Logisch, dass die große Koalition streitet

Im Land wird die Stimmung immer besser, die Konjunktur zieht an und die Verbraucher geben ihre gesparten Euros aus. Und was macht die Koalition? Sie fängt an, die zu prügeln!

Was wie ein Widerspruch klingt, ist jedoch logisch. Denn nach den ersten Monaten Freude am Regieren fällt den Partnern auf, dass sie eigentlich politische Gegner sind. Die Forderung der SPD, dass die CDU-Ministerpräsidenten mit den ständigen Querschlägen aufhören sollen, ist berechtigt. Doch das wird die Union nicht interessieren. Denn Koch, Rüttgers oder Stoiber können den Wählern signalisieren: Würden wir ohne SPD regieren, dann wäre alles anders, alles besser.

Dagegen gibt es für die SPD nur ein Mittel: Bei der Föderalismusreform kann die Bundestagsfraktion ihre Zustimmung etwa beim Thema Bildung verweigern. Das würde die CDU-Minsterpräsidenten schmerzen. Und so die Disziplin fördern.

Paul Berman analysiert die Generation Joschka Fischer

Joschka Fischer (57) ist der Inbegriff eines 68ers, der den Marsch durch die Institutionen vollendete. Paul Berman, ein amerikanischer Intellektueller, hat die Karriere Fischers vom Straßenkämpfer bis zum Außenminister analysiert.

Sein Blick von außen lässt die Debatte über Fischers Vergangenheit kleinkariert erscheinen. Zu Recht. Denn Bermann zeigt in seinem Buch auf, wie sich eine Generation
nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa aufmachte, um das Leben freier, friedlicher und fröhlicher zu machen. Und welchen Erfolg die Generation gesellschaftlich
hatte. Problematisch bleibt aber sein Vorwurf, dass Fischer und Co. den Irakkrieg
ablehnten.

Paul Berman: IDEALISTEN AN DER MACHT – DIE PASSION DES JOSCHKA
FISCHER. SIEDLER. 19,95 EURO

Eulenspiegel veröffentlicht das erste Satire-Jahrbuch

Klaus Stuttmann (56), der Berliner Karikaturist, muss sich aus Angst vor islamistischen Morddrohungen verstecken. Und das nur wegen einer sehr gelungenen Karikatur
gegen die politische Weltsicht von Innenminister Schäuble. Die Welt ist kompliziert. Aber Satiriker schaffen es immer wieder, sich aufs Wesentliche zu konzentrieren. Und das tut dann oft weh.

Der Eulenspiegel-Verlag hat mit „Die geballte Ladung“ erstmals ein Jahrbuch  herausgegeben. Wiglaf Droste (44), Matthias Biskupek (55), Ernst Röhl (68) und andere kommen zu Wort. Haderer, Mette oder Stuttmann illustrieren. Das alles ist ein wunderbar böser Rückblick – ganz ohne Mohammed. Die Eiferer, die sich darüber aufregen,
sollten sich anschauen, wie böse der Westen zu sich selbst ist!

Lukas Hammerstein schreibt das Drehbuch eines Politiker-Todes

Ein grüner Spitzenpolitiker bringt sich im Juli 2005 um. Kurz vor der realen Abwahl der Grünen. Lukas Hammerstein (47) hat mit „Video“ genau zum richtigen Zeitpunkt das Buch über eine Generation geschrieben, die nach dem Ende von Rot-Grün nicht mehr weiß, was eigentlich ihr Ziel war.

Piet Escher ist Jahrgang 1958. Er gehört also nicht zu den echten 68ern, sondern zur Generation der Nachgeborenen. Er studiert in Freiburg Jura und stürzt sich mit der Gründung der Grünen in die Politik. Von den Sitzblockaden in Mutlangen bis zum Fraktionschef im Bundestag beobachtet der Leser Piets Auf- und Ausstieg.

