Mark van Huisseling: How to be a star

Niemand kann sich dem Glanz der großen Stars entziehen. Selbst wenn die eigene Intelligenz einem sagt, dass es mit Figuren wie Kylie Minogue (37) oder 50Cent (30) nichts zu besprechen gibt, sehen will man solche Typen schon. Und wissen, was sie tun, mit wem sie sich aneinanderreiben und wen sie beleidigen.

Mark van Huisseling hat schon mit hunderten Stars gesprochen – als Interviewer. Jetzt kategorisiert er sie. How to be a Star ist kurzweilig, witzig und mit einem Schuß Promi-Voyeurismus gewürzt. Kurz, es macht Spaß das Buch zu lesen. Noch dazu, weil es eine kleine Anleitung zum StarSein in sieben Punkten bietet. Aber nur zum Sein. Zum Werden ist der Ratgeber keine Garantie. Wie auch? Dann wären wir ja jetzt – nach dem Lesen – alle Stars!

Mark van Huisseling:  HOW TO BE A STAR. NAGEL & KIMCHE. 12,50 EURO

Unbenannt

Julia Hummer (48) ist phantastisch. Sie liest die lebensmüde Jess in der inszenierten Lesung von Nick Hornbys (25) „A long way down“. Hummer trifft den Ton dieser Göre so gut, dass dem Hörer schon mal ein kalter Schauer angesichts der rücksichtslosen Egomanie des Mädchens den Rücken runterlaufen kann.

Jess ist eine von vier Personen, die sich in der Silvesternacht auf einem Londoner Hochhaus zufällig treffen. Alle haben das gleiche Ziel: Sie wollen sich mit einem letzten Sprung umbringen. Da ist der Ex-TV-Moderator, der Sex mit einer 15-Jährigen hatte, eine Hausfrau, die keine Kraft mehr zur Pflege des behinderten Sohnes hat, und ein Möchtegern-Rockstar. Wie deren Leben doch weitergeht, muss man hören. Ausschalten geht nicht!

Nick Hornby A LONG WAY DOWN – HÖRSPIEL. HÖRVERLAG 24,95 EURO

Kluun erzählt vom Brustkrebs seiner Frau

Die Nachricht ist ein Schlag mitten ins Gesicht: Carmen hat Brustkrebs. Sie ist 35, verheiratet und hat ein Kind. Außerdem ist sie erfolgreiche Geschäftsfrau. Was wie der Plot eines rührseligen Betroffenheitsdramas klingt, ist der Stoff eines der besten Bücher
des Jahres: Mitten ins Gesicht.

Kluun heißt eigentlich Raymond van de Klundert (41). Als er anfing zu schreiben, ging es tatsächlich um die Aufarbeitung des Krebstodes seiner Frau. Die starb mit 36. Doch seine Lektorin und viel eigene Arbeit am Text machten aus den Aufzeichnungen einen Roman.
Der schlug in den heimischen Niederlanden wie eine Bombe ein. Er kletterte auf Platz eins der Bestsellerlisten und entfachte die Debatte über Sterbehilfe neu.

Kein Wunder. Denn Kluun schildert eine starke, selbstbewusste Kranke, die beschließt, wann sie sterben will. Nämlich dann, als die Chemotherapie durchgestanden, die Brust amputiert ist und die nächsten Chemos nach der Streuung der Metastasen in die Leber keine Wirkung mehr erzielen. Da kommt der Punkt, an dem der Schmerz der einst so lebensfrohen Carmen den Nerv raubt.

Wer liest, wie sich die Krankheitsgeschichte darauf zu bewegt, kann sich diesem Sterbehilfe-Plädoyer nicht entziehen. Viel wichtiger ist jedoch die Sicht des Mannes. Stijn zerbricht fast. In der Beziehung, in der Sexualität ein so wichtiges Element war, zerstört die Nachricht vom Brustkrebs das ganze Gefüge. Stijn leidet wie ein Hund, weil er jedes nur denkbare Verständnis für Carmen aufbringt, aber dennoch nicht ohne Sex leben kann. Er stürzt sich in Affären, beginnt ein Verhältnis, schluckt XTC (Ecstasy) und versucht auch sonst, immer wieder aus dem Käfig mit der kranken Carmen zu fliehen.

Das ist aber nur die eine Seite. Die andere ist seine vollständige Bereitschaft, bei jedem Arzttermin dabei zu sein, stets die emotionale Stütze für die Liebe seines Lebens – so Stijn immer wieder – zu bleiben. Es ist diese Perspektive, die das Buch so lesenswert macht. Natürlich ist Carmen krank. Sie kämpft mit dem Tod und stirbt. Doch Kluun zeigt auch, was es für die Partnerschaft bedeutet, wenn die Brust als Sinnbild für Erotik und Sinnlichkeit entfernt wird. Wenn Diagnose und zerstörerische Therapie alles radikal verändern. „Mitten ins Gesicht“ ist ein Roman über eine tiefe Liebe. Songzitate, SMSen, Tagebucheinträge und Kneipentipps bilden den Rahmen der unsentimentalen Erzählung.
Kluun schreibt ruhig und sachlich. Die Wirkung ist aber ganz anders: Wer das Buch ohne eine Träne zu vergießen liest, hat ein Herz aus Stein.

