Steidl würdigt Castros Leibfotograf Alberto Korda

Alberto Korda: A Revolutionary Lens
Alberto Korda: A Revolutionary Lens

Dieser Bildband ist monumental! Schon sein Format ist außergewöhnlich – genauso groß
wie eine 20cent-Ausgabe! Knapp 430 Seiten,
auf denen hunderte Fotos in Hochglanz
abgedruckt sind, verstärken den monumentalen
Eindruck noch; auch wegen des Gewichts!
Alberto Korda war der Leib- und Hausfotograf   der kubanischen Revolution. Sein Porträt von Che Guevera ist eines der bekanntesten Fotos überhaupt. Seine Bilder von Fidel als Maximo Lider, als Denker, als Redner, als Angler und als Mensch bestimmen die Sicht auf den
kubanischen Diktator auch heute noch.

Der Bildband mit dem Werk Kordas zeigt aber auch, wie der Meister der Schwarz-Weiß-Fotografie Mode inszeniert, wie er Paraden in Szene setzt und wie er vor allem Soldatinnen als Botschafterinnen des gesellschaftlichen Fortschritts lachend ins Bild einfängt, ist großartig – und beängstigend. Ein gutes, ein wichtiges Buch, das viel über Kuba und viel
über die Möglichkeiten der Fotografie aufzeigt.

Alberto Korda: A Revolutionary Lens. Steidl Verlag Göttingen. Gebunden. 440 Seiten. 60 Euro

Bernadette La Hengst: Machinette

Bernadette La Hengst: Machinette
Bernadette La Hengst: Machinette

Sie klingt im ersten Moment immer etwas naiv. Die Stimme von Bernadette La Hengst (41). Als müsse sie beschützt werden. Doch wer sich ihre Texte genau anhört, merkt, dass diese Bernadette alles ist. Aber eines sicher nicht: naiv.

Sie besingt die Freiheit ohne Sicherheit. Und weiß ganz genau, dass es Freiheit nur so gibt, ohne Sicherheit. Aber mit schöner Musik: „Die Ketten, die fallen, machen die schönste Musik“. Das klingt bedeutungsschwer und ist doch auch gebrochen ironisch. In Süßer Gefangenschaft besingt sie mit der gleichen Ironie die selbst gewählte Aufgabe der Freiheit in einer Beziehung: „Rette mich aus meinem freien Leben / nimm mich gefangen / denn ich will keine Wahl, keine tägliche Qual.“ Mit ihrer ganz eigenen Mischung aus Elektro-Pop und Gitarren-Akkorden rundet sie ihre leicht melancholischen Texte passend ab.

Neue Rockoper im alten Gewand: Ignorance & Vision

Die ersten Takte klingen, als hätte Lou Reed mit Velvet Underground einen neuen Song eingespielt. Dann wird am Sound vor allem durch den Einsatz anderer Stimmen gedreht – und schon wird der Hörer in ein unbekanntes Album von Queen versetzt. Für eine CD,
die gerade erst auf den Markt gekommen ist, eine sehr ungewöhnliche Mischung!

My Baby wants to eat your Pussy (MBWTEYP) nennt sich die Band, der das einfällt. Vier Jahre sind die sechs Musiker schon zusammen, haben unzählige Konzerte gespielt. Aber „Ignorance & Vision“ ist das Debüt. Wer auf vielschichtigen Rock steht, wird bestens bedient.

MBWTOYP hat die Rockgeschichte nicht nur gehört, sie formt daraus eine irre Mischung aus Neuem und Zitaten von Altem. So sorgt die Band für ständige Überraschungen – und die Gewissheit, dass man sich das Album immer und immer wieder anhören kann, weil es immer noch Neues zu entdecken gibt. Die Rockoper handelt von Liebe und Jungen und Mädchen. Das ist nichts Besonderes, die Musik aber schon. Sind da wirklich nur MBWTEYP zu hören oder auch David Bowie, Van der Graaf Generator, The Who, Red Hot Chilli Peppers?

Kleiner Mann ganz machtgeil

Budd Schulberg: Was treibt Sammy an?
Budd Schulberg: Was treibt Sammy an?

Was treibt Männer an, die nach immer mehr Macht und Einfluss streben? Das ist eine Frage, die schon in der Antike die Literatur beschäftigte. Einer der intelligentesten Romane des 20. Jahrhunderts dazu ist jetzt bei Kein &
Aber in Zürich erschienen. Budd Schulberg (93) veröffentlichte sein Meisterwerk 1941. Doch das merkt man dem Roman „Was treibt
Sammy an?“ auf keiner einzigen Seite an.