Der wird aus der Sicht seines besten Freundes geschildert. Das beginnt beim gemeinsamen Studium 1979, also zur Gründung der alternativen Partei. In der Folge gibt es immer wieder Beschreibungen von Piet, die für die Etablierung der gesamten Generation stehen. Bis eben 2005, als sich Piet aufgibt und umbringt.

Hammerstein entwirft ein sehr bitteres Porträt seiner eigenen Generation. Er selbst ist – wie Piets Freunde – auch Jahrgang 1958. Bei der Trauerfeier für Piet versammeln sich die ehemaligen Kommilitonen. Sie sind erfolgreich, haben keine Kinder. Ihr Leben haben sie in einer Mischung aus Hedonismus, Gier nach Erfolg und einem unklaren Kampf für Ideale verbraucht, die eigentlich schon von den 68ern formuliert wurden. Letztlich ist das auch der Grund, aus dem sich Piet umbringt.

Damit schließt sich die Klammer. Denn er folgt einer Mitstudentin, die sich schon 1979 das Leben nahm. Sie, weil ihr das Leben schon mit 20 zu viel wurde. Er, weil sein Drang zur Selbstdarstellung mit dem Ende von Rot-Grün keine Konjunktur mehr hat. Eine neue Form von Ernsthaftigkeit ist auch in der Partei gefragt. Eine Tugend, die Piet nur leben konnte, wenn sie seinem Lustgewinn entgegenkam. Hammersteins Blick ist gnadenlos. Der Text deshalb etwas zu abgehackt. Er erinnert an ein Drehbuch, das Piets letztes Video zu einem Spielfilm ausbauen könnte.

Lukas Hammerstein: Video. S. Fischer. 14,90 Euro

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Jan Philipp Reemtsma gegen Folter im Rechtsstaat

„Wir sind, was wir tun. Und wir sind, was wir versprechen, niemals zu tun.“ Jan Philipp Reemtsma (53) fast in diesen beiden Sätzen seinen Essai „Folter im Rechtsstaat?“
zusammen. Ausgehend vom Franfurter Fall Jakob Metzler, als die Polizei dem vermeintlichen Täter mit Folter drohte, entwickelt der Soziologe eine Verteidigung
des Folterverbotes. Wer das Buch jetzt vor dem Hintergrund der Diskussion um CIA-Foltergefängnisse und Guantanamo liest, dem wird bewusst, wie radikal sich die
westliche Welt seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 veränderte.

Die Angst vor der Bedrohung löst das Werte-Fundament auf. Reemtsma schreibt dagegen
an. Das macht er kenntnisreich und stringent. Aber manchmal etwas zu verkopft.

Jan Philipp Reemtsma,  Folter im Rechtsstaat?, Hamburger Edition

„Ein gigantischer Markt“

Hans-Josef Fell
Hans-Josef Fell

Die internationale Konferenz für erneuerbare Energien in Peking (Birec 2005) hat einen  „wesentlichen Ausbau“ regenerativer Energien gefordert. 20cent sprach mit Teilnehmer Hans-Josef Fell (53, Foto), forschungspolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion.

Wie wurde in Peking die Abwahl von Rot-Grün aufgenommen?

Wegen des Ausscheidens der Grünen aus der Regierung fürchtet man, dass es schwerer  wird, den deutschen Markt für erneuerbare Energien auszubauen.

Erneuerbare Energien gelten als zu teuer. Warum der Aufwand?

Die haben hohe Kostenreduktionspotenziale. Heißt: Gerade bei weiter steigenden Ölpreisen rechnen sie sich sehr schnell. Bereits heute sind sie in unterentwickelten Gebieten z.B. Chinas die kostengünstigste Art zum Aufbau der Energieversorgung.

Die Union will den Atomausstieg verzögern. Ist das wegen des Klimawandels nicht doch sinnvoll?

