Warum vergeht die Zeit so schnell. Wenn Dagmar Manzel Lieder von Friedrich Hollaender singt, dann geht jedes Zeitgefühl verloren. So sehr wird sie mit der Musik und den Texten des großen Komponisten und Texter des Kabaretts der 1920er-Jahre und des phantastischen Filmkomponisten eins. In der Komischen Oper, da wo einst mit dem Metropol-Theater eines der bedeutendsten Häuser für Revue, Kabarett und Operette in Berlin stand, stimmt sie ihr Programm „Menschenskind“ an. Dank der muskalischen Leitung und Begleitung durch Michael Abramovich und der Unterstützung durch Teile des Orchesters der Komischen Oper wird aus der kleinen Form des Liedes ein großes, abendfüllendes Erlebnis für Ohr und Herz, für Gefühl und Gehirn.
Es sind nur ganz wenige Momente, in denen die Stimme von Dagmar Manzel nicht vollständig trägt. Das sind einige sehr hohe Passagen, die sie aber mit ihrer Präsenz und ihrer Mimik mehr als nur überbrückt. Wenn die Töne dann wieder etwas tiefer – oder gar ganz tief – angesiedelt sind, dann verwandelt sich Manzels Stimme in alle emotionalen Abstufungen von Trauer bis lustvollem Wahnsinn.
Das alles liegt an ihr, aber natürlich auch an der wunderbaren Musik und den so abwechslungsreichen Texten Friedrich Hollaenders. Dagmar Manzel will dieses Großen der Musik wieder stärker ins Bewusstsein holen. Das ist gut und verdienstvoll. Wer seine Texte hört, merkt, dass ein Bert Brecht auch nur einer von vielen war, zu denen auch Klabund, Max Herrmann-Neiße, Kurt Tucholsky oder Walter Mehring gehörten. Der spürt, welche kulturelle Vielfalt und Kraft durch die Nazis zerstört wurden. Und der bekommt dank Dagmar Manzel ganz viel Lust, mehr hören zu wollen von Hollaender und Co. Damit er lachen kann. Und weinen, je nach dem, wovon gesungen wird. Und er wünscht sich, dass Dagmar Manzel nach den Sieben Todsünden von Brecht/Weill auch weiterhin auf Entdeckungsreise in die 20er-Jahre geht. Entdecken gibt es da noch genug. Und die Manzel hat die schauspielerische Kraft und die Stimme, um genau das zu tun.