Es geht weiter! Verleger Bernd Zocher macht erneut Texte Walter Mehrings wieder im Buchhandel zugänglich. Diesmal sind es seine Beobachtungen über die Kunst der Moderne, die Mehring erstmals 1958 im Diogenes Verlag veröffentlichen konnte. Ergänzt wird die von Martin Dreyfus herausgegebene Ausgabe um Briefe Mehrings an Daniel Keel, den Diogenes-Verleger. „Verrufene Malerei – Von Malern, Kennern und Sammlern“ ist in der Neuausgabe eine wunderbare Entdeckungstour durch eine Kunstepoche, die wir heute als einen explosiven Aufbruch in alle möglichen Richtungen in den Museen der Welt bewundern.
Schlagwort: Kunst
Christoph Pilz erzählt von den Nackten des Tilman Riemenschneider
Das Jahr 1492 steht für die Zeitenwende vom Mittelalter zur Neuzeit. Verändert hat sich in dem Jahr für den normalen Menschen zwar wenig, aber Columbus hat Amerika entdeckt. Und in Würzburg hat Tilman Riemenschneider an einem Auftrag gearbeitet, der die Bischofsstadt in Unruhe versetzt hat. Das ist der Ausgangspunkt für einen anregenden Text von Christoph Pilz als erstem in der Reihe „Würzburger historische Novellen“.
„Tilman und Nackten“ heißt der Band mit seinen 145 Seiten. Er erzählt von unruhigen Zeiten in Würzburg, als der alte Bischof immer neue Steuern erhebt und die Bürger sich dagegen wehren. Es geht um Konkurrenz unter Künstlern und um die Instrumentalisierung von Kunst. Vor allem aber geht es um die neuartige Kunst, an der Tilman Riemenschneider 1491/1492 arbeitet. Zwar soll er nur Adam und Eva lebensgroß schaffen. Seine Auftraggeber erwarten gutes, solides und vor allem gottesfürchtiges Handwerk. Neuerungen sind eigentlich gar nicht gewünscht. Und dennoch werden Adam und Eva nicht so, wie es bis dahin üblich war.
Peter Robb erklärt Sizilien in all seinen Dimensionen
„Sizilianische Schatten“ heißt ein Buch über Sizilien, das den Leser so gefangen nimmt, wie es die Mafia mit der sizilianischen Gesellschaft einst tat. Peter Robb, ein Australier, der mehr als 15 Jahre in Süditalien und auf Sizilien lebte, ist der Autor dieser fulminanten Reportage.
Leider gibt es das Buch nicht mehr im Buchhandel. 2000 ist es bei DuMont erschienen, vier Jahre nach der englischen Erstveröffentlichung. Auch wenn es also über 20 Jahre alt ist, hat es nichts von seiner Faszination verloren. Es lohnt sich, beim ZVAB auf die Suche nach einem antiquarischen Band zu gehen.
Enrique Vila-Matas fasziniert mit einem Roman über die Documenta
Wenn ein Schriftsteller aus Barcelona in Kassel in einem chinesischen Restaurant weit ab vom Dokumenta-Trubel einfach nur sitzen und arbeiten soll, dann ist das ein ziemlich merkwürdiges Unterfangen. Wenn das Ganze als Aktion bei der Dokumenta gedacht ist, dann bestätigt das alle Vorurteile über den Kunstbetrieb. Das wirkt auf den ersten Blick nicht gerade so, alles könnte aus diesem Plot ein gutes Buch entstehen. Aber Enrique Vila-Matas, der echte Schriftsteller aus Barcelona, macht genau aus diesen Zutaten einen großen Roman über die Kunst. Und über die gesellschaftliche Relevanz von künstlerischen Großereignissen.
Die Zwerge von Breslau
Wer sich in Breslau nicht nur die schön restaurierten Giebel, Fenster und Wandmalereien anschaut, wer nicht nur Ausschau nach den vielen Kneipen und Restaurants hält, sondern auch ab und an den Blick über das Kopfsteinpflaster schweifen lässt, der kann sie nicht übersehen: die Zwerge. Überall sind die kleinen Kunstwerke aus Bronze in der Stadt verteilt. Wer sie wahrnehmen will, muss genau hinsehen. Dann wird er mit viel Humor überrascht.
