Fereshta Ludin: Mit Naivität zum politischen Ziel

Das Kopftuch ist ihr heilig. Lieber verzichtet Fereshta Ludin auf ihren Traumjob, als dass sie das Kopftuch ablegen würde. Für sie ist das Tragen des Tuchs Teil ihrer Religionsfreiheit als Muslimin. Für viel andere ist es eine Provokation: Was hat das religiöse Symbol in einer Grundschule in Baden-Württemberg zu suchen? Vermutlich noch in diesem Jahr wird das Bundesverfassungsgericht entscheiden, ob ein Kopftuch den Berufseinstieg als Lehrerin verhindern darf.

Internationaler Streit
Kaum eine Diskussion rund um die Zuwanderung hat die Gemüter in Deutschland so erhitzt wie der Kopftuchstreit. Aber nicht nur hierzulande stoßen muslimische Frauen auf massiven Widerstand, wenn sie mit Kopftuch unterrichten wollen. Auch in Frankreich und anderen europäischen Ländern wurde und wird der Kampf erbittert ausgefochten.

Gestik der Demut
Entsprechend viele Menschen kommen, als die Berliner Heinrich-Böll-Stiftung eine Podiumsdiskussion zum Kopftuchstreit veranstaltet. Fereshta Ludin, die sich in den baden-württembergischen Schuldienst einklagen will, präsentiert sich hier als zurückhaltende junge Frau. Die Hände liegen auf dem Tisch. Die Schultern sind leicht hochgezogen. Das akkurat gelegte hellblaue Kopftuch bedeckt das Haupt und die Schultern. Demütig wirkt sie. Wäre sie keine Muslimin, könnte man an eine Mariendarstellung auf einem Votivbildchen katholischer Wallfahrer denken – wären da nicht diese angriffslustigen Augen.

Ludin: Ausdruck meines Glaubens
Ludin liest vom Blatt ab, als sie ihre Position begründet. Sie will von Anfang an jedes falsche Wort vermeiden. Neben ihr auf dem Podium sitzt Marieluise Beck, die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung. Die Grüne hat schon von Amts wegen viel Verständnis für die Eigenheiten von Migranten. Aufmerksam folgt Beck den Ausführungen Ludins: Mit 13 Jahren schon sei das Kopftuch Ausdruck ihres Glaubens gewesen. In der Pubertät habe die heute 31-Jährige dann die Quellen des Islam gelesen und sei vom Kopftuchgebot endgültig überzeugt gewesen. Den Streit über ihren Fall erklärt Ludin mit Unkenntnis des Islam in Deutschland. Sie fragt sich: „Wer instrumentalisiert das Kopftuch tatsächlich für seine Ziele? Wo bleibt mein Recht auf Selbstbestimmung als Frau?“

Angeblich kein Kontakt zu Fundamentalisten
Den Gegenargumenten weicht Ludin aus: Im Iran der Mullahs und im feudal-klerikalen Saudi-Arabien werden alle Frauen mit drakonischen trafandrohungen gezwungen, die Haare zu bedecken. Für islamistische Fundamentalisten ist das Kopftuch zum Symbol ihres gesellschaftlichen Sieges geworden. Fereshta Ludin sagt aber, mit Fundamentalisten habe sie aber nichts zu tun. Auch ihr derzeitiger Arbeitgeber, die Islamische Grundschule Berlin, habe keine derartigen Verbindungen. Das hätten ihr die Verantwortlichen gesagt. Wem solle sie sonst auch glauben, wenn nicht den Verantwortlichen, fragt sie unschuldig. „Beweise für die Finanzierung der Grundschule durch Fundamentalisten wären für mich ein Kündigungsgrund,“ sagt Ludin mit fester Stimme. Da schüttelt der größte Teil des bunten Publikums den Kopf.  Überzeugen kann Ludin damit nicht.

Gericht: Gelder von Mili Görüs
Denn das Landgericht Berlin sieht es als erwiesen an, dass hinter der islamischen
Grundschule Berlin die militante Organisation Mili Görüs steht. Doch diesen Vorwurf überhört Ludin. Sie zieht sich immer wieder auf ihre Person und ihre Religiösität zurück. Als Sanem Kleff vom Bundesvorstand der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Ludins zur Schau getragene Naivität im Hinblick auf ihren Arbeitgeber und dessen Finanziers kritisiert, antwortet sie: „Ich möchte mit Ihnen nicht in eine Diskussion kommen.“ Nur über das Kopftuch redet Ludin gern. Über all das, was mit dem Kopftuch verbunden wird, dagegen nicht.

Pochen auf das Neutralitätsgebot
Ludin kritisiert, dass es in Baden-Württemberg und den meisten deutschen Ländern zwar ein Neutralitätsgebot in religiösen Dingen gebe, tatsächlich aber ein christlich-abendländischer Erziehungsauftrag existiere. Sie bemängelt Kreuze in Klassenzimmern und Kreuze als Kettenanhänger um Lehrerhälse: „Christliche
Erkennungszeichen werden toleriert.“ Ihr Kopftuch dagegen solle verbannt und ideologisiert werden. Ludin pocht zwar aufs Neutralitätsgebot des Staates, leitet daraus aber nicht ab, dass sämtliche religiösen und weltanschaulichen Symbole aus Schulen zu verbannen wären. Sie fordert gleichzeitig Neutralität und ihr Recht auf das Kopftuch. Ein Widerspruch über den sich nach der Veranstaltung viele Zuhörer erregen.

Beck: Pluralität auch in den Schulen
Marieluise Beck versucht den Streit aus verschiedenen Perspektiven zu sehen.
Wenn Deutschland eine plurale Gesellschaft sein wolle, müsse diese Pluralität auch in den Schulen ihren Platz haben. Sie könne mit Kopftuch tragenden Lehrerinnen leben, wenn diese nicht missionierten. Sollten sie damit beginnen, müsse mit Hilfe des Disziplinarrechtes eingeschritten werden. Allerdings gibt Beck auch zu bedenken, dass oftmals muslimische Einwandererfamilien heftiger gegen die Präsenz des Kopftuchs in den Schulen protestieren als Deutsche. In Kreuzberg können Musliminnen mit Kopftuch nicht einmal mehr Lehramtspraktika machen. Im noblen Zehlendorf wird das gelassener gesehen. Musliminnen streiten über das Kopftuch Die GEW-Funktionärin Sanem Kleff ist zum Beispiel selbst als Einwanderungskind eine Muslimin. Im Koran, so Kleff, finde sie keine Stelle, die das Kopftuch vorschreibe. Niemand könne übersehen, dass für Islamisten in der ganzen Welt das Kopftuch ein Symbol für die Durchsetzung ihrer politischen Ziele sei. Obwohl die GEW Fereshta Ludin Rechtshilfe in ihrem Prozess gewährt, warnt deren Vertreterin Kleff: „Es geht nicht um Frau Ludins private Überzeugungen. Es geht um den politischen Sieg der Islamisten, wenn das Kopftuch den Weg durch die gesellschaftlichen Institutionen schafft.“ Da widerspricht Fereshta Ludin nicht.