Die Suche nach dem richtigen Vornamen beschäftigt angehende Eltern sehr. In Leipzig berät Gabriele Rodriguez nicht nur Eltern, sondern auch Standesämter sowie Gerichte. Andreas Oppermann informierte sich bei der Sprachwissenschaftlerin über Trends und regionale Besonderheiten.
Frau Rodriguez, mit welchen Anliegen kommen angehende Eltern zu Ihnen?
Gabriele Rodriguez: In den meisten Fällen werden Eltern von Standesämtern an uns verwiesen, um eine Bescheinigung für die Verwendung eines bestimmten Namens zu bekommen. Wir haben in Deutschland eine freie Vornamenwahl, mit einigen Einschränkungen: Der Name muss einen Vornamen-Charakter haben. Er muss das Geschlecht eindeutig benennen oder mit einem Zweitnamen versehen werden. Und das Wohl des Kindes muss gewährleistet sein.
Das klingt nicht sehr kompliziert.
Aus Sicht der Standesämter ist das gar nicht so einfach, weil in Deutschland immer mehr neue Namen eingetragen werden, die es in den Verzeichnissen der Standesämter gar nicht gibt. Außerdem gibt es wegen internationaler Einflüsse Probleme mit der Eindeutigkeit des Geschlechts. Ich heiße Gabriele. In Italien ist das ein Männername, in Deutschland ganz klar ein Frauenname. Und immer wieder geht es auch um die Frage des Wohles des Kindes. Wir erstellen dann Gutachten für Gerichte, um zu bewerten, ob Namen eintragungsfähig sind oder nicht.
Ist der internationale Einfluss so stark?
In den letzten zehn Jahren betrifft die Hälfte der Anfragen ausländische Namen. Jedes vierte Kind, das in Deutschland geboren wird, hat einen Migrationshintergrund.
Was sind denn die skurrilsten Namen, die Sie ablehnen mussten?
Das sind nicht so viele. Aber Crazy Horse, Borrusia, Whisky, Kirsche, Schröder oder Pfefferminze mussten wir ablehnen.
Pfefferminze als Vorname?
Ja, genauso wie Rumpelstilzchen, Joghurt oder Porsche.
Wollte da ein Porschefreund mit Mercedes gleichziehen?
Genau. Aber man muss natürlich wissen, wie diese Firmennamen entstanden sind. Mercedes ist tatsächlich ein Vorname, während Porsche ein Familienname ist. Familiennamen sind in Deutschland als Vorname nicht zulässig.
Welche Trends bei Vornamen beobachten Sie?
Der größte Trend ist eine ganz starke Individualisierung. Eltern wollen ihrem Kind oft einen seltenen, individuellen Namen geben. Das hängt mit unserer Gesellschaft zusammen, die stark individualistisch geprägt ist. Außerdem aber viele Eltern nur noch ein Kind, das soll dann etwas ganz Besonderes sein. Die freie Vornamenwahl erlaubt es den Eltern zudem, Kindern auch Namen aus anderen Kulturkreisen zu geben. Wir haben inzwischen deutsche Kinder mit japanischen oder indischen Namen.
Können Sie anhand der Namen erkennen, welche soziale Stellung die Eltern haben?
In diesem Zusammenhang gibt es zwei Trends, die auf das Milieu und den Bildungsstand der Eltern schließen lassen. Alte Namen sind bei Akademikern im Trend. Alle 100 Jahre gibt es eine Rückbesinnung auf alte deutsche Namen. Friedrich, Konrad, Karl sind dafür Beispiele. Oder Leopold, Arthur, Richard oder Edgar. Bei den Mädchen Ida, Irmgard, Irmhild. Ergänzt wird das um die traditionellen Namen wie Maximilian, Paul, Alexander oder Emma, Julia und Maria.
Und bei bildungsferneren Schichten?
Dort orientieren sich viele Eltern eher an TV, Musik und Sport. Deshalb gibt es dort einen Trend zu englischen und amerikanischen Namen.
Aber Kevin ist auf dem Rückzug?
Dafür kommen andere wie Quentin, Jason, Maddox, Lennox, Lenny und so weiter. Interessant ist, dass viele dieser Namen biblischen Ursprungs sind: Jeremy ist ein Jeremias, Simon ein Simon, Jason ein Jason. Das deutet aber nicht auf eine religiösere Gesellschaft. Im englischen Sprachraum haben biblische Namen eine größere Bedeutung. Den Hintergrund kennen viele deutsche Eltern gar nicht.
Erforschen Sie auch, was aus den Trägern bestimmter Namen wird?
Wenn wir das Beispiel Kevin nehmen, stellen wir fest, dass dieser Name vor 20 bis 30 Jahren vor allen von Akademikern vergeben wurde. Kevinismus als Synonym für Unterschicht hat mit diesen Kevins nichts zu tun. Der Name ist durch eine Reihe von Einflüssen vor gut zehn Jahren in bildungsfernen Kreisen populär geworden. Dort wurde er inflationär vergeben. Lehrer, die sagen, dass sie mit Kevins fast immer Probleme haben, identifizieren mit diesem Namen eine Herkunft, die in der Schule eher Probleme hat.
