Mein Gewürztraminer des Genusses

Gewürztraminer von Hummel
Gewürztraminer von Hummel

Zum Essen einen Gewürztraminer. Das war für mich bislang nicht möglich. Zu stark sind die Aromen, zu mächtig der Geschmack, als dass ein feines Essen daneben bestehen könnte. So dachte ich bisher. Doch seit gestern weiß ich es besser. Das liegt zum einen an diesem ausgereiften Wein vor Horst Hummel aus dem ungarischen Villány, das einst Bordeux des Südens genannt wurde.

Der wurde gestern aus fünf schönen Weißweinen zu einem abwechslunsgreichen Abendmahl gewählt. Und zwar von jemandem, der eigentlich nur Rotwein mag. Ein feiner, filigraner Riesling kam da nicht in Frage. Und so begleitete dieser erstaunliche Tropfen das Essen. Er zeichnet sich durch eine frohe Fülle an fruchtigen Geschmacksnoten aus, die sich nicht sofort verflüchtigen. Im Gegenteil: Sie halten auch einem köstlich gebratenem Wammerl und einem kräftig-würzigen Blutwurststrudel stand. Aber ohne deren Noten zu verkleistern.

Tja. Es war wohl ein kleines Fest des Genusses, den das “Schlesisch Blau” in Kreuzberg da bereitete. Ich bin gespannt, mit welchem Wein ich überrascht werde, wenn sich ein solcher Abend wie gestern wiederholt. Sicher bin ich mir jetzt auf jeden Fall, dass diese Begleitung wieder wählen darf!

Fundstück im Antiquariat (1): Walter Mehrings Autograph

Walter Mehrings Autograph
Walter Mehrings Autograph

Es gibt sie noch, diese Glücksmomente in Antiquariaten. Nicht nur das Strahlen eines Menschen, wenn er ein Buch entdeckt, das er sucht. Oder jenes, wenn wir viel mehr zu einem Thema finden, als wir erhofft hatten. Diese Momente gehören zu den wesentlichen Gründen, weshalb der Besuch von Antiquariaten immer schön ist. Und immer gefährlich für den Geldbeutel.

Doch manchmal gibt es diese ganz besonderen Augenblicke, in denen das Herz vor Glück zu rasen beginnt und das Hirn erst einmal nicht glauben will, was das Auge sieht. So einen Moment bescherte der letzte Besuch eines Antiquariats in Kreuzberg. Zusammen mit einer lieben Freundin stand die Suche nach spezieller Reiseliteratur an. Doch dann greift sie bei der deutschen Literatur unter “M” in ein Regal, zieht einen blauen, unspektakulären Band hervor. Und öffnet ihn. Sofort habe ich die Handschrift auf dem Aufdeckblatt erkannt. Und das Herz hüpfte und raste. Ja, meine Hand musste das Buch sofort fühlen – und es ihr deshalb fast schon aus den Händen reißen. Tatsächlich. Es ist seine Schrift. Es ist seine Unterschrift. Es passt die Zeit, in der er viel in München im Hotel lebte und viel in Zürich. Es ist eine Widmung von Walter Mehring! In der Herbig-Ausgabe des “Großen Ketzerbreviers” von 1974. Also von einer eher unbedeutenden Ausgabe.

Wahrscheinlich kann das kaum jemand verstehen. Aber sie hat es verstanden. Und sich genauso mitgefreut. Sie war mir nicht böse, dass ich ihr das Buch nicht lassen konnte. Im Gegenteil. Sie schenkte es mir! Und ich bin jetzt im Besitz des zweiten Buches dieser Ausgabe – aber nun mit dem Autograph des damals, 1975, sehr unglücklichen Walter Mehring.

P.S.: Gesteigert werden diese Glücksmomente in Antiquariaten noch, wenn es eine Entdeckung ist, die sich im Preis nicht niederschlägt. In diesem Fall war es so. Wenige Euro für eine Besonderheit, die noch dazu Seite für Seite immer wieder lesenswert ist.

