Die Ohrbooten kommen nach Babylon bei Boot

Ohrbooten: Babylon bei Boot
Ohrbooten: Babylon bei Boot

Dieses Album kommt zwei Wochen zu spät. Der G8-Gipfel ist vorbei. Die Ohrbooten hätten den optimalen Soundtrack bieten können. Songs wie Keine Panik, der vom kranken Planeten Erde mit dem Parasit Mensch erzählt, oder Bild Dir eine Meinung, der eine wunderbare konsumkritische Anklage ist, hätten bei den Kritikern der Politiker bestimmt Gehör gefunden.

Das spätere Erscheinen des feinen Raggae-Albums Babylon bei Boot schadet nicht. Dafür sind die Gesangspartien mit mehrstimmigen Wechseln zwischen Bass und Falsett, die groovigen Beats und die intelligenten Texte zu gut. Die Ohrbooten finden ihr Publikum: Der Titelsong ruft dazu auf, sich bei den vier Musikern zu melden. Sie wollen sich zum Gig auf Augenhöhe mit Fans treffen – auf der Straße.

Je jünger um so besser das Debüt: Sonya Kitchell

Sonya Kitchell
Sonya Kitchell

Sie war 16 Jahre alt, als sie ihr Debüt veröffentlichte: Sonya Kitchell. Inzwischen ist sie schon 18 – und bringt ihr Album „Words Came Back To Me“ endlich auch in Deutschland auf den Markt. Jetzt steht dieses erstaunliche Werk auch in Deutschland in den Plattenläden. Zwar haben auch Joss Stone (30), Norah Jones (28) und vor allem Katie Melua (22) schon sehr jung Platten aufgenommen und dennoch mit wunderbaren Stimmen überzeugt.

Doch Sonya Kitchell singt nicht nur grandios, sie hat ihre Texte und Lieder auch alle selbst geschrieben. „Words Came Back To Me“ besticht durch einen feinen akustischen Sound, der mit Elementen aus Jazz, Rhythm’n’Blues, Pop, Folk und Roots-Musik spielt. Die einfühlsame, zwischen Melancholie und Wärme schwankende Stimme von Sonya Kitchell ist das optimale Medium, um ihre in den Texten verarbeiteten Gedanken, Sorgen und Gefühle zu transportieren.

Was sie da singt, hat nichts mit Teenie-Gedöns zu tun. Sonya Kitchell setzt sich in ihren Texten genauso erstaunlich reif mit der Welt auseinander, wie sie ihre Musik schreibt und interpretiert. Von der jungen Amerikanerin werden wir hoffentlich noch viel hören.

Diese Rezension ist am 5. Mai 2007 in 20cent erschienen.

Sebastian Krämer schult die Leidenschaft

Sebastian Kraemer: Schule der Leidenschaft
Sebastian Kraemer: Schule der Leidenschaft

Sebastian Krämer (31) ist einer dieser Kabarettisten, die nur mit einem Klavier auf der Bühne den ganzen Abend gestalten können. Seine Musik und seine Texte bewegen sich zwischen klassischem Kabarett und Poetry Slam. In letzterem hat er 2001 und 2003 sogar den Champion-Titel für Deutschland errungen.

Das merkt man auch seiner CD „Schule der Leidenschaft“ in seiner besten Form an. Seine Texte sind spontan, seine Improvisationen über dem musikalischen Teppich des Klaviers überraschen. Sie erzählen von dem großen menschlichen Missverständnis, der Liebe. Und sie kreisen um all das, was die Tageszeitungen so füllt: von Arafat bis Kernspintomografie, von Mülltrennung bis Depression in Ostdeutschland. Krämer hat zwar nicht die beste Gesangsstimme, aber seine Improvisation trifft den Ton – zumindest den, den das Publikum hören will.

Die aktuelle CD ist etwas schwächer als der Vorgänger, aber immer noch weit über dem Durchschnitt dessen, was einem auf Kleinkunstbühnen so geboten wird. Sebastian Krämer bewegt sich auf den Kleinkunstbühnen der Republik als ständiger Gast. Auf dem CD-Player ist er auch willkommen.

Trikont Schwarze Musik hinter Gittern

In Prison
In Prison

Die Musik der Schwarzen aus den USA hat die populäre Musik in der gesamten Welt geprägt. Ob Blues, Soul, Funk oder HipHop – der Einfluss auf die aktuelle Musikszene
ist gewaltig. Dass der Blues von den Sklaven auf den Baumwollfeldern der Südstaaten gesungen wurde, ist hinlänglich bekannt. Wie groß die musikalische Schaffenskraft in den Gefängnissen war, allerdings nicht. „In Prison“ dokumentiert genau das.

Die Zahl der Schwarzen in den US-Gefängnissen ist exorbitant hoch. Das ist ein Ausdruck der nach wie vor herrschenden sozialen  Ungerechtigkeit. Dieses Leid, das Unrecht, Opfer eines Justizirrtums geworden zu sein, weil man sich keinen Anwalt leisten kann, oder auch die Läuterung im Knast, sind die Themen der Songs auf dem Sampler. Der 1996 ermordete Rapper „2 Pac“ findet sich ebenso wie die „Temptations“ oder Bobby Womack und Brand Nubian – und ganz viele unbekannte Schwarze.