Die Wachstumsraten der erneuerbaren Energien reichen aus, um die fossilen Kraftwerke  und die abgeschalteten Atomkraftwerke zu ersetzen. Dies bedeutet, dass wir sowohl die Probleme des Klimaschutzes und der radioaktiven Abfälle lösen können. Leider behauptet
die Atomwirtschaft aus durchsichtigen Gründen das Gegenteil. Zudem kann die Atomwirtschaft global gesehen wegen der knappen Uranreserven gar nicht nennenswert
zum Klimaschutz beitragen.

Was planen die anderen Nationen bei den erneuerbaren Energien?

Vor allem China hat enorme Ausbauziele angekündigt: So soll bis 2020 der gesamte Anteil  der erneuerbaren Energien auf 15 Prozent steigen. In der Windkraft will China von heute knapp ein Gigawatt Windleistung auf 30 Gigawatt ausbauen. Für Deutschland wird es
wichtig sein, das vorhandene technische Niveau der erneuerbaren Energien zu verbessern. Dieser gigantische Markt könnte über den Export deutsche Arbeitsplätze schaffen.

Dieses Interwiew ist am 9. November 2005 in 20cent erschienen.

Helmut Kohl lässt nur Otto von Bismarck neben sich gelten

Ganz ruhig spricht Helmut Kohl. Ganz gelassen blickt er auf seine ganze Bedeutung als Bundeskanzler zurück. Und ganz sicher ist er sich, dass er weder von seinem Noch-Nachfolger Gerhard Schröder noch von der eventuell künftigen Kanzlerin Angela Merkel etwas zu befürchten hat. Helmut Kohl überstrahlt sie alle – und daran wird sich auf absehbare Zeit auch nichts ändern.

Helmut Kohl: Erinnerungen 1982 - 1990
Helmut Kohl: Erinnerungen 1982 – 1990

Damit das auch ganz sicher so bleibt, orientiert er sich an dem einzigen deutschen Kanzler,
den er neben sich gelten lässt: an Otto von Bismarck. Der hat seine „Gedanken und Erinnerungen“ auch in drei Bänden herausgebracht. Genau so, wie es auch Helmut
Kohl vorschwebt. Im Berliner Hotel Hilton stellte er gestern den zweiten Band seiner Memoiren vor. Die Gedanken schenkt er sich.

Passender hätte der Zeitpunkt nicht sein können. Der Saal ist voll. Die internationale und die nationale Presse will sich dieses Schauspiel nicht entgehen lassen. Alle wollen hören, wie er die Gegenwart sieht. Doch das Buch handelt von der Vergangenheit. Die ersten acht Jahre seiner Kanzlerschaft hat Helmut Kohl auf 1000 Seiten beschrieben. Und doch steckt in diesem zweiten Band mehr Regierungserfahrung, als sie der noch amtierende Kanzler Gerhard Schröder vorweisen kann. Der schaffte es nur auf sieben – Helmut Kohl auf 16 Jahre an der Spitze der Bundesrepublik.

Aber Schröder hat Kohl offensichtlich schwer getroffen. Nicht nur, dass er es schaffte, ihn
1998 abzulösen. Nein, Schröder kritisierte Kohl noch im letzten Wahlkampf. „Wer die Reden des Bundeskanzlers Schröder im Wahlkampf gehört hat, wird sich schon wundern“, hebt der Altkanzler an. Von wegen 16 Jahre Stillstand, empört er sich über die Aussagen des Sozialdemokraten. Die anwesenden Journalisten bekommen eine kurze  Misserfolgsbilanz von Rot-Grün präsentiert. Ob Arbeitslosenzahlen, Verschuldung  oder Bruttoinlandsprodukt – seine Zahlen klingen besser. Obwohl sie gar nicht Thema des Buches sind, das er vorstellt, kann er es sich nicht verkneifen, mit diesem aktuellen Abschweifer seine Größe zu betonen.