Wer nicht weiß, dass Schulberg als Drehbuchautor in Hollywood in den 50er-Jahren sogar einen Oscar bekam, der liest und liest und liest dieses Buch, ohne richtig Atem holen zu können. Denn Titelheld Sammy Glick gönnt sich das auch nicht. Und Autor Schulberg beschreibt dies so modern, als wäre das Buch erst dieses Jahr erschienen.

Das liegt auch an der hervorragenden Übersetzung von Harry Rowohlt. Der sorgt dafür, dass der Sprachwitz und der Tonfall des Textes auch im Deutschen wunderbar funktionieren. Der Ich-Erzähler Al Mannheim lernt Sammy Glick als Redaktionsboten kennen. Immer wieder fragt Sammy den Kolumnisten aus, bis er mit einer eigenen Kolumne an ihm vorbeizieht. Das Wissen dafür hat Sammy natürlich von Al. Obwohl der es nicht will, beginnt ihn das Phänomen Sammy zu interessieren. Er stellt sich die Frage: Was treibt Sammy an?

Später in Hollywood arbeiten sie beide als Drehbuchautoren. Auch hier ist es der jüngere Sammy, der sich nach oben durchbeißt. Und das auf Kosten von Menschen, die er gnadenlos ausbeutet. Sammy ist auf Macht fixiert. Um sie zu steigern, ist er bereit, fast alles zu machen. Seine Kreativität nutzt er im Filmbusiness nur, um die Ideen anderer für sich auszubeuten. Und schon beginnt er Geld zu verdienen. Denn das ist das eine augenscheinliche Zeichen für Macht.

Das zweite ist der ungeheuerliche Verschleiß an Frauen. Die interessieren Sammy nicht als Menschen, sondern nur als Ausweis seiner Macht, seiner Potenz. Deshalb müssen immer neue Mädels ran, deshalb aber funktioniert mit Sammy auch keine einzige Beziehung. Schulberg beschreibt die bescheidene Herkunft Sammys. Und der schildert, wie Sammy bereit ist, über andere hinwegzugehen, sie in den Dreck zu stoßen, wenn es seiner Macht nützt.

BUDD SCHULBERG: WAS TREIBT SAMMY AN? ÜBERSETZT VON HARRY ROWOHLT. KEIN & ABER, 19,90 EURO.

Orsihas: Cosita Buena

Orishas: Costa buena
Orishas: Costa buena

Cosita Buena ist das vierte Studioalbum der Orishas . Vor knapp zehn Jahren taten sich Roldán González, Hiram Riveri Ruzzo und Yotuel Romero als kubanische Exilanten zu einer Band zusammen. Sie formten eine Mischung aus traditioneller kubansicher Musik und Hip-Hop. Beim ersten Album von Culcha Candela klang einiges so, wie bei den enorm erfolgreichen Orishas . Mit Cosita Buena gehen sie einen weiteren Schritt Richtung eigenständigen Sound. Zwar ist immer klar, dass hier Kubaner am Werk sind, doch die Musik distanziert sich vom Kitsch des Buena Vista Social Club auf angenehme Art. Der Hip-Hop dominiert genauso wenig. Heraus kommt eine extrem hörbare Scheibe, die wie der musikalische Aufbruch in die Zeit nach Fidel Castro klingt.

Le Trio Joubran: Majaz

Le Trio Joubran: Majaz
Le Trio Joubran: Majaz

Drei Brüder aus Palästina verzaubern mit ihrer Mischung aus arabischer Lautenmusik und leichten Jazzanklängen. Der Vater der Brüder Adnan, Samir und Wissam Joubran ist ein bekannter Oud-Bauer. Die Oud ist eine Art Laute, die seine Söhne beherrschen.

Der Klang, den die Brüder aus den Instrumenten herausholen, ist ideal, um sich und seine Gedanken treiben zu lassen. Das liegt am weichen Klang der Oud. Anders als Gitarren, die oft etwas hart wirken, erzeugen diese Lauten einen flirrenden Sound, bei dem die drei Instrumente ineinander aufgehen. Arabische und spanische Melodien liegen den Stücken zugrunde. Das
Arabische überwiegt dabei immer. Und dennoch ist diese Musik nicht nur fremd. Le Trio Joubran öffnet uns eine akustische Vorstellung der Nähe von Okzident und Orient.

