Aleppo in Zeiten des Krieges

Pass von Rudolf Tillmetz, ausgestellt vom Konsulat in Aleppo.
Pass von Rudolf Tillmetz, ausgestellt vom Konsulat in Aleppo.

Am 12. September 1917 bekam Rudolf Tillmetz (1880 – 1966) vom Auswärtigen Amt in Berlin den Auftrag, nach Aleppo aufzubrechen. Der Kunstmaler sollte an der Deutschen Schule unterrichten. Das Auswärtige Amt ordnete an, dass ihm alle Stellen dabei helfen sollten.

Seit drei Jahren führte das Deutsche Reich Krieg. Auch im Osmanischen Reich war es nicht mehr überall ruhig. Aber eine Stadt wie Aleppo schien auf jeden Fall sicherer und deutlich besser versorgt als München. Insofern war ein Engagement an der dortigen Schule ein gutes Angebot für den Bruder meines Urgroßvaters.

Heute ist wieder Krieg. Aber nicht n Deutschland – nur in Syrien. Der Chef des Auswärtigen Amtes ist mit Beschwichtigungen beschäftigt. Hilfe für jene, die seit 19 Monaten gegen den Diktator Assad kämpfen, gibt es von Guido Westerwelle nicht. Die Altstadt, die Rudolf Tillmetz kannte, gibt es wegen des Beschusses durch Assads Truppen von der Zitadelle aus – und durch die Luftwaffe – nicht mehr. Und unzählige Menschen, die auf die Unterstützung des Auswärtigen Amtes und des gesamten Westens gehofft hatte, sind gefallen.

Selbst am Ende des 1. Weltkrieges ging das Leben in Aleppo weiter – trotz des neuen Status als französische Kolonie. Die Stadt hat diesen Krieg überstanden. Rudolf Tillmetz auch. Seit vielen Jahren will ich Aleppo besuchen. Immer wieder hat es nicht geklappt. Vor 20 Jahren reichte es immerhin für Damaskus, aber nicht für Aleppo. Aleppo bleibt ein Traum. Inzwischen leider einer, der nie mehr so erfüllt werden kann, wie ich es immer wünschte. Und das auch, weil uns im Westen Aleppo und Syrien ziemlich egal ist. Leider.

Blick auf die Zitadelle von Aleppo um 1914
Blick auf die Zitadelle von Aleppo um 1914

Jonathan Littell erschüttert mit seinen Notizen aus Homs

Jonathan Littell: Notizen aus Homs
Jonathan Littell: Notizen aus Homs

Mitten in Homs genießt Jonathan Littell am 27. Januar einige Stunden Ruhe ohne Beschuss. Selbst ein Spaziergang war ihm und dem Fotografen Read möglich: „Das Licht verändert sich pausenlos, während die Wolken vorbeiziehen. In den Pfützen spiegeln sich der Himmel und die Fassaden der Häuser.“ Ein Moment der Idylle verschafft ihm und dem Leser Ruhe zum Durchatmen. Aber der Spaziergang öffnet auch den Blick für die Gewaltbereitschaft des Assad-Regimes in Syrien: „Durch die Treppenhausöffnungen sieht man die Zitadelle, ganz nah, keine 200 Meter entfernt.“ 200 Meter. Für die Scharfschützen der syrischen Armee ist das keine Entfernung. Und deshalb nehmen sie ständig dieses Viertel mit Rebellen in Homs unter Beschuss.

Jonathan Littell war vom 16. Januar bis zum 2. Februar in Homs. Während ich einem jungen Mann lauschte, der aus dem Tagebuch einer jungen Frau aus den 20er-Jahren vorlas, hielt er sich da auf, wo Menschen auf ein Leben ohne Diktatur hofften. Während ich wohlig in einem hippen Neuköllner Raum zusammen mit zwei Freundinnen anläßlich eines Geburtstages lauschte, wie eine junge Frau ihre erste Liebe in ihrem Tagebuch diskutierte, war Littell da, wo Frauen und Kinder, wo Männer, die sich gegen Assad auflehnen –  und mit dem Leben bezahlen. Während wir Geburtstag feierten, wurden in Homs von Heckenschützen ermordeten beedigt. Für sie gibt es keine Geburtstage mehr. Littell besuchte die Untergrund-Hospitale, diskutierte die vergebliche Hoffnung auf Hilfe aus dem Westen, ertrug den Anblick von toten Männern, die von der Armee des eigenen Landes hingeschlachtet wurden.

