Alles zur RAF auf 1400 Seiten

Wolfgang Kraushaar: Die RAF und der linke Terrorismus
Wolfgang Kraushaar: Die RAF und der linke Terrorismus

47 Autoren hat Wolfgang Kraushaar auf den 1400 Seiten seines zweibändigen Werks „Die RAF und der linke Terrosrismus“ versammelt. Damit wird es sicher zum Standardwerk über die Geschichte der RAF und des linken Terroismus in Deutschland.

Kraushaar und seinen Autoren gelingt es, das Phänomen RAF genau zu ergründen. Es gibt Porträts der wichtigsten Täter. Überblicke über Organisation, Attenatate und Ziele der RAF und lesenswerte Einordnungen des deutschen Terrorismus in den internationalen
in der Vergangenheit und der Gegegwart. Was fehlt, ist der Blick der Opfer auf die Terroristen. Dennoch: Wer fundiert und gut verständlich über dieses Kapitel deutscher Geschichte informiert werden will, muss zu diesem Buch greifen.

WOLFGANG KRAUSHAAR (HG.): DIE RAF UND DER LINKE TERRORISMUS,
2 BÄNDE. HAMBURGER EDITION. 78 EURO.

Diese Rezension ist am 26. März 2007 in 20cent erschienen.

Ingke Brodersen und Rüdiger Dammann erzählen die Geschichte der Juden in Deutschland

Die Geschichte der Juden in Deutschland wird sehr stark auf die Vertreibung und Vernichtung durch die Nazis reduziert. Aber Juden leben schon seit 2000 Jahren hier. Ingke Brodersen und Rüdiger Dammann haben auf 220 Seiten eine kurze Geschichte im Überblick geschrieben.

Sie gehen natürlich auf die Entwicklung des Antisemitismus ein. Aber sie zeigen auch, wie Juden und Christen friedlich zusammenlebten. Und sie machen deutlich, welche wichtige Rolle viele Juden bei der wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Entwicklung Deutschlands spielten. Ein gut geschriebenes, leicht verständliches und unverzichtbares Buch.

Brodersen/Dammann ZERRISSENE HERZEN – GESCHICHTE DER JUDEN IN DEUTSCHLAND. FISCHER VERLAG. 19,90 EURO.

Die Geschichte vom einzigen „Club“

Die Legende vom Club
Die Legende vom Club

Der Club war ewig Rekordmeister. Bis zu seinem Abstieg direkt nach der  gewonnen Meisterschaft 1968. Die Nürnberger gehören wie nur wenige Vereine zu denen, um die sich Legenden und Geschichten aus nun fast 100 Jahren ranken.

Einst stellten die Clubberer zusammen mit Fürth alleine die  Nationalmannschaft. Davon und von der Gegenwart erzählt Christoph Bausenwein in seinem fantastischen Buch, das nicht nur für Club-Fans ein Lesefest ist. Bausenwein nimmt auch die Zeit des  Nationalsozialismus kritisch unter die Lupe und schafft es, ein umfassendes Porträt eines Vereins zu schreiben, das sich sehr gut liest und dennoch sehr faktenreich ist. Die  Neuauflage kann jetzt auch aktuelle Erfolge melden.

Bernd Siegler, Christoph Bausenwein, Harald Kaiser: DIE LEGENDE VOM CLUB –
GESCHICHTE DES 1. FC NÜRNBERG. WERKSTATT. 26,90 EURO

Diese Rezension ist am 2. Januar 2007 in 20cent erschienen.

Borgolte findet die Europas Wurzeln in der Religion

Die Geschichte Europas will der Siedler Verlag abbilden. Im aktuellsten Band des Projekts sprengt Michael Borgolte, Leiter des Instituts für vergleichende Geschichte Europas im Mittelalter an der Berliner Humboldt-Universität, den engen geografischen Rahmen. In „Christen, Juden, Muselmanen – Die Erben der Antike” stellt er zunächst die Entwicklung der großen monotheistischen Religionen dar.

In ihnen sieht er das zentrale Element der Spätantike und des frühen Mittelalters. Es gelingt ihm, Unterschiede, vor allem aber Gemeinsamkeiten im Denken und Glauben darzustellen. Im zweiten Teil des Buchs  gewinnen die Unterschiede Gewicht, denn in ihm geht es um das weltliche und religiöse Herrschaftsverständnis. Während die katholische Welt die Trennung der religiösen und  politischen Sphären lernte, erhielt sich bei orthodoxen Christen und im Islam der allumfassende Anspruch des Herrschers. Borgolte räumt dem Interesse am Austausch der  Kulturen im dritten Teil Raum ein – und öffnet den Blick für die Chancen des Dialogs mit dem Islam.

Michael Borgolte: Christen, Juden, Muselmanen – Die Erben der Antike. Siedler Verlag. 608 Seiten. 74,00 Euro.

