Gusta – das türkische Weissbier

"Gusta" - das türkische Weißbier
"Gusta" - das türkische Weißbier

Schon Anfang April habe ich ein großes Plakat in Ankara gesehen, das auf Weissbier aufmerksam machte. Der Gedanke, dass sich nach dem Pils endlich auch ein vernünftiges Bier auf dem Weg um die Welt ausbreitet, erfreute mich sehr. Nach einigem Suchen fand ich das Lokal mit dem großen Gusta-Plakat wieder. Natürlich habe ich dort gegessen und getrunken. Wie heißt es in Eckhard Henscheids wunderbarem Roman „Geht in Ordnung – sowieso – – genau – – –“ so häufig auf die Frage, was man trinken wolle: „Ein frisches, kühles Weizenbier.“

Zwar ist mir die Art des Müßiggangs, die Henscheids Personal des ANO-Teppichladens pflegt, doch fern. Aber das Lob auf das frische Weissbier kann ich teilen. Bei „Gusta“ jedoch vergeht einem der Genuss. Es schmeckt seltsam muffig, leicht nach chemischen Säurungsmitteln. Der Genuss ist so trüb wie das Bier selbst. Ein Pils ist die einzig denkbare Erlösung. Das „Efes“ zischt dann, vertreibt die Chemie im Munde und entspannt ungemein nach etlichen Kilometern zu Fuß durch die Stadt.

Frühsport um 06.30 Uhr in Ankara

Frühsport in Ankara
Frühsport in Ankara

Ankara. 06.30 Uhr am Samstag. Der Schlaf will nicht wiederkehren. Die senile Bettflucht treibt mich mit Laufschuhen auf die ruhigen Straßen der großen Stadt. Das Laufen tut gut. Nicht nur mir. Schon um diese Zeit sammeln sich bewegungsfreudige Großstädter, um die Nacht zu vertreiben. Sie nutzen die Fitnessgeräte, die an zwei Stellen in diesem und in vielen anderen Grünanlagen stehen.

Da schwingen sich Senioren von links nach rechts. Da laufen Frauen mit Kopftuch und wadenlangen, schweren, schwarzen Strickjacken. Da qäulen sich beleibte Männer an der Streckbank. Alle sind froh und ruhig. Sie konzentrieren sich auf ihren Körper und vergessen in dieser Morgenstunde den Alltag.

Anders als die letzten Nachtschwärmer, die wacklig den Weg nach Hause suchen. Die dem Läufer in ihren Straßen verwirrt entgegen blicken. Und sich offenbar nur noch nach Schlaf sehnen. Den finde ich zwar auch nicht mehr. Denn die Zufriedenheit über die frühe Bewegung und die beschäftigte, auf den eigenen Körper konzentrierte Ruhe der Morgensportler, ist wertvoller als eine weitere Stunde Schlaf. Und wacher macht sie noch dazu.

Ankaras spezielle Playstations

Playstations in Ankara
Playstations in Ankara

Nein, das ist keine Spielhölle. Hier stehen keine Automaten, die einen vermeintlichen Gewinn versprechen. Das hier ist eine spezielle Weiterentwicklung des Internet-Cafés in Ankara. Als Spezialität gibt es nichts besonderes zum Essen und Trinken oder eine Wasserpfeife. Auch das Internet ist nicht wichtig. Hier herrscht König Fußball – als Computerspiel. Flachbildschirm an Flachbildschirm steht in dem Lokal. Und außen auf dem Gehsteig geht es weiter. In der Parallelstraße sind sogar drei dieser – ja was eigentlich – Playstations?

In Kizilay sind die Kneipen generell gut besucht. Da, wo die FIFA 11 läuft, sind freie Stühle aber besonders rar. Wer Buben im spielfähigen Alter hat, weiß wie massiv die Freude am Bildschirmkicken sein kann. Hier in Ankara wird sie so ausgelebt, dass sie sogar den Burgerking nebenan ignorieren würden, dürften sie nur hier Platz nehmen. Aber das Publikum ist nicht nur jung. Hier platziert auch der Anzugträger seine Laptop-Tasche unter dem Stuhl, um gegen Freunde als FC Barcelona, Galatasery oder Manu zu kicken.

Die typischen türkischen Cafés mit den Domino- und Backgammon-Spielen gibt es auch noch. Aber deren Kunden sind in der Regel nochälter. Das Verhalten der Alten am Spielbrett und der Jungen am Bildschirm ist jedoch gar nicht anders. Da wird gelacht, da wird geflucht. Und ganz viel geredet. Womit wieder einmal bewiesen wäre, dass Computerspiele nicht schlechter sind, als die alten Brett- und Kartenspiele. Es kommt nur darauf an, wie man spielt.

