Barrie Kosky feiert die jiddische Operette New Yorks

Barrie Kosky (Foto: Jan Windszus Photpgraphy)
Barrie Kosky (Foto: Jan Windszus Photpgraphy)

Es ist ein Segen, wie offensiv Barrie Kosky seine Identität lebt. Der Australier, dessen Vorfahren Juden aus Ungarn, Polen und Russland waren, ist Intendant der Komischen Oper. Er ist bekennender Schwuler und hat kein Problem damit die Fülle seiner (Minderheiten-) Identitäten offensiv zu leben. Das ist ein Segen. Denn Barrie Kosky ist Teil einer Vielfalt, die noch vor 30 oder 40 Jahren in Deutschland keine Chance hatte. Jetzt aber lädt Kosky zu einem jiddischen Liederabend. Zusammen mit den Sängerinnen Alma Sadé und Helene Schneiderman feierte er damit einen fulminanten Erfolg. Und das völlig zu Recht.

Hans Keilsons Sonette einer verbotenen Liebe

Hans Keilson: Sonette für HannaLiebe in Zeiten des Untergrunds und des Exils ist immer auch ein Hoffen auf eine andere Zukunft. 1944, als Hans Keilson seine Sonette für Hanna schrieb, waren die Niederlande noch immer von den Deutschen besetzt. Hans Keilson lebte im Untergrund und lernte eine junge Frau, die sich als Jüdin vor den deutschen Mördern und ihren Helfern verstecken musste, kennen. Und er begann Hanna zu lieben. Davon zeugen die 46 Sonette, die vom S. Fischer Verlag jetzt erstmals als eigenes Buch veröffentlicht wurden.

Ilja Ehrenburg bringt uns mit dem traurigen Lasik Roitschwantz zum Lachen

Ilja Ehrenburg: Das bewegte Leben des Lasik RoitschwantzLasik Roitschwantz ist ein Jude aus Homel. Sein ganzes Leben lang will der gelernte Schneider ankommen und ein ganz normales Leben führen. Und wenn das nicht klappt, dann wäre er schon mit regelmäßigen Mahlzeiten zufrieden. Aber Lasik Roitschwantz ist einer von denen, die in jedes Fettnäpfchen tappen, einer von denen, die stärkeren und mächtigeren Menschen den Spiegel vorhalten und deshalb aus deren Blick geräumt werden müssen.

Maxim Biller ist im Kopf von Bruno Schulz

Maxim Biller: Im Kopf von Bruno SchulzBruno Schulz, der große polnisch-jüdische Schriftsteller schreibt einen Brief an Thomas Mann. 1938, schon nach dem Einmarsch Deutschlands ins Sudetenland, sitzt Schulz an seinem Schreibtisch im heimisch Drohobycz und berichtet in einem Brief an den Autoren-Kollegen von dessen Doppelgänger. Das ist der Rahmen für eine kleine Novelle von Maxim Biller, in der auf nicht einmal 70 Seiten ein visionärer Alptraum entsteht, dem man sich als Leser nicht entziehen kann.

Olga Grjasnowa rollendes „r“ macht Mascha sympathisch

Olga Grjasnowa  kurz nach der Lesung von "Der Russe ist einer, der Birken liebt" in der Berliner Buchhandlung "Moby Dick".
Olga Grjasnowa kurz nach der Lesung von „Der Russe ist einer, der Birken liebt“ in der Berliner Buchhandlung „Moby Dick“.

Ihr „r“ rollt so schön. Und ihre Betonung der zweiten statt der ersten Silbe erzeugt einen ganz eigenen Lesefluss.  Olga Grjasnowa hat sich gut auf ihre gut einstündige Lesung vorbereitet. Sie liest nicht eine Passage am Stück, sondern hat etliche kleinere Szenen aus ihrem gesamten Roman „Der Russe ist einer, der Birken liebt“, die den Handlungsstrang erkennen lassen.

Leicht aufgeregt wird die Anspannung der Autorin durch mehrere Mikrophon-Aussetzer noch verstärkt. Dann wird ihr Deutsch mit dem schönen leichten Akzent leider etwas monoton. Die Konzentration des Zuhörers darf sich dann nicht von den Bücher- und CD-Regalen der der schönen Buchhandlung „Moby Dick“ in Prenzlauer Berg ablenken lassen. Denn dann wird es schwer zu folgen.

Deutlich wird das vor allem am Ende. Sie habe Mascha, die Protagonistin, ursprünglich noch böser angelegt, als sie dann im Roman wurde, meint Olga Grjasnowa auf eine Frage der Buchhändlerin. Doch Mascha kam bei der Lesung als überhaupt nicht böse an. Eher als Opfer, die einen Todesfall zu beklagen hat und bei der Einreise nach Israel bei der Kontrolle so sehr schikaniert wird, dass sogar der Laptop zerstört wird. Als eine Frau mit bösen Neigungen, wird Mascha nicht greifbar. Im Gegenteil: Die Lesung sorgt für viel Sympathie mit ihr.