Ein Krimi über die Genies der Welt

Simon Singh: Big Bang
Simon Singh: Big Bang

Entweder die Naturwissenschaften haben einen gepackt oder man traut sich nicht an sie heran. Schon in der Schule gibt es diese klare Aufteilung: Auf der einen Seite die Schüler mit dem Hang zu Mathe, Physik und Co., auf der anderen die, denen Rechnen suspekt bleibt. Aber auch die werden von Simon Singhs neuem Buch gepackt.

In den USA gibt es Bundesstaaten und Landkreise, in denen die Evolutionstheorie nicht in der Schule gelehrt wird. Dort gilt das Wort Gottes aus der Bibel als die unumstößliche Wahrheit. Die Fortschritte der Naturwissenschaften werden glatt geleugnet. Simon Singh (41) hat in seinem Buch „Big Bang “ die Geschichte dieser Fortschritte aufgerollt. Und erzählt uns Heutigen, dass auch hier in Europa vor 100 Jahren noch viele Wissenschaftler an die Existenz des Äthers und andere eher religös inspirierte Erklärungsmuster der Welt glaubten.

Dabei gelingt es Singh, wie schon in „Fermats letzter Satz“, die komplexen Gesetze der Naturwissenschaften gut verständlich zu erklären. Große Vorkenntnisse sind dazu nicht nötig. Nur ein kleines bisschen von der Neugier, die die alten Griechen, die Keplers, Galileis oder Einsteins dieser Welt hatten, sollte der Leser schon mitbringen. Dann nimmt ihn Singh an die Hand und arbeitet sich durch die Geschichte der Erklärung des Weltalls. Das liest sich mitunter wie ein Krimi. Ergänzt wird der Text stets durch Grafiken, die wichtige Fortschritte in der Erforschung der Welt erklären. Da können die ganz Begeisterten auch schon mal nachrechnen. Eigentlich ist es sehr erstaunlich, wie wenig die meisten Menschen auch heute noch über dieses Kapitel Geschichte wissen. Selbst das Einstein gewidmete vergangene Jahr konnte nicht so viel zur Aufklärung beitragen.

Singh berichtet von den Fortschritten, dem Genie einiger und der Skepsis der Masse. Dieses Spannungsfeld existiert auch heute noch. Nur wird die Zahl derer, die etwas verstehen, immer kleiner. Es sei denn, ganz viele lesen Simon Singh.

SIMON SINGH: BIG BANG – DER URSPRUNG DES KOSMOS UND DIE ERFINDUNG DER NATURWISSENSCHAFT. HANSER. 24,90 EURO

Helmut Kohl lässt nur Otto von Bismarck neben sich gelten

Ganz ruhig spricht Helmut Kohl. Ganz gelassen blickt er auf seine ganze Bedeutung als Bundeskanzler zurück. Und ganz sicher ist er sich, dass er weder von seinem Noch-Nachfolger Gerhard Schröder noch von der eventuell künftigen Kanzlerin Angela Merkel etwas zu befürchten hat. Helmut Kohl überstrahlt sie alle – und daran wird sich auf absehbare Zeit auch nichts ändern.

Helmut Kohl: Erinnerungen 1982 - 1990
Helmut Kohl: Erinnerungen 1982 – 1990

Damit das auch ganz sicher so bleibt, orientiert er sich an dem einzigen deutschen Kanzler,
den er neben sich gelten lässt: an Otto von Bismarck. Der hat seine „Gedanken und Erinnerungen“ auch in drei Bänden herausgebracht. Genau so, wie es auch Helmut
Kohl vorschwebt. Im Berliner Hotel Hilton stellte er gestern den zweiten Band seiner Memoiren vor. Die Gedanken schenkt er sich.

Passender hätte der Zeitpunkt nicht sein können. Der Saal ist voll. Die internationale und die nationale Presse will sich dieses Schauspiel nicht entgehen lassen. Alle wollen hören, wie er die Gegenwart sieht. Doch das Buch handelt von der Vergangenheit. Die ersten acht Jahre seiner Kanzlerschaft hat Helmut Kohl auf 1000 Seiten beschrieben. Und doch steckt in diesem zweiten Band mehr Regierungserfahrung, als sie der noch amtierende Kanzler Gerhard Schröder vorweisen kann. Der schaffte es nur auf sieben – Helmut Kohl auf 16 Jahre an der Spitze der Bundesrepublik.