Kluun: Mitten ins Gesicht, Scherz Verlag

Sobo Swobodnik findet eine schöne Bescherung

Plotek ist eine Mischung aus Mankells Wallander und Anis Süden. Mit dem Ersten teilt er die Lust auf zu viele Biere. Mit dem Zweiten die Freude am Schweigen. Beides zusammen
zeugt nicht von allzu viel Geselligkeit. Dennoch hat dieser verkrachte Schauspieler von der
schwäbischen Alb auch seinen Charme.

Sobo Swobodnik hat Plotnik diesmal über Weihnachten auf Busreise nach Karlsbad geschickt. Doch statt sich gesund zu baden, sterben die Reisenden nach und nach weg. Das hat allerlei Unterhaltsames. Vor allem, weil Swobodnik so herrlich lakonisch von diesem Bus voll emotionalem Treibgut schreibt. Humor ist ihm wichtiger als Spannung. Und das
ist auch gut so. Denn das ist viel unterhaltsamer, als sich ständig zu gruseln.

Sobo Swobodnik: Schöne Bescherung. dtv, 14,00 EURO

Eleonora Hummel erzählt aus dem Leben der Aussiedler

Sie leben zu Hunderttausenden unter uns, doch kaum einer kennt die Sorgen und Nöte der deutschen Aussiedler aus Russland. Wenn überhaupt, wird über Kriminalität jugendlicher Aussiedlerbanden berichtet. Doch wie das Leben vor der Übersiedlung in die  Bundesrepublik aussah, interessiert die Öffentlichkeit nicht weiter.

Eleonora Hummel ist eine von ihnen. 1970 kam sie in Kasachstan zur Welt. 1980 erfüllte sich der Traum, nach Deutschland ziehen zu können. In ihrem Roman „Die Fische von Berlin“ erzählt sie autobiografisch geprägt von einer Familie, die zwischen der russischen
und der deutschen Welt lebt. Hier gelten sie als Russen, dort galten sie als Deutsche. Die Zerrissenheit und Sehnsucht nach einer klaren und festen Heimat ist das Thema
dieses guten Debüts.

Eleonora Hummel: Die Fische von Berlin, Steidl, 18 EURO

Gilad Atzmons Satire bricht israelische Tabus

Wer seinen Lebensunterhalt als Jazzmusiker verdient, weiß ganz genau, wie man mit unkonventionellen Einfällen schockieren kann. Allerdings ist die Gemeinde der Jazzfans so klein und eingeweiht, dass sie diese Provokationen gern mit Applaus honoriert. Das große Publikum, das sich tatsächlich auch provozieren lassen könnte, straft die Jazzer mit konsequenter Ignoranz.

Ein provokanter Schelmenroman
Gilad Atzmon verdient sein Geld als Schlagzeuger in der Londoner Jazz-Szene. Die Lust an der Provokation lebt er in seinem ersten Roman so richtig aus. Sein
Schelmenroman „Anleitung für Zweifelnde“ ist ein Generalangriff auf die israelische Gesellschaft der Gegenwart. Sämtliche Tabus Israels verletzt Atzmon mit einer Wucht, die den Leser manchmal erschauern lässt. Doch das Ergebnis ist nicht nur erheiternd, es ist so richtig erhellend.

Distanzierter Blick auf Israel
Gunther Wanker ist der obskure Schelm von Gilad Atzmon. Er ist ein Israeli deutscher Abstammung, der recht bald erkennt, dass die Politik der Besatzung und Unterdrückung der Palästinenser den inneren Verfall der israelischen Gesellschaft befördert. Wo Freiheit und Selbstbestimmung einst die zionistischen Einwanderer beflügelte, herrscht jetzt nur Angst und der Wille zur Unterdrückung der Palästinenser. Wanker blickt aus dem Jahr 2032 auf die Geschichte seines Lebens und seines Volkes zurück. Beides mit großer Distanz.

Erkenntnisse aus der Peepshow
Denn Wanker ist der Begründer der Peepologie. Einer Wissenschaft, die ihre Erkenntnis in der Peepshow gewann. Wanker nimmt das Guckloch des Voyeurs als Erkenntnisquelle. So wie der Voyeur immer nur das Ziel seines Verlangens außer Griffweite sehen kann, so kann das israelische Volk seinen Wunsch nach Frieden auch immer nur in der Vorstellung sehen.  In der Wirklichkeit verhindert der Blick auf einen möglichen Frieden den echten, weil der Blick durch den Sehschlitz vor allem die eigene Vorstellung transportiert, nicht aber die des Partners, mit dem dieser Frieden geschlossen werden müsste.

Satirische Attacke bringt Erleuchtung
Atzmon attackiert mit der Handlung und dem Stoff seines Romans also das Selbstverständnis der israelischen Gesellschaft. Doch wie bei jeder guten Satire, ist das nicht zersetzend. Dieser Vorwurf kommt immer von denen, die aus den gerade aktuellen Zuständen Gewinne ziehen. Diese Satire ist eine prickelnde Erleuchtung – nicht nur über Israel. Auch über die kulturellen Verwerfungen der eigenen Gesellschaft.

„Anleitung für Zweifelnde“ von Gilad Atzmon ist bei dtv erschienen. Das Buch hat 180 Seiten und kostet 12,50 Euro.