Sorge um lieb gewonnene Türken

Atatürk als Kühlschrankmagnet
Atatürk als Kühlschrankmagnet

Batman, Erzrum, Samsun, Adana, Trabzon, Izmir, Ankara und Istanbul waren vor sechs und sieben Jahren Stationen mehrerer Türkei-Reisen. Das Goethe-Institut hatte sie im Rahmen des Projekts PASCH – Partnerschulen vermittelt. An Schulen, die vor Atatürk-Gedenken nur so strotzten, sollte Deutsch als feste Fremdsprache etabliert werden. Und um das zu unterstützen durften Muttersprachler Theaterkurse, Musikprojekte und Workshops zum Gestalten von und Schreiben für Schülerzeitungen an eben diesen Partnerschulen abhalten. Eine bereichernde Erfahrung, die ich nicht missen will.

Ein Tag in Samsun

Samsun ist eine sehr moderne Stadt. Es gibt kaum noch echte Altstadt. Ich habe nur eine handvoll alte Häuser gesehen. Aber die Straßenverläufe sind alt. Gleich hinter dem Hotel war richtiges Bazar-Treiben. Enge Straßen, einige sogar vom Autoverkehr befreit. Fischläden, in denen die Fische direkt an der Straße hingen. Unendlich viele Männer, die Handel treiben. Und auf der Straße Tee trinken. Das war in diesem Basarviertel überhaupt der stärkste Eindruck. Tee trinkende Männer überall. Nun ist dieser Eindruck zwischen neun und zehn Uhr früh entstanden. Die Läden haben gerade erst geöffnet. Lediglich die Fischläden waren wohl schon länger auf. Ansonsten hätten diese Fische nicht so schön präsentiert werden können. Wobei es schon befremdlich ist, wenn der Fisch direkt auf der Straße hängt und von jedem angefasst werden kann. Für den fremden Betrachter ist das pitoresk. Aber für die Hygiene ist es sicherlich nicht ganz so gut. Die Metzger allerdings haben ihre Ware nicht auf der Straße. Sie wird hinter Schaufenstern ausgestellt.

Frauen tragen im Basarviertel Kopftuch. Hier ist offenes Haar bei Frauen offenbar tabu. Auf der anderen Seite der Hauptstraße, die zum Meer und direkt auf das Atatürk-Denkmal führt, sieht die Welt anders aus. Hier gibt es vor allem moderne Geschäfte und hier gibt es zwar Kopftücher. Aber sie halten sich eher im Hintergrund. Das war schon sehr seltsam, diese Trennung. Vielleicht ist es nur ein Eindruck, der beim Laufen durch die Stadt in nur zwei Stunden, die ich hatte, sich verfestigte. Prinzipiell ist der Eindruck ja sehr modern. Nur in diesem Bazarviertel sieht alles aus, wie im Orient.

Erstaunlich waren riesige Fahnen, die in rot und weiß quer über die Straßen gespannt waren. Überall in der Stadt hingen diese bestimmt zehn Meter breite und deutlich höheren Stoffbahnen, Und alle waren beschrieben. Später in der Schule wurde ich aufgeklärt: Samsunspor ist aufgestiegen. In der kommenden Saison spielt der Club in der Süperlig, der 1. Liga der Türkei. Und die Fahnen sind das Dank von Firmen und Gruppen, die die Freude der Stadt zum Ausdruck bringen sollen.

Beeindruckend und befremdlich zugleich ist das Atatürk-Denkmal. Ein nachgebautes Schiff legt am Ufer von Samsun an. Und Atatürk verlässt dieses Schiff mit seinen Mitstreitern für eine freie Türkei. Empfangen werden sie von Honoratioren der Stadt. Dies ist nicht die Beschreibung einer Plakette auf einem Denkmal. Nein, Samsun hat sich entschieden, diese Szene mit Figuren zu gruppieren, die Menschengroß sind. So bleibt diese für die türkische Geschichte wichtige Moment für immer in der Gegenwart. Denn diese Figuren sind als bestimmte Personen ganz klar zu erkennen. Atatürk hat in Samsun angelegt und von hier den Widerstand gegen die Besatzungstruppen organisiert. Am Ende gab es die Republik Türkei. Und das außerordentliche Modernisierungswerk, das noch lange nicht abgeschlossen ist, konnte greifen. Befremdlich wirkt das Denkmal wegen dieser bewussten Gegenwärtlichkeit. Es geht offenbar nicht nur um Geschichte, sondern um das Jetzt. Direkt neben diesem Denkmal ist übrigens eine riesige Markthalle, in der alles, was gern in der Türkei gekauft wird, vorhanden ist: Gefälschte Sportklamotten, Leder, Taschen, Jeans – und alle mit fraglicher Herkunft.