Aber Schröder hat Kohl offensichtlich schwer getroffen. Nicht nur, dass er es schaffte, ihn
1998 abzulösen. Nein, Schröder kritisierte Kohl noch im letzten Wahlkampf. „Wer die Reden des Bundeskanzlers Schröder im Wahlkampf gehört hat, wird sich schon wundern“, hebt der Altkanzler an. Von wegen 16 Jahre Stillstand, empört er sich über die Aussagen des Sozialdemokraten. Die anwesenden Journalisten bekommen eine kurze  Misserfolgsbilanz von Rot-Grün präsentiert. Ob Arbeitslosenzahlen, Verschuldung  oder Bruttoinlandsprodukt – seine Zahlen klingen besser. Obwohl sie gar nicht Thema des Buches sind, das er vorstellt, kann er es sich nicht verkneifen, mit diesem aktuellen Abschweifer seine Größe zu betonen.

Ansonsten ist Helmut Kohl ganz der souveräne Beobachter. Alles, was nichts mit ihm
und seiner Regierungsbilanz zu tun hat, lässt sich locker kommentieren. Natürlich erst nach ein bisschen Koketterie: „Ich bin hierher gekommen, um über mein Buch zu sprechen
und nicht über mein Verhältnis zu Frau Merkel.“ Grinsend antwortet er auf die Frage nach
seinem Umgang mit der CDUVorsitzenden. Da rutscht sogar die Zunge ganz spitz an die
Oberlippe. Ein echter Genießer, dieser Dr. Helmut Kohl. Vor allem dann, wenn er die
Akteure der Gegenwart noch immer überstrahlt.

Die Frage nach seiner Sicht auf Edmund Stoiber ist ihm ein besonderes Vergnügen. Auf
den 1000 Seiten wird der damalige CSU-Generalsekretär gerade ein einziges Mal erwähnt.
„Edmund Stoiber war immer ein gewaltiger bayerischer Politiker“, sagt Kohl über den Mann, den es statt nach Berlin nun doch wieder in die bayerische Landeshauptstadt zieht. „Aber nicht so gewaltig, dass ich mich in den Memoiren mit ihm beschäftigen müsste.“ Und weil es ihm so viel Spaß macht, legt er noch nach: „Er war immer so eng an Strauß, dass man gar nicht an ihn herankommt.“

Die Probleme bei der derzeitigen Regierungsbildung kann Kohl verstehen. In seinem Buch würden sich Parallelen zu seiner ersten Koalition 1982 finden. Und außerdem seien Politiker doch auch nur Menschen. „Versuchen sie mal die Fusion von zwei Fußballvereinen.
Das ist schon hundertfach gescheitert. Oder die Fusion von zwei Firmen. Da heißt es dann, dass die Unternehmenskultur das Problem ist. Aber das ist nur ein Spruch.“ Egal, ob Fußballvereine, Firmen oder Koalitionen: „In dem einen Fall besiegt die eine Mannschaft
die andere. Im anderen Fall ist es umgekehrt.“

Im Hilton ist klar, wer früher immer der Sieger war. Helmut Kohl hatte die Akteure im
Griff. Sein wichtigstes Mittel dazu: Vertrauen und Freundschaft. Die pflegte er mit dem
Franzosen François Mitterand, dem Spanier Felipe Gonzalez, dem Russen Michail Gorbatschow und dem Amerikaner George Bush. Für die Regierungsbildung heißt das, dass
sich die Akteure erst einmal vertrauen müssen. „Der deutsche Wähler hat so entschieden.
Jetzt muss der deutsche Wähler hinnehmen, dass es schwierig ist.“ Wenn Parteien gegeneinander gekämpft haben, dauert es eben, bis diese „gewaltigen Organisationen“
einen neuen Weg gehen.

Echtes Mitgefühl entwickelt Kohl mit Franz Müntefering. Auch wenn er sich erst einmal bremst: „Ich bin kein Freund des SPD-Vorsitzenden. Wie käme ich dazu.“ Aber das, was die SPD mit ihm gemacht habe, rechtfertige seinen Rücktritt. „Er macht die ganz Arbeit, geht dann in seinen Vorstand und der säbelt ihm die Beine ab.“ Das erinnert den einstigen CDU-Vorsitzenden an einen Parteitag im Bremen der späten 80er-Jahre. Da wollten ihn einige auch absäbeln. Natürlich ist es den Geißlers, Blüms und Co. nicht gelungen. Aber für Müntefering hat er Verständnis: „Versetzen sie sich mal in ihn hinein. Es ist richtig, dass er geht. Wer danach behauptet, er habe das nicht gewollt, der lügt.“

In seinem grauen Anzug mit der nett leuchtenden gelben Krawatte sieht Helmut Kohl blendend aus. Er strahlt über das ganze Gesicht. Ganz besonders, als er sich mit seiner
Nach-Nachfolgerin vergleichen kann. Wenn es stimme, dass die CDU sich von Frankreich
und Großbritannien abwenden und viel stärker zu den Osteuropäern hinwenden wolle,
dann verwundere ihn das. Sollte dieser Gedanke aus dem Umfeld Merkels kommen, „dann ist es ein törichtes Umfeld, das nicht erfolgreich sein wird“. Wovon er natürlich ausgeht.
Denn eigentlich ist er noch immer irgendwie der Bundeskanzler. Auch wenn ihn bei seiner Buchpräsentation ausnahmsweise niemand so angesprochen hat.