Mein Kopf ist von gestern

Ertappt. Da habe ich mich bei einem Gedanken ertappt, den ich bei allen anderen immer als – nun ja, nicht gerade zeitgemäß – einordnen würde. Das Flugzeug von Berlin nach Ankara ist ziemlich voll. Ein Blick in die Kabine und ich denke: Wahnsinn, ich bin der einzige Deutsche. Doch bei der Einreise wird alles anders.

Die Schlange vor dem Schalter für Türken und dem für die anderen Nationalitäten ist gleich lang. Vor mir wird fleißig deutsch gesprochen. Die Pässe sind auch alle EU-rot. Die Türken sind gar keine Türken mehr. Sie sind Deutsche. Auch wenn ich auf diese Selbstverständlichkeit erstmal gar nicht gekommen bin. Deutschland ist bunter. Das wollten wir doch immer. Aber der Kopf ist leider noch nicht so selbstverständlich bunt. Der sortiert noch immer nach fragwürdigen Äußerlichkeiten.

Pamuk lesen – Türkei verstehen

Orhan Pamuk: Cevdet und seine Söhne
Orhan Pamuk: Cevdet und seine Söhne

In Berlin war es. Im März. Da hat Orhan Pamuk sein aktuelles Buch vorgestellt. Die Situation war komisch. Denn „Cevdet und seine Söhne“ ist fast 20 Jahre alt. Der reife Autor musste also seinen Erstling präsentieren, der in Deutschland noch nicht zu haben war, weil derselbe Autor eine Übersetzung lange nicht wollte. Dem war das Buch zu traditionell. Eine Familiensaga, die stark an die Buddenbrocks erinnert. Die sehr chronologisch eine große Gesellschaftsgeschichte anhand einer Familie erzählt. Das ist tatsächlich große Literatur. Der Roman ist eine Mentalitätsgeschichte der Türkei in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts.

Wer die Türkei in ihrer Zerrissenheit zwischen Orient und Okzident, zwischen europäischer Moderne und orientalischer Tradition begreifen will, ist bei dem Debüt Pamuks gut aufgehoben. Dennoch ist es auch gut verständlich, weshalb Pamuk sich mit der Übersetzung so schwer tat. In der Türkei werde er immer auf den Erstling angesprochen, erzählte er. Und das, wo er doch anschließend literarisch ambitioniertere Bücher geschrieben habe. Auch in Deutschland wird dieses Buch geliebt werden. Es ist so schön überschaubar, so klar in den Personen und Dialogen. Es ist gut erzählt und öffnet eine neue Welt. Das ist alles fein. Und dennoch ist es auch etwas langweilig. Man muss die 660 Seiten fressen, um im Geschehen zu bleiben. Ansonsten verschwinden die vielen Details sehr schnell wieder aus dem Bewußtsein.

Türkische Schüler pauken fürs Zentralabi

Prüfungsstress gehört in der Türkei zum Schulalltag. Vor allem die zentralen Prüfungen an Ende der achtklassigen Grundschule, der Mittelstufe und beim Abitur setzen Schüler und Eltern so unter Druck, dass Nachhilfe an Privatschulen normal ist. Experten schätzen, dass Eltern dafür mehr als 30 Milliarden Euro im Jahr ausgeben.

Das Kabatas-Erkek-Lisesi in Istanbul liegt direkt am Bosporus. Der Blick richtet sich auf das asiatische Ufer. Frachter und Yachten passieren die staatliche Eliteschule. Hier werden nur Kinder unterrichtet, die bei der Abschlussprüfung der achten Klasse zu den Punktbesten der ganzen Türkei gehören. Zwar stammen die meisten Schüler aus Istanbul selbst. Doch hier in Besiktas gibt es auch ein Internat, das Kinder bis aus Trabzon aufnimmt.

Die Schüler am Kabatas-Gymnasium sind so gut, dass von 180 Absolventen im vergangenen Jahr 56 sogar einen Medizin-Studienplatz bekamen. Den ergattern in der Türkei nur die Allerbesten. Beim gesamttürkischen Zentralabitur müssen die Schüler fast alle Punkte erreichen, um in den Genuss zu kommen, Arzt werden zu dürfen. Das ist für sie eine große Qual – und eine große Belastung.

