Wenn Braunkohle Heimat frisst, kann das tödlich sein

Ingrid Bachér: Die Grube
Ingrid Bachér: Die Grube

Braunkohle als Energieträger wird derzeit nur noch aus der Sicht des Klimaschutzes kritisch gesehen. Die großen Debatten über die Abbaggerung des brandenburgischen Dorfes Horno zwischen Cottbus und Guben oder in Garzweiler sind lange vorbei. Die Dörfer sind weg. Und inzwischen sollen noch weitere  folgen.

Ingrid Bachér hat sich mit ihrem Roman Die Grube dem mit den Tagebauen verbundenem Heimatverlust gewidmet. Sie nähert sich dem Thema ganz behutsam. Im Mittelpunkt steht ein Bauernhof in Garzweiler, in dem anfangs der Hoferbe mit Frau und Sohn, ein Knecht, eine Haushälterin und die Schwester des Bauern leben. Diese ist Lehrerin und erzählt die Geschichte von der schrittweisen Entsiedlung Garzweilers und den dramatischen Folgen für die Menschen.

Da gibt es diejenigen, die im Bergbau ihr Geld verdienen und deshalb das Angebot zur Absiedlung gern annehmen. Auf der anderen Seite stehen vor allem die Bauern, deren Familien seit Generationen die Höfe und Äcker bewirtschaften, die der Braunkohle weichen müssen. Bachér beschreibt in leisen Tönen, wie sich die Spaltung der Dorfgemeinschaft vollzieht. Sie erzählt von den Versuchen mit Demonstrationen und Bürgerversammlungen die großen Bagger aufzuhalten. Sie schildert, wie Politik und der allmächtige Konzern verbandelt sind. Auch dabei wählt sie keine bösen Wörter.

Genau das macht das Buch so beklemmend. Es sind die leisen Töne, die sich wie die herannahenden Bagger in die Erde ins Gemüt des Leser fräsen. Die Bagger nähern sich ganz langsam. Die Gedanken über den Heimatverlust, die unwiederbringliche Vernichtung von Geschichte und Erinnerung verdichten sich auch ganz behutsam. Aber sie werden so stark, dass man sich ihnen nicht entziehen kann. Auch, weil die Beraubung der Heimat eine der Hauptpersonen so krank macht, dass sie darüber stirbt.

Ingrid Bachér: Die Grube. Dittrich Verlag; 17,80 Euro.

Viktor Paskows Autopsie ist ein verwirrender Berlin-Roman

Viktor Paskow: Autopsie
Viktor Paskow: Autopsie

Jazz und Literatur vermischen sich in Viktor Paskows Roman „Autopsie“ genauso wie die Leben von Charlie und Ina. Beide kommen wie der Autor aus Bulgarien, beide finden sich auf unterschiedliche Weise in Berlin ein. Und beide werden wahnsinnig, wenn der geliebte Mensch nicht da ist.

Aus dieser recht einfachen Konstellation formt Paskow einen Roman, dem sich der Leser nicht entziehen kann. Die Liebe spielt der dabei in all ihre psychologischen und erotischen Dimensionen durch. Manche Stelle grenzt an Pornografie, doch sind selbst diese Passagen nie blanker Voyeurismus. Sie sind zur Verdeutlichung der Liebe von Ina und Charlie unabdingbar, zeigen sie doch, wie anhängig beide voneinander sind. Wo Charlie meint, Ina in neue Formen von Sex – etwa im Swingerclub – einzuführen, kehrt sie sein Dominanz-Bestreben um.

Der Roman spielt vor der Kulisse Berlins. Paskow hat die Stadt mit offenen, neugierigen Augen wahrgenommen. Das touristische Programm ist nicht wichtig. Dafür hat er die alten Hinterhöfe am Prenzlauer Berg oder in Mitte, die Kneipen, Clubs und die Theater in den Blick genommen. So entsteht ein packender Berlin-Roman, denn die Stadt ist mehr als nur Kulisse. Vor allem im Bezug zu Sofia steht Berlin für eine Entwicklung, die sich auf das Leben von Charles und Ina direkt auswirkt.

Der Plot und die Erzählweise sind so überzeugend, dass der Leser keine Chance hat, sich dem Sog zu entziehen. Bis hin zum dramatischen Ende wollen selbst die unangenehmen Textstellen gelesen werden. Die Sprache entfaltet selbst in der Übersetzung eine große Musikalität. Da Charles Musiker ist – im Hauptberuf Orchestermusiker und nebenbei Jazzer – muss das auch so sein. Das Buch klingt, schwingt, schmerzt. Es verursacht ein Gefühlschaos und lässt den Leser  deshalb das Leben spüren. Ein gutes Buch, ein großer Roman.