Serrats Texte zu Son bis Hip-Hop

Cuba la cant a Serrat
Cuba la cant a Serrat

Ein spezielles Experiment mit bekannten kubanischen Musikern ist auf der Doppel-CD  „Cuba le canta a Serrat“ gebannt. Alte und junge Kubaner, die musikalisch die Bandbreite zwischen Son und Hip-Hip haben, machten sich an das Werk von Joan Manuel Serrat (63).

Der kommt aus Barcelona und hat sich während der Diktatur Francos geweigert, spanisch zu singen. Serrat bestand auf seiner Muttersprache Katalanisch – und war dafür sogar bereit, ins Exil zu gehen. Ein Jahr lebte der originelle Dickkopf in Mexiko, dann starb der senile Faschist Franco und Serra wagte es wieder, heimzukehren.

Wenn jetzt kubanische Künstler einen solchen widerständigen Sänger, Texter und Komponisten intonieren, dann weckt das natürlich Gedanken an die Diktatur des senilen
Dauerkranken Fidel Castro. Insofern ist das Projekt nicht nur musikalisch, sondern auch
politiisch spannend. Ibrahim Ferrer († 77, Buena Vista Social Club) ist für die traditionelle Interpretation, David Calzado ein Beispiel für eine moderne. Alle 21 vereint der durchaus gelungene Versuch, den katalanischen Liedermacher zu kubanischer Musik zu machen. Das gelingt fast ausnahmslos. Und macht somit neugierig auf die eigenen Musikprojekte wie auf jene Serras.

Die Ohrbooten kommen nach Babylon bei Boot

Ohrbooten: Babylon bei Boot
Ohrbooten: Babylon bei Boot

Dieses Album kommt zwei Wochen zu spät. Der G8-Gipfel ist vorbei. Die Ohrbooten hätten den optimalen Soundtrack bieten können. Songs wie Keine Panik, der vom kranken Planeten Erde mit dem Parasit Mensch erzählt, oder Bild Dir eine Meinung, der eine wunderbare konsumkritische Anklage ist, hätten bei den Kritikern der Politiker bestimmt Gehör gefunden.

Das spätere Erscheinen des feinen Raggae-Albums Babylon bei Boot schadet nicht. Dafür sind die Gesangspartien mit mehrstimmigen Wechseln zwischen Bass und Falsett, die groovigen Beats und die intelligenten Texte zu gut. Die Ohrbooten finden ihr Publikum: Der Titelsong ruft dazu auf, sich bei den vier Musikern zu melden. Sie wollen sich zum Gig auf Augenhöhe mit Fans treffen – auf der Straße.

Je jünger um so besser das Debüt: Sonya Kitchell

Sonya Kitchell
Sonya Kitchell

Sie war 16 Jahre alt, als sie ihr Debüt veröffentlichte: Sonya Kitchell. Inzwischen ist sie schon 18 – und bringt ihr Album „Words Came Back To Me“ endlich auch in Deutschland auf den Markt. Jetzt steht dieses erstaunliche Werk auch in Deutschland in den Plattenläden. Zwar haben auch Joss Stone (30), Norah Jones (28) und vor allem Katie Melua (22) schon sehr jung Platten aufgenommen und dennoch mit wunderbaren Stimmen überzeugt.

Doch Sonya Kitchell singt nicht nur grandios, sie hat ihre Texte und Lieder auch alle selbst geschrieben. „Words Came Back To Me“ besticht durch einen feinen akustischen Sound, der mit Elementen aus Jazz, Rhythm’n’Blues, Pop, Folk und Roots-Musik spielt. Die einfühlsame, zwischen Melancholie und Wärme schwankende Stimme von Sonya Kitchell ist das optimale Medium, um ihre in den Texten verarbeiteten Gedanken, Sorgen und Gefühle zu transportieren.

Was sie da singt, hat nichts mit Teenie-Gedöns zu tun. Sonya Kitchell setzt sich in ihren Texten genauso erstaunlich reif mit der Welt auseinander, wie sie ihre Musik schreibt und interpretiert. Von der jungen Amerikanerin werden wir hoffentlich noch viel hören.

Diese Rezension ist am 5. Mai 2007 in 20cent erschienen.

Das Pop-Requiem des Ex-Punks Rocko Schamoni

Ein Mann wird alt. Und wir dürfen dabei sein! In unsere Gehörgänge rotzt er seinen Zorn über die Jugend, zu der er doch selber einst gehörte. Rocko Schamoni (40) hat ein Alter erreicht, in dem Auf-Jung-Machen nur noch peinlich ist.