Die Buchhandlung ist übrigens fast schon überfüllt. Viele Zuhörer sind um die 30. Sie fühlen sich angesprochen von dieser Geschichte, die im multikulturellen Milieu der gut ausgebildeten, mehrere Sprachen sprechenden Deutschen mit den Migrationshintergrund spielt. Und in der damit verbundenen Bindungslosigkeit, die bis zu zwischenzeitlichen Aufenthalten in der Psychiatrie reicht. Das ist alles auch sehr verwirrend. Und wahrscheinlich ein Grund, weshalb man den Roman doch lesen sollte. Neben der nach wie vor offenen Frage, warum Russen, Birken lieben. Und dieser Titel über einem Text steht, der eine Frau in den Mittelpunkt rückt, die aus Aserbaidschan stammt. Und: rollen die dort das „r“ auch so schön?

Ingke Brodersen und Rüdiger Dammann erzählen die Geschichte der Juden in Deutschland

Die Geschichte der Juden in Deutschland wird sehr stark auf die Vertreibung und Vernichtung durch die Nazis reduziert. Aber Juden leben schon seit 2000 Jahren hier. Ingke Brodersen und Rüdiger Dammann haben auf 220 Seiten eine kurze Geschichte im Überblick geschrieben.

Sie gehen natürlich auf die Entwicklung des Antisemitismus ein. Aber sie zeigen auch, wie Juden und Christen friedlich zusammenlebten. Und sie machen deutlich, welche wichtige Rolle viele Juden bei der wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Entwicklung Deutschlands spielten. Ein gut geschriebenes, leicht verständliches und unverzichtbares Buch.

Brodersen/Dammann ZERRISSENE HERZEN – GESCHICHTE DER JUDEN IN DEUTSCHLAND. FISCHER VERLAG. 19,90 EURO.

Borgolte findet die Europas Wurzeln in der Religion

Die Geschichte Europas will der Siedler Verlag abbilden. Im aktuellsten Band des Projekts sprengt Michael Borgolte, Leiter des Instituts für vergleichende Geschichte Europas im Mittelalter an der Berliner Humboldt-Universität, den engen geografischen Rahmen. In „Christen, Juden, Muselmanen – Die Erben der Antike” stellt er zunächst die Entwicklung der großen monotheistischen Religionen dar.

In ihnen sieht er das zentrale Element der Spätantike und des frühen Mittelalters. Es gelingt ihm, Unterschiede, vor allem aber Gemeinsamkeiten im Denken und Glauben darzustellen. Im zweiten Teil des Buchs  gewinnen die Unterschiede Gewicht, denn in ihm geht es um das weltliche und religiöse Herrschaftsverständnis. Während die katholische Welt die Trennung der religiösen und  politischen Sphären lernte, erhielt sich bei orthodoxen Christen und im Islam der allumfassende Anspruch des Herrschers. Borgolte räumt dem Interesse am Austausch der  Kulturen im dritten Teil Raum ein – und öffnet den Blick für die Chancen des Dialogs mit dem Islam.

Michael Borgolte: Christen, Juden, Muselmanen – Die Erben der Antike. Siedler Verlag. 608 Seiten. 74,00 Euro.

Will Eisner zeichnet ein Comic gegen den Judenhass

Wenige Hetzschriften wirken so lange und so verheerend wie „Die Protokolle der Weisen von Zion“. Will Eisner, der große – im Januar verstorbene – Meister des Comics, erzählt die Entstehungs- und Wirkungsgeschichte in Bildern.

Will Eisner kam 1917 in Brooklyn zur Welt. Seine Eltern waren Juden aus Österreich, die ihr Glück in New York suchten. Hätten sie diesen Schritt nicht gewagt, wären er und seine Eltern sehr wahrscheinlich genauso wie sechs Millionen andere europäische Juden von den
Nazis ermordet worden. Eines der wichtigsten Bücher, auf die sich Hitler und die Nazis
immer wieder in ihrem Judenhass beriefen, waren die „Protokolle der Weisen von Zion“.

Für Hitler waren sie echt. Davon, dass es sich dabei um eine üble Fälschung handelt,
wollte er nichts wissen. In den Protokollen wird eine angebliche Sitzung der einflussreichsten Juden wiedergegeben. Auf ihr sollen sie beschlossen haben, die Weltherrschaft zu übernehmen. Alle Vorurteile über die jüdisch-kapitalistische Weltverschwörung sind in diesem Band versammelt.

Doch das verheerende Buch stammt aus der Feder eines Fälschers des Geheimdienstes des russischen Zaren. Gedacht war es, um die Juden für Unruhen verantwortlich zu machen. Es fiel auf furchtbar fruchtbaren Boden. Schon im Zarenreich kam es zu
Progromen an Juden. In den folgenden mehr als hundert Jahren wurde es in alle wichtigen
Sprachen mehrfach übersetzt.

Zurzeit ist es bei islamistischen Terroristen eine gern gelesene Lektüre zur Anzettelung des Hasses gegen Israel. Will Eisner zeichnet die erschütternde Geschichte des Machwerks
in düsteren, eingängigen Bildern. Da es sich dabei leider um keine abgeschlossene Geschichte handelt, ist Eisner darauf angewiesen, erklärende Zwischentexte und Fußnoten zu verwenden. Das wirkt bei einem Comic zwar etwas seltsam, ist aber dennoch zulässig.
Denn Eisner will aufklären. Er wählt den Comic, um sein Thema an Menschen zu bringen,
die niemals ein Geschichtsbuch in die Hand nehmen. Sein Comic kann sie erreichen. Das ist hervorragend. Besser als Geschichtsstunden in der Schule – und einprägsamer.