernabend geplant – und keine Animation wie im Club Med.

Um 19.00 Uhr ist die Waldbühne voll. Auf den Tickets steht, dass es jetzt los gehen soll. Was niemand weiß: Der Vorhang für Sasha Waltz‘ Inszenierung der Purcell-Oper Dido und Aeneas soll erst um 20.30 Uhr fallen. Weil es dann dunkel ist. Aber Tausende nahmen es auf sich, im strömenden Regen anzureisen und zu verharren. Wäre bekannt gewesen, dass erst eineinhalb Stunden später Tänzer, Sänger und Musiker die Bühne in eine ganz eigene Welt aus Liebe und Leid, Bewegung und lebende Bilder verwandeln, wären die meisten später gekommen. Denn der Regen hörte auf.

Als der Vorhang fällt und auf der Bühne ein riesiges Aquarium für Unterwassertanz erscheint, ist nur noch auf den Sitzen der Zuschauer und im Bassin der Tänzer Wasser. Schon diese ersten, für Schwimmer so vertrauten Bewegungen, sind zur Musik ein ganz besonderes Erlebnis. Sasha Waltz setzt vom Wasser bis zum Feuer alle Elemente in Szene. Jedes Bild, das die Tänzer und Sänger formen, ist von den großen Bildern der Barockmalerei inspiriert. Jede Geste, jeder Gang ist vom Wesen des Barocktheaters beeinflusst und jeder Ton der Musiker von einem festen Glauben an die Kraft der Musik.

Die Dichte der Bilder und die Musik sind überwältigend. Man kann sich so gefangen nehmen lassen, dass man in dem Geschehen vollständig aufgeht. Dabei kann die Handlung verschwimmen, so wie die Bewegungen im Bassin. Aber wer die Handlung schon kennt, der wird in eine Welt entführt, die man gar nicht mehr verlassen will. Egal wie feucht die Hosen vom Regen noch sind, man will nur, dass dieses Schau- und Hörspiel einfach weitergeht, weil es so umfassend schön ist.

Klaus Modick begleitet Feuchtwangers Abschied von Brecht

Klaus Modick: Sunset
Klaus Modick: Sunset

Es ist nur ein Tag im Leben Lion Feuchtwangers, den Klaus Modick in seinem aktuellsten Roman begleitet. Aber es ist ein Tag, in dem der international so erfolgreiche Feuchtwanger das Telegramm mit der Nachricht vom Tode seines Freundes Bert Brecht erhält. Modick formt aus diesem Plot einen sensiblen Text über Freundschaft, Literatur und Exil. Lion Feuchtwanger war neben Thomas Mann der wohlhabendste deutsche Exilschriftsteller.

Beide lebten in Hollywood/Los Angeles. Im Gegensatz zu den meisten deutschen Schriftstellern, denen die Flucht vor den Nazis in die USA gelang, konnte Feuchtwanger dank der vielen erfolgreichen Übersetzungen seiner historischen Romane und des Verkaufs von Filmrechten sehr gut leben. Bert Brecht dagegen bekam in Hollywood kein Bein auf den Boden. Auch viele andere, wie Walter Mehring, scheiterten. Feuchtwanger unterstützte viele Emigranten. Teils direkt, teils über Stiftungen und den 1944 in New York mitgegründeten Aurora Verlag, in dem etliche Exil-Autoren veröffentlichen konnten.

1956 lebte Feuchtwanger noch immer in den USA. Brecht war wie viele andere, die trotz der Verbrechen Stalins davon träumten, dass die DDR eine freie Heimstatt für Künstler sein könnte, nach Ost-Berlin gegangen. Drei Jahre nach der Niederschlagung des Arbeiteraufstands vom 17. Juni 1953 stirbt Brecht. Modick, der über Feuchtwanger promoviert hat, begleitet den Schriftsteller vom Aufstehen bis in den Abend. Das Telegramm mit der Todesnachricht löst eine Reihe von Erinnerungen aus. In diesen Rückblenden wird die Freundschaft der beiden von Kennenlernen in München um 1920 bis zur letzten Begegnung kurz vor Brechts Auftritt vor der Mc Carthy-Kommission erinnert.

Modick macht dies mit einer Mischung aus Fiktion und der Nutzung verbriefter Quellen. Dabei entsteht ein sehr kompaktes Panorama des Exils mit all den politischen Irrungen, persönlichen Enttäuschungen und privaten Verstrickungen. Modicks Sprache ist sehr prägnant. Die Gedanken sind klar und ohne Schnörkel formuliert. Er nähert sich der Sprache Feuchtwangers an, ohne in dieser aufzugehen. Und so gelingt es ihm, ein überzeugendes Buch vorzulegen – und zwar in Form und Inhalt. Es ist sowohl für jene ein Genuss, die sich mit der Exillitertaur auskennen, als auch für jene, die schlicht neugierig sind. Auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis 2011 ist es völlig zurecht.