Die Musik ist ungeheuer reichhaltig und produktiv. Es ist ein Hörgenuss, den Gefängnis- Songs zu lauschen, weil sie sich nicht im Jammern ergehen, sondern das Leid in mitreißende Kunst umwandeln. „Trikont“ hat mit der Auswahl der 19 Lieder wieder  Maßstäbe gesetzt.

Cat Stevens alias Yusuf trinkt an other cup

Yusuf: An other Cup
Yusuf: An other Cup

Jahrzehnte haben Fans auf diese Scheibe gewartet. Yusuf Islam (58), der früher Cat Stevens hieß, hat ein neues Album auf den Markt geschmissen. An Other Cup nennt sich die Versammlung von elf Songs, die stark nach Besinnungsaufsatz schreiben beim Kaffeetrinken klingt.

Zwar entfaltet Yusuf Islam seine alte Stärke, eingängige Songs zu schreiben. Doch er singt das, was er im Booklet androht: Ein Einblick ins Denken eines Meisters, der die Tiefen des Lebens erkannt hat. Ganz Esoteriker säuselt er mystische Erkenntnis ins Mikro. Yusuf Islam geht es darum, aufzuzeigen, dass der Islam mehr ist als Selbstmordattentäter und Dschihad. Da wir das schon vorher wussten, zündet sein Verweis auf die spirituelle Kraft des Koran auch nicht.

Da wir das schon vorher wussten, zündet sein Verweis auf die spirituelle Kraft des Koran auch nicht. Verpackt in hübsche Lieder in der besten Singer-Songwriter-Tradition klingt das zunächst fein. Nur auf den Text darf man halt nicht achten. Denn dann erfährt man, dass man Gott nur ganz dolle vertrauen muss und schon hilft er einem auch. Tja. Das mag zwar für Yusuf-Esoteriker stimmen. Den Rest lässt es aber kalt. Eine warme Tasse Kaffee
kann anregend sein, eine kalte aber bitter. So wie diese Tasse von Yusuf.

Rainald Grebe singt für die Versöhnung

Rainald Grebe und die Kapelle der Versöhnung
Rainald Grebe und die Kapelle der Versöhnung

Rainald Grebe (35) hat den Deutschen Kleinkunstpreis 2005 zu Recht bekommen. Seine aktuelle  CD „Rainald Grebe & die Kapelle der Versöhnung“ strotzt vor Witz. Und das nicht nur bei den Texten.

Grebe gehört zu der seltenen Gattung Kabarettisten, deren Lieder auch musikalisch gut sind. Kombiniert mit diesen wunderbaren Texten entsteht so ein Album, das sowohl den Musik- als auch den Kabarettfan begeistert. Der Knüller auf der Scheibe ist zweifelslos „Brandenburg“. Das Lied über das Land, das Berlin umgibt, ist alles andere als eine Hymne. Es ist ein Abgesang, der traurige Wahrheiten benennt – und dadurch Trauer hervorruft.

„Ich-AG“, „Beckenbauer“, „Guido Knopp“ oder „Mittelmäßiger Klaus“ haben die Gegenwart auf ganz andere Art im Blick. Grebes Stärke ist es, dass er mit Ich-AG, Beckenbauer, Guido Knopp oder Mittelmäßiger Klaus und Marcus Baumgart zwei wunderbare Musiker an der Seite hat, die seine Schärfe, seinen Zorn und seine Traurigkeit mitfühlen. Sie machen zusammen mit Grebe aus satirischen Texten kraftvolle Musik, die immer den richtigen Sound hat. Wer also Lust hat, zu lachen und richtig gute, abwechslunsgreiche Musik zu hören, der kommt an dieser CD wirklich nicht vorbei.

Diese Rezension ist am 5. September 2006 in 20cent erschienen. 

Schön rundreisen mit Jazzamor

Jazzamor: Travel
Jazzamor: Travel

Von Brasilien bis Tibet, von Frankfurt am Main bis in die Antarktis entführt das Easy-Listening-Duo Jazzamor die Hörer auf seinem dritten Album. Travel heißt das Stück dann auch völlig zurecht. Die 16 Tracks von Bettina Mischke und Roland Grosch schaffen es, sowohl die einwandfreie Hintergrundmusik zum Abhängen an heißen Tagen zu liefern, als auch musikalisch zu überraschen.

Easy-Listening klingt für viele nach Fahrstuhl-Musik und lästigem  Hintergrundrauschen beim Einkaufen. Doch jazzamor bieten mehr. Zum einen sind da die wirklichguten Texte. Wann ist es Liebe bringt die Sehnsucht nach Nähe und die Angst vor der Zurückweisung auf den Punkt. Hier kommt die Melancholie, die das gesamte Album trägt, besonders gut zum Tragen. Travel in Order not toarrive schildert ebenfalls diesen Zwischenraum, der von der Angst des Daseins und der Melancholiedes Nicht-Daseins gefüllt ist, wie er das Reisen oft begleitet.

