Sich auflösender Milchschaum

Geschäumte Milch auf Kaffee
Geschäumte Milch auf Kaffee

Wenn der Geruch warmer Milch in die Nase steigt, muss das Hirn eingeschaltet werden. Denn der normale Reflex wäre ein Würgen. Wenn man sich aber entschieden hat, Freude bereiten zu wollen, dann wäre das Würgen ganz sicher falsch.

Auch wenn ich zu Milch und Käse ein vor allem im Magen (und in der Nase) mehr als angespanntes Verhältnis habe, so lebe ich doch mit Menschen zusammen, die Milchprodukte lieben. Deshalb überwinde ich mich ab und an und stelle mich an den Herd, um Latte Macchiatto zu produzieren. Wenn dann noch lange vor dem ersten feinen Milchdampf dieser seltsam schmierige Geruch aufsteigt, gilt es konzentriert zu sein. Nicht das Aufschäumen ist das Problem, nicht das Abfüllen des Schaums in Gläser und das Aufgießen mit dem Kaffee, der mich Teetrinker ebenfalls nicht erheitert, sondern nur der olfaktorische Reiz, der das vegetative Nervensystem in Aufruhr versetzt.

Doch die Freude der inzwischen schon zwei Latte-Liebhaberinnen ist es wert. Aber nur, wenn der Schaum nicht zerfällt. Und das tut er, wenn sich das Frühstück verzögert. Dann schiebt sich der strahlend weiße Schaum zusammen, dann vermischt er sich mit dem braunen Kaffee, dann löst er sich in schlamm-farbener Tristess auf. Fast so wie Träume, für die man mit viel Kraft und Widerstand gekämpft hat, wenn sie sich als unrealistische Illusion entpuppen. Deren Ende schlägt ja auch auf den Magen.

Jean Zieglers Leben ist eine Aufforderung

Jürg Wegelin: Jean Ziegler - Das Leben eines Rebellen
Jürg Wegelin: Jean Ziegler - Das Leben eines Rebellen

Unbeirrte Dickköpfe braucht die Welt. Menschen wie Jean Ziegler, der mit seinem unangepassten Denken nicht nur die Schweiz in Aufregung versetzte, sondern in der ganzen Welt Gehör fand. Jürg Wegelins Biografie des Schweizer Nationalrats, undogmatischen Marxisten, UNO-Sonderberichterstatter und Soziologen hätte kaum zu einem besseren Zeitpunkt erscheinen können als mitten in der aktuellen Finanzkrise. Denn Jean Ziegler hat sich mit den Schweizer Banken schon angelegt, als die Gründer von Attack gerade in die Grundschule gingen.

Er hat das Schweizer Bankgeheimnis angegriffen, weil Diktatoren und Kriminelle damit ihr Geld sichern konnten. Er hat Begriffe wie „Kasinokapitalismus“ geprägt, als der Euro noch lange nicht eingeführt war. Jürg Wegelin, Schweizer Journalist, hat sich nach einer Biografie des Swatch-Gründers Nicolas Hayeck den Rebellen Ziegler vorgenommen. Der stammt aus einem konservativen Elternhaus, orientierte sich im Umfeld von Jean-Paul Sartre in seinen Pariser Studienjahren immer weiter nach links und verzichtete dennoch nicht darauf, vom Protestantismus zum Katholizismus zu konvertieren. Schon in den 60er Jahren arbeitete er für die UNO im Kongo. Seitdem hat ihn Afrika und später die gesamte Dritte Welt nicht mehr losgelassen. Er war mit Jassir Arafat genauso bekannt wie mit Kofi Anan, mit Fidel Castro wie mit Muamar Gaddafi. Mit Elie Wiesel war er befreundet und Simone de Beauvoir hat die ersten französischen Aufsätze des Deutschschweizers in eine geschliffene Form gebracht. Das ist viel Stoff für ein spannendes Buch.

Aber Wegelin erzählt zu chronologisch und in Teilen zu oberflächlich. Zwar arbeitet er die Widersprüche Zieglers ganz gut heraus, aber das Buch bleibt seltsam farblos. Wegelin schafft es nicht, Begeisterung für diesen wunderbare Trotzkopf zu entflammen, der von Klagen seiner reichen und mächtigen Gegner so überzogen wurde, dass er trotz der hohen Einnahmen aus seinen mehr als 30 Büchern die Forderungen noch nicht alle begleichen konnte. Selbst das hat Ziegler nicht verzagen lassen, sondern ihn gestärkt weiterzumachen. Für die Hungernden in aller Welt ist das ein Segen. Denn in deren Namen kämpft er unverdrossen auch noch mit 80 gegen die Ungererchtigkeit der Welt.