Klaus Modick: Sunset, Eichborn

Brandenburgs Politik verliert massiv an Vertrauen

Länder wirken lange stabil. Dann passiert plötzlich etwas und ganze Gesellschaften können ins Rutschen kommen. So weit wird es in Brandenburg wohl nicht kommen. Aber die aktuellste Umfrage zur politischen Lage im Land ist dramatisch. Sie zeigt, dass in den zwei Jahren seit der letzten Landtagswahl der Frust steigt.

Die Zahl der Frustrierten hat sich von 16 auf 30 Prozent nahezu verdoppelt. Das ist eine dramatische Zahl. 30 Prozent trauen keiner Partei zu, dass sie die Probleme des Landes lösen könnte. Oberflächlich ist Rot-Rot stabil. Die SPD legt zu, die Linke verliert etwas. Aber das sind nur die relative Zahlen. Denn ein gutes Drittel bescheinigt allen Parteien Inkompetenz. Das ist ein großes Potenzial für Rattenfänger von rechts oder links. In der diffusen Euro-Angst ist das wirlich gefährlich. Aber was machen die Potsdamer Granden?

Sie klopfen sich auf die Schulter. Wie groß der Vertrauensverlust ist, wollen sie weder im Flughafen-Umfeld noch im abgesoffenen Oderbruch wahr haben. Wenn es nur um einzelne Parteien ginge, wäre das alles nicht schlimm. Aber oft genügen nur kleine Impulse, um große Hänge ins Rutschen zu bringen.

Jonathan Jeremiah entertaint am Rande des Größenwahns

Jonathan Jeremiah
Jonathan Jeremiah

Jonathan Jeremiah will ein großer Entertainer werden. Diesen Anspruch formuliert mit seiner sanfte, männlichen Stimme. Die Musik auf seinem Debütalbum „A Solitary Man“ ist ausgefeilt und spielt mit allen Möglichkeiten der Instrumentierung. Da ertönen sanfte Bläsersätze, der simulieren Streichersätze besonders intensive Gefühle. Und immer singt Jeremiah seine Texte über Liebe und Leid.

Mit „Happiniess“ ist er derzeit auf allen Radiowellen zu hören. Zum Glück sind nicht alle Stücke dieses soliden, aber etwas zu schlagerhaften Albums so lieblich. Es gibt auch Momente, da gehen gute Musik und großes Entertainment eine gelungene Liason ein. Bei denen lohnt es sich hinzuhören. Zwar ist auf diesem Album alles Retro. Aber das ist Adele auch. Wer solides Handwerk mag und Innvovation gefährlich findet, sollte Jonathan Jeremiah weiter beobachten. Wer es aber nicht tut, versäumt auch nichts. Die Musikpresse feiert ihn als den neuen Star am Himmel der (britischen) Popmusik. Doch dafür ist die Musik zu vorhersehbar.

Da sind keine Kanten, die einen überraschen. Alles ist perfekt. Alles ist groß. Alles tut wichtig. So wie der Album-Titel. Wer denkat dabei nicht an Johnny Cash, den alten Johnny Cash? Einen Künstler, der auf ein bewegtes Leben und viele großartige Platten zurückblicken konnte. Jonathan Jeremiah stellt sich in eine Reihe mit Cash, Scott Walker, Cat Stevens, Serge Gainsbourg oder Carole King. Für ein Debüt grenzt das an Größenwahn. Aber das ist bei anderen Hype-Bands oftmals auch nicht anders.

Jonathan Jeremiah: Am Solitary Man

Gewitter in der Nacht

Gewitter in Eichwalde
Gewitter in Eichwalde

Neue Blicke auf die andere Straßenseite. Jedes der zahlreichen Sommergewitter 2011 zeigt die direkte Umwelt neu.

Hauptsache rüberschwimmen

Blick auf Schmöckwitz Werder von der Eichwalder Badestelle am Zeuthner See im August 2011
Blick auf Schmöckwitz Werder von der Eichwalder Badestelle am Zeuthner See im August 2011

Die Nackten sind da. Die Alten, die im Bademantel zwei, drei Straßen weit laufen, sind da. Die Hausfrauen, die zusammen eine Morgenrunde drehen sind da. Insgesamt sind es vielleicht zwölf, die am Ufer und im See sind. Sie alle lassen sich vom Wetter nicht abhalten.