Weitere Fundstücke im Antiquariat:
Walter Mehrings Autograph
Ludwig Börnes Verhaftung
Kostbarkeiten bei Alfred Polgar
Ein Theaterzettel von 1931
Die Verlustanzeige von Karl Frucht
Andreas Oppermann erinnert 1860 an Palermo

P.R. Kantate ist janz dick im Jeschäft

Der Berliner Plattenreiter Kantate hat sich die deutsche Rockmusik der 80er-Jahre noch mal angehört. Und Rio Reisers „König von Deutschland“ in einen Kreuzberger verwandelt. Und aus „Karl dem Käfer“ einen Kiffer gemacht. Das Gute daran: Es sind richtig gute Songs entstanden.

P. R. Kantate hat das Covern als Kunst begriffen und sich Songs von Ideal, Trio, Grauzone angeeignet. Er hat sie neu abgemischt, mit neuen Texten oder Textteilen versehen und so zu Berliner Songs eines Jungen vom Kiez in Kreuzberg gemacht. Das Ganze ist mit Reggae-
Rhythmen unterlegt und zu einer extrem tanzbaren Musik gemixt.

Seine selbstironischen Einschübe unter dem Titel „Radio Ragga“ geben dem ganzen Halt und Struktur. Das Ganze ist also ein echter Knüller, verspielt und doch mit Witz und Schärfe.

Fereshta Ludin: Mit Naivität zum politischen Ziel

Das Kopftuch ist ihr heilig. Lieber verzichtet Fereshta Ludin auf ihren Traumjob, als dass sie das Kopftuch ablegen würde. Für sie ist das Tragen des Tuchs Teil ihrer Religionsfreiheit als Muslimin. Für viel andere ist es eine Provokation: Was hat das religiöse Symbol in einer Grundschule in Baden-Württemberg zu suchen? Vermutlich noch in diesem Jahr wird das Bundesverfassungsgericht entscheiden, ob ein Kopftuch den Berufseinstieg als Lehrerin verhindern darf.

Internationaler Streit
Kaum eine Diskussion rund um die Zuwanderung hat die Gemüter in Deutschland so erhitzt wie der Kopftuchstreit. Aber nicht nur hierzulande stoßen muslimische Frauen auf massiven Widerstand, wenn sie mit Kopftuch unterrichten wollen. Auch in Frankreich und anderen europäischen Ländern wurde und wird der Kampf erbittert ausgefochten.

Gestik der Demut
Entsprechend viele Menschen kommen, als die Berliner Heinrich-Böll-Stiftung eine Podiumsdiskussion zum Kopftuchstreit veranstaltet. Fereshta Ludin, die sich in den baden-württembergischen Schuldienst einklagen will, präsentiert sich hier als zurückhaltende junge Frau. Die Hände liegen auf dem Tisch. Die Schultern sind leicht hochgezogen. Das akkurat gelegte hellblaue Kopftuch bedeckt das Haupt und die Schultern. Demütig wirkt sie. Wäre sie keine Muslimin, könnte man an eine Mariendarstellung auf einem Votivbildchen katholischer Wallfahrer denken – wären da nicht diese angriffslustigen Augen.

Ludin: Ausdruck meines Glaubens
Ludin liest vom Blatt ab, als sie ihre Position begründet. Sie will von Anfang an jedes falsche Wort vermeiden. Neben ihr auf dem Podium sitzt Marieluise Beck, die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung. Die Grüne hat schon von Amts wegen viel Verständnis für die Eigenheiten von Migranten. Aufmerksam folgt Beck den Ausführungen Ludins: Mit 13 Jahren schon sei das Kopftuch Ausdruck ihres Glaubens gewesen. In der Pubertät habe die heute 31-Jährige dann die Quellen des Islam gelesen und sei vom Kopftuchgebot endgültig überzeugt gewesen. Den Streit über ihren Fall erklärt Ludin mit Unkenntnis des Islam in Deutschland. Sie fragt sich: „Wer instrumentalisiert das Kopftuch tatsächlich für seine Ziele? Wo bleibt mein Recht auf Selbstbestimmung als Frau?“