Denn de facto besuchen auch die meisten Schüler des Istanbuler Elite-Gymnasiums nicht nur dieses. „Dersane“ heißt das Wort, das türkische Eltern und Schüler fürchten. Dersane nennen sich private Nachhilfeschulen, die auf die zentralen Prüfungen vorbereiten. Im Istanbuler Cagaloglu-Lisesi, einer Eliteschule schräg gegenüber der Blauen Moschee, führt das dazu, dass in den Abschlussklassen fast alle Schüler krankgeschrieben sind. Sie gehen auf die Dersane und schenken sich wie landesweit ganz viele Schüler auch den eigentlichen Unterricht. Denn Eltern und Schüler sind davon überzeugt, dass die Nachhilfe aufs Abitur besser vorbereitet als der eigentliche Unterricht.

Im April sind jedoch viele Schüler des Cagaloglu-Lisesi zusammen mit Hunderten anderer Schulen in den Streik getreten. Auf Demonstrationen machten sie sich Luft, weil herauskam, dass die Schüler einer ganz bestimmten Dersane-Gruppe das Schema zur Beantwortung der zentralen Prüfungen kannten. Sie lösten selbst schwierigste Fragen, indem sie sich das Muster der Multiple-Choice-Antworten merkten. Offensichtlich hatte sich der Nachhilfekonzern die Muster im Bildungsministerium in Ankara organisiert.

Für die Türkei sind die zentralen Prüfungen eigentlich als Mittel im Kampf gegen die Korruption eingeführt worden. Und um auch den Schülern im unterentwickelten Osten des Landes die Chance einzuräumen, auf eine gute Schule oder eine gute Uni zu kommen. Die Vorstellung, dass gleiche Lehrpläne für alle Schüler am Ende mit zentralen und damit gerechten Prüfungen zu einem guten Ende der Schullaufbahn führen, hat sich aber nicht bewahrheitet.

Wer in der Türkei Eltern nach der Schule fragt, erntet traurige Blicke. „Wenn für meinen Sohn um 16 Uhr die Schule zu Ende ist, steigt er in den Bus und fährt eine Dreiviertelstunde, um auf die Dersane zu gehen“, schildert ein Vater in Ankara. Da bleibt er dann bis 20 Uhr. Anschließend sind dann noch die Hausaufgaben angesagt. Der Vater: „Er tut mir leid. Aber es geht ja nicht anders. Ohne Dersane hat er keine Chance auf einen guten Abschluss.“

Dieser zusätzliche Unterricht ist sehr teuer. 500 Euro pro Monat für Nachhilfe sind normal. In den Prüfungsjahren kann das aber auch auf bis zu 3500 Euro ansteigen. Von diesen Zahlen berichten die Schüler des Cagaloglu-Lisesi. Diese Kosten fallen an, wenn es sich um Einzelunterricht handelt und die angeschlossenen Fahrdienste inklusive sind. Eine ganze Industrie lebt davon, dass die staatlichen Schulen nicht das Vertrauen genießen, die Schüler auf die Prüfungen richtig vorbereiten zu können. Cengiz Ertan, Lehrer am Kabatas-Lisesi meint: „Eigentlich ist es ja unsere Aufgabe, die Schüler für die Prüfungen fit zu machen. Doch es wird dem Schulsystem insgesamt nicht zugetraut.“

Diese Einschätzung hat auch mit den großen Unterschieden innerhalb des Landes zu tun. Im Westen, also in Istanbul oder Izmir, ist der Lebensstandard deutlich höher als in Städten wie Erzurum oder Batman im Osten. Mit dem Wohlstand steigt auch der Bildungsgrad. Die türkische Regierung will diese Ungleichheit auch durch das strenge landesweite Prüfungsverfahren ausgleichen. Doch im ärmeren Osten verschärft der teils objektive, vor allem aber subjektive Zwang zum Besuch der Dersane nach Schulschluss die Ungerechtigkeit noch. Denn hier 
fällt es den Eltern angesichts der niedrigeren Einkommen noch schwerer, das Geld dafür aufzubringen.

Das Özel-Bilkent-Lisesi ist eine Antwort auf dieses Problem. Özel Bilkent hat einen großen Teil seines Vermögens in eine Bildungsstiftung gesteckt. Neben einer Universität in Ankara gibt es in Erzurum ein Internat von ihm. Dieses Pilotprojekt soll auf andere Städte im Osten ausgedehnt werden. Im Gespräch sind Van und Batman. Zugangsvoraussetzung ist der zentrale landesweite Test. Hinzu kommt noch eine Aufnahmeprüfung. Wer es schafft, kann sich fast immer auf ein Stipendium freuen. Es sei denn, die Eltern verdienen zu gut.

Jeder Schüler erhält einen Laptop, die Klassen sind überschaubar und die Ausstattung ist auf dem allerneusten Stand. Ziel der Einrichtung ist es, eine Elite im Osten auszubilden, die dort nach dem Studium auch möglichst bleibt. Und die sich dem türkischen Staat verbunden fühlt, obwohl Türken in diesen Städten oft nur die Minderheit sind.