Helmut Kohl: Erinnerungen – 1982 – 1990. 1000 Seiten, Droemer, 29,90 Euro

(Lausitzer Rundschau)

Gefahr Her Vereinfachung – Der Leiter der Gedenkstätte Sachsenhausen zu Goldhagens Thesen

Selten wurde ein Buch schon vor dem Erscheinen so heftig diskutiert wie Daniel Goldhagens „Hitlers willige Vollstrecker“. Der Harvard-Dozent stellt die These auf, daß beim Holocaust „ganz gewöhnliche Deutsche aufgrund ihres Antisemitismus durchaus Mörder aus Überzeugung“ gewesen seien. Eine überwiegende Mehrheit der Deutschen habe einen tief verwurzelten, seit Jahrhunderten überkommenen „eliminatorischen Antisemitismus “. Zur Auslieferung des Buches sprach die RUNDSCHAU mit dem Leiter der Gedenkstätte Sachsenhausen, Dr. Günter Morsch.

Wie bewerten Sie die Diskussion über Goldhagens Thesen?
Ich muß das Buch zunächst einmal lesen. Ich kenne Aufsätze von Goldhagen und die Diskussion über ihn. Aber so wie ich die Thesen Goldhagens bis jetzt kenne, scheinen sie mir etwas vereinfachend. Wäre es so gewesen, dann ließe sich Geschichte viel einfacher erklären. Das Problem ist doch eher, daß man den Genozid nicht nur aus einem massiv verbreiteten rassistischen Antisemitismus  in der Bevölkerung erklären kann.

Was war dann die Ursache?
Der rassistische Nationalsozialismus ist nur ein Punkt von vielen – und meiner Meinung nach, was die Tragfähigkeit innerhalb der Bevölkerung anlangt, nicht einmal der wichtigste. Im Gegenteil: Wenn man die Quellen studiert, kann man nachweisen, daß der rassistische Antisemitismus der Nationalsozialisten zumindest bis 1939 außerhalb der NS-Bewegung kaum Widerhall fand. Er stieß sogar auf Ablehnung. Die war aber nicht so groß, daß man aktiv dagegen vorgegangen ist. Und genau das ist das Problem.

Greift Goldhagen zu kurz?
Die Frage, wie sich ein Genozid in einer modernen Gesellschaft, die sich auf einem hohen kulturellen Niveau befindet, durchsetzt, sehe ich in der Tendenz durch die Goldhagen-These eher verkürzt.

Sehen Sie Parallelen zu Konflikten – etwa auf dem Balkan?
Es gibt bis jetzt keinen mit dem Holocaust vergleichbaren Vorgang. Da sehe ich eine Einmaligkeit. Auf der anderen Seite ist es trivial zu sagen, daß die Lager und eine Politik der Ausrottung eine Begleiterscheinung der Moderne sind, die nicht nur für den Holocaust gilt.

Ausrottung und davor Ausgrenzung?
Ja, aber mit dem Ziel der Vernichtung. Sie sprechen genau das Problem der Vergleichbarkeit an. Das gilt auch für den Erkenntnisgewinn im Hinblick auf die Erziehung: Wie können wir so etwas abwehren? Wenn man da die These Goldhagens vertritt und sagt, der Holocaust sei ein Produkt des übersteigerten Rassismus einer ganzen Bevölkerung, dann macht man es sich zu einfach.

Man bleibt dann also zu oberflächlich und kann das Volk nicht richtig verstehen?
So ist es. Gerade das Verhalten der deutschen Bevölkerung –  von der Arbeiterschaft bis zum Bürgertum – war viel komplizierter. Das muß man wissen, um auch Widerstand verstehen zu können. Historische Prozesse lassen sich nicht auf die einfache Mechanik „Zustimmung ist gleich Handlung“ reduzieren.

Warum gibt es ausgerechnet jetzt eine so heftige Debatte?
Es ist ganz bezeichnend, daß im gleichen Maß, wie ganz bestimmten gesellschaftlichen Trägerschichten die Mitverantwortung genommen worden ist, sie den kleinen Leuten summarisch auferlegt wurde. Und in diesen Dreh kommt die These Goldhagens hinein. Entstehen von Widerstand, Ablehnung und Zustimmung, das ist nicht diese einfache Mechanik. Das versimplifiziert die Strukturen totalitärer Herrschaft enorm und nimmt uns damit die Chance, etwas darüber zu lernen, wie man totalitärer Versuchung widerstehen kann.
(Das Gespräch führte Andreas Oppermann)