Fußballlverband verordnet allen Spielern fünf Minuten zum Nachdenken

Das Plakat des Berliner Fußballverbandes
Das Plakat des Berliner Fußballverbandes

Fünf Minuten zum Nachdenken. Nach der zehnten Spielminute wurden am Wochenende alle Fußballspiele des Berliner Fußballverbandes unterbrochen. Von der G-Jugend bis in die höchsten Spielklasse unterbrachen die Schiedsrichter die Partien, damit die Spieler kurz spüren, dass ohne sie keine Spiele stattfinden würden.

Der traurige Hintergrund: Vergangenes Wochenende wurde ein Schiedsrichter von einem Spieler fast erschlagen. Immer wieder setzen sich die Unparteiischen dem Risiko aus, verprügelt zu werden, weil sich Spieler in Berlin nicht unter Kontrolle haben. Hoffentlich haben die jetzt begriffen, dass sie die Schiedsrichter brauchen. Ohne deren Engagement würde nicht gespielt. Schade nur, dass die Pausen meist von den Trainern genutzt wurden, die Mannschaften zu instruieren. Und nicht zu gemeinsamen Gesprächen der gegnerischen Mannschaften.

Ein Lied Walter Mehrings über die Liebe: Wie lange noch?

In der Werkausgabe von Christoph Buchwald ist der Text dieses Liedes („Wie lange noch“) nicht zu finden. Dafür aber auf dieser CD und auf einer von Teresa Stratas („The unknown Weill“) In der gleichnamigen Liedersammlung wurde es auch veröffentlicht. Rita-Lucia Schneider (Mezzosporan) singt das Lied, das 1943 oder 1944 entstanden ist, hier zu einfacher Klavierbegleitung.

Ein unruhiger Tag ohne Handy

Weg. Es ist einfach weg. Nicht in der Hosentasche hinten links, wo es gerne mal verstaut wird. Nicht in einer der Jacken des Jackets. Alles Tasten ist sinnlos. Die Fingerkuppen fühlen nur Stoff. Sie stoßen nicht auf harten Widerstand. Mit jedem Griff ins Leere nimmt die Panik zu.

Wo ist es? Wo ist das Handy? Ich gehe den Weg zurück. Frage den Polizisten, der da zufällig steht. Doch auch er hat kein Handy gesehen. Die Zeit drängt, ich muss vorwärts. Muss immer weiter weg vom Auto, in dem es hoffentlich noch liegt. Der Zug wartet nicht. Ich weiß nicht, ob es noch im Auto ist. Ich weiß nur, dass die Unruhe bleibt. Jetzt habe ich also einen Tag ohne Handy vor mir.

Einen Tag, an dem ich unterwegs bin und nicht nur nicht telefonieren kann. Viel schlimmer: Ich komme nicht an meine Mails. Ich sitze im Zug und gehe alle Möglichkeiten durch, wann ich wo eventuell online gehen könnte. Der Kopf ist voll von diesen kreisenden Gedanken. Und ganz tief in mir drin bleibt diese Unruhe. Selbst das Buch, auf das ich mich gefreut habe, will nicht richtig verfangen. Ich lese zwar alle Zeilen. Aber schon nach zwei Seiten weiß ich nicht mehr, was ich gelesen habe. Die blöde Unruhe frisst die Konzentration. Obwohl ich jetzt ganz sicher nicht gestört werden kann, obwohl ich mich jetzt nicht mit einem Blick auf Mails und Co. ablenken kann, will das Lesen nicht funktionieren. Es ist fast so, als komme die Ruhe erst wieder, wenn ich wieder gestört werden kann, wenn ich das Handy wieder ganz nah in einer Jacke am Körper spüre.

Ein furchtbarer Tag. Vielleicht sollte ich das jetzt üben? Immer wieder bewusst Tage ohne mobiles Ieternet? Immer wieder den Rückfall in die analoge Welt zelebrieren, um ruhiger zu werden? Aber ich bin doch ruhig. Wenn ich das Teil habe. Und es nicht – wie jetzt – im Auto liegt!

Frankfurt (Oder) schenkt mir mit Max Havelaar vergnügliche Weltlektüre

Multatuli: Max Havelaar
Multatuli: Max Havelaar

Ein Stück Weltliteratur lag neulich auf dem Weg zum Bahnhof in Frankfurt (Oder) auf einer Mauer. Ich konnte nicht anders und nahm das Buch mit, obwohl ich es in einer anderen Ausgabe einst geschenkt bekam und mit wachsender Begeisterung las. Multatuli (lat. „ich habe vieles ertragen“) nannte sich der niederländische Autor Eduard Douwes Dekker, als er seine Abrechnung mit den Zuständen der Niederländischen Ostindischen Kompagnie verfasste.