Dafür weicht das Schulkonzept auch von denen der staatlichen Schulen ab. Hier wird nicht nur auswendig gelernt, wie es an normalen Schulen angesichts der drohenden Multiple-Choice-Tests nötig ist. Am Özel-Bilkent hat Projektarbeit einen hohen Stellenwert. Neugier wird belohnt. Kreativität zu fördern ist Ziel der Schule. Staatliche Schulen opfern diesen Bildungsauftrag dem Pauken für die Zentralprüfungen.

MOZ-Beitrag…

15 Kilometer zu Fuß durch Ankara

So modern ist Ankara. Und so rückständig. Ein Fußmarsch durch die Stadt führt von den großen Einkaufsstraßen, den weltoffenen Kneipenvierteln bis hinauf auf die Zitadelle. Da wo, der Tourist den Rummel, der allerorten um ihn gemacht wird, am ehesten erwartet, findet er Anatolien: Niedrige, kleine Häuser. Enge Gassen und spielende Kinder. Kopftücher allerorten und frisch gewaschene Unterwäsche gleich unter der türkischen Fahne, die den höchsten Punkt der Zitadelle krönt.

Der Abstieg die vielen hundert Stufen oder die Straßen hinab entscheidet, ob man nach Europa oder nach Kleinasien gelangt. Wer die Treppen wählt, kommt zwar auch in einen alten Stadtteil, der nicht europäisch wirkt. Aber hier passiert etwas Neues. Handwerker sanieren und restaurieren Altbauten. Hier wird nicht mehr weggerissen, was aus Lehm und Holz gebaut wurde, sondern es wird bewahrt. Vielleicht gibt es genau hier in einigen Jahren das, was wir Europäer so lieben: eine malerische Altstadt, die seit Beginn der jeweiligen Stadtgeschichte nie so farbig und aufgeräumt und geruchsneutral war.

Erstaunlich ist auch der Atatürk-Kulturpalast. In ihm wuselt es vor Menschen. Sie alle sind auf der Suche nach echten türkischen Waren. Denn heute ist hier ein Handwerkermarkt. Alles hat Tradition. Von den Lebensmitteln über die handgewebten Schals bis hin zu Ohrringen mit türkischem Türkis oder traditioneller Keramik aus Kütahya. Und alles ist günstig. Das fachkundige Publikum prüft, riecht, fühlt. Ganz so, wie es sich für einen Basar gehört.

Schräg gegenüber spielt Genclerbirligi Ankara in der Süperlig. Der Jubel der Fans ist weihin hörbar. Aber leider gibt es keinen Zugang zum Stadion. Hier kommt man nur mit Ticket weiter. Dafür fluten die Fans anschließend die U-Bahn. Überall Gesang. Alles voll latenter Agression und verschmitzter Freude. Kein Wunder: Das Durchschnittsalter ist unter 20. So wie überhaupt vor allem junge Gesichter auf den Straßen sind. Diese Stadt ist zwar riesig und in sich zerrissen. Aber die Jugendlichkeit der Bewohner eint sie.

Zwei Schulen in Ankara

Berufsverkehr in Ankara. Stop and Go. Das Taxi muss ständig anhalten und wieder losfahren. Auf dem Weg von der Tunus Cadessi zur Schule sind es vor allem die zwei, drei ersten Kilometer, in denen der Magen mit dem Taxifahrer kämpft. Zum Glück gewinnt der Magen. Das Frühstück bleibt im Bauch. Aber vor lauter Konzentration auf das innere Rumoren bleibt der Blick auf die Stadt, durch die das Taxt fährt, auf der Strecke.

Um neun Uhr bin ich in der Schule angekündigt, 15 Minuten früher bin ich schon da. Ein Geografielehrer nimmt mich in Empfang, weil die Deutschlehrerin noch nicht da ist. Er führt mich in den Raum für die Geografielehrer und bietet Tee an. Da er kurze Zeit in Deutschland lebte, kann er etwas Deutsch. Aber als jüngstes Kind kehrte er mit den Eltern in die Türkei zurück, während seine Geschwister fast alle in der Bundesrepublik blieben. Sie will er besuchen, weiß aber nicht genau, welche Art Visum er dafür benötigt und ob er dieses einfach bekommt.