Toni Mahoni ist sich sicher: Allet is eins

Toni Mahoni ist ein Phänomen des Internets. Auf myspace wurde er groß. Seine Songs fanden Hörer, weil sie witzig, direkt und in einem schönen, rotzigen Berlinerisch gesungen
sind. „Allet is eins“ heißt jetzt sein erstes Album.

Das hält, was uns sein myspace-Treiben versprochen hatte. Wer den ersten Song Ketten gehört hat, muss das Album zu Ende hören. Wunderbar, wie Toni da unser aller falsches
Einkaufen kommentiert: „meen kleena buchladen macht bald zu / und schuld daran bist du / denn du korrupta clown / koofst jedet buch bei amazon“. Tja, wo er recht hat, hat er recht.

Und wenn er diese Weisheit auch noch wie einen echten Gassenhauer intoniert, der sich in die Gehörgänge wie ein Ohrwurm windet, dann hat er uns gewonnen. Und das zu Recht. Denn seine Lieder sind einfach schön. Seine Hymne auf Brandenburg genauso wie der
verzweifelte Appell an die Freundin, doch auch mal was mit Fleisch zu kochen: „Ick mag ja dein jemüse / ich krieg bloß kalte füße / ick brauch paar proteine, / sonst fallick vonna schiene / dit wolln wa beede nich / drum kommt fleisch heut auf den tisch.“ Toni Mahoni klingt etwas wie Tom Waits. Er ist nur viel jünger.

Dietrich Schulze-Marmeling weiß alles über die DFB-Elf

Vor 100 Jahren bestritt die deutsche Nationalmannschaft ihr erstes offizielles Länderspiel. Und in diesem Jahr soll wieder ein EM-Titel her. Dietrich Schulze-Marmeling (Hg.) hat das Jahrhundert der DFB-Auswahl in einem umfangreichen und lesenswerten Buch zusammengefasst.

Dabei geht es nicht nur um die sportlichen Aspekte. Der Fußball wird immer auch als gesellschaftliches Phänomen begriffen. Deshalb ist das Buch mehr als eine Aneinanderreihung von Anekdoten und Heldengeschichten. Das ausführliche Lexikon am Ende macht das Buch zu einem Muss für all jene, die im deutschen Fußball mehr sehen als eine TV-Unterhaltung zur besten Sendezeit.

D.Schulze-Marmeling: GESCHICHTE DER DEUTSCHEN FUSSBALL-NATIONALMANNSCHAFT , WERKSTATT, 29,80 EURO.

Michael Braun erinnert sich an seine Zeit mit Haindling

Haindling ist in Bayern eine Kultband. Seit 1982 spielt Hans-Jürgen Buchner (63) unter dem Namen seines niederbayerischen Heimatortes eine Mischung aus Jazz, Rock, Folklore und vor allem Dialekt. Michael Braun gehörte zu den ersten Mitgliedern der Band. In seinem Buch „Meine wilde Zeit mit Haindling“ erzählt er in abgeschlossenen Geschichten Episoden aus dem Bandleben.

Die sind zum Teil sehr lustig, manche auch traurig, vor allem aber immer voller Leben. Da es kein offizielles Buch über Buchner und Haindling gibt, hat Braun für Fans ein unbedingtes Muss verfasst. Dass es auch gut zu lesen und voller schöner Fotos ist, macht das Buch umso besser.

Michael Braun: MEINE WILDE ZEIT MIT HAINDLING. ROSENHEIMER VERLAGSHAUS, 14,95 EURO.

Ewan Morrison treibt der sexuelle Overkill um

David und Alice sind Mitte Dreißig und entschließen sich, ihr Leben zu teilen. Doch Jobverlust und die gestörte Sexualität von David schaffen Probleme. Partnertausch scheint die Lösung zu sein. Denn David ist impotent, wenn er direkt mit einer Frau konfrontiert wird.

Lediglich wenn seine Phantasie durch Geschichten oder Voyeurismus stimuliert wird, kann er sich erregen. Ewan Morrison schreibt keine billige Sex-Zote, sondern ein Buch über den sexuellen Overkill, der Männer und Frauen dazu treibt, Leistungssportler in Betten sein zu wollen. Das ist zum Teil vulgär, aber auch einfühlsam. Das Buch ist nichts für allzu Sensible. Es geht schon zur Sache, bleibt dabei aber immer seriös. Unglaublich, aber gelungen.

Ewan Morrison: SWINGER. C. BERTELSMANN, 19,95 EURO.