Heinz Georg Held zeigt uns die Kunstdebatten der Renaissance
„Italienische Kunstgespräche der Renaissance“ lautet der Untertitel eines erstaunlich lebendigen Buches über die Malerei. Heinz Georg Held hat sich nicht einzelne Künstler und deren Rezeption vorgenommen, sondern die als Renaissance bezeichnete Zeit als Ganzes. Dabei zeichnet er in seinen 21 Kapiteln die Entwicklung der Kunst und der Künstlerpersönlichkeit nach – von der erwachenden und autonomen Künstlerpersönlichkeit zu Beginn dieses prägenden Zeitalters bis zur von der Kirche und deren Gegenreformation geprägte Austreibung der Autonomie.
Das klingt sehr theoretisch und wenig fesselnd. Aber der Aufbau seines Buches überzeugt, weil uns Held in die sich verändernde Gedankenwelt mitnimmt. Das macht er anhand von Texten der Zeit, aber vor allem immer wieder mit Bildinterpretationen, in denen sich Theorie und Kunst treffen. „Die Leichtigkeit der Pinsel und Federn“ ist insofern ein Buch, das uns das Verstehen von Kunst erleichtert. Es ist aber auch ein faszinierendes Werk über versunkene Denkwelten. Und es zeigt ganz nebenbei, wie schwer es für einen selbständigen und freien Künstler ist, sich treu zu bleiben, wenn der Common sense einen Erwartungsdruck ausübt, dem man sich kaum entziehen kann.
Denn die Phase der wirklich freien Künstlerpersönlichkeit war auch in der Renaissance nur sehr kurz. Zwar konnten sich einige Maler und Bildhauer auf einer Ebene mit den Mächtigen der Stadtstaaten Norditaliens und der Kirche austauschen. Aber den Mächtigen war das auf Dauer ein Graus. Sie wollten Kunst, die sie ins rechte Licht rückt. Und dafür musste sich der Künstler anpassen. Tat er das, konnte er reich werden. Entzog er sich, war zumindest ein Verlust der Heimat notwendig. Und die Kirche fand es furchtbar, dass sich autonome Persönlichkeiten anmaßten, Bildinhalte und deren Interpretationen selbständig zu bestimmen. Deshalb versuchte sie alles nur Erdenkliche, um im Zuge der Gegenreformation wieder zur bestimmenden Kraft zu werden. Da sie nach wie vor die meisten Aufträge vergab, hatte sie einen guten Hebel. Und mit der Inquisition auch ein weiteres, kraftvolles Mittel, ihr Denken durchzusetzen.
Heinz Georg Held erzählt dies anhand einer enormen Fülle von Originalquellen. Dabei nimmt er sich selbst stets zurück und ermöglicht es dem Leser, sich die Vorstellungen der einzelnen Künstler anzueignen. Es entsteht ein stilistisch bestechendes, inhaltlich gehaltvolles und formal überzeugendes Buch über Kunst und Macht in der Renaissance.
Der offene Blick des 18jährigen Felix Hartlaub
Italienische Reisen haben es den Deutschen angetan. Ob die berühmte von Goethe oder die unzähligen in Auto, Zug oder Flugzeug. Es zieht sie über die Alpen ans Mittelmeer. Felix Hartlaub lernte Italien 1931 kennen. Bei einer Wanderung entlag der illyrischen Küste bis Viareggio und dann durch die Toskana bis Florenz und weiter nach Pisa. Erstaunlich an den Einträgen des jungen Mannes sind vor allem seine Beobachtungen der Farben und Formen.
Florian Illies entdeckt die Kraft des Jahres 1913
Was für ein furioser Beginn eines Buches. Der zwölfjährige Louis Armstrong schießt mit einem Revolver. Und als nächstes betritt der bis über beide Ohren verliebte Franz Kafka die Bühne. Und dann kommt Stalin in Wien an, Sigmund Freund streichelt eine Katze. Und so geht es weiter. Immer weiter. Ein bedeutender Name nach dem anderen wird von Florian Illies im Januar 1913 beobachtet. Sie alle haben vordergründig nichts miteinander zu tun. Aber doch sind sie miteinander verbunden. Zumindest mit der Gleichzeitigkeit ihres Lebens.
