Max Herrmann-Neiße blickt 1925 auf neue Kabarettdichtung

Neuere deutsche Kabarettdichtung

Lange fehlten in Deutschland jene Dichter des packenden, urwüchsigen, aktuellen Schlagers, die in Frankreich die Entwicklung des Kabaretts zu einem eignen vollwertigen Kunstzweige früh gefördert hatten, gab es gar keine Schriftsteller, die spezifisch dahin begabt waren, ein Ereignis sofort rücksichtslos zu entblößen und unterm amüsanten Pfeilregen des Witzes zu begraben. Gab es keine Künstler, denen jene leichte Musikalität im Blute liegt, die im einprägsamen Rhythmus und mit dem volkstümlichen Gedächtnisanhalt des Refrains gleichsam spontan Empfindung und Meinung sich äußern läßt. Gab es auch keine abseitigen, untergründigen Urwuchspoeten, Bänkelsangdichter voll Dämonie und satzungsferner Doppelbödigkeit.

Die Textlieferanten der ersten deutschen Überbrettlära waren lyrische Limonadenfabrikanten (Ernst von Wolzogen, Bierbaum), platte Bonmotdrechsler und Bonhomiesatiriker (Pserhofer, Rideamus). Und die Dichter, die damals zufällig im Rahmen dieser Kabaretts auftraten, schrieben nicht fürs Kabarett und schrieben nicht so, daß ihre Werke irgend eine Möglichkeit gehabt hätten, vom Kabarett aus zu wirken. Von wirklichen
Künstlern gemachtes, Kabarett, das eine Welt für sich darstellte, war erst das der »Elf Scharfrichter« mit den Dichtern Wedekind, Lautensack. Leo Greiner, Gumppenberg, Ludwig Scharf. Dann gab es in den drei, vier Jahren, die dem Weltkrieg vorausgingen, eine Dichtung, die zwar nicht direkt fürs Kabarett gemacht war, aber ihrer Struktur nach einem wirklich künstlerischen und selbständigen Kabarett geeignetes Material zu bieten hätte. Die impressionistisch-naturalistische Literaturepoche hatte es in ihrem Ausgang zur Groteske gezogen: nach der Erringung eines hohen formalen Niveaus führte man akrobatische Wagestücke und verblüffende Fingerfertigkeiten vor, hielt Berlins Großstadtsensationen in grotesk frisierter Verklärung lyrisch fest. Die Reihe der Dichterexzentriks war groß und mannigfaltig, Scheerbart, Meyrink, Mynona waren ebenso darin wie Hardekopf, van Hoddis, Lichtenstein, Blass, Hugo Kersten und das Autorenterzett der »Kriminalsonette«. Die Schwindelatmosphäre des Kriegs- und Nachkriegsbetriebs nimmt die deutsche Abart des Dadaismus dann einfach als Technik auf, erbarmungslos, exakt, mit nötiger Kaltschnäuzigkeit, marschartigem Draufloshämmern, marktschreierischer Inseratenstrophe, marionettenhafte Geschäftigkeit, betreibt die Tollheit als Gewerbe und schafft so auch für ein selbstherrliches Kunstkabarett bizarre, klischeefeindliche Vorlagen in Gedichten von George Grosz, Richard Huelsenbeck, Hans Arp, Kurt Schwitters.

Der ganze Text steht im Walter-Mehring-Blog…

Optimismus prägt Nenas Balladen

Nenas Balladen
Nenas Balladen

Die Neue Deutsche Welle hat die meisten ihrer Vertreter gefressen. Kaum einer hat es geschafft, sich dauerhaft im Musikgeschäft zu etablieren. An vielen der Stars der frühen 80er-Jahre kleben die eigenen Hits wie Kaugummi. Fast 30 Jahre später tingeln sie noch immer damit durch obskure Ü-Partys. Nena ist eine Ausnahme.

Zwar wollen Konzertbesucher auch heute noch „99 Luftballons“ hören. Aber Platten wie „Willst Du mit mir gehen“ von 2005 hielten sich immerhin 26 Wochen in den deutschen Charts und erreichten sogar Platz 2. Nena ist also mehr als der Abklatsch der Vergangenheit. Auf dem neuen Sampler „Balladen“ kommt dies schön heraus. Das Album versammelt gefühlige Lieder aus 30 Jahren Nena. In „Wunder gescheh’n“ übrwiegt die Hoffnung auf eine gute Zukunft. In „Wir sind wahr“ bekommt die romantische Liebe eine Chance. Und in „Jetzt bist Du weg“ deren Ende. Nenas Stimme passt dazu, weil sie nicht glockenrein ist, sondern inzwischen Lebenserfahrung glaubhaft transportiert.

Überhaupt ist die CD voller Lebensklugheit. Die Naivität der „99 Luftballons“ haben kaum noch Platz mehr. Nur der Oprtimismus ihres größten Erfolges findet sich auch in den Balladen. Da macht eine Frau Musik, die viel erlebt hat. Und die sich darüber freut, dass trotz sie Höhen und Tiefen als Musikerin, Mutter und Star die alte westfälische Provinz nicht nur hinter sich gelassen hat, sondern sie auch teilweise verändern konnte. Auch davon erzählen die Stücke, die alle zusammen eine gute CD bilden.