Heute ist er aber schon wieder aus der Mode?
Kevin ja, aber englische Namen nicht. Diese werden sehr oft mit Unterschicht assoziiert. Umgedreht werden alte Namen als intelligent eingestuft, weil der familiäre Hintergrund dafür spricht.
In unserem Verbreitungsgebiet ist der Paul am häufigsten, gefolgt von Jonas, Ben, Maximilian, Tim, Finn.
Das sind in der Tat sehr häufige Namen. Aber wenn früher die häufigsten Namen bei zehn Prozent der Kinder vergeben wurden, so sind es heute nur noch ein bis zwei eines Jahrgangs, die einen so häufigen Namen tragen. Im Gegenzug wächst der Bestand an Vornamen. Dies spiegelt den Trend zur Individualisierung. Jede Woche wird in Deutschland ein neuer Name in die Listen aufgenommen, den es so noch nicht gegeben hat.
Es gibt auch Namen, die mit der DDR verbunden werden.
In der ehemaligen DDR waren Sindy, Ronny, Peggy und so weiter sehr verbreitet. Man spricht sogar direkt von DDR-Namen. In Kimberly, Amy, Chelsea, Lenny oder Lily finden sie ihre Fortsetzung. Wenn sie ausgesprochen werden, enden sie auf „i“. Im Süden der ehemaligen DDR werden solche Namen gern verwendet, weil sie mit dem Dialekt harmonieren. Im Sächsischen wird sehr viel verkleinert, da passen solche Namen sehr gut. Je weiter wir in den Norden kommen, erhöht sich die Verwendung nordischer Namen.
Gibt es heute noch DDR-Namen, die bundesweit von Bedeutung sind?
Bevor Paul bundesweit unter die zehn häufigsten Vornamen gekommen ist, war er schon immer in der DDR Spitzenreiter. Insofern ist er ein Ostexport. Im Westen war er nicht so bekannt, hat dort aber Karriere gemacht. Heute gehört er regelmäßig zu den fünf beliebtesten Jungen-Namen. Auch andere alte Namen wir Friedrich oder Karl sind im Osten verbreiteter als im Westen.
Kann man anhand der Häufigkeit der Vornamen heute noch erkennen, ob man in einer katholisch, evangelisch oder atheistisch geprägten Gegend ist?
Wenn Sie in den Süden kommen, spielt das Benennen nach Taufpaten eine größere Rolle, auch nach mehreren Taufpaten. Im Süden finden Sie zudem eher die Vollformen der Namen: Maximilian, im Norden eher die Kurzform wie Max. Im Osten gibt es viel seltener Zweit- oder gar Drittnamen. Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges gibt es zudem eine immer freiere Vornamenwahl. Davor war sie oft noch gebunden. Viele Kinder bekamen den Vornamen des Paten. Umso besser dessen soziale Stellung war, umso mehr Kinder wurden nach ihm benannt. Ein weiteres Kriterium war die Unterschutzstellung der Kinder unter Heilige. Entsprechend waren solche Namen in katholischen Gegenden verbreiterter. Das gibt es heute kaum noch.
Welchen Rat geben Sie werdenden Eltern? Was sollten sie unbedingt vermeiden?
Wenn das Kind einen ungewöhnlichen Namen bekommt, sollte er mit einem gewöhnlichen Namen kombiniert werden. Dann hat das Kind später die Wahlmöglichkeit. Der Rufname wird im Ausweis ja nicht mehr unterstrichen. Jeder Name darf als Rufname verwendet werden. Zudem sollte der Vorname immer zum Familiennamen passen; sie sollten eine stilistische und klangliche Einheit bilden. Und bevor die Eltern den Namen vergeben, sollten sie sich überlegen, wie es für sie wäre, wenn sie so hießen. Könnten sie damit leben? Auf Rechtschreibung zu achten ist auch hilfreich.
Spielt die Bedeutung der Namen noch eine Rolle?
Ich empfehle immer, darauf zu achten. Der englische Name Malory geht zum Beispiel aufs französische Malheur zurück. Vielleicht kommt das Kind mal ins Ausland. Wollen Sie dann so heißen? Oder Fea. Im Spanischen heißt das die Hässliche. Das kann für das Kind später mal peinlich werden.
ZUR PERSON
Gabriele Rodriguez ist Sprachwissenschaftlerin. Sie arbeitet in der Namenberatungsstelle der Universität Leipzig, die eng mit der Abteilung für Deutsch-Slavische Namenforschung des Instituts für Slavistik und der Gesellschaft für Namenkunde e. V. kooperiert.
MOZ-Interview…
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