Die Idee von „1913“ ist simpel und genau dadurch so bestechend. Faszinierend, was alles 1913 passierte. Der Januar und der Februar ziehen den Leser in ein Jahr, in dem kulturell so viel passierte. Und natürlich lauert irgendwie der 1. Weltkrieg auf Thomas Mann, die Künstler der Brücke oder Pablo Picasso. Florian Illies ordnet sie und Adolf Hitler, Arnold Schönberg, Gertrude Stein und viele andere parallel an. Vielfach haben die Fäden, die er mit ihnen spinnt nichts miteinander zu tun. Und doch formt sich im Kopf des Lesers ein Bild von einer faszinierenden Zeit, in der sich Kunst, Musik, Literatur und die Gesellschaft neu formieren.
Genau das ist die große Leistung des Buches. Immer dann, wenn Illies die Ereignisse ohne eigenen Kommentar nebeneinander stellt, ist der Text stark. Der einzige, der dabei stört, ist Illies selbst. Sein bedeutungsschwangeres Raunen verstärkt die Wirkung nicht, sondern raubt ihr den Zauber. Der Autor vertraut seiner Idee und seiner Fähigkeit zu schreiben offenbar nicht. Und so stört er das Puzzle der Ereignisse und Erlebnisse aus dem Jahr 1913 mit seinem Wissen, stellt es aus und in den Vordergrund. Das ist schade. Denn Illies selbst stört das Buch, das er doch selbst geschrieben hat. Ja, er stört so sehr, dass der Sog des Textes immer dann verflacht, wenn er und nicht seine Protagonisten mit ihren verbürgten Erlebnissen auftaucht.
Doch trotz dieser Schwäche, die das Weiterlesen schwer macht, ist das Sammelsurium dieses außergewöhnliches Kalendariums ein beachtenswertes Buch.
Rundes Blau
Leanne Shapton meditiert über das Bahnen-Ziehen
Vielleicht muss man selbst eine intensive Beziehung zum Wasser haben oder zumindest gehabt haben. Denn wer selbst immer und immer wieder gespürt hat, wie das Schwimmen den Körper schmerzen kann, aber auch wie das Bahnen ziehen den Kopf befreien kann, der wird in Leanne Shaptons Buch „Bahnen ziehen“ Seite um Seite Erfüllung und Erinnerung finden.
Leanne Shapton war vor gut 20 Jahren eine einigermaßen erfolgreiche Schwimmerin aus Kanada. Den Sprung in die Olympia-Mannschaft schaffte sie zwar nicht, aber im eigenen Land zählte sie dennoch zu den besten zehn bis 20. Damit konnte sie ihren Traum nicht erleben, aber all das, was das Schwimmen ausmacht, hat sie so intensiv erlebt, dass sie fast vergessen hat zu leben. So, wie es vielen Hochleistungssportlern ergeht.
Inzwischen ist sie eine etablierte Künstlerin, Autorin und Verlegerin. Aber der Weg dahin war nicht einfach. Leanne Shapton zeichnet ihn nach, mit Worten und Bildern. Sie versetzt den Leser in die chlorhaltige Luft der Schwimmbäder, in die Rituale der Wettkämpfe und in den Schmerz des Trainings. Das ist faszinierend, weil sie es reflektiert. Es wird klar, wie die Muster des Schwimmens auch im trockenen Leben eine wichtige Rolle spielten. Und wie wichtig das Bahnen ziehen noch immer ist. Shapton hat die Obsession, in jedes Schwimmbad gehen zu wollen, jeden Pool durchqueren zu müssen.
All das erzählt sie teils ernst, teils ironisch. Sie illustriert es mit eigenen Bildern und macht das Buch so auch zu einem Kunstbuch, das auf einer anderen Ebene als nur der schriftlichen die Monotonie und Meditation, die Erfüllung durch Wiederholung illustriert.
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Lynn Sherr feiert das Schwimmen in einer persönlichen Kulturgeschichte