Die Temperatur ist deutlich unter 20 Grad. Der Himmel zieht sich immer weiter zu. Alles sieht nach einem weiteren, ungemütlichen Sommertag aus. Einem, der so gar nichts mit Sommer zu tun hat. Nur diese Möglichkeit, den See fast für sich allein zu haben, erinnert an den Sommer. Jetzt, am Morgen, stören keine Motorboote. Der See liegt ganz flach da. Einzig einige schwimmende Köpfe, einige Blesshühner, Enten und Schwäne ragen aus dem glatten Wasser heraus.

Der erste Schritt ins Wasser verursacht eine kleine Gänsehaut. Auch die Wassertemperatur ist nicht wirklich sommerlich. Aber nach den ersten Zügen, wenn die kleinen Kältestiche auf der Haut nachlassen und die Atmung regelmäßig wird, ist nur noch belebende Frische zu spüren. Das andere Ufer alle vier Armzüge im Visier wächst die Zufriedenheit über die Überwindung. Jetzt gilt nur noch: Hauptsache rüberschwimmen. Und dann zurück. Ein Blick in die anderen Gesichter verrät: Auch hier nur Zufriedenheit. Und Ruhe. Hektik oder Lärm gibt es in dieser Gemeinschaft der einzeln für sich schwimmenden Eichwalder nicht. Wie angenehm!

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Moderne Astrologie

Freibad
Freibad

Im Radio erzählen sie, dass die Freibadsaison in Berlin verlängert wird. Ein Blick aus meinem Fenster zeigt Regen und dunkle Wolken. Im Fernsehen sagen sie, dass der Hochsommer noch ausbricht. Aber ohne Jacke konnte ich heute früh nicht auf die Straße.

In die Zeitung drucken sie Karten, auf denen die Sonne scheint und keine Wolke den Himmel trübt. Ohne Licht, kann ich jedoch nicht arbeiten, weil es sonst zu dunkel ist. Ständig tun alle so, als könnten sie anhand von Wolkenfilmen, Regenradar und Strömungspfeilen die Zukunft deuten. Das ist auch nichts anderes als die Beobachtung des Vogelflugs oder der Blick in die Innereien frisch geschlachteter Tiere, um das Künftige zu sehen.

Die Zukunft bleibt ein Geheimnis. Auch wenn wir früher Priestern und heute Wettermoderatoren gerne glauben wollen, dass sie wissen, was das Morgen bringt. Es bleibt dabei: Die einzige Gewissheit ist der eigene Blick. Die einzige Sicherheit gibt das eigene Fühlen.

Der Tod: Trikont zelebriert das Ende auf bayerisch

Stimmen Bayerns: Der Tod
Stimmen Bayerns: Der Tod

Nach der Liebe kommt irgendwann der Tod. Trikont bringt ihn zur Sprache. Nach „Stimmen Bayerns – Die Liebe“ gibt es jetzt „Stimmen Bayerns – Der Tod“. Und wieder gelingt es den fleißigen Münchner Sammlern von Texten und Musik ein wunderbares Kompendium zusammenzustellen. „Der Tod“ ist ein Begleiter des Lebens.

Auf Bayerisch ist das immer klar. Und auch gar nicht so furchtbar. Wenn Georg Ringsgwandl „Nix mitnehma“ singt, dann klingt das gar nicht traurig. Im Gegenteil, der musikalisch-kabarettistische Oberarzt-Punk macht klar, dass der Tod keine Bedrohung ist. Es sei denn, man hat nicht gelebt. Diese Dialektik, diese im Kern sehr katholische Sicht aud Leben und Tod, zieht sich durch die 28 Texte und Musikstücke im bayrischen Dialekt. Franz Xaver Kroetz spricht vom „Kirchberg“, Gerhard Polt von „Fleischliang“ oder der leider schon tote Carl Amery von „Vorgezogener Lagerräumung“. Und das eigentlich immer ohne Trauer. Hans Söllner singt von „Mei guada Freind“, Hasemanns Töchter von „Israsplittern“ und Coconami vom „Heuschreck“.

Trikont hat auch bei der Musik auf die spannenden bayrischen Töne gesetzt. Deshalb fehlen auch LaBrassBanda nicht. Diese Unterschiedlichkeit ist schon faszinierend genug. Noch spannender wird die CD aber tatsächlich dadurch, dass es das Label wieder einmal schafft, in Tönen eine Bestandsaufnahme eines Volks, einer Schicht oder eine sozialen Gruppe zu formen, die das Wesentliche auf den Punkt bringt. Wer das gehört hat, weiß wie Bayern über den Tod denken, weiß was Bayern fühlt, wenn vom Tod die Rede ist. Trikont bleibt sich treu. Und kann zu recht von sich sagen. „Unsere Stimme“. Das ist der Claim des kleinen Labels. Diese Stimme, unsere Stimme, überrascht mich immer wieder.