In der Schule begrüßte mich eine etwas verunsicherte, aber sehr nette Lehrerin. Als ich in die Klasse kam, wollte sich diese nicht leeren. Es war ausgemacht, dass ich nur mit den Schülerzeitungsleuten arbeite. Aber die anderen Deutschschüler wollten auch dabei sein, Und so stand ich in einem schlecht belüfteten Kellerklassenzimmer, das nur kleine Oberlichter rund keine echten Fenster hat, vor mehr als 40 Schülern. Das war schon sehr schön. Wenn man auf ein so großes Interesse stößt, schmeichelt es etwas. Leider war das Deutsch der Schüler nicht ganz so gut. Es musste fast alles übersetzt werden. Aber vor allem drei Mädchen fragten unentwegt auf Deutsch. Auch wenn sie sich schwer taten. Sie wollten die Chance nutzen – und haben es getan. Das sind dann tatsächlich Momente, die für die Strapazen, die eine solche Reise auch ist, mehr als nur entschädigen.

Trabzon im Dauerregen

Die Busfahrt von Trabzon nach Samsun führt immer entlang des Schwarzen Meers. Meist fahren wir zehn bis 20 Meter über ihm. In Trabzon hat es noch wie wild geregnet. So schwere Regentropfen, von denen jeder einzelne einen nassen Fleck hinterlässt. Nicht von diesen kleinen, eher feinen, die wir bei uns haben. Doch nach zwei Stunden kam die Sonne durch. Das trübe Meer hat sich von einem dunklen Grau in ein dunkles Türkis verfärbt.

Und immer da, wo die vielen Flüsse aus den Bergen rechts von uns in das Meer mündeten, lag ein helles Ocker in einer großen Fläche im Meer, die nach hinten immer weiter ausfranste. Da trugen die Flüsse den Sand und den Lehm von den Bergen, die mit Schnee bedeckt sind. Das sah schon alles imposant aus. Die Straße, auf der wir fahren, führt fast ständig an Orten und Städten vorbei oder durch sie hindurch.

Überall ist diese Küste bebaut. Immer in den gleichen vier bis sechsgeschossigen Häuser, wie sie überall zwischen Griechenland und Ägypten mal höher, mal niedriger stehen. Schön sind die nicht. Erst das Leben, das zwischen und in ihnen stattfindet, macht sie interessant.

Trabzon selbst war nicht so toll. Das lag aber sicherlich sehr stark an diesem Regen. Und dann auch nur 3 Grad. Die Ayasofia ist recht schön. Sie ist im 15. Jahrhundert gebaut worden und eines der wichtigsten spätbyzantinischen Bauwerke der Türkei. Ende der 50er, Anfang der 60er Jahre wurden die erhaltenen Fresken saniert. Doch wirklich geschützt werden sie nicht. Zwar ist das Blitzen verboten, doch die Tauben fliegen durch die offenen Türen und hausen in dem Baudenkmal. In meinem Reiseführer von 1985 wird das schon bemängelt. Damals gab es wohl auch noch keine Fenster. Die schützen in der Kuppel nun, doch wenn die Tauben anders hineinkommen, ist nicht viel gewonnen. Die Fresken, die auch deshalb interessant sind, weil sie wie Mosaiken gemalt sind, werden wohl die nächsten 20 Jahre kaum überstehen. Das mit den Mosaiken bezieht sich auf die Strukturierung der Körper und die Faltenwürfe der Kleider. Sie wirken, als wären sie mit Mosaiksteinchen gemacht worden. Die Farbübergänge sind nicht so fein, wie normalerweise mit Farbe. Und dennoch sind die Gesichter, Körper und Gegenstände sehr plastisch.

Ein Blick in das Museum lohnt sich also. Auch, weil die Lage früher einmal sehr schön war. So erhaben mit dem Blick auf das Schwarze Meer.

Spannend ist die Schule. Sie wurde von Bruno Taut gebaut und ist tatsächlich ein für eine Schule erstaunliches Bauwerk. Alles ist licht und hell. Es gibt viele Räume zur Begegnung, etwa mit Tischtennisplatten und Billardtischen. Die Klassenzimmer sind großzügig und selbst die Schulbibliothek, die mit dunklen Bücherregalen bis unter die ca. 3,50 bis 4 Meter hohe Decke zugestellt ist, strahlt selbst bei diesem grauen Himmel und dem Dauerregen eine erstaunliche Helligkeit aus.

Wichtig in der Schule ist zudem der Fußballplatz. Vor knapp zehn Jahren war die Schule Weltmeister der Schulen. Und die türkische Meisterschaft holen sie fast jährlich. Kein Wunder, ist doch Trabzonspor seit Jahren einer der besten Clubs und spielt auch gerade wieder um die Meisterschaft ganz oben mit. Im vergangenen Jahr habe ich Trabzonspor in Istanbul gegen BBS spielen gesehen. Das kam bei den Schülern gut an. Es hat wieder viel Spaß gemacht, mit ihnen zu arbeiten. Leider waren sie noch nicht so gut, dass sie deutsch reden konnten. Sie haben zwar viel verstanden, aber es musste alles von der netten Deutsch-Lehrerin übersetzt werden.