Im Mai 1933 hat Erich Kästner verfolgt, wie Nationalsozialisten seine Bücher verbrannten. Die meisten anderen verbrannten Autoren waren da schon geflohen. Auch ihm wurde geraten Deutschland zu verlassen. Aber Erich Kästner blieb. Trotz Veröffentlichungsverbot, trotz der steten Gefahr verhaftet zu werden, ist er in Berlin geblieben. Er fasste den Vorsatz, den Roman über das Dritte Reich aus eigener Anschauung im Land Hitlers zu schreiben. Als Vorbereitung dafür führte er sein Tagebuch, das jetzt in Teilen als „Das Blaue Buch“ veröffentlicht wurde.
Der besondere Reiz des Buches liegt im unverstellten Blick auf das Leben in der Diktatur. Kästner schreibt Gerüchte genauso auf wie Meldungen über den Frontverlauf oder die Sorgen um seine Familie in Dresden. Da die Einträge nicht nur Stichworte oder Gedankenfetzen sind, lässt sich der Text auch heute noch gut lesen. Dank der hervorragenden Erläuterungen von Herausgeber Sven Hanuschak und seinen Mitarbeitern Ulrich von Bülow und Silke Bender, werden alle wichtigen Aspekte für den Leser auch historisch eingeordnet. Da sie im Seiten-Layout am Rand eingefügt sind, erübrigt sich auch das ansonsten so nervige Blättern. Ganz nebenbei wird so auch deutlich gemacht, wie sich Bücher schön und praktisch gestalten lassen.
Erich Kästner hat nach dem Krieg nie seinen großen Roman über das Dritte Reich geschrieben. Lediglich „Notabene 45“ hat er herausgegeben, ein Teil seines Kriegstagebuchs. Es handelt von der abenteuerlichen Verlegung der Filmcrew, zu der Kästner gehörte, von Potsdam-Babelsberg nach Mayrhofen in Tirol. Die Crew konnte vorgeben, einen wichtigen Film zur Aufrechterhaltung der Moral drehen zu wollen. Hier erlebte Kästner das Kriegsende, erlebte, wie sich Nazis ganz schnell in normale Bürger verwandelten und wie die Amerikaner die Verwaltung übernahmen. Aber „Notabene 45“ ist bearbeitet. Es ist nicht der Originaltext, den man jetzt nachlesen kann. Sein Tagebuch stellt die Realität direkter dar. Die Bearbeitung ist auf kleine Effekte aus. Dieser Umgang des Schriftstellers mit seinem Material ist spannend zu beobachten.
Vor allem aber ist die Lektüre so aufschlussreich, weil sie dem heutigen Leser zeigt, dass sich auch überzeugte Gegner der Nationalsozialisten nicht vollständig dem Zeitgeist entziehen konnten. Kästner identifiziert sich zum Beispiel teilweise mit der Wehrmacht. Er fiebert bei großen Erfolgen mit und sorgt sich ab 1943 vor den Folgen der nun beginnenden Rückzüge. Und natürlich hofft er auf einen guten Ausgang des Krieges, auf ein Ende der Luftangriffe, die auch ihn direkt betreffen. Wer dieses Tagebuch liest, erfährt also nicht nur viel mehr über Erich Kästner, sondern auch über das Denken, Fühlen, Hoffen und Bangen im Deutschen Reich.