„Max Havelaar oder Die Kaffeeauktionen der Niederländischen Gesellschaft“ ist der Titel des Bandes, den es auf der Frankfurter Mauer in einer Dünndruckausgabe des Leipziger Paul List Verlages von 1972 gab.

Der Name Max Havelaar hat ein eigenständiges Leben entwickelt. In der Schweiz gibt es sogar eine Max-Havelaar-Stiftung. Sie vergibt das dortige Fair-Trade-Siegel. Denn Multatuli hat in seinem Roman beschrieben, wie brutal die Ostindische Gesellschaft die Menschen im heutigen Indonesien ausbeutete. Mit 18 Jahren war Dekker selbst nach Batavia, dem heutigen Jakarta, gezogen. Er erlebte die Herrschaft der Firma, die wie ein eigener Staat agierte. Sein Buch darüber wird heute als wichtigster literarischer Text der Niederlande eingeschätzt. Konkret geht es in dem Buch um ein Buch, das die Zustände auf Java beschreibt.

Bei der Veröffentlichung dieses Buches will der Kaffeehändler Droogstoppel nicht helfen. Droogstoppel ist genauso dröge und bieder, wie der Name klingt. In dieser Handlung erzählt Multatuli/Dekker die Geschichte der Entstehung des eigentlichen Buches, um am Ende das gesamte korrupte System anzuklagen. Übrigens stecken da etliche Parallelen zur aktuellen politischen Lage. Denn die Ostniederländische Kompagnie war ursprünglich selbständig. Doch dann hat sie sich so überhoben, dass der Staat sie retten musste. Allerdings wollte die Kompagnie sich dennoch nicht in die eigenen Belange reinreden lassen. Sie verteidigte ihre Rolle ähnlich wie die Banken heute. Die Steuerzahler hatte für die Konkursvermeidung bezahlt. Aber einen Gewinn sollte es für ihn nicht geben. Aber auch ohne diese Parallelen ist das Buch sehr lesenswert. Denn es gibt nicht nur einen erschütternden Einblick in die frühe Globalisierung, als Europa meinte, die ganze Welt sei ihm Untertan.

Es ist auch einfach richtig gut und kurzweilig geschrieben, es wechselt zwischen Satire und Anklage, spart aber auch nicht mit zarten Tönen. Es jetzt noch einmal zu lesen, war ein Vergnügen. Und das habe ich dem netten Menschen zu verdanken, der immer wieder Bücher für Passanten bereit hält. Vielen Dank! Und allen, den dies Anregung war: viel Spaß beim Lesen!

Politische Kommunikation (1)

Politische Kommunikation – oder Wie sage ich es den Bürgern?

Zusammenfassung meines Vortrags bei einem Workshop vom „Bündnis für Demokratie und Toleranz“ und „Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V.“ am 24. September 2011 in Kassel.

Das Thema für diesen Vortrag klingt etwas nach Obrigkeitsstaat. Denn es kann ja nur zum Teil darum gehen, wie die Politik oder die Verwaltung von oben nach unten kommuniziert. Wesentlich für die Kommunikation politischer Prozesse sind die medialen Vorraussetzungen dafür. Wie wird bürgerliche Öffentlichkeit hergestellt und gibt es dabei gravierende Veränderungen. Deshalb will ich zunächst anhand dreier Beispiele schildern, was meiner Meinung nach die zentralen Probleme bei der Kommunikation von oben nach unten sein können. Anschließend werde ich einen Blick auf die massive Veränderung der bürgerlichen Öffentlichkeit werfen, um in der Folge einen möglichen Lösungsansatz vorzuschlagen. Am Ende will ich noch einige Anmerkungen zu den Veränderungen durch das Internet und Social Media machen, die nicht dem weit verbreiteten Kulturpessimismus der Alten huldigen.