Dessen ist sich der einstige Dorfpunk (so der Titel seines Romandebüts vor zwei Jahren) bewusst. Und deshalb blöckt er jetzt: „Ihr seid Jugendliche / Ihr seid fertig drauf / Ihr seid stolz und hässlich“ und weiter „Ihr seid dumm und glatt / Ihr seid reich und sportlich / Ihr
tragt Army-Klamotten“. Dieser Jugend könne man das Schicksal der Welt nicht anvertrauen!

Rockos Blick ist unerbittlich. Natürlich spielt er in diesem Song wie in den anderen mit der Erwartungshaltung und den Klischees vom Alt-Werden und Jung-Sein. Das macht er auf seine einmalige Art. In Deutschland gibt es keinen vergleichbaren Ex-Punk, der mit den Mitteln der Popmusik seine Wahrheiten so unters Volk bringt.

Seine Botschaften dieser letzten CD, die seit gestern in den Regalen steht, erinnern an die Tiger Lillies. Seine Musik und seine Stimme sind allerdings gegenwärtiger. Seine Präsenz schreit danach, sich nicht aufs Altenteil zurückzuziehen. Es wäre zu schade, wenn er verstummt.

Sebastian Krämer schult die Leidenschaft

Sebastian Kraemer: Schule der Leidenschaft
Sebastian Kraemer: Schule der Leidenschaft

Sebastian Krämer (31) ist einer dieser Kabarettisten, die nur mit einem Klavier auf der Bühne den ganzen Abend gestalten können. Seine Musik und seine Texte bewegen sich zwischen klassischem Kabarett und Poetry Slam. In letzterem hat er 2001 und 2003 sogar den Champion-Titel für Deutschland errungen.

Das merkt man auch seiner CD „Schule der Leidenschaft“ in seiner besten Form an. Seine Texte sind spontan, seine Improvisationen über dem musikalischen Teppich des Klaviers überraschen. Sie erzählen von dem großen menschlichen Missverständnis, der Liebe. Und sie kreisen um all das, was die Tageszeitungen so füllt: von Arafat bis Kernspintomografie, von Mülltrennung bis Depression in Ostdeutschland. Krämer hat zwar nicht die beste Gesangsstimme, aber seine Improvisation trifft den Ton – zumindest den, den das Publikum hören will.

Die aktuelle CD ist etwas schwächer als der Vorgänger, aber immer noch weit über dem Durchschnitt dessen, was einem auf Kleinkunstbühnen so geboten wird. Sebastian Krämer bewegt sich auf den Kleinkunstbühnen der Republik als ständiger Gast. Auf dem CD-Player ist er auch willkommen.

Trikont Schwarze Musik hinter Gittern

In Prison
In Prison

Die Musik der Schwarzen aus den USA hat die populäre Musik in der gesamten Welt geprägt. Ob Blues, Soul, Funk oder HipHop – der Einfluss auf die aktuelle Musikszene
ist gewaltig. Dass der Blues von den Sklaven auf den Baumwollfeldern der Südstaaten gesungen wurde, ist hinlänglich bekannt. Wie groß die musikalische Schaffenskraft in den Gefängnissen war, allerdings nicht. „In Prison“ dokumentiert genau das.

Die Zahl der Schwarzen in den US-Gefängnissen ist exorbitant hoch. Das ist ein Ausdruck der nach wie vor herrschenden sozialen  Ungerechtigkeit. Dieses Leid, das Unrecht, Opfer eines Justizirrtums geworden zu sein, weil man sich keinen Anwalt leisten kann, oder auch die Läuterung im Knast, sind die Themen der Songs auf dem Sampler. Der 1996 ermordete Rapper „2 Pac“ findet sich ebenso wie die „Temptations“ oder Bobby Womack und Brand Nubian – und ganz viele unbekannte Schwarze.

Die Musik ist ungeheuer reichhaltig und produktiv. Es ist ein Hörgenuss, den Gefängnis- Songs zu lauschen, weil sie sich nicht im Jammern ergehen, sondern das Leid in mitreißende Kunst umwandeln. „Trikont“ hat mit der Auswahl der 19 Lieder wieder  Maßstäbe gesetzt.

Schiller träumt live in den Tag

Eine richtig dicke Packung Schiller steht jetzt in den Läden. Aber nicht der alte Dichter, sondern das Musikprojekt gleichen Namens. Zwei DVD und eine Audio-CD bündeln
unter dem Titel Tagtraum einen Querschnitt ihres Konzertgeschehens des Jahres 2006.