Musikalisch bietet jazzamor einen Mix aus den Rhythmen der Welt. Moll-Töne dominieren, und so treibt der Hörer über die Tracks. Gepackt von der Stimme Bettina Mischkes, die ein trauriger, aber treuer Begleiter auf dieser Reise ist.

Sam Ragga Band schwingt in Situations

Sam Ragga Band: Situations
Sam Ragga Band: Situations

Ragga, Reggae und Ska aus Deutschland sind inzwischen nicht nur richtig gut, die Musik der heimischen Seeed, Culture Candela oder Sam Ragga Band sind auch richtig erfolgreich. Situations nennt sich das dritte Album der Sam Ragga Band. Der Titel der CD fasst die elf Tracks gut zusammen. Und die Rolle der karibischen Musik in Deutschland.

Sie ist aus den großen Multikulti-Events wie der Fußball-WM nicht wegzudenken. Diese Musik ist die richtige für solche Situations. Sam Ragga Band ist inzwischen etwas weicher geworden. Wo Seeed den Weg Richtung Dancehall weitergeht, besinnen sich die sechs Männer und Frauen aus Hamburg und London auf die Wurzeln des Reggae. Das ist positiver und doch auch gesellschaftskritisch. Die wunderbare Stimme von Seanie T. ist klar, warm und doch bestimmt. Ganz so wie die gesamte Band.

Situations ist das erste Album, das auf dem eigenen Label erscheint. Auch hier unterscheidet sich Sam Ragga Band von Seeed. Musikalisch hat sich der Mut zur Unabhängigkeit von den Majors gelohnt. Hoffentlich lohnt er sich auch finanziell. Auch, um den deutschen Multikulti-Ragga-Bands neue Perspektiven aufzuzeigen.

John Peels kuriose Schellack-Legenden

John Peels Sampler
John Peels Sampler

Für viele Radiohörer war er der Mann, der den eigenen Musikgeschmack prägte. John Peel († 65). Bei der BBC legte er auf und hatte es in der Hand, ob aus Newcomern Stars (Sex Pistols, White Stripes, Laibach, The Cure) oder enttäuschte Hoffnungen wurden.

In seinen Sendungen legte er auch stets ein Stück aus seiner Schellack-Sammlung auf. Die kuriosesten davon sind jetzt als Sampler bei „Trikont“ erschienen. „The Pig’s Big 78s“ enthält Aufnahmen von 1908 bis 1955. Da erklingt frühe Musik-Comedy, da werden Hits der frühen Radiozeit vor dem Vergessen gerettet, da macht ein Geräusch-Imitator ein anfahrendes Auto nach. Kurz: Hier hat der Klang, der Ton in all seinen Farben seine Chance.

Das ist faszinierend und oft auch sehr amüsant. Vor allem ist es aber sehr lehrreich. Denn vieles von dem, was heute neu klingt, haben kreative Musiker schon vor 60 oder gar 80 Jahren aufgenommen! Das schöne Booklet von Sheila Ravenscroft, John Peels Frau, die
auch fürs Radio die Schellacks mitausgewählt hatte, rundet diese feine CD ab. Damit es auch jeder versteht, gibt es das informative Booklet gleich zweimal – in Deutsch und in Englisch!

Diese Rezension ist am 6. Mai 2006 in 20cent erschienen.

Nina Hagens Swing steckt fröhlich an

Nina Hagen: Irgendwo auf der Welt
Nina Hagen: Irgendwo auf der Welt

Robbie Williams (32) hat es getan. Und das klang gar nicht schlecht. Als er mit großer Big  Band auftrat und die Klassiker des Swing sang, waren viele von dem Entertainer  begeistert. Nina Hagen (51) hat es jetzt auch getan – und bei ihr klingt es noch viel besser! Kein Wunder, bei der Stimme!

Zusammen mit dem Berliner „The Capital Dance Orchestra“  interpretiert die Hagen die Klassiker der Big Band-Ära. Selbst Schnulzen wie der Hildegard-Knef-Song „Für mich soll’s rote Rose regnen“ kommen kraftvoll daher. Ihre stimmliche Bandbreite, ihre Lust am Inszenieren, Verkleiden und in andere Rollen schlüpfen kommen ihr voll zugute. Nina Hagens Spaß an diesen für sie ungewöhnlichen Songs überträgt sich auf die Hörer. Der Swing sorgt garantiert für gute Laune. Nina Hagens Spiele mit der Stimme verstärken das noch. Wer bei Summertime nicht den Sommer riecht, der lebt verkehrt.

Für die Punk-Diva ist der Ausflug zum Swing auch eine Rückkehr. Vor ihrer Ausreise aus der DDR 1977 trat die gelernte Opernsängerin mit Schlagern auf – und zu denen spielten Big Bands auf. Wie sie an allen ihren Eskapaden gereift ist, erklingt jetzt auf dieser schönen CD.