Die Visumsfrage taucht auf der gesamten Reise immer wieder auf. Deutschland erteilt es nicht einfach. Zu groß ist die Angst, dass sich die halbe Türkei auf den Weg machen könnte. Für diejenigen, die ihre Verwandten besuchen wollen, bedeutet dies Stress. Und offensichtlich auch immer wieder Demütigungen. Wie in den anderen Schulen auch ist die Aufnahme herzlich. Zwischen Deutsch und Englisch schwankt die Unterhaltung. Immer ist sie von einem echten Interesse an dem Besucher getragen. Dafür wird sich auch Zeit genommen.

Etwa wenn die Deutschlehrerin zu spät kommt und darüber wegen eines defekten Handys nicht informieren kann. Dann geht der betreuende Lehrer eben etwas später in den Unterricht. Hier gilt tatsächlich der Satz: „Der Gast, der wird geehrt, auch wenn er noch so stört.“ Wobei der Gast hier nicht als störend empfunden wurde. Die Schule hat ein Internat und Schüler, die aus der Umgebung kommen. Das PASCH-Sommercamp zum Thema Schülerzeitung soll hier stattfinden. Bei der Übung sind drei Lehramtspraktikanten und zwei Lehrerinnen dabei. Die Schülerinnen – nur ein Junge gehört zur Gruppe – sind sehr aufgeweckt und nehmen vor allem die Anregungen zur Themenfindung gern an. Stellten sie sich ursprünglich vor allem ein sehr offizielles Heft als Schülerzeitung vor, begannen sie bald über die Themen nachzudenken, die für die selbst relevant sind.

Das war wieder der hohe Lerndruck, die Anzahl der Prüfungen und Tests, aber auch die Diskussion der Internatsschüler, was auf dem einen Fernseher geschaut wird. Oder das Schulessen. Es ist nicht so gut, wie sie es sich wünschen. Die Begeisterung für die Entdeckung ihrer eigenen Themen war so groß, dass die abschließende Übung eine andere Wendung nahm wie in allen anderen Schulen. Eigentlich sollten sie in Kleingruppen einen Text über das gerade Erlebte schreiben. Also eine kleine Nachricht über meinen Besuch, bei dem die Wörter Ich und Wir auf keinen Fall vorkommen dürfen, weil eine Icherzählung bei Lesern nie gut ankommt.

Die Schülerinnen der ersten Schule in Ankara haben gleich damit begonnen, über die neuen Themen zu schreiben. Das war ein ganz neuer Lehrerfolg auf dieser Reise. Gleich nach Ende der Einheit musste ein Taxi gesucht werden. Denn jetzt ging es zum TED-College am anderen Ende der Stadt. Was bei der Fahrt auf der Strecke blieb, war das Mittagessen. Denn ich war erst pünktlich um 13.00 Uhr vor Ort. Da ging es dann gleich weiter. Die nächste – und letzte Schülergruppe dieser Reise. Das TED ist eine riesige private Lerneinrichtung. Grundschule, Gymnasium und Universität auf einem Campus. Allein am Gymnasium werden 2.000 Schüler unterrichtet. In den anderen Einrichtungen sind die Zahlen ähnlich. Das Gelände wirkt von außen wie ein Hochsicherheitstrakt. Es ist vollständig von hohen Zäunen umgeben, wird von einer großen Schranke gesichert und ist beim ersten Besuch kaum zu übersehen. Man fühlt sich in die USA versetzt. Das wird noch durch die vielen Schulbusse verstärkt. Dutzende holen Schüler und Lehrer nach der Schule ab. Den richtigen findet man nur dank der Hilfe vieler freundlicher Menschen. Der Eintritt in die Schule birgt eine Überraschung. Hier sind keine engen Korridore, sondern eine Art überdachte Straße. Rechts und links wird gemalt. Und was da auf die Leinwände gezaubert wird, zeugt von einem guten Kunstunterricht. Weiter vorne spielt eine Band vor einer großen Traube Schüler. Und überall ist Bewegung, auch nach den Pausen. Die Atmosphäre ist sehr einladend. Nur leider fehlte mir die Zeit zum Essen, noch entspannter all die Kreativität aufnehmen zu können. In einem Raum der Bibliothek fand dann die Übung statt. Auch hier herrschte zunächst der Wunsch vor, weniger eine Schülerzeitung als vielmehr eine PR-Broschüre zu gestalten. Da sollten Texte über Faust erscheinen, über türkische Geschichte und die eigenen Schule. Doch auch bei dieser Gruppe sprang der Funken schnell über. Die Themen, die sie drücken, sind die gleichen: Hausaufgaben, Prüfungsstress, Dersane und so weiter. Aber dann kamen die eigenen Beobachtungen: Der Kiosk ist zu teuer. Jetzt soll mit einem Preisvergleich das Thema bearbeitet werden. Mal schauen, ob es gelingt. In die Stadt ging es dann mit einem der vielen Busse.