Ansonsten ist Helmut Kohl ganz der souveräne Beobachter. Alles, was nichts mit ihm
und seiner Regierungsbilanz zu tun hat, lässt sich locker kommentieren. Natürlich erst nach ein bisschen Koketterie: „Ich bin hierher gekommen, um über mein Buch zu sprechen
und nicht über mein Verhältnis zu Frau Merkel.“ Grinsend antwortet er auf die Frage nach
seinem Umgang mit der CDUVorsitzenden. Da rutscht sogar die Zunge ganz spitz an die
Oberlippe. Ein echter Genießer, dieser Dr. Helmut Kohl. Vor allem dann, wenn er die
Akteure der Gegenwart noch immer überstrahlt.

Die Frage nach seiner Sicht auf Edmund Stoiber ist ihm ein besonderes Vergnügen. Auf
den 1000 Seiten wird der damalige CSU-Generalsekretär gerade ein einziges Mal erwähnt.
„Edmund Stoiber war immer ein gewaltiger bayerischer Politiker“, sagt Kohl über den Mann, den es statt nach Berlin nun doch wieder in die bayerische Landeshauptstadt zieht. „Aber nicht so gewaltig, dass ich mich in den Memoiren mit ihm beschäftigen müsste.“ Und weil es ihm so viel Spaß macht, legt er noch nach: „Er war immer so eng an Strauß, dass man gar nicht an ihn herankommt.“

Die Probleme bei der derzeitigen Regierungsbildung kann Kohl verstehen. In seinem Buch würden sich Parallelen zu seiner ersten Koalition 1982 finden. Und außerdem seien Politiker doch auch nur Menschen. „Versuchen sie mal die Fusion von zwei Fußballvereinen.
Das ist schon hundertfach gescheitert. Oder die Fusion von zwei Firmen. Da heißt es dann, dass die Unternehmenskultur das Problem ist. Aber das ist nur ein Spruch.“ Egal, ob Fußballvereine, Firmen oder Koalitionen: „In dem einen Fall besiegt die eine Mannschaft
die andere. Im anderen Fall ist es umgekehrt.“

Im Hilton ist klar, wer früher immer der Sieger war. Helmut Kohl hatte die Akteure im
Griff. Sein wichtigstes Mittel dazu: Vertrauen und Freundschaft. Die pflegte er mit dem
Franzosen François Mitterand, dem Spanier Felipe Gonzalez, dem Russen Michail Gorbatschow und dem Amerikaner George Bush. Für die Regierungsbildung heißt das, dass
sich die Akteure erst einmal vertrauen müssen. „Der deutsche Wähler hat so entschieden.
Jetzt muss der deutsche Wähler hinnehmen, dass es schwierig ist.“ Wenn Parteien gegeneinander gekämpft haben, dauert es eben, bis diese „gewaltigen Organisationen“
einen neuen Weg gehen.

Echtes Mitgefühl entwickelt Kohl mit Franz Müntefering. Auch wenn er sich erst einmal bremst: „Ich bin kein Freund des SPD-Vorsitzenden. Wie käme ich dazu.“ Aber das, was die SPD mit ihm gemacht habe, rechtfertige seinen Rücktritt. „Er macht die ganz Arbeit, geht dann in seinen Vorstand und der säbelt ihm die Beine ab.“ Das erinnert den einstigen CDU-Vorsitzenden an einen Parteitag im Bremen der späten 80er-Jahre. Da wollten ihn einige auch absäbeln. Natürlich ist es den Geißlers, Blüms und Co. nicht gelungen. Aber für Müntefering hat er Verständnis: „Versetzen sie sich mal in ihn hinein. Es ist richtig, dass er geht. Wer danach behauptet, er habe das nicht gewollt, der lügt.“

In seinem grauen Anzug mit der nett leuchtenden gelben Krawatte sieht Helmut Kohl blendend aus. Er strahlt über das ganze Gesicht. Ganz besonders, als er sich mit seiner
Nach-Nachfolgerin vergleichen kann. Wenn es stimme, dass die CDU sich von Frankreich
und Großbritannien abwenden und viel stärker zu den Osteuropäern hinwenden wolle,
dann verwundere ihn das. Sollte dieser Gedanke aus dem Umfeld Merkels kommen, „dann ist es ein törichtes Umfeld, das nicht erfolgreich sein wird“. Wovon er natürlich ausgeht.
Denn eigentlich ist er noch immer irgendwie der Bundeskanzler. Auch wenn ihn bei seiner Buchpräsentation ausnahmsweise niemand so angesprochen hat.