Schiller machen hochprofessionelle elektronisch getriebene Musik, die als Easy Listening durchgeht. Sie verzaubern den Hörer zum Träumer, der sich treiben lassen kann. Deshalb treten auch mehrere Sängerinnen auf. Ihre Stimme ist Teil eines musikalischen Plans, in dem die Individualität der einzelnen Musiker sich stets dem Sound des Ganzen unterordnet.

Selbst der Gastauftritt von Thomas D. gerät zu einem reinen Schiller-Ereignis. Von den
Phantastischen Vier ist da nichts mehr übrig. Auf den beiden DVDs finden sich ein Konzertmitschnitt und eine Sammlung von Videos, Interviews und Making-Ofs. Die CD
fängt den Sound ohne Bilder ein.

Cat Stevens alias Yusuf trinkt an other cup

Yusuf: An other Cup
Yusuf: An other Cup

Jahrzehnte haben Fans auf diese Scheibe gewartet. Yusuf Islam (58), der früher Cat Stevens hieß, hat ein neues Album auf den Markt geschmissen. An Other Cup nennt sich die Versammlung von elf Songs, die stark nach Besinnungsaufsatz schreiben beim Kaffeetrinken klingt.

Zwar entfaltet Yusuf Islam seine alte Stärke, eingängige Songs zu schreiben. Doch er singt das, was er im Booklet androht: Ein Einblick ins Denken eines Meisters, der die Tiefen des Lebens erkannt hat. Ganz Esoteriker säuselt er mystische Erkenntnis ins Mikro. Yusuf Islam geht es darum, aufzuzeigen, dass der Islam mehr ist als Selbstmordattentäter und Dschihad. Da wir das schon vorher wussten, zündet sein Verweis auf die spirituelle Kraft des Koran auch nicht.

Da wir das schon vorher wussten, zündet sein Verweis auf die spirituelle Kraft des Koran auch nicht. Verpackt in hübsche Lieder in der besten Singer-Songwriter-Tradition klingt das zunächst fein. Nur auf den Text darf man halt nicht achten. Denn dann erfährt man, dass man Gott nur ganz dolle vertrauen muss und schon hilft er einem auch. Tja. Das mag zwar für Yusuf-Esoteriker stimmen. Den Rest lässt es aber kalt. Eine warme Tasse Kaffee
kann anregend sein, eine kalte aber bitter. So wie diese Tasse von Yusuf.

Mauri Antero Numminen singt Heinrich Heine

Das skurrilste Hörbuch des Jahres ist von Mauri Antero Numminen. Der verschrobene Held des finnischen Underground hat sich nach Wittgenstein diesmal Heinrich Heine
vorgenommen. Als Jazzmusiker hat er seinen Zugang über den Rhythmus von Heines Texten.

Numminen begnügt sich aber nicht damit, Heine zu singen – oder doch eher zu jazzigen Tönen zu rezitieren. Numminen hat auch keine Hemmungen, Heine mit eigenen Texten zu ergänzen. Sein Akzent sorgt neben seiner Stimme zu einer verschrobenen Verfremdung,
die einen ganz neuen, im Wortsinne modernen Zugang zu den 150 Jahre alten Texten ermöglicht.

Wer Spaß am Experiment hat, hat dabei viel Vergnügen.

Mauri Antero Numminen singt Heinrich Heine, CD von Trikont, 15 EURO

Huss singt für alle Dauer-Praktikanten

Wenn nach einem harten Arbeitstag keine Zerstreuung möglich ist, weil die Theaterkarten zu teuer sind, dann bleibt nur eines: Sex. „Was uns bleibt, ist Sex. Was uns bleibt, das sind die einfachen Freuden, ohne Gott und ohne Geld – ohne Glauben an die Welt“, lautet  der Refrain der melancholischen Hymne für die Generation Praktikum von Daniel Huss.

Auf seiner Debüt-CD stimmt der Wahl-Hamburger aus Mainz ein erstaunlich breites  Themen-Spektrum an. Der oben zitierte Song „Was und bleibt“ ist dafür ganz  exemplarisch. Denn Huss hat einen eigenen Blick auf die globalisierte und individualisierte Welt, der sich in präzisen, oft ironischen Texten niederschlägt.

Musikalisch zieht Huss alle Register. Und das allein. Er hat sämtliche Instrumente selbst eingespielt. Dazu gehören neben der normalen Band-Ausstattung auch Laute und Orgel.
Huss bewegt sich allein durch seine 14 Songs auf HUSS – irgendwo zwischen Pop, Liedermacher und Rock. Auf jeden Fall aber bewegt er seine Hörer durch viele Überraschungen – in Text und Musik. Hoffentlich kann er seinen Job als Gemüseverkäufer bald an den Nagel hängen und eine zweite CD nachlegen.