Der Vater eines Schülers hat mich am Ende begleitet. Und sein Leid geklagt. Denn er war vom TED auf dem Weg in die Dersane, in der sein Sohn nach der Schule täglich noch zusätzlichen Unterricht hat. Oft kommt der erst um neun Uhr nach Hause, um sich dann noch an die Hausaufgaben setzen zu müssen. Er tut seinem Vater leid. Aber einen anderen Weg, seinen Sohn in der Schule erfolgreich zu machen sieht er – wie hunderttausende andere türkische Eltern nicht. Rund um die Tunus Cadessi sind viele Lokale. Stetes Leben lädt zum Verweilen ein.

Ein Tag in Erzurum

Die Zitadelle liegt an einer sehr schmalen Straße. Hier ist richtig Altstadt. Es gibt alte Holzhäuser und Kopftücher überall. Auf dem kurzen Stück von der Zitadelle zurück zur Hauptstraße findet sich rechterhand eine Moschee oder ein Kulturverein, in den nur bekopftuchte Frauen gingen. Für den westlichen Beobachter wirkte das befremdlich; auch weil die Frauen mich nicht anblickten. Sie schauten allenfalls auf meine Schuhe. Und das machte mich wiederum so verlegen, dass ich mich nicht mehr traute, genau hinzuschauen. Und deshalb weiß ich nicht, ob es eine Moschee oder ein Kulturverein oder gar ein Frauen-Hamam war, in das sie alle verschwanden.

Links neben der Ulu-Moschee öffnet sich von der Zitadelle kommend ein Platz. Auf ihm steht eine Besonderheit: eine Medresse mit je einem Turm rechts und links neben dem Tor. Diese Koranschule ist heute nur noch für Besichtigungen offen. Gelehrt wird nicht mehr in ihr. Sie scheint aus der gleichen Zeit zu stammen wie die Moschee. In ihr ist alles um einen Kreuzgang angeordnet. Der Platz in der Mitte ist frei, doch rechts findet sich eine erhobene Fläche, auf der der Koranlehrer einst dozierte. Rechts und links davon sind die Türen, die in die kleinen Zimmer der Studenten führten. Am Kopfende ist das Grab einer Frau, offenbar der Stifterin der Schule.

Nun wirkte das bei mir alles sehr entrückt, weil ja alles voller Schnee war, aber im Sommer kann sich hier ein Eindruck davon verfestigen, wie die Islamlehrer ausgebildet wurden, um die Religion zu verbreiten. Der karge Raum verstärkt den Eindruck der Entbehrung. Aber wahrscheinlich ist das zu sehr aus dem Jetzt gedacht. Mittelalterliche Klöster waren auch kein Ort der Abwechslung. Auch bei uns waren die Häuser und Schulen aus heutiger Sicht eher entbehrungsreich.

Ein Mann um die 50 hat mich dann auf Englisch angesprochen. Nach meiner Antwort ist er sofort ins Deutsche gesprungen. Er hat mir seine Geschichte erzählt, wie er um 1980 als kurdischer Flüchtling für fünf Jahre in Dortmund gelebt hat. Die Zeit hat er genutzt, um Deutsch zu lernen. Er war neugierig und aufgeschlossen. Politisch hat er davon geträumt, dass der Nationalitäten-Quatsch ein Ende haben möge, damit sich alle Menschen darauf konzentrieren können, um zu sich selbst zu finden und damit auch die anderen besser wahrnehmen können. Das galt auch für die kurdischen Parteien. Die hält er inzwischen für genauso falsch wie die Parteien, die für ein geeintes Türkentum kämpfen. Es könne doch nur darum gehen, dass alle Menschen, die in einer Region oder einem Land leben, die gleichen Rechte und Pflichten hätten. Deshalb sei kurdischen Nationalismus genauso falsch wie türkischer, deutscher oder sonst einer auf der Welt.

Das Gespräch war sehr angenehm, da er gar nicht aufdringlich war. Auch nicht, als er sagte er sei Teppichhändler und würde mir seinen Laden gern mal zeigen. In dem Moment regten sich bei mir alle Abwehrreflexe. Doch dann habe ich mich entschieden mitzugehen. Sein Laden ist gleich in der Gasse rechts von der Medresse. Er zeigte mir unterschiedliche Stücke und war auch gar nicht sauer, als ich schon anfangs sagte, ich werde nichts kaufen. Der Tee war gut und ich habe einiges über spezielle Tücher aus Erzurum gelernt, über Teppichhandel und Reisen in den Iran und Preisunterschiede zwischen Erzurum und Istanbul. Anschließend hat er mir noch seine neueste Errungenschaft gezeigt: Ein altes Haus, das er saniert hat und in dem jetzt auf zwei Etagen ein Café ist. Die rohen Holzstämme im Inneren haben etwas Befremdliches, aber auch etwas sehr Gemütliches. Wenn ich nicht den Termin in der Schule und tatsächlich auch etwas Hunger gehabt hätte, wäre ich sicherlich noch auf einen Cay geblieben.