Helmut Kohl: Erinnerungen – 1982 – 1990. 1000 Seiten, Droemer, 29,90 Euro

(Lausitzer Rundschau)

Fereshta Ludin: Mit Naivität zum politischen Ziel

Das Kopftuch ist ihr heilig. Lieber verzichtet Fereshta Ludin auf ihren Traumjob, als dass sie das Kopftuch ablegen würde. Für sie ist das Tragen des Tuchs Teil ihrer Religionsfreiheit als Muslimin. Für viel andere ist es eine Provokation: Was hat das religiöse Symbol in einer Grundschule in Baden-Württemberg zu suchen? Vermutlich noch in diesem Jahr wird das Bundesverfassungsgericht entscheiden, ob ein Kopftuch den Berufseinstieg als Lehrerin verhindern darf.

Internationaler Streit
Kaum eine Diskussion rund um die Zuwanderung hat die Gemüter in Deutschland so erhitzt wie der Kopftuchstreit. Aber nicht nur hierzulande stoßen muslimische Frauen auf massiven Widerstand, wenn sie mit Kopftuch unterrichten wollen. Auch in Frankreich und anderen europäischen Ländern wurde und wird der Kampf erbittert ausgefochten.

Gestik der Demut
Entsprechend viele Menschen kommen, als die Berliner Heinrich-Böll-Stiftung eine Podiumsdiskussion zum Kopftuchstreit veranstaltet. Fereshta Ludin, die sich in den baden-württembergischen Schuldienst einklagen will, präsentiert sich hier als zurückhaltende junge Frau. Die Hände liegen auf dem Tisch. Die Schultern sind leicht hochgezogen. Das akkurat gelegte hellblaue Kopftuch bedeckt das Haupt und die Schultern. Demütig wirkt sie. Wäre sie keine Muslimin, könnte man an eine Mariendarstellung auf einem Votivbildchen katholischer Wallfahrer denken – wären da nicht diese angriffslustigen Augen.

Ludin: Ausdruck meines Glaubens
Ludin liest vom Blatt ab, als sie ihre Position begründet. Sie will von Anfang an jedes falsche Wort vermeiden. Neben ihr auf dem Podium sitzt Marieluise Beck, die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung. Die Grüne hat schon von Amts wegen viel Verständnis für die Eigenheiten von Migranten. Aufmerksam folgt Beck den Ausführungen Ludins: Mit 13 Jahren schon sei das Kopftuch Ausdruck ihres Glaubens gewesen. In der Pubertät habe die heute 31-Jährige dann die Quellen des Islam gelesen und sei vom Kopftuchgebot endgültig überzeugt gewesen. Den Streit über ihren Fall erklärt Ludin mit Unkenntnis des Islam in Deutschland. Sie fragt sich: „Wer instrumentalisiert das Kopftuch tatsächlich für seine Ziele? Wo bleibt mein Recht auf Selbstbestimmung als Frau?“

Angeblich kein Kontakt zu Fundamentalisten
Den Gegenargumenten weicht Ludin aus: Im Iran der Mullahs und im feudal-klerikalen Saudi-Arabien werden alle Frauen mit drakonischen trafandrohungen gezwungen, die Haare zu bedecken. Für islamistische Fundamentalisten ist das Kopftuch zum Symbol ihres gesellschaftlichen Sieges geworden. Fereshta Ludin sagt aber, mit Fundamentalisten habe sie aber nichts zu tun. Auch ihr derzeitiger Arbeitgeber, die Islamische Grundschule Berlin, habe keine derartigen Verbindungen. Das hätten ihr die Verantwortlichen gesagt. Wem solle sie sonst auch glauben, wenn nicht den Verantwortlichen, fragt sie unschuldig. „Beweise für die Finanzierung der Grundschule durch Fundamentalisten wären für mich ein Kündigungsgrund,“ sagt Ludin mit fester Stimme. Da schüttelt der größte Teil des bunten Publikums den Kopf.  Überzeugen kann Ludin damit nicht.

