Wenn ein Schriftsteller aus Barcelona in Kassel in einem chinesischen Restaurant weit ab vom Dokumenta-Trubel einfach nur sitzen und arbeiten soll, dann ist das ein ziemlich merkwürdiges Unterfangen. Wenn das Ganze als Aktion bei der Dokumenta gedacht ist, dann bestätigt das alle Vorurteile über den Kunstbetrieb. Das wirkt auf den ersten Blick nicht gerade so, alles könnte aus diesem Plot ein gutes Buch entstehen. Aber Enrique Vila-Matas, der echte Schriftsteller aus Barcelona, macht genau aus diesen Zutaten einen großen Roman über die Kunst. Und über die gesellschaftliche Relevanz von künstlerischen Großereignissen.
Vila-Matas war bei der 13. Documenta als Writer in Residence eingeladen. Er hat seine eigenen Erfahrungen mit der Documenta und der Rolle als geladener Autor in seinem Roman „Kassel: Eine Fiktion“ verarbeitet. Er schreibt eine Art Krimi, bei der der geladene Autor auf der Suche nach der Avantgarde ist. Dazu setzt er einen Begriff ein, den er immer wieder selbst thematisiert: McGuffin. Ein McGuffin ist ein Element in einem Film oder Text, das eine Handlung auslöst, dann aber für deren Verlauf völlig überflüssig wird. Weil der Roman ein Essay über die Kunst und die Avantgarde ist, muss Vila-Matas diesen Trick immer wieder anwenden, um das Werk am Laufen zu halten.
Darin steckt ein Problem des Buches. Denn es hat Längen. Die liegen vor allem in der Rahmenhandlung. Die Schilderungen mit der Begegnung der realen Kunst der 13. Documenta dagegen sind prägnant, faszinierend. In ihnen liegt die Stärke des Buches. Solche Auseinandersetzungen wünscht man sich, wenn man selbst mit der Kunst konfrontiert wird und nicht genau weiß, was man damit anfangen soll. Bei der Suche nach der Interpretation verselbständigt sich ja meist der Kopf. Das Herz, der Bauch werden unterdrückt, weil man verstehen will, was der Künstler sich dabei gedacht hat. Aber gerade bei avantgardistischer Kunst ist das oft nicht so einfach. Vila-Matas nimmt den Leser an die Hand und zeigt wie Kunst auf den Einzelnen wirken kann, was sie in ihm auslösen kann, wenn er sich auf Assoziationen einläßt und nicht auf logische Gedankengebilde.
Da wird das Buch zur Einladung zur aktuellen Documenta!