Diese Diskrepanz macht den ruhigen und sachlichen Text Littells immer wieder unerträglich. Und doch muss er gelesen werden. Littells Buch ist ein Dokument, das zeigt, wie wir alle in Syrien versagt haben. Littell war vor dem großen Bombenangriff Assads auf Homs in der Stadt. Viele seiner Gesprächspartner leben nicht mehr – sie sind einige Tage nach Littells Ausreise von Assads Armee ermordet worden. Und das nur, weil sie Freiheit wollten, weil sie nicht mehr einem Diktator dienen wollten. Zu diesem Zeitpunkt hatten Islamisten kaum Einfluss auf Littells Gesprächspartner. Aber je länger der Westen zuschaut, wie Tausende, Zehntausende Syrer sterben, umso leichter wird die tatkräftige Hilfe von radikalen Islamisten angenommen. Denn es geht um das Überleben. Und in dieser Situation ist die tatsächliche Hilfe wichtig –  und nicht absurde Beschwörungen eines Friedens mit dem Diktator, den es nicht geben kann.

Littells Buch „Notizen aus Homs“ ist ein erschütternd starkes Buch. Am 29. Januar, an meinem eigenen Geburtstag, hat Littell von einem ehemaligen Gefängnisarzt geschildert bekommen, wie Ärzte Folter dulden oder gar selbst foltern. Zur gleichen Zeit, als ich in der Märchenhütte in Berlin Mitte ein hinreißend lustiges Märchenthaeterstück sah, erlebte Littell, wie Opfer von Scharfschützen nur mit Mühe gerettet werden können – und ein anderer Mann an seinen Verletzungen stirbt. Und während ich mit meiner Familie beim Türken Köstlichkeiten aß, die Littell auch in Syrien bekam, wird ihm ein Handy gezeigt, das eine Projektil ablenkte. Dieses Handy hat einem Mann das Leben gerettet. Es hat die Kugel so abgelenkt und gebremst dass sie einige Zentimeter vor dem Herzen stoppte. An das Geburtstagsessen zu denken, während ich das Buch lese, ist irre. So wie diese Welt, in der wir immer viel zu wenig helfen, den Wahnsinn zu beenden.

Jonathan Litell: Notizen aus Homs, Hanser Berlin.

Ein Besuch beim Wunder von Tell Halaf

Wirklich unglaublich, was die Restauratoren des Vorderasiatischen Museums geschafft haben. Aus Tausenden von Steinbrocken haben sie eine Teil des Ausgrabungen von Tell Halaf rekonstruiert. Max von Oppenheim hatte die Ausgrabungen im heutigen Nordsyrien unweit der türkischen Grenze einst initiiert und durchgeführt. Anschließend hat er in der 20er-Jahren in Berlin ein eigenes Museum dafür eingerichtet.

Doch ein Bombenangriff im Jahr 1943 hat den archäologischen Schatz aus dem 9. Jahrhundert vor Christus in tausende Brocken gesprengt, das Gold und die anderen Metalle eingeschmolzen. Zwar sicherten Wissenschaftler Teile der Brocken und lagerten sie im Pergamon-Museum ein. Doch erst Anfang der 90er-Jahre beschäftigte sich jemand mit ihnen. Knapp 20 Jahre später sind die wichtigsten Stücke wiedererstanden Dank einer unermüdlichen Puzzle-Arbeit.

Ein Besuch der Ausstellung lohnt sich auch, weil sie zum Nachdenken anregt: Ist es gut oder schlecht, wenn Archäologen die Vergangenheit freilegen? Ohne Max von Oppenheim wüsste niemand von dieser großartigen Kultur. Aber dann wären viele Stücke noch immer unversehrt unter dem Wüstensand verborgen. Allerdings kann die Archäologie nichts für die Bombenangriffe. Aber für die phantastische Restaurierung.