Gericht: Gelder von Mili Görüs
Denn das Landgericht Berlin sieht es als erwiesen an, dass hinter der islamischen
Grundschule Berlin die militante Organisation Mili Görüs steht. Doch diesen Vorwurf überhört Ludin. Sie zieht sich immer wieder auf ihre Person und ihre Religiösität zurück. Als Sanem Kleff vom Bundesvorstand der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Ludins zur Schau getragene Naivität im Hinblick auf ihren Arbeitgeber und dessen Finanziers kritisiert, antwortet sie: „Ich möchte mit Ihnen nicht in eine Diskussion kommen.“ Nur über das Kopftuch redet Ludin gern. Über all das, was mit dem Kopftuch verbunden wird, dagegen nicht.

Pochen auf das Neutralitätsgebot
Ludin kritisiert, dass es in Baden-Württemberg und den meisten deutschen Ländern zwar ein Neutralitätsgebot in religiösen Dingen gebe, tatsächlich aber ein christlich-abendländischer Erziehungsauftrag existiere. Sie bemängelt Kreuze in Klassenzimmern und Kreuze als Kettenanhänger um Lehrerhälse: „Christliche
Erkennungszeichen werden toleriert.“ Ihr Kopftuch dagegen solle verbannt und ideologisiert werden. Ludin pocht zwar aufs Neutralitätsgebot des Staates, leitet daraus aber nicht ab, dass sämtliche religiösen und weltanschaulichen Symbole aus Schulen zu verbannen wären. Sie fordert gleichzeitig Neutralität und ihr Recht auf das Kopftuch. Ein Widerspruch über den sich nach der Veranstaltung viele Zuhörer erregen.

Beck: Pluralität auch in den Schulen
Marieluise Beck versucht den Streit aus verschiedenen Perspektiven zu sehen.
Wenn Deutschland eine plurale Gesellschaft sein wolle, müsse diese Pluralität auch in den Schulen ihren Platz haben. Sie könne mit Kopftuch tragenden Lehrerinnen leben, wenn diese nicht missionierten. Sollten sie damit beginnen, müsse mit Hilfe des Disziplinarrechtes eingeschritten werden. Allerdings gibt Beck auch zu bedenken, dass oftmals muslimische Einwandererfamilien heftiger gegen die Präsenz des Kopftuchs in den Schulen protestieren als Deutsche. In Kreuzberg können Musliminnen mit Kopftuch nicht einmal mehr Lehramtspraktika machen. Im noblen Zehlendorf wird das gelassener gesehen. Musliminnen streiten über das Kopftuch Die GEW-Funktionärin Sanem Kleff ist zum Beispiel selbst als Einwanderungskind eine Muslimin. Im Koran, so Kleff, finde sie keine Stelle, die das Kopftuch vorschreibe. Niemand könne übersehen, dass für Islamisten in der ganzen Welt das Kopftuch ein Symbol für die Durchsetzung ihrer politischen Ziele sei. Obwohl die GEW Fereshta Ludin Rechtshilfe in ihrem Prozess gewährt, warnt deren Vertreterin Kleff: „Es geht nicht um Frau Ludins private Überzeugungen. Es geht um den politischen Sieg der Islamisten, wenn das Kopftuch den Weg durch die gesellschaftlichen Institutionen schafft.“ Da widerspricht Fereshta Ludin nicht.