Zum 75. erscheinen die Erinnerungen von Rolf Henrich

Rolf Henrich (Foto: Andreas Oppermann)
Rolf Henrich

Rolf Henrich: Aufbruch aus der VormundschaftHeute wird Rolf Henrich 75. Passend zu seinem Geburtstag ist gerade sein neues Buch „Ausbruch aus der Vormundschaft“ erschienen. Seinen runden Geburtstag sieht er allerdings nicht als Grund an. Rolf Henrich geht es mit seinen Erinnerungen um den 30. Jahrestag der Friedlichen Revolution in der DDR. Als einer der Mitgründer des Neuen Forums und dessen Vertreter am Runden Tisch war er ein wichtiger Akteur in den turbulenten Monaten, die zum Untergang der DDR führten. Sein wichtigster Beitrag dazu war sicherlich sein im März 1989 bei Rowohlt in Hamburg erschienene Buch „Der vormundschaftliche Staat“, in dem er mit der DDR abrechnete. Als das entscheidende Lebensereignis Henrichs nehmen die Vorgeschichte und die Folgen auch den größten Teil der Erinnerungen ein.

Dennoch beschränkt sich Rolf Henrich nicht darauf. Er beleuchtet auch seine Schul- und noch viel intensiver seine Hochschulausbildung. Er beschreibt, wie er sich selbst als überzeugter Kommunist fühlte, der sogar bereit war, als Spion – oder wie es hieß als Kundschafter – in den Westen zu gehen. Und tatsächlich wurde er 1968 für einen kurzen Einsatz in die bayerische Hauptstadt geschickt. Er soll einen Mann unter Druck setzen, der in Gera ein uneheliches Kind hat. Unterhaltszahlungen gegen Kooperation. Das soll er klar machen. Henrich reflektiert in seinen Erinnerungen die Sehnsucht nach Abenteuer im Westen und die tatsächliche Schuld dessen, der so agiert wie er.

In der Folge distanziert sich Henrich vom Kundschaften, aber der Idee des Kommunismus bleibt er verbunden. Er gewinnt einen Wissenschaftspreis, eckt aber mit seiner Sympathie für Alexander Dubcek und seiner Kritik an der Niederschlagung des Prager Frühlings durch die Sowjetunion an. In der Folge wird ihm eine wissenschaftliche Karriere verbaut. Und so geht er als Anwalt nach Eisenhüttenstadt. Die Stadt hat in den 1970er-Jahren 50.000 Einwohner aber nur einen Anwalt. Zusammen mit seiner Frau baut er eine Kanzlei auf, kauft sich ein Haus direkt an einem alten Kanal im Wald und ist gleichzeitig Parteisekretär der SED im Frankfurter Anwaltskollektiv.

Aber 1977 fasst er einen Entschluss. Nachdem Rudolf Bahro wegen seines Buchs „Die Alternative“ im Westen veröffentlicht und in der Folge als West-Spion verurteilt wurde, beginnt er sich mit einem ähnlichen Buch zu befassen. Jahrelang arbeitet er an „Der vormundschaftliche Staat“. Er versteckt die Manuskripte in Einweckgläsern, die er vergräbt. Seine Frau Heidelore unterstützt ihn und trägt das Risiko mit. Auch weil sie einen Freundeskreis haben, der ebenfalls systemkritisch ist. Als es um die Veröffentlichung geht, bereiten sie pro forma die Trennung vor, damit im Falle eines Auffliegens seine Frau auf jeden Fall das Sorgerecht für den gemeinsamen Sohn behalten kann.

Als im März 1989 „Der vormundschaftliche Staat“ erscheint, löst das Buch in der DDR ein Beben aus. Hier hat jemand den Staat seziert und herausgearbeitet, dass trotz aller juristischen Rechtsstaatlichkeit dem System die Legitimation fehlt. Henrich verliert seine Zulassung als Anwalt. Aber seine Frau kann weiter arbeiten. Er selbst nutzt die Zeit, um Vorträge in Kirchengemeinden und in oppositionellen Gruppen zu halten. Zusammen mit Bärbel Bohley und Katja Havemann plant er die Gründung des Neuen Forums. Später dann vertritt er das Neue Forum am Runden Tisch.

All das erzählt er mit der nötigen Distanz, um nicht selbstgerecht zu werden. Natürlich verteidigt er seine Positionen, die sich nicht immer mit denen Bärbel Bohleys glichen. Und er benennt die Fehler der Bürgerrechtler, die zwar wussten, dass sie die SED zu Fall bringen wollten, aber keine tragfähige Vorstellung davon hatten, was danach kommen sollten. Er macht anschaulich, wie die Frage um die deutsche Einheit die Bewegung spaltete. Und dass es falsch war, am Runden Tisch mit der SED zu verhandeln, während die Staatssicherheit ihre Akten anfing zu vernichten.

Und dennoch ist Rolf Henrich mit dem Verlauf der Geschichte zufrieden. Aber an alten Vorurteilen will er sich nicht beteiligen. Er hat erlebt, dass nicht nur der Westen den Osten übernahm, sondern dass sich daran auch etliche Ostdeutsche tatkräftig bereicherten. Rolf Henrichs Erinnerungen sind auch deshalb sehr lesenswert. Da schreibt jemand, der etwas zu sagen hatte und noch immer hat. Und der den Rechtsstaat verteidigt, damit starke Bürger immer ihre Rechte haben.

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