Die einzelnen Teile des Vortrags:

Politische Kommunikation (2) – Kommunikations-Versagen bei Stuttgart 21
Politische Kommunikation (3) – Kommunikations-Versagen beim Flughafen Schönefeld Politische Kommunikation (4) – Kommunikations-Versagen bei den Stromtrassen
Politische Kommunikation (5) – Veränderte Rolle der Tageszeitungen
Politische Kommunikation (6) – Gefährdete Öffentlichkeit in Mecklenburg-Vorpommern
Politische Kommunikation (7) – Wie lässt sich regionale Öffentlichkeit dennoch herstellen?
Politische Kommunikation (8) – Piraten als Ausdruck veränderter Kommunikation
Politische Kommunikation (9) – Bürgerengagement im Netz

Politische Kommunikation (2) – Kommunikations-Versagen bei Stuttgart 21

Politische Kommunikation – oder Wie sage ich es den Bürgern?

Zusammenfassung meines Vortrags bei einem Workshop vom „Bündnis für Demokratie und Toleranz“ und „Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V.“ am 24. September 2011 in Kassel.

Politische Kommunikation (1) -Einführung

Kommunikations-Versagen: Stuttgart 21

Wenn wir das Versagen der politischen Kommunikation bei Stuttgart 21 betrachten, fällt vor allem auf, dass wesentliche Teile des Projekts nicht kommuniziert wurden. Im Kern ist Stuttgart 21 ein gigantischer Immobiliendeal, der den öffentlichen Grund der Bahn bei den dann überflüssigen Bahnanlagen privatisieren soll. Mit den Erlösen wiederum soll ein Teil des Bahnhofs finanziert werden. Angesichts der Grundstücksknappheit in vielen Großstädten ist es durchaus legitim, überflüssige Gleisanlagen zurückzubauen. Aber da das Eigentum der Bahn nach wie vor unser aller Eigentum ist es mehr als problematisch, wenn die Bürger davon nichts haben.

Im Schlichtungsverfahren sind wichtige Aspekte nachgebessert worden. Jetzt geht es auch um erschwinglichen Baugrund für Stuttgarter und – so viel ich weiß – sozialen Wohnungsbau. Wären solche Ideen frühzeitig entwickelt und kommuniziert worden, wäre das Projekt nicht nur als eines, das von oben für die Wirtschaft durchgesetzt wird, wahrgenommen worden. Außerdem gab es ja den Wunsch, ein Bürgerbegehren durchzuführen. Dieses wurde abgeschmettert. Hätte es stattgefunden, wäre die Befriedung Stuttgarts leichter möglich gewesen. Das Bürgervotum wird ja fast immer akzeptiert. Aber die Art und Weise wie es nicht zu dazu kam, ist ein nicht weiteres Element, das zum steigenden Misstrauen führte.

Ein Misstrauen, das schließlich sehr viele Bürger zu bürgerschaftlichen Engagement bewegte. Sie arbeiteten sich in Planungsrecht ein. Sie berechneten Zugfolgen. Wer kommt auf die Idee, Zugfolgen zu berechnen? Abende lang haben sich diese Bürger mit Fragen auseinandergesetzt, mit denen sich normale Bürger nicht auseinandersetzen. Das machen nur Bürger, die am Gemeinwesen interessiert sind. Dieser Aspekt wird in der Kommunikation der Verantwortlichen meist unterschlagen. Die Sachkenntnis der Bürger ist enorm. Ihr muss sich Politik stellen.

Auch wenn oft nicht klar ist, wer das eigentlich ist: verantwortlich in der Politik. Dafür ist Stuttgart 21 auch ein gutes Beispiel. Die Vermischung der Verantwortungsebenen macht es dem Bürger fast unmöglich, ein differenziertes Urteil abzugeben. Außerdem wird in den Medien kaum dargestellt, welche Ebene für welchen speziellen Teil verantwortlich ist. Die von Oben-Nach-Unten-Kommunikation verhindert das. Und zwar bewusst. Verstärkt wird das noch durch administrativ-formale Prozesse, die so verrechtlicht sind, dass es fast schon wirkt, als solle mit ihnen eine besondere Form der Bürgerferne hergestellt werden. Mit ihnen ist zwar formal alles korrekt gelaufen, aber am Bürger vorbei. Dem bleibt dann nur der Groll „gegen die da oben.“

Fortsetzung des Vortrags:
Politische Kommunikation (3) – Kommunikations-Versagen Flughafen Schönefeld
Politische Kommunikation (4) – Kommunikations-Versagen bei den Stromtrassen
Politische Kommunikation (5) – Veränderte Rolle der Tageszeitungen
Politische Kommunikation (6) – Gefährdete Öffentlichkeit in Mecklenburg-Vorpommern
Politische Kommunikation (7) – Wie lässt sich regionale Öffentlichkeit dennoch herstellen?
Politische Kommunikation (8) – Piraten als Ausdruck veränderter Kommunikation
Politische Kommunikation (9) – Bürgerengagement im Netz