So aber ging ich die Hauptstraße zurück und genoss die Sonne. Meine Schuhe sahen ganz furchtbar nach all dem Dreck und Regen und Schnee aus. Deshalb habe ich mir die Schuhe putzen lassen. Im ersten Moment hatte ich ein schlechtes Gewissen. Der reiche Europäer lässt sich vom armen Türken die Schuhe putzen. Das Bild hat schon etwas Perverses. Aber ich benötigte die Dienstleistung. Und so habe ich sie in Anspruch genommen. Was der Mann dann aus meinen Schuhen gemacht hat, ist kaum zu glauben. Nach etwa zehn Minuten glänzten sie so sehr, dass der Grundglanz bestimmt noch tagelang zu sehen sein wird.

Zum Essen bin ich dann in ein Lokal, das einen Dönerspieß in der Waagrechten im Fenster hatte. Schon als ich das Lokal betrat, wurde der Tisch mit Salat und zwei Vorspeisen bestückt. Dann dauerte es gerade mal zwei Minuten und schon bekam ich einen Spieß auf den Teller gelegt. Erst wunderte ich mich, wo der Spieß herkam. Doch dann beobachtete ich den Mann am großen, liegenden Spieß. Hinter ihm ist glühende Holzkohle. Er dreht den Spieß ständig. Mit einem kleinen Spieß sticht er fertiges, überstehendes Fleisch an und schneidet es ab. So füllt sich der kleine Spieß mit immer neuen kleinen Stückchen. Und diese Spieße werden dann durch das Lokal getragen. Und einfach auf die Teller der Gäste gelegt.

Bis man Nein sagt. Erst dann ist Schluss. Das Essen war sehr gut, aber allzu viel konnte ich nicht zu mir nehmen. Schade eigentlich. Der türkische Kaffee zum Schluss rundete das Mittagsmahl ab. Und dann half mir die ganze Belegschaft – es waren mindestens sechs, die ich mit nur 11 Tele für das reichliche Mittagessen plus Cola und Kaffee entlohnen sollte – einen Taxifahrer zu organisieren. Zwischenzeitlich wurde mir ein Handy ans Ohr gehalten, aus der eine Männerstimme sagte, ich könne immer anrufen. Ere würde sich um mich kümmern und mir alles zeigen in der Stadt. Aber ich wollte doch nur in ein Taxi und in diese Schule. Irgendwann klappte es dann auch. Das Taxi fuhr an der neuen Skisprungschanze vorbei, passierte viele neue Häuser und brachte mich schließlich auf einen Campus, der wie ein Ufo wirkte.

Da war alles blitzblank, da zeugte eine moderne, markante Architektur von großem Selbstbewusstsein. In der Schule wurde mir klar, dass das alles zusammengehört. Denn die Schule ist eine Privatschule, die sich zur Aufgabe macht, eine neue türkische Elite in der Peripherie des Landes auszubilden. Dafür gewährt eine Stiftung Stipendien für 80 bis 90 Prozent der Schüler. Um in den Genuss zu kommen, müssen sie bei den landesweiten Abschlussprüfungen nach der achten Klasse eine sehr hohe Punktzahl erreichen. Außerdem ist noch eine extra Aufnahmeprüfung nötig. Dafür kommen sie in eine Schule mit Internat, in der jeder Schüler einen eigenen Laptop bekommt und in Klassenräumen lernt, die mit der neusten Technik ausgestattet sind. Zudem wurde mir gesagt, dass die Klassen in der Regel 16 bis 18 Schüler haben. Wichtig ist den Lehrern offenbar, dass die Schüler auch lernen selbstständig zu denken. Für türkische Schulen ist das nicht selbstverständlich.

In der Regel geht es dort um abfragbares Wissen. Meine Übung war großartig. Die Schüler machten mit, stellten mir Fragen und waren auch sonst nicht nur neugierig. Nein, diese Schüler stellten auch immer wieder in Frage, was ich sagte. Und so war der Lerneffekt bestimmt noch besser, weil ich mir stets neue und noch überzeugendere Argumente einfallen lassen musste. Nach der Übung führte mich die Lehrerin noch zum Generaldirektor. Denn es gibt an der Schule neben dem Direktor auch diesen Mann, der dafür zuständig ist, die nächsten vergleichbaren Schulen in Van und einigen anderen Städten zu planen. Er selbst war Präsident einer Istanbuler Universität, war mehrere Jahre Gründungsrektor einer türkischen Uni in Kirgisien (wenn ich richtig aufgepasst habe) und auch sonst ein sehr weltgewandter Mann.

