Die Tatarenwüste raubt den Soldaten von Dino Buzzati das Leben

Dino Buzzati: Tatarenwüste
Dino Buzzati: Tatarenwüste

Endlich Offizier. Endlich die erste Verwendung. Die ist zwar kein Traum für einen jungen Mann. Aber so eine Festung, die zur Grenzsicherung hoch oben in den Bergen vor der Tatarenwüste seit Jahrhunderten eine wichtige Funktion hat, bietet zumindest einen sinnvollen Einsatz. Und so zieht Giovanni Drogo auf seinem Pferd in die Berge.

Dino Buzzati hat seinen Leutnant, die Festung und das Land des Feindes von Zeit und Raum getrennt. Sie sind in einer prototypischen Welt, die an kein Land gebunden ist. Auf den ersten Seiten ist das noch etwas seltsam. Aber es wird, je länger man das Buch liest, umso intensiver- Die seelische Dimension der Geschichte wirkt genau deshalb so stark.

Denn genau darum geht es Dino Buzzati, der 1940 nach 18 Jahren Faschismus in Italien diesen Roman über Ordnung geschrieben hat. Darüber, wie das geregelte Dasein in einem totalitären System, das jede Form von Militär zwangsläufig sein muss, so den Menschen vereinamt, dass irgendwann das geregelte Dasein für die Seele, für den Menschen wichtiger wird, als die Sehnsucht nach Liebe oder einem aufregenden Leben.

Dino Buzzati macht das sehr anschaulich. Dazu nutzt er die eigentlich unwichtige Festung. Der Blick in die Tatarenwüste, von wo der Feind kommen müsste, beherrscht die Hoffnungen der Soldaten. Irgendwann muss der Dienst und die Entsagung doch sinnvoll werden. Der Durst der Seele nach einem Sinn des eigenen Tuns muss gestillt werden. Die Hoffnung auf das Ereignis von außen wird wichtiger als das eigene Ich. Und so verlieren die Soldaten Schritt für Schritt das eigentliche Leben, auch wenn der geordnete Dienst kein echter Lebensinhalt sein kann.

„Die Tatarenwüste“ ist eine Parabel auf alle totalitären Systeme. Den besonderen Reiz macht darin die Haltung Buzzatis aus. Er denunziert niemanden, denn der Leser muss ich auf Drogo so stark einlassen, dass er von ihm in einen Sog gezogen wird, der die Aussichtslosigkeit als Lösung fast akzeptabel macht.

Dino Buzzati: Die Tatarenwüste. Die Andere Bibliothek.

Judith Joy Ross fotografiert die Gesichter der US-Kriege

Judith Joy Ross: Living with war
Judith Joy Ross: Living with war

Der Krieg und die Menschen in den USA ist das Motto der Arbeit von Judith Joy Ross. Living with war enthält ausschließlich ganzseitige Porträts in Schwarz-Weiß, in denen sich das ganze Drama des Krieges zeigt.

Begonnen hat Judith Joy Ross mss mit Fotos am Denkmal für die Vietnam-Gefallenen. Kurz nach der Einweihung hat sie Besucher gefragt, ob sie sich von ihr mit ihrer altertümlichen Großbildkamera ablichten lassen. Was sie dann auf den Film gebannt hatte, waren keine einfachen Porträts. Angesichts des Denkmals, in dem sämtliche Namen der fast 60.000 gefallenen US-Soldaten eingraviert sind, hat sie Trauer und Entsetzen über die Unfassbarkeit des kriegerischen Todes eingefangen.

1990 konzentrierte sich Ross auf Reservisten der US-Army, die sich gerade freiwillig gemeldet hatten. Aus dem Buch blicken uns Menschen an, die ihre Uniformen bekommen haben. Menschen, die verkleidet wirken. Die Mischung aus Erschrecken und Stolz, aus
Unsicherheit und Entschlossenheit offenbart die seltsame Macht, die von Uniformen ausgeht. Und das genau in dem Moment, in dem die USA im ersten Golfkrieg standen
und Saddam Hussein aus Kuwait verjagten. Während die Reservisten zu Hause in die ungewohnte Militärkleidung schlüpften, wurden die gleichen Kleidungsstücke von
aktiven Soldaten mitten in einem Krieg getragen.

In den Jahren 2006 und 2007 schließlich fängt Ross Gesichter von Menschen ein, die in den USA gegen George W. Bushs Irak-Krieg demonstrieren. Junge Männer und Frauen, gesetzte Priester und ehemalige Soldaten zeigen die Zweifel und die Enttäuschung, sich gegen die eigene Regierung, gegen die kämpfenden Soldaten im Irak stellen zu müssen. Einigen Demonstranten ist der innere Kampf anzusehen. Sie selbst haben wohl George W. Bush gewählt. Jetzt fühlen sie sich belogen. Und deshalb gehen sie auf die Straße, obwohl das wirken könnte, als fallen sie der eigenen Armee in den Rücken.

Ohne auch nur einen Toten zu zeigen, gelingt es Ross nur durch ihre eindringlichen  Porträts, die menschliche Tragweite des Krieges zu zeigen. In den Gesichtern spiegelt sich das alles. Diese Fotos lösen nur durch Betrachten beim Betrachter intensive Gefühle aus.
Und Faszination darüber, welche Kraft in vermeintlich einfachen Fotos stecken kann.