Angeblich kein Kontakt zu Fundamentalisten
Den Gegenargumenten weicht Ludin aus: Im Iran der Mullahs und im feudal-klerikalen Saudi-Arabien werden alle Frauen mit drakonischen trafandrohungen gezwungen, die Haare zu bedecken. Für islamistische Fundamentalisten ist das Kopftuch zum Symbol ihres gesellschaftlichen Sieges geworden. Fereshta Ludin sagt aber, mit Fundamentalisten habe sie aber nichts zu tun. Auch ihr derzeitiger Arbeitgeber, die Islamische Grundschule Berlin, habe keine derartigen Verbindungen. Das hätten ihr die Verantwortlichen gesagt. Wem solle sie sonst auch glauben, wenn nicht den Verantwortlichen, fragt sie unschuldig. „Beweise für die Finanzierung der Grundschule durch Fundamentalisten wären für mich ein Kündigungsgrund,“ sagt Ludin mit fester Stimme. Da schüttelt der größte Teil des bunten Publikums den Kopf.  Überzeugen kann Ludin damit nicht.

Gericht: Gelder von Mili Görüs
Denn das Landgericht Berlin sieht es als erwiesen an, dass hinter der islamischen
Grundschule Berlin die militante Organisation Mili Görüs steht. Doch diesen Vorwurf überhört Ludin. Sie zieht sich immer wieder auf ihre Person und ihre Religiösität zurück. Als Sanem Kleff vom Bundesvorstand der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Ludins zur Schau getragene Naivität im Hinblick auf ihren Arbeitgeber und dessen Finanziers kritisiert, antwortet sie: „Ich möchte mit Ihnen nicht in eine Diskussion kommen.“ Nur über das Kopftuch redet Ludin gern. Über all das, was mit dem Kopftuch verbunden wird, dagegen nicht.

Pochen auf das Neutralitätsgebot
Ludin kritisiert, dass es in Baden-Württemberg und den meisten deutschen Ländern zwar ein Neutralitätsgebot in religiösen Dingen gebe, tatsächlich aber ein christlich-abendländischer Erziehungsauftrag existiere. Sie bemängelt Kreuze in Klassenzimmern und Kreuze als Kettenanhänger um Lehrerhälse: „Christliche
Erkennungszeichen werden toleriert.“ Ihr Kopftuch dagegen solle verbannt und ideologisiert werden. Ludin pocht zwar aufs Neutralitätsgebot des Staates, leitet daraus aber nicht ab, dass sämtliche religiösen und weltanschaulichen Symbole aus Schulen zu verbannen wären. Sie fordert gleichzeitig Neutralität und ihr Recht auf das Kopftuch. Ein Widerspruch über den sich nach der Veranstaltung viele Zuhörer erregen.

Beck: Pluralität auch in den Schulen
Marieluise Beck versucht den Streit aus verschiedenen Perspektiven zu sehen.
Wenn Deutschland eine plurale Gesellschaft sein wolle, müsse diese Pluralität auch in den Schulen ihren Platz haben. Sie könne mit Kopftuch tragenden Lehrerinnen leben, wenn diese nicht missionierten. Sollten sie damit beginnen, müsse mit Hilfe des Disziplinarrechtes eingeschritten werden. Allerdings gibt Beck auch zu bedenken, dass oftmals muslimische Einwandererfamilien heftiger gegen die Präsenz des Kopftuchs in den Schulen protestieren als Deutsche. In Kreuzberg können Musliminnen mit Kopftuch nicht einmal mehr Lehramtspraktika machen. Im noblen Zehlendorf wird das gelassener gesehen. Musliminnen streiten über das Kopftuch Die GEW-Funktionärin Sanem Kleff ist zum Beispiel selbst als Einwanderungskind eine Muslimin. Im Koran, so Kleff, finde sie keine Stelle, die das Kopftuch vorschreibe. Niemand könne übersehen, dass für Islamisten in der ganzen Welt das Kopftuch ein Symbol für die Durchsetzung ihrer politischen Ziele sei. Obwohl die GEW Fereshta Ludin Rechtshilfe in ihrem Prozess gewährt, warnt deren Vertreterin Kleff: „Es geht nicht um Frau Ludins private Überzeugungen. Es geht um den politischen Sieg der Islamisten, wenn das Kopftuch den Weg durch die gesellschaftlichen Institutionen schafft.“ Da widerspricht Fereshta Ludin nicht.