Trabzon im Dauerregen

Die Busfahrt von Trabzon nach Samsun führt immer entlang des Schwarzen Meers. Meist fahren wir zehn bis 20 Meter über ihm. In Trabzon hat es noch wie wild geregnet. So schwere Regentropfen, von denen jeder einzelne einen nassen Fleck hinterlässt. Nicht von diesen kleinen, eher feinen, die wir bei uns haben. Doch nach zwei Stunden kam die Sonne durch. Das trübe Meer hat sich von einem dunklen Grau in ein dunkles Türkis verfärbt.

Und immer da, wo die vielen Flüsse aus den Bergen rechts von uns in das Meer mündeten, lag ein helles Ocker in einer großen Fläche im Meer, die nach hinten immer weiter ausfranste. Da trugen die Flüsse den Sand und den Lehm von den Bergen, die mit Schnee bedeckt sind. Das sah schon alles imposant aus. Die Straße, auf der wir fahren, führt fast ständig an Orten und Städten vorbei oder durch sie hindurch.

Überall ist diese Küste bebaut. Immer in den gleichen vier bis sechsgeschossigen Häuser, wie sie überall zwischen Griechenland und Ägypten mal höher, mal niedriger stehen. Schön sind die nicht. Erst das Leben, das zwischen und in ihnen stattfindet, macht sie interessant.

Trabzon selbst war nicht so toll. Das lag aber sicherlich sehr stark an diesem Regen. Und dann auch nur 3 Grad. Die Ayasofia ist recht schön. Sie ist im 15. Jahrhundert gebaut worden und eines der wichtigsten spätbyzantinischen Bauwerke der Türkei. Ende der 50er, Anfang der 60er Jahre wurden die erhaltenen Fresken saniert. Doch wirklich geschützt werden sie nicht. Zwar ist das Blitzen verboten, doch die Tauben fliegen durch die offenen Türen und hausen in dem Baudenkmal. In meinem Reiseführer von 1985 wird das schon bemängelt. Damals gab es wohl auch noch keine Fenster. Die schützen in der Kuppel nun, doch wenn die Tauben anders hineinkommen, ist nicht viel gewonnen. Die Fresken, die auch deshalb interessant sind, weil sie wie Mosaiken gemalt sind, werden wohl die nächsten 20 Jahre kaum überstehen. Das mit den Mosaiken bezieht sich auf die Strukturierung der Körper und die Faltenwürfe der Kleider. Sie wirken, als wären sie mit Mosaiksteinchen gemacht worden. Die Farbübergänge sind nicht so fein, wie normalerweise mit Farbe. Und dennoch sind die Gesichter, Körper und Gegenstände sehr plastisch.

Ein Blick in das Museum lohnt sich also. Auch, weil die Lage früher einmal sehr schön war. So erhaben mit dem Blick auf das Schwarze Meer.

Spannend ist die Schule. Sie wurde von Bruno Taut gebaut und ist tatsächlich ein für eine Schule erstaunliches Bauwerk. Alles ist licht und hell. Es gibt viele Räume zur Begegnung, etwa mit Tischtennisplatten und Billardtischen. Die Klassenzimmer sind großzügig und selbst die Schulbibliothek, die mit dunklen Bücherregalen bis unter die ca. 3,50 bis 4 Meter hohe Decke zugestellt ist, strahlt selbst bei diesem grauen Himmel und dem Dauerregen eine erstaunliche Helligkeit aus.

Wichtig in der Schule ist zudem der Fußballplatz. Vor knapp zehn Jahren war die Schule Weltmeister der Schulen. Und die türkische Meisterschaft holen sie fast jährlich. Kein Wunder, ist doch Trabzonspor seit Jahren einer der besten Clubs und spielt auch gerade wieder um die Meisterschaft ganz oben mit. Im vergangenen Jahr habe ich Trabzonspor in Istanbul gegen BBS spielen gesehen. Das kam bei den Schülern gut an. Es hat wieder viel Spaß gemacht, mit ihnen zu arbeiten. Leider waren sie noch nicht so gut, dass sie deutsch reden konnten. Sie haben zwar viel verstanden, aber es musste alles von der netten Deutsch-Lehrerin übersetzt werden.